Schwerpunkt: Bewertung und Inflation

Der Wert von Stil

In Alexander Mitscherlichs Buch über die "Unwirtlichkeit unserer Städte" wurde der Mangel von Stil im deutschen Städtebau gegeißelt. Nun sieht sich die Immobilienbranche mit neuen Rahmendaten konfrontiert. Bisher existierte ein fast Jahrhunderte andauernder Überhang der Nachfrage nach Wohnraum über das Angebot und ermöglichte es, fast jeglichen Wohnraum zu vermarkten. Dies wird sich aufgrund der zu erwartenden demografischen Entwicklung ändern. Nach aktuellen Schätzungen wird sich die Zahl der Einwohner in Deutschland von 82 Millionen im Jahre 2005 auf 74 bis 69 Millionen im Jahre 2050 reduzieren. Es gibt bereits jetzt Regionen, die stagnierende Bevölkerungszahlen aufweisen oder schrumpfen - im Westen wie im Osten. Ein zu erwartender Angebotsüberhang eröffnet den Nachfragern von Wohnraum die Möglichkeit, wählerischer zu werden.

Vorgehensweise

Mitscherlichs Kritik, aber auch die Kritik vieler anderer Autoren an der ästhetischen Gestaltung moderner Immobilien wirft in ökonomischer Hinsicht die Frage auf, inwiefern die ästhetische Gestaltung von Immobilien die Nachfrage beeinflussen kann. Für die Immobilienwirtschaft ist die Frage interessant, wie wertvoll ist der "richtige" Stil und wie sehr schadet der "falsche"? Hat ein vorteilhaftes Erscheinungsbild einen Wert, der die Kosten, die zur Realisierung des Stils aufgewandt werden müssen, übersteigt?

Stimmt die Ansicht, dass Stilempfinden etwas Individuelles ist, sodass sich allgemeine Aussagen darüber verbieten? Oder unterliegt die Stilbewertung der Menschen allgemeingültigen Prinzipien derart, dass sich die Immobilienbranche darauf einstellen kann? Im Rahmen einer empirischen Untersuchung am Lehrstuhl für Finanzwirtschaft der TU Chemnitz wurden diese Aspekte untersucht.

Im Rahmen einer empirischen Untersuchung wurde eine Gruppe von 100 Personen befragt, die in einem umfangreichen Fragebogen Urteile über verschiedene ästhetische Gestaltungsmöglichkeiten von Immobilien abgeben mussten. Für jeweils ein Bau- beziehungsweise Stilelement, das in verschiedenen Stilvarianten präsentiert wurde, mussten die Probanden zunächst die von ihnen präferierte Variante benennen und anschließend ihre Bereitschaft beziffern, für diese präferierte Variante etwas zusätzlich im Vergleich zu einer einfachen, stilarmen Variante zu bezahlen. Die behandelten Stilelemente stammten aus den drei Perspektiven "im Gebäude" (zum Beispiel Stuckverzierungen, Türklinken, Bodenbeläge), "am Gebäude" (zum Beispiel Erker, Gauben, Flachdächer) und "im Gebäudekontext" (zum Beispiel Abfolge von Häusern im Straßenraum, Straßengrün). Es wurden 72 Auswahlentscheidungen vorgelegt.

Empirische Ergebnisse

Ist Stil ein irrelevanter Faktor? Dann hätten die Probanden bei den Auswahlentscheidungen überwiegend die Auswahl "ist mir egal" treffen müssen. Dies ist jedoch nicht der Fall. Bei 7200 Auswahlentscheidungen (100 Probanden mal 72 Entscheidungen) lehnten die Antwort "Stil ist mir egal" in der Perspektive "im Gebäude" in 97,4 Prozent, in der Perspektive "am Gebäude" in 96,8 Prozent und in der Perspektive des "Gebäudekontextes" in 96,1 Prozent aller Entscheidungsfälle ab. Dabei gibt es keine einzige Person, die sich nicht wenigstens in der Mehrzahl der Entscheidungsfälle für einen bestimmten Stil entschied. Im Folgenden wird betrachtet, inwiefern die Präferenz nach Gestaltungsreichtum von persönlichen Faktoren abhängt:

- Einkommen - Es wurden nach dem persönlichen Nettoeinkommen drei Einkommensgruppen gebildet (weniger als 900 Euro, 900 bis 1500 Euro, mehr als 1500 Euro). Es stellte sich heraus, dass die Präferenz nach Gestaltungsreichtum in allen Einkommensschichten hochsignifikant ist (p<0,000). Zwischen den Einkommensgruppen konnten keine signifikanten Unterschiede festgestellt werden. Dieses Ergebnis ist insofern interessant, als man auf Basis von Bedürfnisrangfolgen (zum Beispiel Maslows Bedürfnispyramide) auf geringere Stilpräferenzen bei unteren Einkommensgruppen hätte schließen können. Dies ist aber nicht der Fall.

- Alter - Es wurden drei Altersgruppen gebildet (25 bis 40 Jahre, 40 bis 55 Jahre und älter als 55 Jahre). Wie beim Einkommen stellte sich heraus, dass die Stilpräferenz in allen Gruppen hochsignifikant ist (p<0,000) und keine signifikanten Unterschiede zwischen den Gruppen bestehen (p<0,05).

- Geschlecht - Auch in Bezug auf das Geschlecht ließen sich keine signifikanten Unterschiede in der Stilpräferenz erkennen.

- Bildungsabschluss - Die Probanden wurden nach ihren höchsten Bildungsabschlüssen getrennt untersucht. Es wurde zwischen Hauptschulabschluss, Realschulabschluss, Abitur und Hochschulabschluss unterschieden. Wie zuvor ergaben sich keine signifikanten Unterschiede zwischen den Gruppen.

- Weitere Segmentierungen - Unter den Probanden befanden sich auch drei Obdachlose. Auch diese wiesen keine andere Stilpräferenz auf als die übrigen Befragten. Weiter befanden sich unter den Probanden fünf Personen, die beruflich aus der Immobilienbranche stammten (Architekten, Bauingenieure). Diese Personen wiesen keine statistisch signifikant anderen Präferenzen als der Rest der Probanden auf. Schließlich wurden zusätzlich zu den 100 Befragten noch fünf Kinder im Alter zwischen 8 und 12 Jahren befragt. Auch diese Kinder lehnten die Variante "Stil ist mir egal" signifikant häufig ab. Es ergab sich eine leicht, aber insignifikante verringerte Präferenz für gestaltungsreichere Varianten.

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass ein Bedürfnis nach "mehr" Stil, das heißt nach gestaltungsreichen, ästhetischen Bauelementen besteht und in allen betrachteten Teilgruppen signifikant vorhanden ist. Das Bedürfnis nach Stil ist bei allen Menschen mit ganz wenigen Ausnahmen ähnlich stark ausgeprägt und scheint ein wesensinvariantes Merkmal zu sein.

Im Folgenden wird gezeigt, wie die ästhetischen Lösungen aussehen, welche die Menschen präferieren. Dabei ist zu beachten, dass in der Untersuchung nicht die absolut besten Lösungen gesucht werden konnten, sondern nur Stilvarianten, die relativ zu anderen präferiert werden. Leider reicht der verfügbare Platz nicht aus, alle betrachteten Stilelemente hier vorzustellen. Die vollständige Liste kann der oben genannten Untersuchung entnommen werden. Für die Perspektive "im Gebäude" werden im Folgenden beispielhaft ein Durchgangsrahmen und eine Fenstergestaltung aus Innensicht diskutiert. Die beiden Bildzeilen der Abbildung 1 zeigen die zur Auswahl gestellten Varianten. Die Zahlenangaben geben den Prozentsatz der Befragten an, der sich für die darüber abgebildete Variante entschieden hat.

Deutlich zu erkennen ist an beiden Fällen, dass sich die Probanden den gestaltungsreicheren Stilvarianten zuwenden. Bei dem Durchgangsrahmen wählen 46 Prozent der Probanden Variante B, 38 Prozent Variante D und 14 Prozent Variante C. Nur ein Prozent wählt die gestaltungslose beziehungsweise-arme Variante A. Auf diese Variante würde das Credo "Form follows Function" sicherlich noch am ehesten passen, was zeigt, wie deplaziert die unkritische Verwendung dieser Formel ist. Ein Prozent der Probanden wählte die Variante "ist mir egal".

Bei der Fenstergestaltung ergibt sich ein ganz ähnliches Bild. Das Gros der Befragten wählt gestaltungsreichere Varianten. Dabei gibt es bei den meisten betrachteten Stilelementen nicht eine einzige, von allen Probanden einheitlich präferierte Lösung (siehe zweite Bildzeile der Abbildung 1). Es ist aber auch nicht so, dass die präferierten Lösungen gleichverteilt über alle Varianten lägen. Deutliche Schwerpunkte sind zu erkennen, denn die Wünsche konzentrieren sich bei ganz wenigen Lösungen. Dies zeigt, dass Stilempfinden viel weniger etwas Individuelles ist, als es oft behauptet wird.

Die Klumpungen bei bestimmten Stilvarianten deuten an, dass Stilempfinden ein gesamtgesellschaftliches Phänomen ist. Dies ist vorteilhaft für die Bauwirtschaft, denn es ermöglicht Segmentierung und standardisierte Lösungen. Zusammengenommen zeigen die Antworten, wie stark das Bedürfnis nach stilvoller Gestaltung ausgeprägt ist. Ein einfaches Loch in der Wand, um hindurchzugehen, und eine Glasscheibe, um nach draußen zu sehen, reichen nicht. Es wird aber auch nicht immer und per se die "üppigste" Ausgestaltungsform präferiert, vielmehr differenzieren die Probanden stark und lassen eine Art "Optimum" der Gestaltungsopulenz erkennen.

Welche Präferenzen zeigen sich in der Perspektive "am Gebäude"? In dieser Perspektive werden Stilelemente behandelt, welche die Außensicht eines Gebäudes beeinflussen. Abgefragt wurden Stilelemente wie Fassadengestaltungen, Dachformen, Tür- und Fensterformen, Balkone, Erker, Außentreppen et cetera. Wie in der Perspektive "im Gebäude" soll sich hier auf die Darlegung einiger weniger beispielhafter Fälle beschränkt werden.

Dachgestaltungen

Die ersten vier hier behandelten Beispiele betreffen Gestaltungen von Dächern (siehe Abbildung 2). Deutlich zu erkennen ist die Präferenz für eine aufgelockerte Gestaltung, die den Dächern respektive den Gebäuden insgesamt die Strenge nimmt. Eintönige Flächen sollen vermieden werden. Flachdächer werden abgelehnt. Aufgelockerte, durch architektonische Elemente belebte Dachflächen werden bevorzugt.

Bei Dachgestaltungen handelt es sich naturgemäß um relativ teure Bauelemente. Im Vorgriff auf die Diskussion der Zahlungsbereitschaft weiter unten sei erwähnt, dass etwa die Hälfte der Probanden die von ihnen präferierten Lösungen bezahlen können (und wollen). Weitere wollen Beiträge leisten, die leicht unter den Kosten liegen. Gar keine Zahlungsbereitschaft für die von ihnen bevorzugten Lösungen weisen nur wenige Probanden auf.

Insgesamt ergibt sich, dass die Bauwirtschaft aufgerufen ist, preisgünstige standardisierte Lösungen für die präferierten ästhetischen Gestaltungsformen zu entwickeln. Den Architekten müssten komplette Module angeboten werden, um den Aufwand bei Planung und Durchführung zu reduzieren.

Die Untersuchung ergab einen hochsignifikanten Wunsch nach aufgelockerter, ästhetischer Fassadengestaltung. Abbildung 3 gibt für einige Beispiele wieder die Verteilung der Präferenzen an; für die jeweils meistpräferierte Variante wurde zusätzlich der Anteil "profitabler" Probanden ermittelt, bei denen die Zahlungsbereitschaft die Kosten übersteigt. Ähnlich wie bei den Dächern werden ungestaltete, nackte Flächen abgelehnt. Da Fassadengestaltungen keinerlei Funktion außer der zu gefallen aufweisen, wird in dieser Präferenz der tief sitzende Wunsch der Menschen nach ästhetischer Gestaltung von Flächen deutlich.

Fassadengestaltungen

Vergleicht man diesen Wunsch mit der vorhandenen Gebäudestruktur, wird deutlich, wie sehr in der Vergangenheit Teile der Bauwirtschaft die Menschen mit ungestalteten Bauwerken "vergewaltigt" haben und an ihren wahren Wünschen vorbei agierten. Im Regelfall entscheiden sich weniger als fünf Prozent der Nutzer von Immobilien für die einfachen und ungestalteten Baulösungen, die in vielen deutschen Städten dominieren.

Wieder ist die Frage zu stellen, wie es mit der Zahlungsbereitschaft der Nutzer für die präferierten Lösungen aussieht? Hier ergibt sich, dass die Zahlungsbereitschaft vergleichsweise hoch ist. Die Menschen sind bereit, für stilvolle Fassaden Geld auszugeben, sodass ihren Wünschen in vielen Fällen nachgekommen werden kann. Im zweiten Beispiel in Abbildung 3 können von denjenigen Probanden, die sich für die meistpräferierte Variante C entschieden haben, über 85 Prozent mit der von ihnen präferierten Fassadengestaltung bedient werden.

Die deutschen Städte und Vorstädte sehen im Mittel aber nicht so aus. Warum negiert die Bauwirtschaft die Möglichkeiten? Ist das Wissen um die Bedürfnisse nach Stil so zurückgegangen, dass keine Abwägung mehr stattfindet? Das städtebauliche Bild deutscher Städte ist sicherlich zu erheblichen Teilen von der Notwendigkeit der Nachkriegsjahre, großen Bevölkerungsteilen in kurzer Zeit ein "Dach über den Kopf" zu schaffen, geprägt. Möglicherweise dominiert auch heute noch ein auf die "Dach über dem Kopf"-Funktion ausgerichtetes, standardisiertes Vorgehen bei der Schaffung von Wohnraum, obwohl sich die Rahmenbedingungen zwischenzeitlich erheblich geändert haben.

Perspektive "im Gebäudekontext"

20 Fragen widmeten sich der Gestaltung von Immobilien im Gebäudekontext und zielten auf die Homogenität oder Heterogenität der Bebauung ab. Weitere Fragen betrafen Grundstückseinzäunungen, Gehwegsbeläge, Straßenraumbegrünungen und Straßenmöblierungen mit Bänken et cetera. Aufgrund ihrer besonderen Bedeutung für die Immobilienwirtschaft im Zusammenhang mit der Lageattraktivität sollen im Folgenden nur die Fragen zur Homogenität des Straßenraumbildes behandelt werden. Die Darstellungen beziehen sich daher auf den Ausblick aus einer fiktiv bewohnten Wohnung. Dabei wurde immer ein homogener Gebäudekontext einem weniger homogenen Kontext gegenüber gestellt, in dem ein Gebäude hinsichtlich Form, Farbe, Massigkeit und Baucharakter abwich. Neben der Präferenz war auch die Zahlungsbereitschaft für die gewählte Variante anzugeben.

Homogenität

Die Abbildung 4 gibt beispielhaft Entscheidungssituationen wieder. Die Prozentangaben geben wie oben den Anteil der Probanden an, der sich für die jeweilige Lösung entscheidet. Die Differenz der Summe der Angaben zu 100 ist der Anteil der Probanden, die geantwortet haben "ist mir egal". Jeweils eine Lösung wird mit überwältigender Mehrheit präferiert. Die bevorzugten Lösungen zeichnen sich durch ein wesentlich höheres Maß an stilbedingter Homogenität aus als die abgelehnten Lösungen. Die Fälle machen deutlich, dass in hohem Maße ein homogenes Stadtbild gewünscht wird. Wenn, wie im letzten Beispiel in Abbildung 4 der Fall, das "störende" Haus auch noch größer oder massiger ist als die anderen, ist die Ablehnung besonders groß.

Die folgenden Fälle (Abbildung 5) kommen der Art nach in Deutschland häufig vor. Zu sehen sind im Prinzip homogene Bausituationen, die aber unfertig geblieben sind. Solche Situationen entstanden in Deutschland in der ersten Hälfte des Jahrhunderts durch die Kriege und die Wirtschaftskrise. Die Baulücken wurden Jahre oder Jahrzehnte später durch Gebäude geschlossen, die oft einen ganz anderen Stil aufwiesen.

Deutlich wird die hohe Präferenz der Entscheider für die Herstellung von Homogenität. Dass im zweiten Fall in Abbildung 5 die Zustimmung zur inhomogenen Lösung höher ist als im ersten Fall, könnte an der (geachteten) Bauhausarchitektur des mittleren Gebäudes liegen. Die Bauhausarchitektur genießt in Deutschland ein besonders Renommee. Wahrscheinlicher ist aber, dass diese Lösung deshalb nicht so stark abgelehnt wird wie die obere, weil das mittlere und "störende" Haus im Verhältnis zu den benachbarten Gebäuden kleiner und unbedeutender ist als im ersten Fall. Die Größe respektive Massigkeit störender Gebäude hat sich in der Untersuchung als ganz entscheidender Faktor bei der Ablehnung von Bausituationen erwiesen.

Angesichts der in den bisherigen Beispielen zu erkennenden Präferenz der Entscheider für Immobilien mit älteren Baustilen ist zu fragen, ob darin eine generelle Ablehnung moderner Baustile zum Ausdruck kommt? Die Abbildung 6 zeigt, dass moderne Baustile nicht generell abgelehnt werden. Auch die in der inhomogenen Situation (links) im ersten Beispiel dominierende Gebäudeart wird nicht generell abgelehnt, wie das zweite Beispiel zeigt. Es ist der Wunsch nach homogenen Bausituationen, welche die Urteile bestimmen. Es scheint keinen Widerstand gegen die Moderne im Allgemeinen zu geben, sondern ein Suchen nach Ausgewogenheit und Harmonie.

Zuletzt seien hier noch die Untersuchungsergebnisse zum speziellen Fall verfallender oder verfallener Bausubstanz dargestellt. In der Literatur finden sich Hinweise darauf, dass Immobilien in der Nähe von Sanierungsfällen Wertminderungen erleiden. Dieser Effekt lässt sich auch in unserer Studie erkennen. Das Maß an Ablehnung der linken Bausituation in Abbildung 7 ist besonders hoch. Das heißt Immobilienbesitzer, die ihre Immobilien nicht pflegen, schaden den Immobilienbesitzern der Umgebung - sogar denen, die nicht unmittelbar angrenzen, sondern lediglich ihren (Aus-)Blick auf die Sanierungsfälle haben.

Es gibt mehrere wissenschaftliche Verfahren, Zahlungsbereitschaft für Wirtschaftsgüter zu ermitteln. Wie die Literatur zeigt, ist keines dieser Verfahren unproblematisch. Eines der Probleme ist die Differenz zwischen der "Willingness to Pay" und der "Willingness to Accept". Damit ist Folgendes gemeint: Menschen messen in der Regel Gütern, welche sie anschaffen wollen, einen geringeren monetären Wert bei als Gütern, die sich bereits in ihrem Besitz befinden.

Das bedeutet für den vorliegenden Fall: Wenn man die Geldbeträge abfragt, die Menschen aufzuwenden bereit wären, um die präferierte Lösung zu erhalten, liegt ein "Willingness to Pay"-Fall (WtP) vor und man erhält tendenziell zu niedrige Werte. Der "Willingness to Accept"-Fall (WtA) ist schwierig abzufragen, da man die Probanden in eine relativ unrealistische Entscheidungssituation versetzen müsste (zum Beispiel Aufgabe einer Wohnung in einer präferierten Straße gegen eine Entschädigung). Daher wurden generell WtP ermittelt und um die geschätzte Abweichung von der tatsächlichen Zahlungsbereitschaft adjustiert.

Zahlungsbereitschaft

Betrachtet man die Zahlungsbereitschaft für die einzelnen Stilelemente, dann ist festzustellen, dass diese grosso modo im Mittel mit den Kosten kompatibel ist. Das heißt, im Mittel würden sich alle gewünschten Stilelemente bauseitig bewerkstelligen lassen. Allerdings ist die Zahlungsbereitschaft über die Probanden sehr ungleich verteilt. Es sei in Erinnerung gerufen, dass der Wunsch der Menschen nach Stil im Prinzip für alle Menschen recht ähnlich ausgestaltet ist. Die Zahlungsbereitschaft ist aber durchaus unterschiedlich.

Die Zahlungsbereitschaft erreicht nur für einen Teil der Probanden die Höhe, die notwendig ist, die Kosten der präferierten Stilelemente zu tragen. Nicht verwunderlich ist, dass die drei befragten Obdachlosen, deren Stilpräferenz sich der Art nach nicht von der aller anderen Probanden unterschied, keinerlei Zahlungsbereitschaft äußerten. Aber auch andere Probanden zeigten eine geringe Zahlungsbereitschaft. Die Abbildung 8 zeigt, wie die Zahlungsbereitschaft (durchschnittlich über alle Untersuchungsfragen) über die Probanden verteilt ist.

Bei den Elementen der Perspektive "im Gebäude" können im Mittel über alle Stilelemente etwa 50 Prozent der Probanden mit ihren präferierten Lösungen bedient werden. Bei einzelnen eher kostengünstigen Stilelementen können aber auch bis zu 91 Prozent der Menschen bedient werden. Im Vergleich zu den Kosten ist die Zahlungsbereitschaft hoch bei: Bodenbelägen, Türgestaltungen, Fensteraufteilungen und einzelnen Stuckelementen. Für die Perspektive "am Gebäude" ist der Anteil der Probanden, der bedient werden kann, größer als für die Perspektive "im Gebäude". Die Menschen sind in Bezug auf die Außengestaltung einer Immobilie bereit, relativ viel zu bezahlen. Vergleichsweise hoch (relativ zu den Kosten) ist die Zahlungsbereitschaft bei Fenstern und Türen, bestimmten Fassadenelementen, der Dachdeckung, Balkonen, Erkern und Außentreppen.

In der Perspektive des "Gebäudekontextes" wurde die höchste Zahlungsbereitschaft geäußert für die Verhinderung einer Hochhausbebauung, einer Gewerbeeinrichtung und eines Sanierungsfalles im Umfeld der eigenen Immobilie. Für sonstige Fälle, welche die Homogenität der Bebauung im Umfeld der Immobilie sichern, ist die Zahlungsbereitschaft ähnlich hoch wie für die genannten Elemente der Perspektive "am Gebäude". Das heißt, der Homogenität der Bebauung im Umfeld der eigenen Immobilie wird etwa so viel Wert beigemessen wie der Außengestaltung (der eigenen Immobilie).

Auch in Bezug auf die Zahlungsbereitschaft wurden Einflüsse einzelner Persönlichkeitsmerkmale untersucht:

- Einkommen - Im Schnitt steigt die Zahlungsbereitschaft in jeder Stilperspektive mit dem Einkommen an. Diese Unterschiede sind im Allgemeinen statistisch signifikant. Dabei ist im Mittel die Zahlungsbereitschaft der oberen Einkommensschicht um 55 bis 85 Prozent höher als die der unteren Einkommensschicht.

- Alter - Es sind die Jüngeren, die eine höhere Zahlungsbereitschaft aufweisen. Dies gilt für alle Stilperspektiven. Die Differenz bei der Zahlungsbereitschaft ist signifikant für alle drei Perspektiven. Es gibt keine auffälligen Korrelationen, das heißt, das Alter ist ein Faktor, der für sich selbst steht.

- Geschlecht - Differenzen in der Zahlungsbereitschaft zwischen Männern und Frauen sind vorhanden, aber nicht signifikant. Frauen haben eine leicht höhere Zahlungsbereitschaft als Männer.

- Bildungsgrad - Die Zahlungsbereitschaft steigt mit dem Bildungsgrad an, wobei die Unterschiede signifikant sind. Bei den Probanden mit Hochschulabschluss ist die Zahlungsbereitschaft doppelt so hoch wie bei denjenigen mit Hauptschulabschluss.

Neben dem Einfluss verschiedener Persönlichkeitsmerkmale auf die Zahlungsbereitschaft wurde schließlich auch der Zusammenhang zwischen der Zahlungsbereitschaft für Stilelemente im und am Gebäude und im Gebäudekontext untersucht. Im Ergebnis besteht ein hoch signifikanter Zusammenhang zwischen der Zahlungsbereitschaft für die einzelnen Perspektiven. Das heißt die Probanden, die aufwendige Gestaltungselemente in der Wohnung wünschen, bevorzugen auch eine ansprechende und homogene Situation der Immobilie im Kontext anderer Immobilien.

Homogenität im Großen, Variantenreichtum im Kleinen

Angesichts einer stagnierenden oder gebietsweise sogar schrumpfenden Bevölkerung in Deutschland kann es bei Wohnimmobilien schwieriger werden, auf einen Markt zu treffen. Dies hat Fragen nach dem Wert einer ästhetischen Gestaltung von Immobilien aufgeworfen. Die empirische Untersuchung führte zu folgenden Ergebnissen:

- Es existiert ein Bedürfnis nach Stil, das prinzipiell unabhängig vom Einkommen, Alter, Bildungsgrad oder Geschlecht ist. Dieses Bedürfnis ist offenbar einfach "menschlich".

- Hinsichtlich der Gestaltungsformen, die bevorzugt werden, gibt es gewisse Unterschiede von Person zu Person. Diese Unterschiede sind aber erstaunlich gering. Es lässt sich sagen, dass Stilpräferenzen nicht sehr individuell sind. Das würde es der Bauindustrie ermöglichen

- wenn sie das Stilbedürfnis der Menschen aufgriffe -, standardisierte Lösungen zu erarbeiten.

- Das Bedürfnis nach Stil schlägt sich in der Zahlungsbereitschaft nieder, die durchaus heterogen ist und mit Einkommen und Bildungsgrad zunimmt und mit dem Alter abnimmt. Die Menschen unterscheiden sich also weniger in ihrem Bedürfnis nach Stil als in ihren Möglichkeiten oder ihrer Bereitschaft, für Stil zu bezahlen.

- Es besteht ein sehr starker Wunsch nach Homogenität von Immobilienensembles. Baulücken sollten nicht solitär, sondern kontextbezogen gefüllt werden. Der Wunsch von Bauherren, sich zu verwirklichen und Solitäre, also vom Kontext abweichende Gebäude, zu errichten um aufzufallen, mindert den Wert der übrigen Immobilien des Ensembles. Dabei reagieren die Menschen sehr empfindlich auf die Gebäudegröße. Gerade bei größeren Gebäuden ist folglich ganz besonders darauf zu achten, dass sie sich gut in den Kontext einpassen.

- In Bezug auf unterschiedliche Architekturtrends zeigt sich eine starke Präferenz für den klassischen Stil, die mit der Größe der Gebäudemassen zunimmt. Bei anderen Architekturtrends besteht hier insbesondere die Gefahr, dass große, ungestaltete Flächen entstehen, die im Allgemeinen abgelehnt werden.

Bauherren müssen sich des Einflusses von Stil auf den Immobilienwert bewusst werden und in stilistischer Hinsicht angemessene Lösungen beauftragen, auch wenn diese zunächst etwas mehr kosten. Dabei darf aber keine Langeweile entstehen. Die Kunst liegt darin, Homogenität im Großen zu schaffen und im Kleinen gleichzeitig ausreichend zu variieren.

Prof. Dr. Friedrich Thießen , Professur für Finanzwirtschaft und Bankbetriebslehre, Technische Universität Chemnitz
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