Debatte um bezahlbaren Wohnraum falsch geführt

Parteien, Verbände, Bürger, die Immobilienbranche und viele andere mehr fordern die Schaffung von mehr bezahlbarem Wohnraum in Deutschland. Allerdings wird die Diskussion oft zu einseitig geführt. Denn die Schaffung von mehr bezahlbarem Wohnraum steht teilweise im Konflikt mit wichtigen anderen gesellschaftlichen Zielen. Diese Konflikte werden viel zu wenig offen angesprochen.

Das Thema bezahlbarer Wohnraum steht derzeit ganz oben auf der politischen Agenda und hat gute Aussichten, eines der großen Themen des Bundestagswahlkampfs 2017 zu werden. Die Forderung nach mehr bezahlbarem Wohnraum ist berechtigt und gesellschaftlich sinnvoll. Allerdings wird die Debatte unserer Meinung nach oft falsch geführt. Denn das Ziel "bezahlbarer Wohnraum" steht in Widerspruch zu einer ganzen Reihe anderer gesellschaftlicher Ziele. Diese Widersprüche werden jedoch selten vollständig benannt oder in die Betrachtung einbezogen. Oft werden Einzel- oder Teilaspekte isoliert herausgegriffen und daraus Forderungen abgeleitet - ohne das Gesamtbild zu berücksichtigen. Daher fordern wir eine ganzheitliche, gesellschaftliche Diskussion, die die verschiedenen Konflikte offen benennt.

Zu diesen Zielkonflikten gehört der zwischen dem wichtigen demokratischen Anliegen nach mehr Bürgerbeteiligung und dem Bau von Wohnungen. In Deutschland - und international - ist zu beobachten, dass Neubaumaßnahmen - oft nach dem Motto "not in my backyard" - verhindert oder erheblich verzögert werden. Prominentes Beispiel ist die abgelehnte Bebauung des Tempelhofer Feldes in Berlin.

Eine weitere Konfliktlinie besteht zwischen einer Kappung der Mieten und Anreizen für den Wohnungsbau. Eine staatliche Begrenzung der Mieten fördert den Wohnungsneubau nicht. Letztlich wirkt aber bei starker Nachfrage nur ein großes Angebot an neuem Wohnraum nachhaltig preisdämpfend. Ein dritter Gegensatz existiert zwischen dem Wohnungsbau und der Vielzahl von Gesetzen und Verordnungen, die in Deutschland hohe Vorgaben zur Gebäudequalität machen. Dazu gehören beispielsweise Anforderungen an Lärmschutz, Barrierefreiheit oder Stellplätze. Diese verhindern eine rasche Umsetzung von Wohnungsbaumaßnahmen und erhöhen zudem die Baukosten ganz beträchtlich. Wer, wie in den Niederlanden, die Regelungsdichte abbaut, profitiert von stark sinkenden Baukosten. Der vierter Hemmschuh für den Neubau von bezahlbaren Wohnungen sind die CO2-Emissionsziele. Grundsätzlich engagiert sich die RICS weltweit sehr stark für dieses Thema und fördert globale Standards. Allerdings sind die Energiesparstandards in Deutschland im internationalen Vergleich sehr, sehr hoch. Dies belastet insbesondere das günstige Wohnsegment.

Die Aufzählung der verschiedenen Konflikte zeigt: Die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum tangiert eine Vielzahl von anderen gesellschaftlichen Interessen und teilweise auch Partikularinteressen. Daher ist eine gesamtgesellschaftliche Diskussion dringend notwendig, um die bestehenden Zielkonfliktlinien transparent zu machen und sie in ihrer Tragweite zu ver stehen. Diese Diskussion sollte nicht nur von Fachpolitikern, Lobbyisten, eingesetzten Arbeitsgruppen und Bündnissen geführt werden, sondern weit darüber hinaus. Diese Debatte in die Gesellschaft zu tragen ist ein großes Anliegen der RICS, die sich bei ihrer politischen Tätigkeit explizit nicht als Lobby-Vereinigung sieht, sondern als Politikberater, der dem Gemeinwohl verpflichtet ist.

Martin Eberhardt FRICS, Vorsitzender des Vorstands, RICS Deutschland e.V., Frankfurt am Main

Martin Eberhardt , FRICS, Governing Council Member, RICS, und Mitglied des Präsidiums, ZIA Zentraler Immobilienausschuss e.V., Hamburg
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