Schwerpunkt Nachhaltigkeit

Zertifizierungen sind nicht mehr wegzudenken

Wie wichtig sind nachhaltiges Bauen, eine Energiebilanz und die entsprechenden Zertifikate schon im Vorfeld der Vermietung? Werden bald nur noch zertifizierte Gebäude gemietet? Die Diskussionen über die Bedeutung von Nachhaltigkeit in der Immobilienwirtschaft und speziell von zertifizierten Gebäuden ist ein weitreichendes Thema, das immer wieder zu Diskussionen in der Immobilienwelt führt. Die Position für und gegen diesen Trend sind Dauerbrenner im täglichen Projektgeschäft, in Immobilienforen und in der Fachpresse.

Der Vormarsch der grünen Immobilien ist einerseits durch die steigende Zahl zertifizierter Flächen deutlich nachzuvollziehen. Andererseits stellen zertifizierte Immobilien immer noch einen sehr kleinen Anteil am Gesamtimmobilienbestand dar. Zudem ist der jeweilige Anteil an grünen Immobilien regional sehr unterschiedlich.

Spitzenreiter Frankfurt

Der halbjährlich erscheinende Certification and Sustainability Radar (CESAR) von JLL dokumentiert und analysiert solche Entwicklungen. Untersucht wird der prozentuale Anteil zertifizierter Büroflächen in den sogenannten Big-7-Städten, also in Berlin, Düsseldorf, Frankfurt am Main, Hamburg, Köln, München und Stuttgart. Zum Jahresende 2013 wiesen diese Städte einen zertifizierten Büroflächenbestand von insgesamt 4,23 Millionen Quadratmeter aus, entsprechend knapp unter fünf Prozent des akkumulierten Gesamtbestands.

Im direkten Städtevergleich gibt es allerdings eine erhebliche Variationsbreite der Zertifizierungsanteile mit einem deutlichen Vorsprung von Frankfurt gegenüber den anderen Märkten. Die Banken- und Immobilienhochburg am Main ist im Ranking mit 12,3 Prozent prozentual als einzige Stadt bundesweit überhaupt mit einem zweistelligen Wert notiert und auch absolut mit 1,48 Millionen Quadratmetern deutlich führend. Abgeschlagen am Ende der Skala steht Stuttgart mit 1,8 Prozent. Alle übrigen untersuchten Städte kommen auf einen Zertifizierungs-Anteil von drei bis vier Prozent. Mit diesen Werten zeigt die Studie, dass im Vergleich zur vorangehenden Analysen der Anteil an zertifizierten Flächen um mehr als 15 Prozent angestiegen ist. Insgesamt sind die relativen und absoluten Anteile der zertifizierten Flächen an den Gesamtflächen aber immer noch relativ gering.

Höhere Erstellungskosten

Was bedeuten diese statistischen Zahlen, welche Schlussfolgerungen lassen sich daraus ziehen und welche Bedeutung haben grüne Immobilien somit für den deutschen Markt, speziell im Bereich der Projektentwicklung? Nicht mehr wegzudenkende Pflicht oder vernachlässigbarer Trend? Speziell unter Kostenaspekten ist dies die entscheidende Frage. Denn auch der Fakt, dass inzwischen viele Aspekte der "ökologischen Bauweise" schon üblicher Standard zu sein scheinen und damit kostenneutral sind, ändert nichts an der Tatsache, dass die Zertifizierung selbst und damit der Weg zu einer grünen Immobilie immer noch mit zusätzlichen Kosten verbunden ist, die eingepreist werden müssen. So liegen in Deutschland erfahrungsgemäß die Mehrkosten zertifizierter Gebäude bezüglich der Beratungs-, Planungs- und Baukosten zwischen Null bis vier Prozent höher als bei konventionell nach dem neusten EnEV 2014 Standard errichteten Immobilien.

Für Projektentwickler ist das ein bedeutender Punkt. Denn der viel gepriesene Aspekt der Betriebskostenreduktion bei energieeffizienten Gebäuden spielt für Projektentwickler eine untergeordnete Rolle, da sie nach der Fertigstellung kaum noch von einer kostenoptimierten Betriebsphase des Gebäudes profitieren.

Hier sind also andere finanzielle Anreize gefragt, um die zusätzlichen Investitionen aufzuwiegen. Immer wieder werden der monetäre Vorteil bei Vermietung oder Verkauf diskutiert. Höhere Mieten oder höhere Verkaufserlöse sind sicherlich im Einzelfall möglich, aber in Deutschland empirisch bislang nicht belegt.

Zertifizierung als Investitionskriterium

Der finanzielle Vorteil für Projektentwickler ergibt sich vorrangig aus der schnelleren Vermietung beziehungsweise dem schnelleren Verkauf dieser Gebäude aufgrund der sich dynamisierenden Nachfrage nach energieeffizienten beziehungsweise zertifizierten Flächen. Entscheidend hierbei ist die eindeutige Kundennachfrage nach ebensolchen Flächen. Eine Studie von JLL zum Thema Office 2020 kommt zu dem Ergebnis, dass 83 Prozent der Entscheidungsträger in der Immobilienbranche der Ansicht sind, dass das Thema Nachhaltigkeit höchste strategische Priorität für den Bürosektor in der kommenden Dekade darstellt. Allerdings heißt dieses Interesse nicht gleichzeitig, dass auch tatsächlich mehr für ein zertifiziertes Objekt gezahlt wird. Die Zertifizierung wird hier eher als Grundvoraussetzung angesehen, also als "Tick in the Box". Ist dieses Kriterium erfüllt, lassen sich Veräußerungen oft schneller realisieren. Entsprechend ist die Zertifizierung einer Projektentwicklung unabhängig des Green Building Systems inzwischen als Marktstandard zu betrachten. Es ist eher ein Wettbewerbsnachteil für einen Neubau, ohne Zertifikat in die Vermarktung zu gehen. Es sind also vor allem die Vermarktungsvorteile, die die möglichen Mehrkosten bei der Errichtung einer zertifizierten Immobilie amortisieren.

Speziell für internationale Investoren und Nutzer ist die Nachhaltigkeit und damit die Zertifizierung ein wichtiges Thema bei Investitions- und Anmietungsentscheidungen. Überdurchschnittlich viele zertifizierte Flächen werden von Unternehmen aus der Finanzbranche nachgefragt. Spitzenreiter im Jahr 2013 waren hier die Versicherungen, bei denen 39 Prozent ihrer insgesamt in den Big-7-Städten angemieteten Flächen auf zertifizierte Objekte entfielen. Auf Platz zwei liegen die Internetdienstleister mit 31 Prozent, die allerdings von der absoluten Größenordnung her nur eine untergeordnete Rolle spielen. Drittplatzierte sind die Banken mit einem Anteil von 22 Prozent.

Abseits der Büroimmobilien

Projektentwicklungen finden allerdings nicht nur in 1a-Lagen bei Büroimmobilien statt, sondern durchaus auch in dezentralen Lagen und in jeglichen Nutzungsklassen von Immobilien, also bei Handels-, Lager-, Hotelobjekten oder aber bei Bildungs- oder Gesundheitsbauten. Der Anteil zertifizierter Objekte in diesen Immobiliensegmenten ist noch weitaus geringer. Zwar sind für die unterschiedlichen Nutzungsklassen spezielle Nutzungsprofile entwickelt worden. Gerade das deutsche Nachhaltigkeitslabel DGNB ist hier besonders breit gefächert und spricht mit speziellen Zertifikaten diese Nutzungsklassen an. Jedoch werden diese Möglichkeiten weitaus weniger genutzt als im Bereich der Bürobauten.

Mit dem DGNB Label für Neubauten zertifiziert sind momentan in Deutschland sieben Hotels, 28 Handelsbauten, sieben Bildungsbauten, zwei Gesundheitsbauten, 52 Industriebauten, fünf Wohnbauten und ein Laborbau. Im Vergleich zu 109 Büro- und Verwaltungsneubauten, die mit dem DGNB Label zertifiziert wurden, fällt dieser Anteil ganz deutlich ab. Hinzu kommen dann noch etwa 50 LEED Bauten, die mit Zertifikaten für Neubauten versehen wurden. Zwar ist klar, dass im Vergleich zu anderen Nutzungsklassen generell eine größere Anzahl an Projektentwicklungen im Bürosektor stattfinden. Dennoch ist auch unter Berücksichtigung dieser Tatsache der Anteil an Zertifizierungen in diesem Sektor überproportional hoch.

Zertifizierung als Marketinginstrument

Drei aktuelle prominente Beispiele für zertifizierte Projektentwicklungen im Bürosektor sind der Taunusturm in Frankfurt am Main, das Dreischeibenhaus in Düsseldorf und der Arabellapark in München. In allen drei Beispielen wurde schon in der Vermarktungsphase der Gebäude über das Ziel der Zertifizierung berichtet, um sie gegenüber potenziellen Mietern als Vermarktungsinstrument nutzen zu können.

Entscheidend für die Bedeutung von Zertifizierungen sind die Lage der Immobilie, die Nutzung und die angesprochene Kundengruppe. Eine allgemeingültige Aussage zur Bedeutung von Zertifizierungen im Bereich der Projektentwicklung ist allerdings nur schwer zu treffen. Fest steht, dass die Zertifizierung im Bereich der Entwicklungen für Büroneubauten kaum noch wegzudenken ist und sie somit ein nicht mehr wegzudiskutierender Punkt auf der Agenda von Projektentwicklern sein muss.

Nach der Entscheidung für eine Zertifizierung steht allerdings noch die Überlegung an, welches der möglichen Zertifikate angestrebt und Level erreicht werden soll. Genügt zum Beispiel eine LEED Silber Zertifizierung oder muss es LEED Platin sein? Auch hier ist entscheidend, welche Kundengruppe mit dem konkreten Projekt angesprochen werden soll.

Während es in Märkten mit einer großen Anzahl an zertifizierten Objekten - wie im Central Business District (CBD) Frankfurt am Main - eines gehobenen Zertifizierungsgrades bedarf, um sich gegenüber der Konkurrenzflächen abzuheben, reicht in kleineren Märkten auch ein geringer Zertifizierungsstandard, um am Markt hervorzustechen. Da Zertifizierungen unter anderem ein Marketinginstrument sind, ist dies der entscheidende Faktor.

Mieterstruktur ausklammern

Eine nicht zu unterschätzende Schwierigkeit bei Zertifizierungen von Neubauten besteht für den Projektentwickler darin, dass in vielen Fällen zum Zeitpunkt der Immobilienentwicklung und damit zum Zeitpunkt der Zertifizierung noch nicht feststeht, welche Mieter letztendlich das Gebäude nutzen werden beziehungsweise wie sich der Mieterausbau darstellen wird.

Eine komfortable Möglichkeit bietet in diesen Fällen die LEED Core & Shell Zertifizierung. Hier wird der Teil des Mieterausbaus aus der Zertifizierung ausgeklammert und somit quasi nur die Gebäudehülle inklusive technischem Ausbau zertifiziert. Eine direkte Einbindung des Gebäudenutzers in die Zertifizierung ist dabei nicht notwendig. Dies erspart schwierige Abstimmungen mit den Mietern. Zudem kann beim Core & Shell Zertifikat ein Vorzertifikat erreicht werden, das schon vor der finalen Zertifizierung beziehungsweise vor der Fertigstellung des Gebäudes als Vermarktungsinstrument genutzt werden kann und somit besonders attraktiv für den Projektentwickler ist.

Nachhaltigkeit betrifft jeden

Alles in allem spielen Nachhaltigkeit beziehungsweise Nachhaltigkeitszertifikate besonders in Bezug auf Büroimmobilien für Projektentwickler eine immer relevantere Rolle. Aber auch andere Nutzungsklassen werden zukünftig immer mehr von dem "Trend" der Zertifizierung betroffen sein. Die Entscheidung für eine Immobilie hängt immer mehr von ökologischen, ökonomischen und soziokulturellen Aspekten einer Immobilie und damit von ihrer Nachhaltigkeit ab. Mit Hilfe von Zertifikaten ist es möglich geworden, diese Faktoren und somit die Nachhaltigkeit von Gebäuden messbar und bewertbar zu machen. Für Projektentwickler sind Zertifizierungen damit ein wichtiges Vermarktungsinstrument und aus ihrem Geschäft tatsächlich nicht mehr wegzudenken.

Noch keine Bewertungen vorhanden


X