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Nachhaltigkeit und die Auswirkung auf die Immobilienbewertung

Im April 2010 schrieben die Analysten der Deutschen Bank zum Thema "Green Buildings" "... the real estate appraisal profession also has yet to conclusively determine how green features translate into asset value...". Dieser Wunsch macht die Verantwortung und die Rolle von Immobilienbewertern im Prozess der Installierung von nachhaltigem Wirtschaften in der Immobilienbranche deutlich. Auch wenn man sich international einig ist, dass der Bewerter nicht den Markt macht, sondern lediglich neutral über den Markt zu berichten hat, so ist es dennoch falsch zu glauben, die jeweilige Bewertungspraxis hätte keinerlei Einfluss auf die am Markt erzielten Preise für Immobilien. Die Auswirkungen von schnellen und marktantizipierenden Bewertungszyklen auf die Frequenz und den Ausschlag von Marktzyklen ist besonders in transparenten Märkten wie zum Beispiel in London deutlich ablesbar.

Das der Immobiliengutachter in der Pflicht ist sich mit allen wertrelevanten Aspekten von Immobilien auseinanderzusetzen ist unumstritten. Die strittige Frage, die den Einzug der Nachhaltigkeit in die Bewertung bisher ausbremst, ist die, ob denn überhaupt ein relevanter Zusammenhang zwischen Nachhaltigkeit und Wert besteht? Um dies beantworten zu können ist eine Begriffsdefinition von Nachhaltigkeit unumgänglich, denn das Schlagwort Nachhaltigkeit kann in seinen vielen Facetten äußerst unterschiedlich ausgelegt werden.

Drei Aspekte

Allgemein anerkannt ist das Drei-Säulen-Modell. Hiernach wird ein Handeln erst dann als nachhaltig angesehen, wenn es ökonomische, ökologische und soziale Gesichtspunkte gleichermaßen berücksichtigt und abwägt. Der Systemtheorie zufolge führt bereits die Vernachlässigung einer dieser drei Säulen mittel- bis langfristig zu größeren wirtschaftlichen Problemen und ist daher auch für das Individuum höchstens kurzfristig von Vorteil. In England wirkt das Prinzip noch griffiger und wird mit People-Planet-Profit auf den Punkt gebracht.

Gerade bei Immobilieninvestitionen, die unter der Annahme von meist erheblichen Nutzungsdauern getätigt werden, sind auch die mittel- und langfristigen Auswirkungen des Handelns für die Wertbeständigkeit ausschlaggebend. Intuitiv ist dies den meisten Marktteilnehmen klar, Qualität setzt sich auf lange Sicht durch und ist am Ende immer auch die wirtschaftlichere Option. Wenn man unterstellt, dass unter dem Begriff Nachhaltigkeit unterschiedliche Immobilienqualitäten subsumiert werden, so ist das aktuelle Streben nach Nachhaltigkeit letztendlich nicht mehr als der Versuch, Qualitäten von Immobilien etwas objektiver und auf ihre Langfristigkeit ausgerichtet zu messen.

Das Dilemma der Berücksichtigung von Nachhaltigkeitskriterien in der Bewertung ist, dass die meisten und die wichtigsten von ihnen per Definition sowieso bereits berücksichtigt werden. Die Lage, die Erreichbarkeit, Schadstoffe in Boden und Gebäude, Flexibilität und Umnutzungsfähigkeit, Bauqualität und technische Nutzungsdauer, Effizienz in der Nutzung von Wärme, Strom und Wasser sind von jeher Merkmale für die Qualität von Immobilien und werden in jedem Wertansatz mehr oder weniger transparent berücksichtigt.

Nur einige, wenige absolut neue Kriterien sind erst mit der Diskussion um Nachhaltigkeit ins Blickfeld gerückt wie zum Beispiel der CO2-Ausstoß von Gebäuden oder die Recyclingfähigkeit von Baumaterialien. Die Gefahr bei einer pauschalen Bewertung von nachhaltigen Qualitäten, zum Beispiel über einschlägige Zertifikate oder Rating-Systeme, ist die Doppelbewertung von vielen bereits berücksichtigten Punkten. Sinnvoller als dieser additive Ansatz ist es, die neuen Kriterien in die bereits bestehende Kriterienliste zu integrieren und so zu einer "Longlist" von wertrelevanten Kriterien zu kommen, so wie dies in der Nuwel- Studie im Dezember 2011 beschrieben wurde (www.nuwel.ch).

Das die objektiven Qualitäten einer Immobilie deren Wert beeinflussen ist unumstritten, hinzu kommen Marktmechanismen, die sich durch die Angebots- und Nachfragesituation im relevanten Marktsegment ergeben. Beide Faktoren bilden Wertanteile am Immobilienwert, wenn auch mit völlig unterschiedlichen Charakteristiken. Nachfrage und Angebot nach "grünen" Immobilien können kurzfristig erheblichen Schwankungen ausgesetzt sein, da die Nachfrage nach Immobilien prinzipiell viel schneller reagiert als das Angebot. Aktuell ist bereits erkennbar, dass die Herstellung von "grünen" Immobilien - ob durch Neubau, oder durch Modernisierung - bei Weitem nicht mit der Entwicklung der Nachfrage nach derartigen Investments mithalten kann. Dies kann sich allerdings auch jederzeit wieder ändern, wenn genügend oder sogar zu viel derartiger Immobilien auf eine reduzierte Nachfrage treffen.

Die nachhaltigen Qualitäten einer Immobilie, sei es der geringe Ressourcenverbrauch, geringe Emissionen oder schlicht das Wohlbefinden der Nutzer sind Eigenschaften, die weit geringeren Schwankungen unterlegen sind. Im Gegenteil ist absehbar, dass gerade diese Aspekte in Zukunft an Bedeutung gewinnen werden. Die weitere Verteuerung von Rohstoffen, das Risiko von klimatischen Einwirkungen und der zunehmende Stellenwert von Lebensqualität und Gesundheit in einer sich ständig weiter entwickelnden Gesellschaft ist kaum mehr anders vorstellbar.

Grundprobleme der Nachhaltigkeitsbewertung

Dass Nachhaltigkeitsaspekte in der Immobilienbewertung zu berücksichtigen sind, ist vom theoretischen Gesichtspunkt her also recht eindeutig. Zu diesem Schluss kommen auch die meisten Veröffentlichungen zu diesem Thema, sei es von der RICS (VIP No. 13) oder von der Hypzert. Allein die Praxis bereitet den Immobilienbewertern nach wie vor systembedingte Probleme, wobei auch diese - ebenso wie beispielsweise die Bewertung von Lagequalitäten von Immobilien - alles andere als neu sind. Die drei Grundprobleme sind:

1. Immobilien sind regelmäßig nur mit Einschränkungen vergleichbar und die Zahlungsbereitschaft für einzelne Immobilienmerkmale hängt stark von weiteren Objekt- und Lagemerkmalen ab.

2. Es existiert weder ein allgemein akzeptiertes Nachhaltigkeitsverständnis bei Immobilien noch bestehen anerkannte Nachhaltigkeitsindikatoren oder Zertifikate.

3. Markttrends spiegeln sich in der Regel mit einer gewissen Verzögerung in beobachteten Marktdaten beziehungsweise den damit einhergehenden Zahlungsbereitschaften wider.

Um dennoch belastbare Aussagen zur Auswirkung von Nachhaltigkeit auf Immobilienwerte machen zu können, werden derzeit unterschiedliche Herangehensweisen genutzt. Basierend auf der Feststellung, dass bisher zu wenig Transaktionsdaten vorliegen beziehungsweise zu den bekannten Transaktionen nicht ausreichend Informationen über die dazugehörigen Immobilien verfügbar sind, ist der erste Ausweg eine schlichte Befragung der Marktteilnehmer zu deren Bereitschaft.

Im Rahmen der Transparenzoffensive Immobilienwirtschaft hat die RICS Professional Group Sustainability, die Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur in Leipzig, und Immobilienscout 24 im Sommer 2012 zum Beispiel eine derartige Onlinebefragung zur Nachhaltigkeit von Gewerbeimmobilien erstellt.

220 von 297 befragten Marktteilnehmern gehen nach wie vor davon aus, dass das Thema Nachhaltigkeitszertifizierung von Neubauten in den kommenden fünf Jahren weiter an Bedeutung zunehmen wird, 186 sind sich sogar sicher, dass es bei Neubauten ohne Zertifikat zu deutlichen Schwierigkeiten bei der Vermarktung kommen wird. 68 von 297 Marktteilnehmer haben bereits heute die Erfahrung gemacht, dass Mieter oder Käufer bereit waren einen höheren Preis für zertifizierte Immobilien zu bezahlen, demgegenüber stehen jedoch 154 Befragte, die dies nicht bestätigen können. Während also bei Neubauten bereits eine eindeutige Entwicklung ablesbar ist, wird gleichzeitig deutlich, dass das Thema Bestandszertifizierung derzeit ein absolutes Trendthema ist.

Neben den Umfragen unter Marktteilnehmern gibt es Ansätze, dem Wert von Nachhaltigkeitsmerkmalen von Immobilien durch Risikomodelle auf die Spur zu kommen. Diese Modelle unterstellen verschiedene Zukunftsszenarien für relevante Rahmenbedingungen und schätzen deren möglichen Einfluss auf den Immobilienwert und deren Eintrittswahrscheinlichkeit. Ein prominentes Beispiel ist der Economic Sustainability Indicator, der in seiner ersten Version 2009 von der ETH in Zürich veröffentlicht wurde. Der Indikator misst das Risiko eines Objektes aufgrund langfristiger Entwicklungen an Wert zu gewinnen respektive zu verlieren. Er kann sowohl in gängige Bewertungen einbezogen als auch als eigenständiger Indikator beispielsweise für strategische Zwecke verwendet werden.

In einem ersten Schritt wurde der Indikator für Mehrfamilienhäuser spezifiziert. Im zweiten Projektschritt wurde der Indikator für die Anwendung auf Geschäftsliegenschaften erweitert. Da der Faktor auf Modellen und Einschätzungen für den Schweizer Markt basiert, wird dieser derzeit von der Universität Stuttgart für den deutschen Immobilienmarkt angepasst. Die Idee ist durchaus bestechend - der Versuch zukünftige Rahmenbedingungen für Immobilieninvestitionen objektiv zu schätzen und zu standardisieren ist vom theoretischen Ansatz her sehr wünschenswert.

Empirische Auswertung von Kaufpreisen

Entscheidend für einen Mehrwert durch derartige Projekte ist jedoch auch hier die Vermeidung von Doppelbewertungen einzelner Immobilienmerkmale. Wenn zum Beispiel die Lage im Indikator berücksichtigt wird, der gegebenenfalls zu einer Modifikation des Risikozinssatzes führt, so muss sichergestellt sein, dass die gleichen Qualitäten nicht bereits im vom Gutachter gewählten Ansatz Berücksichtigung gefunden haben.

Der Königsweg der Berücksichtigung von Nachhaltigkeitseinflüssen auf den Immobilienwert ist die empirische Auswertung von Kaufpreisen unter Zuhilfenahme von relevanten nachhaltigen Merkmalen der gehandelten Liegenschaften. Im bereits erwähnten Nuwel-Leitfaden findet sich eine Aufstellung von 18 Erhebungen, die sich zwischen den Jahren 2007 und 2011 zum Ziel gesetzt haben die Relevanz von Nachhaltigkeit für den Wert von Immobilien aufzudecken.

Sieben der Studien stammen aus den USA, sechs aus der Schweiz, die restlichen fünf aus Australien, den Niederlanden, Japan und Deutschland. Untersucht wurden neben dem Einfluss von Nachhaltigkeitszertifikaten (Leed, ESI, Tokyo Green Labeling System) und Energieeffizienzratings (Energy Star, Minergie, EER-Star Rating, Energieausweise, Primärenergiebedarf) der Einfluss von Lärm- und Schadstoffbelastungen sowie die fußläufige Erreichbarkeit von Schulen, Einzelhandel und Erholungsflächen.

Mit Ausnahme der Studie aus Japan kommen alle Untersuchungen zu dem Ergebnis, dass die untersuchten Qualitäten einen positiven Einfluss auf Mietund Kaufpreise, auf Leerstandsraten oder auf Vermarktungszeiträume haben. Insbesondere die Studien aus den USA zeigen sehr positive Ergebnisse: Zwischen sieben und 35 Prozent höhere Transaktionspreise, drei bis zehn Prozent höhere Mieten, kürzere Vermarktungsphasen und 0,2 bis acht Prozent geringere Leerstandsraten für zertifizierte Gebäude werden genannt.

Mangelhafte Datenlage

Ob diese Ergebnisse auf den deutschen Markt übertragbar sind wird angezweifelt. Auch die Methode, zertifizierte Gebäude mit nicht zertifizierten zu vergleichen, kann angezweifelt werden, ist die Zertifizierung doch nach wie vor freiwillig und wird regelmäßig nur von solchen Eigentümern verfolgt (und zu Ende geführt) die sich eines guten Ergebnisses sicher sind.

Die näherliegenden Studien aus der Schweiz untersuchen - neben Auswirkungen von Luftschadstoffen und Lärmbelastungen auf den Immobilienpreis - den Effekt des Schweizer Minergie Labels für Wohngebäude. Die ermittelten Transaktionspreise liegen hier um null bis sieben Prozent über dem Markt, Mietpreise wurden mit plus sechs Prozent ermittelt. Die beiden einzigen erwähnten Studien aus Deutschland betrachten die Auswirkungen von Primärernergiekennwerten auf Miet- respektive Kaufpreise für Wohnhäuser in den Teilmärkten Darmstadt und Nienburg. Hier gibt es Nachholbedarf, es wäre sicherlich zuträglich, wenn sich in Zukunft noch mehr unabhängige Institute mit der Analyse von derartigen Transaktionsdaten auseinandersetzen würden.

Voraussetzung für die statistische Auswertung von Nachhaltigkeitskriterien auf Immobilienpreise ist dabei eine Verfügbarkeit entsprechender Daten zu den jeweiligen Immobilien. Gerade in diesem Feld mangelt es jedoch an Transparenz, an Benchmarks und an einheitlichen Definitionen für die relevanten Indikatoren.

Allein die Abgrenzung in Bezug auf Lage, Zeitraum und Interessensgruppe (Eigentümer, Betreiber, Nutzer) hat erhebliche Auswirkungen auf einen Indikator wie zum Beispiel den CO2-Ausstoß. So kommen denn auch viele Bewertungsleitfäden zu dem Ergebnis, dass die Bewertung von Nachhaltigkeit damit beginnt relevante Indikatoren aufzunehmen und zu beschreiben, um so erst die statistische Auswertung von tatsächlichen Transaktionspreisen zu ermöglichen.

Diese Datenlage von bisher selbst bei den Eigentümern wenig betrachteten Faktoren ist insbesondere bei den vielen Bestandsgebäuden im Markt oft mangelhaft. Hier setzen die Nachhaltigkeitszertifikate für Bestandsgebäude an. Die einschlägigen Zertifizierungssysteme bieten derzeit auch Systeme für den deutschen Markt an, mit DGNB Bestand und BREEAM DE Bestand gibt es auch zwei Systeme in deutscher Sprache und mit deutschem Normbezug.

Eine systematische und regelmäßige Erfassung von Nachhaltigkeitsindikatoren und Verbrauchsdaten führt zu Transparenz, zu belastbaren Benchmarks und vor allem zu einer Vergleichbarkeit der einzelnen Objekte. Wenn diese Systeme so günstig und einfach zu handhaben sind, dass sie auf ein breiteres Feld von Immobilien anwendbar werden als bisher, ist auch die Basis für eine belastbare Auswertung der Auswirkung dieser Kriterien auf Miet- und Transaktionspreise gelegt.

Der Beitrag basiert auf einem Vortrag des Autors auf dem 3. CoRE Handelsimmobilientag in München.

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