Implikationen des EuGH-Urteils zur HOAI

Sebastian Schneiker, Senior Associate, Eversheds Sutherland (Germany) LLP, München

Am 4. Juli 2019 ist die lang erwartete Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, Rechtssache C-377/17) zu den Mindest- und Höchstsätzen der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI) gefallen. Die Luxemburger Richter halten die für Deutschland geltenden Begrenzungen für unvereinbar mit EU-Recht, da die HOAI die Dienstleistungsfreiheit in unzulässiger Weise beschränke. In der Bau- und Immobilienbranche hat diese Entscheidung für Aufregung gesorgt, wenngleich ihre Auswirkungen vermutlich weniger gravierend sind, als sie auf den ersten Blick scheinen.

Zunächst die wichtigste Botschaft: Die HOAI ist aufgrund des Urteils nicht automatisch null und nichtig. Was die Entscheidung des EuGH aussagt ist lediglich, dass die in der Ordnung geregelten Höchst- und Mindestsätze gegen EU-Recht verstoßen. Deutschland ist als Mitgliedsstaat der EU nun gemeinschaftsrechtlich verpflichtet, auf die Entscheidung zu reagieren und die HOAI innerhalb der Umsetzungsfrist EU-rechtskonform abzuändern oder aufzuheben. Bis der Verordnungsgeber tätig wird, gilt die HOAI in ihrer jetzigen Form auch weiterhin.

Für Architekten, Ingenieure und deren Auftraggeber, die vor Gericht über Ansprüche wegen Unterschreitung der Mindestsätze oder Überschreitung der Höchstsätze streiten, hat die EuGH-Entscheidung direkte Auswirkungen. Deutsche Gerichte sind bei entsprechenden Prozessen gehalten, das Bundesrecht im Lichte des Gemeinschaftsrechts auszulegen. Im konkreten Fall müssten sie im Rahmen ihrer Entscheidung also berücksichtigen, dass die Mindest- und Höchstsätze der HOAI gegen EU-Recht verstoßen. Bei richtlinienkonformer Anwendung ergeben sich aus dem EuGH-Urteil so verschiedene Neuerungen für Gerichtsverfahren. Eine auf Zahlung des Mindestsatzes gerichtete Honorarklage dürfte beispielsweise keine Aussicht auf Erfolg haben, wenn die Parteien formell wirksam, also schriftlich bei Auftragserteilung, ein Honorar unterhalb der Mindestsätze vereinbart haben. Genauso dürfte es bei einer Klage wegen Überschreitung der Höchstsätze der Fall sein, wenn die Parteien formell wirksam ein Honorar oberhalb der Höchstsätze vereinbart hatten.

Viele Vereinbarungen scheitern in der Praxis jedoch an den formellen Anforderungen, da Honorare oft erst nach Auftragserteilung schriftlich vereinbart und vertraglich festgehalten werden. Nach der HOAI gilt in solchen Fällen stets die unwiderlegliche Vermutung, dass die Parteien eine Vergütung nach Mindestsatz vereinbart hätten. An dieser Regelung hat sich mit dem Urteil des EuGH nichts geändert. Es besteht also kein Anlass, diese Vermutungsregel zu ändern, denn aufgrund der EuGH-Entscheidung wäre grundsätzlich auch die Vereinbarung eines Honorars unterhalb des Mindestsatzes möglich. Dies wird derzeit aber heftig diskutiert. Die Gegenauffassung vertritt die Ansicht, die Vermutungsregel sei ebenfalls unzulässig: Statt der HOAI unter Anwendung des Bürgerlichen Gesetzbuches sei die übliche Vergütung als vereinbart an zusehen. Was hier als "üblich" bezeichnet wird, dürfte im Ergebnis wiederum dem Mindestsatz nach HOAI entsprechen.

Was muss aufgrund der EuGH-Entscheidung beim Abschluss künftiger Architekten- und Ingenieurverträge nun konkret beachtet werden? Nachdem die Honorarordnung nicht als Ganzes für europarechtswidrig erklärt wurde, sondern nur ihre Mindest- und Höchstsätze, kann bei der Vertragsgestaltung nach wie vor auf die HOAI Bezug genommen und diese zur Preisfindung herangezogen werden. Alles in allem müssen Architekten und Ingenieure bei Verträgen aus der Hand des Auftraggebers jetzt allerdings noch genauer prüfen, dass sie kein Honorar unterhalb der Mindestsätze vereinbaren. Sie werden nämlich nicht mehr durch die HOAI geschützt und sind bei formell wirksamer Vereinbarung auch an eine unterhalb der Mindestsätze liegende Honorarvereinbarung gebunden. Gleiches gilt umgekehrt für Auftraggeber bei Überschreitung der Höchstsätze.

Eine Aufhebung der Mindest- und Höchstsätze bringt allerdings auch Chancen, wie beispielsweise im Wettbewerb mit ausländischen Auftragnehmern, da deutsche Architekten und Ingenieure ihre Leistungen hiermit grundsätzlich auch unterhalb der Mindestsätze anbieten dürften. Die Frage ist natürlich, ob dies dann zu jenem ruinösen Preiswettbewerb führen kann, den die HOAI durch ihre Mindestsätze ursprünglich verhindern wollte. Klar dagegen spricht die derzeit aufgrund hoher Nachfrage günstige Marktlage für Architekten und Ingenieure. Mit einem Preisdumping ist zunächst also nicht zu rechnen.

Sebastian Schneiker, Senior Associate, Eversheds Sutherland (Germany) LLP, München

Sebastian Schneiker , Senior Associate, Eversheds Sutherland (Germany) LLP, München
Noch keine Bewertungen vorhanden


X