Schwerpunkt Nachhaltigkeit

Der Natur abgeschaut - Bionic Buildings

Das neue Energiekonzept der Bundesregierung verstärkt den Handlungsdruck auf die Immobilienbranche: Bis 2050 soll ein beinahe klimaneutraler Immobilienbestand erreicht werden. Um dieses ambitionierte Ziel zu erreichen, kann die Natur ein wichtiger Ideengeber sein.

Die Phänomene, die sich in den Jahrmillionen der Evolution entwickelten, sind so genial wie nachhaltig. Die Übertragung von Lösungen auf Architektur und Baumaterialien durch den Menschen ist daher naheliegend und keineswegs ein so neues Phänomen, wie der Begriff "Bionic Building" vermuten lässt. Schon in der alten iranisch-persischen Architektur wurde sich der sogenannte Ber-noulli-Effekt zunutze gemacht, dessen Prinzip der passiven Ventilation beispielsweise auch den Bau des Präriehundes durchlüftet.

Als weiteres Beispiel lässt sich der anlässlich der ersten Weltausstellung in London konstruierte Kristallpalast aufzählen - eine damals völlig neuartige Gebäudekonstruktion aus Eisenträgern ohne tragendes Mauerwerk. Der Architekt Josef Paxton ließ sich dabei von den Blättern der Riesen-Seerose inspirieren. Diese weisen an der Unterseite stabilisierende Blattadern auf und können so Gewichte von bis zu 60 Kilogramm tragen.

Umsetzung von Erfindungen der Natur

Diese Entschlüsselung von "Erfindungen der belebten Natur" und deren abstrahierte, innovative Umsetzung für Kons-truktions-, Verfahrens- , Organisations- oder Entwicklungsprinzipien wird heutzutage unter dem Begriff der "Bionik" zusammengefasst - eine Wortschöpfung, welche die Begriffe Biologie und Technik verbindet. Durch diese Abstraktion von Funktionsprinzipien der belebten Natur werden Denk- und Vorgehensweisen induziert, die Technik, Mensch und Umwelt stärker in Einklang bringen. Ein Ziel, das derzeit in allgemeiner Form durch den Bereich des nachhaltigen Bauens intensiv forciert wird.

Vor dem Hintergrund der steigenden Energiekosten und der Knappheit von natürlichen Ressourcen findet die noch junge Wissenschaftsdisziplin Bionik in unterschiedlichen Lebensbereichen vermehrt Anwendungsmöglichkeiten. Innovationen und praktische Anwendungserfolge aus dem Bereich der Bionik gibt es bisher jedoch primär im Bereich der Technik. Dabei funktioniert nur jeder zehnte Übertragungsversuch.

Bionische Ansätze erst am Anfang

Einen großen Anwendungsbereich für die Bionik bilden Immobilien, sowohl hinsichtlich der verwendeten Materialien als auch der Konstruktion und ihrer späteren Bewirtschaftung. Trotz enormer Branchenverantwortung zur Erreichung der Klimaziele stehen bionische Ansätze in der Bau- und Immobilienwirtschaft jedoch erst am Anfang ihrer Entwicklung.

Die überwiegende Zahl aller Projektentwickler weltweit versucht im Kontext der gegenwärtigen Green-Building-Bewegung und der Diskussion um Nach-haltigkeits-Labels wie LEED und BREEAM, zumindest ansatzweise "grüne Ideen" in ihre Immobilien zu integrieren. Umstritten ist dabei, wie sich dies auf die Wertentwicklung der Immobilien auswirkt. Investive Maßnahmen, die beispielsweise zur Verbesserung der Energieeffizienz eines Gebäudes erfolgen, müssen nicht zwangsläufig auch zu einem äquivalenten Wertzuwachs der Immobilie führen.

Die pauschale Behauptung, dass ökologische Gebäude, die sich beispielsweise mit einem der vielen Green-Buil-ding-Zertifikate schmücken können, "mehr wert sein müssen", kann nicht die Grundlage sein, um diese "Tatsache" ohne weitere Marktdaten in die Bewertung einzupreisen. Bis dato mangelt es an Beispielen, die einen Schritt weiter als Green Buildings gehen und nicht nur wenig belastend für die Natur sind, sondern vielmehr von dieser grundlegend inspiriert werden. Nachhaltiges Wirtschaften bedeutet im Kern die Reduktion des Ressourcenverbrauchs und die Wahl unschädlicher Materialen.

Orientierung an natürlichen Strukturen

Ein "Bionic Building" kann in diesem Sinne kein Standard-Wolkenkratzer mit ein paar Solarzellen auf dem Dach sein. Hochhäuser verbrauchen im Durchschnitt nur aufgrund der Gebäudeart zirka ein Drittel mehr Energie für Bau, Betrieb und Rückbau, als dies bei konventionellen Gebäuden der Fall ist - fraglich ist somit vom Grundsatz her, was an vielen der zertifizierten Trophy-Gebäude wirklich "nachhaltig" ist.

Objekte müssen sich in Zukunft noch viel mehr als bisher beispielsweise auch an der Formgebung natürlicher Strukturen orientieren. Diese sind oft in Bezug auf ihre Energieeffizienz, den Materialverbrauch et cetera wesentlich effizienter.

Zur Erreichung dieser Ziele wird es wichtig sein, auch Experten verschiedener, bisher unzureichend bei der Entwicklung einbezogener Disziplinen, wie Biologen, einzubinden. Vincent Callebaut oder Patrick Blanc sind nur einige der Architekten, die diese Ideen vermehrt umsetzen. Die Rückbesinnung auf traditionelle, natürliche Baumaterialien und die Einbindung biologischer Leichtbaukonstruktionen sind nur einige Stichworte, die in diesem Zusammenhang vermehrt genannt werden.

Anwendungsgebiet: Gebäudehüllen

Neben der Inspiration für die Konstruktion bietet die Natur unzählige Beispiele für die Gestaltung von Hüllen, die einen Innen- von einem Außenraum abschirmen. In Gestalt von Fellen und Häuten haben sich im Zuge der Evolution äußerst energieeffiziente Oberflächenstrukturen gebildet, die auch unter extremen Bedingungen funktionieren zum Beispiel das Fell einer Robbe und die darunter liegenden Schichten, die den warmen Innenraum optimal vom Außenraum isolieren. In eine mögliche verstärkte Übertragung derartiger Prinzipien auf Gebäudehüllen werden große Erwartungen gesetzt, um den Energieverlust einer Immobilie über die Außenflächen zu reduzieren.

Während bei derzeit realisierten Gebäudehüllen vor allem versucht wird, ein Maximum an Dichtigkeit zu erreichen, um so Wärmeverluste zu vermeiden, sind natürliche Hüllen im Gegensatz dazu meist durchlässig. Der Natur gelingt es, mit raffinierten Strukturen die Energie aus dem ausströmenden Medium herauszufiltern, bevor sie in den Außenraum entweicht.

Beispielsweise lädt sich die Fliegeneischale beim Ausströmen von Luft mit Wärmeenergie auf, um sich erst später wieder zu entladen. Robben hingegen schaffen es durch ihre ausgeklügelte Temperaturregulation, dass die äußeren Körperschichten relativ weit herunter gekühlt werden, während die Kernregionen auf der für Säugetiere lebensnotwendigen Temperatur von rund 37 Grad gehalten werden.

Flexible Anpassung statt starre Systeme

Die Lösung "Vollwärmeschutz", mit dem Objekte heutzutage gleichsam überzogen werden, um Klimaziele zu erreichen, erscheint vor dem Hintergrund dieser intelligenten und hochkomplexen Lösungen der Natur geradezu banal. Zumal statische Gebäudehüllen im Gegensatz zu ihren natürlichen Pendants nicht in der Lage sind, sich an das jeweilige Umfeld anzupassen.

Wenn die Übertragung natürlicher Phänomene gelingt, könnten in wenigen Jahren atmende Gebäudehäute, veränderliche Wärmedämmhüllen oder autoadaptive Verschattungssysteme in neuen Immobilien Realität werden.

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