Umkehrhypothek

Reverse Mortgage - Zukunftsmarkt für die Bausparkassen?

In Deutschland leben etwa zwei Drittel der Menschen jenseits der 70 in den eigenen vier Wänden. Damit hat sich die Wohneigentumsquote von älteren Haushalten in den vergangenen 20 Jahren fast verdoppelt. Dieser Trend wird anhalten. Denn die geburtenstarken Jahrgänge, die in den kommenden zehn bis 20 Jahren in den Ruhestand gehen werden, verfügen zunehmend über eigenes oder ererbtes Wohneigentum.

Im Unterschied zu den heutigen Rentnern wird diese Zielgruppe noch stärker darauf angewiesen sein, sich zusätzliche Einkommensquellen im Alter zu erschließen, da die Leistungen der gesetzlichen Rente bis 2035 kontinuierlich zurückgehen werden. Mit der Riester-Rente wurde zwar die Möglichkeit geschaffen, diese Rentenlücke zu schließen. Aber nicht alle Eigenheimbesitzer sorgen ausreichend vor.

Zunehmender Bedarf, aber kaum Angebote

Aufgrund der steigenden Lebenserwartung müssen private Rücklagen fürs Alter zudem immer länger reichen. Der zunehmende Finanzbedarf von Ruheständlern trifft am Markt auf ein begrenztes Angebot an zinsgünstigen Krediten für ältere Kunden. Viele Menschen wollen den Ruhestand aktiv genießen und sind bereit, dafür einen Teil des erworbenen Vermögens zu "verzehren". Egal, ob heutige oder künftige Rentnergenerationen: Für die meisten stellt die eigene Immobilie den größten Vermögenswert dar. Mehr als 80 Prozent des Gesamtvermögens der Deutschen im Alter über 65 Jahre besteht aus Immobilienvermögen. Über vier Millionen Eigenheimbesitzer in Deutschland sind 60 Jahre alt oder älter. Drei Viertel davon leben in den Bundesländern Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen.

Prinzip der Immobilienverrentung

Weil künftig immer mehr Senioren keine Nachkommen haben werden, werden die Häuser nicht mehr innerhalb der Familie vererbt. Zunehmend stehen daher ältere Eigenheimbesitzer vor einem Problem: Sie verfügen zwar über - in der Regel schuldenfreies - Immobilienvermögen, sind aber nicht ausreichend liquide. Es entsteht der Wunsch, das in der Immobilie gebundene Kapital zumindest teilweise wieder "zu Geld zu machen". Die Lösung dafür heißt Reverse Mortgage - Umkehrhypothek. In den USA, in Kanada, Australien und Neuseeland, aber auch in Großbritannien, Frankreich und Spanien sind Reverse Mortgages etabliert und akzeptiert. Allein in den USA hat sich die Zahl der Umkehrhypotheken zwischen 2001 und 2006 versechsfacht und steigt weiter an. In Europa ist Großbritannien der größte Markt mit vielen privaten Anbietern. In Deutschland sind Rückwärtshypotheken außerhalb von Expertenkreisen dagegen noch weitgehend unbekannt.

Ziel der Umkehrhypothek ist die Verrentung der eigenen vier Wände. Der Eigentümer erhält von einer Bank ein Darlehen, das sich am Wert seiner Immobilie orientiert. Die Auszahlung kann zeitlich begrenzt oder lebenslang, als Einmalbetrag oder als monatliche Rente erfolgen. Die Immobilieneigentümer gewinnen damit Liquidität. Sie können ihre Rente aufbessern, den altersgerechten Umbau ihres Hauses, Anschaffungen oder unerwartete Ausgaben finanzieren, wie beispielsweise Gesundheits- oder Pflegekosten.

Die Kreditnehmer bleiben Eigentümer der Immobilie und können in ihrem Eigentum weiter wohnen. Das entspricht dem grundsätzlichen Wunsch der überwiegenden Mehrheit der Hauseigentümer, die auch im Alter ihre gewohnte Umgebung nach Möglichkeit nicht verlassen möchten. Zins- und Tilgungszahlungen fallen nicht an.

Fällig wird das Darlehen bei Ablauf, was in der Regel beim Ableben des Kreditnehmers, aber auch bei Aufgabe und Verkauf des Objekts der Fall ist. Die Erben müssen die Immobilie entweder auslösen, das heißt den Kredit zurückzahlen, oder das Haus verkaufen. Eine Überschuldung ist bei Reverse Mortgage nicht möglich, das heißt, der zurückzuzahlende Betrag kann den Wert der Immobilie zum Vertragsende nicht übersteigen.

Überwindung von emotionalen Hürden

Die Verschuldung und die Vererbung der Schulden stellt für deutsche Eigenheimbesitzer bisher noch eine emotionale Hürde für die Akzeptanz von Umkehrhypotheken dar. Nach einer aktuellen Umfrage von Forsa im Auftrag der Bausparkasse Schwäbisch Hall möchten ungefähr drei Viertel der Hausbesitzer im Alter kein Darlehen mehr aufnehmen. Ein gutes Fünftel der Befragten klagt gleichzeitig aber über mangelnde Liquidität. Umkehrhypotheken könnten hier Abhilfe schaffen, da dem gewährten Kredit ein Sachwert gegenübersteht.

Für den Immobilienbesitzer kann eine Umkehrhypothek eine attraktive monatliche Rentenzahlung von mehreren Hundert Euro bedeuten, je nach Lage, Zustand und Marktwert der Immobilie.

Außerdem muss noch die Ersparnis durch das mietfreie Wohnen hinzugerechnet werden. Der monatliche Liquiditätsgewinn kann dadurch im Idealfall bis zu 1000 Euro betragen.

Hohe Anforderungen an die Risikosteuerung

Aus Sicht der Produktgeber ist vor allem die langfristige Steuerung der mit der Umkehrhypothek verbundenen Risiken die größte Herausforderung. Insbesondere die künftige Wertentwicklung von Immobilien - auch in ganz bestimmten Regionen -, die langfristige Zinsentwicklung sowie die voraussichtliche

Lebenserwartung sind hier zu beachten. All das verlangt von den Anbietern eine vorsichtige Objektbewertung sowie entsprechende Risikoabschläge. Für den Werterhalt des Objekts müssen Vereinbarungen mit den Eigentümern getroffen werden.

In den USA, dem weltweit größten Markt für Reverse Mortgages, wurden mehr als eine halbe Million Home Equity Conversion Mortgage-Verträge (HECM) abgeschlossen, die von der dortigen Bundesregierung abgesichert werden. Das US Department of Housing and Urban Development trägt das Ausfall- und Kreditsicherungsrisiko. In Deutschland ist das Angebot an Umkehrhypotheken derzeit noch sehr überschaubar. Wegen der geringen Zahl der Anbieter beziehungsweise der regionalen Beschränkung der Angebote bestehen daher kaum Vergleichsmöglichkeiten.

Beratungsintensive Produkte

Fest steht: Umkehrhypotheken sind beratungsintensive Produkte. Ihr Vertrieb erfordert Know-how und Erfahrung im Bereich selbst genutzter Wohnimmobilien. Die Bausparkassen wären grundsätzlich für eine solche Aufgabe prädestiniert. Sie verfügen über ein im Laufe vieler Jahrzehnte gewachsenes tiefes Verständnis für Eigentumsimmobilien und Immobilieneigentümer.

Das selbst genutzte Wohneigentum als Vermögensgegenstand und Altersvorsorge ist ihr ureigenster und ausschließlicher Geschäftszweck. Sie finanzieren den Bau, den Erwerb, die Umschuldung und die Modernisierung von Eigentumsimmobilien, die Finanzierung des Immobilienverzehrs in der Ruhestandsphase der Eigentümer wäre eine logische Konsequenz.

Die Bausparkassen haben millionenfach bewiesen, dass sie in der Lage sind, bedarfsgerechte und flexible Produkte entsprechend sicher zu kalkulieren. Sie können auf große Erfahrungen bei der langfristigen Risikosteuerung zurückgreifen. In der jüngsten Finanzkrise haben die Bausparkassen unter Beweis gestellt, dass sie die komplexe Steuerungssystematik hinsichtlich Bausparkollektiv und Ertragssituation beherrschen. Kein Bausparer hat in der Finanzkrise auch nur einen Cent verloren, keine Bausparkasse hat im klassischen Bauspargeschäft Verluste gemacht.

Vertrauenswürdigkeit vorhanden

Das positive Image und die hohe Beratungskompetenz der Bausparkassen können dazu beitragen, das nötige Vertrauen der Verbraucher in das Produkt Umkehrhypothek herzustellen. Denn die potenziellen Kunden setzen Untersuchungen zufolge hohe Erwartungen in die Vertrauenswürdigkeit der Anbieter von Umkehrhypotheken. Trotz der Informationsdefizite sind sich viele Befragte instinktiv der Herausforderungen bewusst, die ein solches Produkt an den Anbieter stellt, zum Beispiel bei der Berücksichtigung der Lebenserwartung der Hausbesitzer.

Anbieter von Umkehrhypotheken könnten Umfragen zufolge mit einem Imagegewinn rechnen, denn das Produkt gilt bei einer deutlichen Mehrheit als innovativ und dem Trend der Zeit entsprechend. Zugeschrieben wird das Know-how vor allem Banken, Versicherern und Bausparkassen, so Umfragen. Eine Mehrheit der Befragten wünscht deutsche Anbieter, bevorzugt Institute aus dem Kreis eines größeren Finanzverbunds.

Noch viele offene Fragen

Nach einer Umfrage des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung erwarten etwa 80 Prozent der befragten Finanzmarktexperten, dass die Bedeutung von Umkehrhypotheken in Deutschland zunehmen wird. Allerdings zeigt sich auch, dass es noch jede Menge Aufklärungsbedarf gibt. Im Mittelpunkt des Interesses der Zielgruppe und der Anbieter steht die Kalkulation eines angemessenen Risikoabschlags. Er muss einerseits den Sicherheitsinteressen des Kreditinstituts entsprechen, darf jedoch andererseits für den Kunden ein solches Produkt finanziell nicht unattraktiv machen.

Während Abschläge aufgrund des Zustands beziehungsweise des Alters der Immobilie noch akzeptiert werden, finden Abschläge wegen des Verwertungsrisikos kaum Billigung. Die Auszahlungsmodalitäten - Einmalbeitrag, befristete Rente, lebenslange Rente - sollen vielfältig beziehungsweise flexibel sein, um den unterschiedlichen Bedürfnissen Rechnung zu tragen. Zu klären sind weiterhin das Wohnrecht Hinterbliebener bei Tod des Kreditnehmers und die Instandhaltungspflichten der Eigentümer.

Diese Fragen zu klären, benötigt noch Zeit. Doch eines ist erkennbar: Der Markt für Umkehrhypotheken wird sich auch in Deutschland entwickeln. Die Erfahrungen aus anderen Staaten zeigen, dass sich die Idee durchsetzen kann und immer mehr Akzeptanz findet.

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