Wann ist das Füllhorn erschöpft?

Philipp Otto, Chefredakteur, Foto: Verlag Fritz Knapp GmbH

Die Vorgänge rund um Gütersloh lassen den Menschen bewusst werden, dass Corona noch nicht vorbei ist und uns noch lange begleiten wird. Die Sorge vor einem zweiten Lockdown wächst. Und das zu recht, denn die Folgen für die Wirtschaft wären fatal. Viele Unternehmen und Selbstständige würden eine neuerliche Schließung vermutlich nicht verkraften. Und ob Bund und Länder dann noch ausreichend finanzielle Kapazitäten für weitere Hilfsprogramme hätten, ist fraglich. Denn allein die Kosten der ersten Schließung sind enorm. Laut einer Studie des ifo-Instituts lagen die volkswirtschaftlichen Kosten bei partieller Stilllegung der Wirtschaft für eine Dauer von zwei Monaten je nach Szenario zwischen 255 und 495 Milliarden Euro und reduzieren die Jahreswachstumsrate des BIP zwischen 7,2 und 11,2 Prozentpunkte. Bei drei Monaten erreichen sie bereits 354 bis 729 Milliarden Euro und 10,0 bis 20,6 Prozentpunkte Wachstumsverlust. Jede Woche Verlängerung verursacht laut ifo zusätzliche Kosten in Höhe von 25 bis 57 Milliarden Euro.

Bund und Länder stemmen sich den Folgen mit einem milliardenschweren Maßnahmenpaket von historischem Ausmaß entgegen. Laut Bundesfinanzministerium beläuft sich der Umfang der haushaltswirksamen Maßnahmen auf insgesamt 353,3 Milliarden Euro, hinzukommen Garantien in Höhe von 819,7 Milliarden Euro. Corona ist derzeit zwar das dringendste, aber nicht das einzige Problem. Denn die Folgen des Klimawandels werden dadurch zwar überlagert, aber sie sind nach wie vor vorhanden, und zwar dramatisch. Das gilt auch und gerade für die Wohnungswirtschaft, die im Kampf gegen die Klimaerwärmung eine wichtige Rolle spielt.

Allerdings kommt eine neue Studie im Auftrag des Spitzenverbandes der Wohnungswirtschaft GdW, des Deutschen Mieterbundes (DMB) und des Deutschen Verbandes für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung (DV) zu der Erkenntnis, dass die Sanierungsrate im Wohnungsbau gegenwärtig bei lediglich rund einem Prozent notiert. Um die Ziele des Klimaschutzplans 2050 erreichen zu können, muss der Gesamtausstoß der direkten Emissionen des Gebäudesektors an Treibhausgasen bereits bis 2030 um 66 Prozent gegenüber dem Niveau von 1990 reduziert werden. Das entspricht einer Reduktion der jährlichen Ausstöße von aktuell rund 117 Millionen Tonnen auf 70 bis 72 Millionen Tonnen.

Das zeigt, es sind enorme Anstrengungen nötig. Und natürlich ruft die Branche auch in diesem Fall nach dem Staat. Berechnungen der Studie zufolge sind Zuschüsse der öffentlichen Hand in Höhe von 6,1 bis 14,0 Milliarden Euro pro Jahr für die Sanierung vermieteter Wohngebäude erforderlich, um die Klimaziele bei warmmietneutraler Mietanpassung zu erreichen. Berücksichtigt man die aktuell verfügbare KfW-Förderung, liegt der Fehlbetrag immer noch zwischen 5,3 Milliarden und 13,2 Milliarden Euro. Springt die öffentliche Hand nicht ein und hält man an den Klimazielen fest, so die Befürchtung der Auftraggeber der Studie, werden Mieter und Vermieter finanziell derart überbelastet, dass der soziale Frieden in Deutschland in Gefahr gerät.

So nachvollziehbar diese Befürchtung und der Wunsch nach staatlichen Zuschüssen auch ist, all das wirft viele Fragen auf: Wann ist das staatliche Füllhorn, nach dem alle rufen, denn mal erschöpft? Ist es nicht ureigenes Interesse von Vermietern, ihren Gebäudebestand zukunftsfähig aufzustellen? Muss man wieder über sehr viel mehr sozialen Wohnungsbau in Deutschland nachdenken, um die sozialen Spannungen abzumildern? Zeigt der Kapitalismus hier nicht doch, dass die reine Marktorientierung versagt und mehr staatliche Kontrolle notwendig ist? Aber über all das wird schon so lange diskutiert, dass die Hoffnung auf Besserung gering ist. Dann wohl doch lieber zukünftigen Generationen einen enormen Schuldenberg aufbürden. P.O.

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