Schwerpunkt Infrastruktur

ÖPP - Rettung für die deutsche Verkehrsinfrastruktur?

Investitionen verwandeln Ersparnisse in produktives Kapital, das für Einkommen, Wachstum und Wohlstand sorgt. Gerade Deutschland ist angesichts seiner absehbar alternden und schrumpfenden Bevölkerung auf einen großen, modernen und leistungsfähigen Kapitalstock angewiesen - denn nur er kann für die kräftigen Produktivitätsfortschritte sorgen, die künftig notwendig sind, wenn immer weniger Beschäftigte den materiellen Wohlstand für alle erhalten und möglichst ausbauen sollen.

Eine zentrale Rolle hat dabei der öffentliche Kapitalstock, also die Infrastruktur in unserem Land. Eine gute Infrastruktur ist Vorbedingung für private Investitionen, sie stößt private Investitionen an (und damit häufig zugleich neue Arbeitsplätze) und sie erhöht deren Rentabilität. Ein plakatives Beispiel: Nur wenn ein leistungsfähiges Verkehrsnetz existiert und wenn Straßen und Brücken in Ordnung sind, kann der Spediteur seine Leistungen effektiv anbieten, und nur dann lohnen sich für ihn ein neuer Fuhrpark und die Einstellung zusätzlichen Personals.

Leben von der Vergangenheit

Deutschlands Infrastruktur genießt weltweit einen guten Ruf und sie trägt regelmäßig zu Top-Platzierungen in internationalen Standortrankings bei - noch, muss man leider sagen, denn wir sind gerade dabei diesen Vorteil zu verspielen. Die heutige Infrastruktur ist das Ergebnis der Investitionen von gestern, im Wesentlichen des Wiederaufbaus nach dem Krieg und nach der Wende im Osten des Landes. Angesichts einer Lebensdauer der meisten öffentlichen Kapitalgüter von mehreren Jahrzehnten vollzieht sich der Verfall einer nicht hinreichend gepflegten Infrastruktur schleichend. Wenn Versäumnisse richtig spürbar werden, sind Investitionslücken kurzfristig meist gar nicht oder zumindest nur zu unverhältnismäßig hohen Kosten zu schließen - was gerade in Zeiten knapper öffentlicher Kassen zu einer ernsthaften Herausforderung wird.

Vor diesem Hintergrund ist die bereits seit der Jahrtausendwende sehr ausgeprägte Schwäche der öffentlichen Investitionen in Deutschland ein Alarmsignal. Der deutsche Staat hat 2013 knapp 43 Milliarden Euro beziehungsweise nicht ganz 1,6 Prozent der Wirtschaftsleistung in den öffentlichen Kapitalstock investiert. Das ist nicht nur deutlich weniger als in der Vergangenheit: In der ersten Hälfte der neunziger Jahre waren es 2,6 Prozent oder 52 Milliarden Euro pro Jahr (in Preisen von 2013), selbst 1999 - zu Beginn der Europäischen Währungsunion und nach Abklingen des Wiedervereinigungsbooms - waren es noch 2,0 Prozent oder mehr als 46 Milliarden Euro.

Auch international bleibt der deutsche Staat weit hinter dem zurück, was vergleichbare Industrieländer mit einem ähnlichen demografischen Szenario wie wir nach wie vor in die Hand nehmen: So haben etwa Italien, Südkorea, Japan und Kanada 2013 im Mittel rund 3,2 Prozent ihrer Wirtschaftsleistung in den öffentlichen Kapitalstock gesteckt. Umgerechnet auf Deutschland entspräche dies einem öffentlichen Investitionsbudget von rund 88 Milliarden Euro. Bereits seit 2003 reichen die staatlichen Bruttoanlageinvestitionen in keinem einzigen Jahr mehr aus, um die Abschreibungen zu decken; selbst in den Jahren der Konjunkturprogramme 2009 bis 2011 waren die Nettoinvestitionen negativ. Das heißt, der Staat fährt die öffentliche Infrastruktur bereits seit mehr als zehn Jahren auf Verschleiß.

Dringender Handlungsbedarf

Diese Investitionsschwäche muss rasch und grundlegend überwunden werden, wenn der künftige Wohlstand nicht aufs Spiel gesetzt werden soll. Unter den Vorzeichen der Schuldenbremse, die für den Bund nur noch einen engen Neuverschuldungsspielraum von 0,35 Prozent der Wirtschaftsleistung zulässt und von den Ländern ab 2020 sogar strukturell ausgeglichene Haushalte verlangt, wird dies zu einer großen Herausforderung. Insbesondere befürchten die Kommunen, dass der zunehmende Konsolidierungsdruck auf Ebene der Länder auch ihre Handlungsspielräume noch weiter einschränkt.

Angesichts des guten Fundaments unserer Infrastruktur, für die Deutschland im Ausland noch immer bewundert wird, sollten Erhaltungs- und Modernisierungsinvestitionen grundsätzlich Vorrang haben. Auch hierzu ein Beispiel: Die rechtzeitige Sanierung einer in die Jahre gekommenen Autobahnbrücke heute ist langfristig weit kostengünstiger als ein kompletter Abriss und Neubau in Zukunft - der notwendig werden könnte, weil man zur kurzfristigen Erfüllung der ehrgeizigen Defizitziele so lange wartet, bis die Brücke völlig marode und nicht mehr betriebssicher ist. Nur durch rechtzeitige Modernisierungsinvestitionen kann verhindert werden, dass die politisch priorisierte "Schwarze Null" im Staatshaushalt mittel- und langfristig zu einer Mogelpackung wird.

Auch wenn die für die Erhaltung der bestehenden Infrastruktur notwendigen Investitionen überwiegend traditionell beschafft und finanziert werden müssen, sollte man auch die Beschaffung über ÖPP nicht außer Acht lassen. Bisher wurden ÖPPs in Deutschland nur für den Neubau von Infrastruktur, nicht jedoch für deren Erhaltung eingesetzt. Die Flexibilität dieser Beschaffungsvariante ermöglicht es jedoch, selektiv Erhaltungsmaßnahmen für bestehende Infrastruktur zu beauftragen.

ÖPP auch für Instandhaltungsmaßnahmen

Im europäischen Ausland zeigen zahlreiche Beispiele, wie die Flexibilität von ÖPP genutzt wird, um die Erneuerung bestehender Infrastruktur durchzuführen. Die Bandbreite dieser Infrastrukturmaßnahmen illustrieren die beispielhaft ausgewählten Projekte Hounslow Road Maintenance Project (abgeschlossen in 2012) und Barrages Aisne Meuse (abgeschlossen in 2013). Für den im Westen der Stadt London gelegenen Stadtteil Hounslow wurde 2011 die Erneuerung einer Verkehrsinfrastruktur ausgeschrieben, die 452 Kilometer Straßen, 762 Kilometer Fußwege, 45 Brücken, 16 431 Straßenlaternen, 10 100 Bäume sowie 19123 Entwässerungsschächte umfasste. Im Rahmen einer 25-jährigen Konzession sollte während einer sogenannten "Core Investment Period" von fünf Jahren die Verkehrsinfrastruktur für 110 Millionen britischen Pfund zunächst erneuert und dann während der verbleibenden 20 Jahre instand gehalten werden.

Mit einer ganz anderen Sorte von Infrastruktur hatte es die französische Wasserbewirtschaftungsbehörde Voies Navigables de France zu tun, als sie 2012 die Erneuerung von 29 veralteten manuell betriebenen Nadelwehren auf den Flüssen Aisne und Meuse im Nordosten Frankreichs ausschrieb. Das Projekt, das mit Baukosten von 277 Millionen Euro verbunden war, umfasste den Abriss der alten Wehranlagen sowie den Neubau und die Instandhaltung moderner Schlauchwehre inklusive der Installation von Turbinen zur Stromerzeugung an vier Dämmen. Die Laufzeit der Konzession betrug inklusive der Bauphase 30 Jahre. Der Financial Close wurde planmäßig Ende Oktober 2013 erreicht.

Trotz dieser für alle Beteiligten erfolgreichen Transaktionen stellt die Erneuerung von Infrastruktur unter Verwendung des ÖPP-Instrumentariums immer noch die Ausnahme dar. Hochbauprojekte sowie der Ausbau von Fernstraßennetzen und Schieneninfrastruktur machen immer noch den Großteil der ÖPP-Projekte aus. Die im Ausland akzeptierten Vorteile wie zum Beispiel eine umfangreiche Projekt- und Vertragsprüfung durch Bauunternehmen, Investoren und Banken zur Abmilderung von Bau- und Betriebsrisiken, die in der Regel kürzere Bauzeit und Terminsicherheit, die gute Qualität der errichteten Infrastruktur, die Berücksichtigung betrieblicher Besonderheiten bereits im Baudesign zur Optimierung der Betriebskosten (Lebenszyklusansatz), und damit die Transparenz über die Kosten von Bau und Betrieb stellen offensichtlich einen Anreiz dar, auch neue Wege auszuprobieren. Für viele öffentliche Auftraggeber mag es zudem attraktiv sein, dass eine Beschaffung über ÖPPs mit einer Streckung der finanziellen Belastung über die Laufzeit der Finanzierung verbunden ist.

In den USA, in Kanada, Großbritannien, Frankreich, den Niederlanden und Australien haben wir bereits zahlreiche ÖPP-Projekte begleitet, in Deutschland fristet diese Beschaffungsvariante jedoch immer noch ein Nischendasein. Ein Grund liegt in den historisch niedrigen Zinsen für die staatliche Verschuldung. Aber auch die Skepsis der öffentlichen Meinung, wie sie in der Kritik der Rechnungshöfe geäußert wurde und Ressentiments basierend auf der Fehlinformation, dass ÖPP mit der Privatisierung öffentlicher Infrastruktur verbunden ist, tragen hierzu bei.

So wurden in Deutschland seit 2010 nur 27 ÖPP-Projekte mit einem Investitionsvolumen von insgesamt 1,9 Milliarden Euro im Hochbau und im Verkehrswegebau realisiert. Die geringe Anzahl verbunden mit eher kleinen Durchschnittsvolumen haben auch die dringend notwendige Standardisierung der Projektverträge nicht ausreichend voranschreiten lassen. So bestehen aufgrund der zahlreichen (potenziellen) Projektträger in Form von Kommunen, Bundesländern und dem Bund weiterhin erhebliche Unterschiede bei den Ausschreibungsverfahren und den Projektverträgen. Diese nur marginale Nutzung von ÖPP in Deutschland ist auch deswegen bedauerlich, weil für gut strukturierte gemeinsame Projekte, gerade auch in Deutschland aus verschiedensten Quellen Liquidität zu attraktiven Bedingungen zur Verfügung stünde.

Trotz aller Befürchtungen infolge der Finanzmarktkrise und der darauf folgenden stärkeren Regulierungen des Bankensektors, kam es nicht zu dem von vielen erwarteten vollständigen Rückzug der kommerziellen Banken aus dem Bereich der langfristigen Kreditvergabe. Im Gegenteil, in letzter Zeit kehren sogar einige Marktteilnehmer zurück, die zumindest für ihre Kernkunden und in Kernmärkten wieder Projektfinanzierungen mit Laufzeiten bis zu 30 Jahren anbieten. Nimmt man zusätzlich zu der auf diesem Weg zur Verfügung gestellten langfristigen Liquidität noch die Mittel der nationalen und supranationalen Förderbanken hinzu, so kann festgestellt werden, dass auch für großvolumige Projekte Bankenfinanzierungen in ausreichendem Ausmaß zur Verfügung stehen.

Versicherer treten stärker auf den Plan

In den letzten zwölf Monaten ist darüber hinaus mit den Versicherungen und Altersversorgungseinrichtungen eine weitere Investorengruppe in den Markt eingetreten, die über erhebliche finanzielle Mittel verfügt. Getrieben durch einen permanenten Anlagedruck verbunden mit dem aktuellen Niedrigzinsumfeld ist diese Investorengruppe auf der Suche nach alternativen Anlagemöglichkeiten mit stabilen Cashflows, wie sie gerade Infrastrukturfinanzierungen in idealtypischer Weise bieten können.

Da sich nicht in jedem Projekt wirtschaftliche Vorteile durch die Beschaffung in Form von ÖPPs heben lassen, werden Infrastrukturmaßnahmen auch weiterhin mehrheitlich über die öffentlichen Haushalte finanziert werden. Dennoch stellt ÖPP eine flexible Beschaffungsvariante dar, die bei Nachweis entsprechender Wirtschaftlichkeit in vielen OECD-Ländern regelmäßig genutzt wird. Damit aber diese Quellen genutzt und auch die Finanzinstrumente weiter entwickelt werden können, bedarf es gerade in Deutschland einer kontinuierlichen Verwendung auf den verschiedenen öffentlichen Ebenen und einer weiteren Standardisierung zur Effizienzsteigerung.

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