Wir arbeiten immer noch mit Zettel und Stift

Philipp Pferschy, Foto: GIEAG AG

"Deutschland digitalisiert sich - nicht zuletzt aufgrund der vorherrschenden Pandemie." "Auch die vermeintlich verstaubte Immobilienbranche erlebt einen wahren Digitalisierungsschub." Diese Sätze hört und liest man ständig. Aber ist es wirklich so? Und wenn, wäre das ein Grund zum Feiern? Ist es nicht eher beschämend, dass wir erst eine weltweite Pandemie benötigen, um die schon seit Jahren vorhandenen Potenziale zu nutzen? Vielleicht.

Und ist dieser Schub deshalb weniger Wert? Sicher nicht. Denn wie dringend die Transformation unserer Branche nötig ist, das erleben wir alle in unserem Alltag. Noch immer begegnet man dabei Menschen, die wie vor 30 Jahren arbeiten - mit Aktenkoffern voller Papier und einer Ablage auf dem Desktop. Und genau dort gilt es anzusetzen: Es geht zunächst nicht darum, dass wir komplexe Prozesse digitalisieren. Vielmehr brauchen wir zunächst ein verändertes Mindset bei den Beteiligten. Denn die Immobilienbranche ist alt: Das Durchschnittsalter liegt bei 43,4 Jahren - Tendenz steigend. Und haben wir das nicht "schon immer so gemacht"? Hat doch funktioniert.

Also bevor wir überhaupt anfangen, Dokumente zentral abzulegen und Exposés auf dem zentralen Server zu aktualisieren und auf dem Tablet zu präsentieren, braucht es einen übergeordneten Rahmen. Und dieser beinhaltet zunächst die "Digitalisierung der Mitarbeiter". War doch vor einem Jahr vielen ein Meeting über Microsoft Teams noch fremd und hatten nicht alle Mitarbeiter die technischen Voraussetzungen, um auf eventuell schon bestehende digitale Strukturen aus dem Homeoffice zuzugreifen. Was nutzt es, wenn einige wenige die neuesten Techniken einsetzen, im Alltag jedoch ein Großteil des Teams an diesen scheitert? So wird man keine Akzeptanz für neue Wege und Formate erreichen.

Damit die Mitarbeiter die Angebote nutzen, reicht es nicht, ihnen ein paar Programme zu installieren und eine kurze Einführung anzubieten - es braucht vielmehr ein verändertes Mindset, eine neue Selbstverständlichkeit, sich "digital zu bewegen". Die Mitarbeiter müssen bei der Einführung digitaler Prozesse unterstützt werden, damit diese "neue Kultur" Teil der Unternehmenskultur wird. Heißt, die Mitarbeiter müssen vom Einsatz dieser Tools überzeugt sein, um diesen Teil der Unternehmenskultur auch nach außen zu tragen. Kurz gefasst: Jetzt gilt es, diesen Digitalisierungsschub in die richtigen Bahnen zu lenken. Denn es bringt nichts, wenn jetzt jeder "vor sich hin digitalisiert".

Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Es ist richtig und wichtig, dass sich unsere Branche digitalisiert. Doch wir sollten aufhören so zu tun, als wäre dies bereits erfolgreich geschehen. An vielen Stellen arbeiten wir nämlich noch immer genau so wir vor 30 Jahren. Und wenn wir uns nicht neuen digitalen Standards und Lösungen öffnen, werden wir früher oder später von einem "Immobilien-US-Google-Apple-AirBnB-Tech-Giganten" überrannt.

Philipp Pferschy, Mitglied des Vorstands, GIEAG Immobilien AG, München

Philipp Pferschy , Mitglied des Vorstands , GIEAG Immobilien AG, München
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