Stadtentwicklung

Megastädte - Megachancen und Megaprobleme

Noch niemals in der Geschichte der Menschheit wohnten mehr Menschen in Städten als heute. Jeder zweite Mensch lebt heute in einer Stadt, noch vor 200 Jahren waren es nur drei Prozent der Weltbevölkerung. In den vergangenen Jahrzehnten verlief der Urbanisierungsprozess so rasch wie niemals zuvor: Allein seit 1995 wuchs die weltweite Stadtbevölkerung um 600 Millionen Menschen.

Was definiert eine Megacity?

Hierbei sind Agglomerationsräume entstanden, die es in dieser Größe noch niemals zuvor gegeben hat. Solche Megastädte bieten enorme Chancen, aber es gibt gleichzeitig spezifische Herausforderungen. Diese Probleme lösen sich in den nächsten Jahrzehnten keineswegs von alleine auf. Es gibt sogar gute Gründe für die Annahme, dass die Sorgen größer werden, denn der Urbanisierungsprozess ist noch lange nicht an seinem Ende, und auch die Megastädte dürften weiter wachsen. Ist diese Entwicklung ein Fluch oder ein Segen für die Menschen?

Letztlich ist eine Megacity lediglich eine besonders große Stadt. In der Literatur werden unterschiedliche Grenzen für eine Megastadt genannt; die gebräuchlichste Definition stammt von den Vereinten Nationen, die erst ab zehn Millionen Einwohnern von einer Megacity sprechen. Für diese Definition ist nicht die Stadtgrenze relevant, sondern die Forscher erfassen den gesamten Agglomerationsraum, also die Stadt inklusive des städtisch strukturierten Umlands. Es geht also um die Stadt de facto und nicht de jure. So wäre zum Beispiel New York City mit einer Einwohnerzahl von etwa acht Millionen Menschen nach der UN-Definition keine Megastadt. Der Agglomerationsraum New York-Newark indes zählt über 18 Millionen Einwohner. Noch deutlicher wird die Unterscheidung am Beispiel Tokios: In der Stadt wohnen rund acht Millionen Menschen, im urbanen Siedlungsraum jedoch über 35 Millionen. Natürlich ist die Definitionsgrenze für eine Megastadt willkürlich: Eine Stadt mit neun Millionen Einwohnern hat wohl dieselben Probleme wie eine Stadt mit 10 Millionen Einwohnern.

Insbesondere in Entwicklungsländern sind Schätzungen über die Größe eines Agglomerationsraumes sehr ungenau; sie können um bis zu 30 Prozent schwanken, denn die Zahl der Einwohner in einem Agglomerationsraum ohne funktionierendes Meldewesen muss letztlich durch Luftbilder aus dem Weltraum ermittelt werden. Daher kann es auch nie völlige Einigkeit über die Zahl der Einwohner und somit auch nicht über die Zahl der Megastädte geben. Im Folgenden werden allein die UN-Daten verwendet.

Megastädte sind nur ein Aspekt der Urbanisierung

Die Entstehung von Megastädten ist lediglich ein Ausschnitt des viel umfassenderen Urbanisierungsprozesses, der seit Jahrhunderten abläuft und der sich in den letzten 50 Jahren spürbar beschleunigt hat. 1950 lebten rund 30 Prozent der Weltbevölkerung, also damals knapp 750 Millionen Menschen, in Städten; heute ist jeder zweite der über 6,5 Milliarden Menschen ein Städter. Die Stadtbevölkerung ist also um rund 2,7 Prozent pro Jahr gewachsen; die Landbevölkerung indes "nur" um gut ein Prozent per annum. Die erste Millionenstadt der Welt war das antike Rom im vierten Jahrhundert nach Christus, auch die altchinesische Kaiserstadt Xian hatte vor über tausend Jahren bereits die Millionengrenze geknackt.

Erst in den letzten Jahrzehnten nahm die Zahl der Millionenstädte dramatisch zu: 1975 gab es weltweit bereits 179 Millionenstädte, im Jahr 2005 waren es sogar über 400. Allein in China zählen die Vereinten Nationen heute rund 100 Millionenstädte. Und während es vor 30 Jahren nur drei Agglomerationsräume mit mehr als zehn Millionen Einwohnern gab (Mexico City, New York und Tokio), existieren heute bereits 20 solcher Megastädte - und nur noch vier davon befinden sich in Industrieländern (New York, Los Angeles, Tokio und Osaka- Kobe). Mehr als die Hälfte liegt in Asien, vier gibt es in Südamerika, drei in Nordamerika (inklusive Mexiko), zwei in Afrika und eine in Europa (Moskau).

Wachstum der Megastädte

Immerhin, die beiden Weltstädte Paris und London verfehlen den Einzug in die Liste nur denkbar knapp. Mit Abstand größter Ballungsraum ist Tokio mit seinem Einzugsgebiet, in dem insgesamt 35 Millionen Menschen wohnen. In vier weiteren Städten leben jeweils rund 20 Millionen Menschen (Mexico City, New York, São Paulo, Mumbai). Während sich die Zahl der Städter in den letzten dreißig Jahren also gut verdoppelt hat, wuchs die Zahl der Menschen in Millionenstädten in dieser Zeit sogar um 150 Prozent, die Zahl der Einwohner in Megastädten sogar um 450 Prozent. Mittlerweile wohnen fast 40 Prozent aller Stadtmenschen in Millionenstädten.

Hieraus folgt freilich nicht, dass Megastädte schneller wachsen als mittelgroße Städte, denn das stärkere Einwohnerwachstum der Millionen- und Megastädte liegt auch an einem statistischen Effekt: Gehörte eine Stadt mit 9,9 Millionen Einwohnern im Jahr 1975 nicht zum Kreis der Megametropolen und wächst die Zahl der Einwohner in dieser Stadt bis 2005 nun um 150 000 Einwohner, wächst die Zahl der Menschen in Megastädten auf einen Schlag um über zehn Millionen Menschen - obwohl letztlich nur 150 000 Menschen hinzu kamen. Bereinigt man die Wachstumsraten um diesen statistischen Effekt von Verschiebungen in den Größenklassen, zeigt sich, dass kleinere Städte spürbar schneller expandieren als besonders große.

Wieso jetzt Megastädte entstehen

Städte locken seit jeher mit dem Versprechen höheren Wohlstands Menschen an. Städte versprechen mit ihrem hohen Grad an Arbeitsteilung Produktivitätsgewinne und folglich auch höhere Spezialisierungsvorteile, sprich höhere Einkommen. Außerdem entstehen Güter und Dienstleistungen, die in einer Gesellschaft mit geringer Arbeitsteilung nicht möglich gewesen wären. Die bessere Güterversorgung bedeutet natürlich Wohlfahrtsgewinne. Hierbei geht es nicht nur um Industrieprodukte, es geht auch um die "schönen Dinge des Lebens", kulturelle Leistungen, Sportereignisse und anderes.

Doch warum entstehen gerade jetzt Megametropolen? Drei Faktoren spielen hierbei eine Rolle:

- Der wichtigste Grund ist das starke Bevölkerungswachstum in vielen Ländern, das erst in den letzten Jahrzehnten eingesetzt hat. Es dauerte bis zum Jahr 1750, bis die erste Milliarde Menschen auf der Erde lebte. Die zweite Milliarde kam in nicht einmal 200 Jahren hinzu. Und in den folgenden Jahren beschleunigte sich das Bevölkerungswachstum weiter, sodass binnen 70 Jahren die Zahl der Menschen auf der Erde auf aktuell über 6,5 Milliarden anstieg. Megastädte sind also zu einem großen Teil das Ergebnis der gestiegenen Lebenserwartung und höherer Überlebenswahrscheinlichkeiten von Neugeborenen, sprich des medizinischen Fortschritts.

- Dass von dieser Bevölkerungsdynamik gerade auch Städte profitierten, lag sowohl an den Produktivitätszuwächsen in der Landwirtschaft als auch an den neuen Beschäftigungsmöglichkeiten in der Industrie. Steigender Kapitaleinsatz setzte auf dem Land Arbeitskräfte frei und öffnete gleichzeitig Perspektiven in den Städten. Der höhere Kapitaleinsatz wirkt also auf dem Land als Push-Faktor und gleichzeitig in den Städten als Pull-Faktor.

- Diese beiden Wachstumsfaktoren wurden durch die Öffnung einer wachsenden Zahl von Volkswirtschaften im 20. Jahrhundert verstärkt. Hierbei geht es nicht nur um die Öffnung der Gütermärkte durch reduzierte Handelsbeschränkungen, sondern auch durch geringere Beschränkungen für die Faktoren Arbeit und Kapital. Diese höhere Mobilität von Gütern, Kapital und Menschen ermöglicht eine stärkere internationale Arbeitsteilung, und dies stärkt tendenziell auch die Städte, denn dort entsteht der größte Teil der Wertschöpfung.

Aus diesen Gründen lassen sich zwei weitere implizite Strukturen ableiten: Entwickelte Volkswirtschaften haben höhere Urbanisierungsquoten als weniger entwickelte Volkswirtschaften, denn in ihnen sorgten die Push- und Pull-Faktoren bereits früher für Landflucht. Heute gibt es starke Aufholprozesse in den Schwellenländern.

Die Prognosen der UN

Population Division zeigen für die rund 400 Millionenstädte der Welt einen starken negativen Zusammenhang zwischen der Höhe des BIP eines Landes und des erwarteten Bevölkerungswachstums in diesen Städten.

Gewaltige Herausforderungen

Gerade in den Schwellen- und Entwicklungsländern wirken also die Push-Faktoren der geringeren Beschäftigungsmöglichkeiten auf dem Land sowie die Pull-Faktoren der besseren Chancen in den Städten für starkes Wachstum der Städte. Diese Dynamik ist jedoch auch der Grund für gigantische Probleme in den Megastädten. Tatsächlich gibt es für viele Menschen in Mumbai, São Paulo oder Mexico City zahlreiche Probleme der Ballung: hohe Immobilienpreise, Umweltverschmutzung, Verkehrsprobleme, gesundheitliche Schäden, Kriminalität und letztlich das hinter allen diesen Aspekten liegende Problem der schwierigen Regierbarkeit.

Immobilien: Limit is the sky. Das gilt für Gebäude und auch für Preise. Letztlich stehen alle Immobilien-Nutzungsarten in Konkurrenz. Die höchste Zahlungsbereitschaft entscheidet, ob in der Innenstadt Büros, Einzelhandelszentren oder Wohnungen entstehen. Die bebaubare Fläche im Zentrum wird so zum extrem knappen Gut, und dies treibt die Mieten und Preise in die Höhe. So gibt es einen positiven Zusammenhang zwischen dem Anteil, den die Wohnungsmieten am Einkommen haben, und der Größe einer Stadt; sprich in großen Städten ist Wohnen nicht nur absolut, sondern auch relativ teuer. Dann würden Welt- und Megastädte zwar über die höhere Produktivität höhere Löhne ermöglichen. Ein Teil dieser Lohnzuwächse geht jedoch durch höhere Immobilienpreise verloren. Und dieser Preiseffekt gilt nicht nur für Immobilien, sondern für viele Konsumgüter.

Daneben führt die Verknappung in den Innenstädten auch dazu, dass für sehr viele Menschen angemessene Wohnbedingungen unerschwinglich werden. Slums sind daher in den Megametropolen der Entwicklungs- und Schwellenländer eine Begleiterscheinung des Aufschwungs auf den Immobilienmärkten. Das Nebeneinander von modernen Hochhäusern und Slums ist also der Januskopf der Immobilienmärkte in Megastädten - beide Gesichter gehören unabänderlich zusammen. Verkehr: Die immer größere Siedlungsfläche und die für eine arbeitsteilige Welt typische Trennung zwischen Wohn- und Arbeitsstätte machen das Pendeln mit dem Fahrrad oder zu Fuß oft unmöglich. Gerade in Schwellenländern fehlt es zudem häufig an einem hinreichenden öffentlichen Nahverkehrssystem. Der Neubau ist extrem teuer, die Planungszeiten sehr lang und gerade beim Bau von U-Bahn-Systemen müssen letztlich existierende Strukturen durchbrochen werden. Schnell wachsende Städte stehen also vor der Herausforderung, dass der Individualverkehr viel schneller zunimmt als die Verkehrsinfrastruktur. Staus sind programmiert. Tägliche Pendelzeiten von bis zu vier Stunden sind in Megastädten nicht selten.

Busse - erste Lösungen der Verkehrsprobleme

Autos sind aber keine gute Antwort auf Ballungsprobleme, da die verbrauchte Fläche je Fahrgast nicht effizient ist. Ein gemeinschaftliches Nahverkehrssystem nutzt die Knappheiten viel besser, denn es spart Platz und somit Zeit. Gerade in Entwicklungs- und Schwellenländern ist jedoch ein U-Bahn-Netz nicht zwangsläufig die beste Antwort. Zwar nutzen U-Bahnen den Platz sehr gut; doch zum einen ist der Bau beziehungsweise Ausbau sehr teuer und zum anderen müssen mögliche Verkehrsströme der Zukunft bereits heute geplant werden. In sehr dynamischen Städten ist dies deutlich schwieriger als in Städten mit einer bereits gefestigten Struktur. Daher sind häufig Bussysteme zumindest für einige Jahrzehnte sinnvollere Alternativen. Der Bau einer Bustrasse kostet nur ein Bruchteil (ein Zehntel oder sogar nur zwei Prozent) einer vergleichbaren U-Bahn-Strecke. So lässt sich auch schneller auf neue Anforderungen reagieren.

Geballter Schmutz: Überall dort, wo es unzureichende Eigentumsrechte an Umweltgütern gibt, besteht die Gefahr, dass die Umwelt im wahrsten Sinne des Wortes zu kurz kommt. In Entwicklungs- und Schwellenländern entsteht rasch ein akutes Problem, und in den Megastädten wachsen diese Probleme in neue Dimensionen empor. Die Verschmutzung ist gerade auch dort gravierend, wo es unzureichende Möglichkeiten zum Säubern gibt oder sogar im Wasser zusätzliche Schadstoffe enthalten sind. Während in Industriestaaten 100 Prozent der Haushalte an die Trinkwasserversorgung angeschlossen sind, ist dies in vielen Städten der Entwicklungsländer nur jeder zweite Haushalt. Aufgrund des starken Bevölkerungswachstums hat sich die Versorgungsquote in vielen Städten in den vergangenen Jahrzehnten sogar verschlechtert. Laufen Nutz- und Brauchwasserleitungen wie in Kairo nebeneinander, können Lecks schnell zu Verunreinigungen führen.

Es wäre jedoch töricht, allein in den Entwicklungs- und Schwellenländern Investitionsstaus zu vermuten. Viele europäische und nordamerikanische Wassersysteme leiden unter chronischer Finanznot der Kommunen. Vier von fünf deutschen Abwasserleitungen haben ihre technische Nutzungsdauer erreicht oder sogar überschritten. Insgesamt müssten in den nächsten 25 Jahren in Europa allein neun Billionen US-Dollar in die Wasser- und Abwassernetze investiert werden. Für Asien wird der Investitionsbedarf sogar auf fast 16 Billionen US-Dollar geschätzt.

Ohne private Investoren ist dies wohl nicht zu schaffen. Werden hier marktwirtschaftliche Lösungen angestrebt, können also gerade die Herausforderungen eine Chance für private Investoren sein. Insgesamt müssten bis 2030 in alle Infrastrukturbereiche 40 Billionen US-Dollar investiert werden. Angesichts dieser Darstellungen ließe sich zwar vermuten, dass die Lebensqualität in Megastädten gering sein müsste. Und tatsächlich findet sich unter den Top-30-Städten der globalen Studie von Mercer Human Resource Consulting zur Lebensqualität in Städten keine einzige Megastadt. Die einfache Rechnung, nach der die Lebensqualität mit der Größe einer Stadt sinkt, lässt sich jedoch ebenfalls nicht aufmachen. Die Größe einer Stadt allein bestimmt die Lebensqualität nicht - den Kosten der Ballung stehen eben die vielen Vorteile der Konzentration entgegen.

Liegt unsere Zukunft in Megastädten?

Unsere Zukunft liegt auf jeden Fall in den Städten - mit all den verbundenen Chancen und Problemen. Die Megastädte werden weiter wachsen und neue werden entstehen. Wichtig ist jedoch, dass Urbanisierung vor allem in den zahllosen mittelgroßen Städten erfolgt. Dort fällt das Bevölkerungswachstum auch in Zukunft höher aus als in den Megametropolen. Dies dürfte zusätzlich durch den politischen Willen gesteuert werden, um die Kosten der Ballung in den Megastädten zu reduzieren und die Vorteile der Urbanisierung regional besser zu verteilen. Sonderwirtschaftszonen haben sich hierfür als wirksame Instrumente zur Stadtentwicklung erwiesen.

Durch finanzielle Anreize werden Unternehmen gezielt in bestimmte Regionen gelockt. Hat sich der Cluster etabliert, können die Anreize beendet werden, denn dann entfaltet die Region eine eigene Magnetwirkung. Hier sollte man sich jedoch keinen Tagträumen hingeben: Eine wirtschaftsschwache Region ohne eigene Standortvorteile lässt sich nicht durch eine Sonderwirtschaftszone in ein dauerhaften Wachstumscluster verwandeln. Die Auswahl der Sonderwirtschaftszonen muss mit großer Umsicht erfolgen und bestehende Kriterien wie Bildung oder geografische Faktoren müssen als Starthilfe vorhanden sein, denn langfristig ist die Tragfähigkeit der Wirtschaft für die Stadtentwicklung ausschlaggebend.

Dieser Beitrag basiert auf einer aktuellen Studie von Deutsche Bank Research: Just, T., Thater, C. (2008). Megacitys: Wachstum ohne Grenzen? Aktuelle Themen 412, Deutsche Bank Research, Frankfurt am Main.

Prof. Dr. Tobias Just , Geschäftsführer, IREBS Immobilienakademie, Eltville und Inhaber des Lehrstuhls Immobilienökonomie, Universität Regensburg
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