Die Falken melden sich zurück

Philipp Hafner, Quelle: Verlag Helmut Richardi

In der freien Natur nehmen die meisten Falkenbestände seit Jahrzehnten kontinuierlich ab. Und auch in der Geldpolitik sind sie im Nachgang der globalen Finanzkrise 2007/ 2008 zu einer stark bedrohten Art geworden. Im Fall der Europäischen Zentralbank (EZB) konnten sie nun aber ein wichtiges Lebenszeichen von sich geben. Denn inmitten des Ukraine-Kriegs kündigte der EZB-Rat im Anschluss an seine jüngste, mit Spannung erwartete Sitzung vom 10. März überraschend den beschleunigten Ausstieg aus seinen billionenschweren Anleihekäufen an.

Demnach wird das Asset Purchase Programme (APP) infolge des zum 31. März beendeten Pandemic Emergency Purchase Programme (PEPP) ab 1. April auf 40 Milliarden Euro verdoppelt - allerdings nicht wie ursprünglich vorgesehen für das gesamte zweite Quartal. Stattdessen soll das Ankauftempo bereits im Mai wieder auf 30 Milliarden Euro (vorher: ganzes Q 3) und im Juni schließlich auf seinen Ausgangswert von monatlich 20 Milliarden Euro (vorher: ganzes Q 4) reduziert werden. Ein konkretes Enddatum für das APP blieb der Rat zwar weiter schuldig. Dass es noch im dritten Quartal liegt, ist derzeit aber das wahrscheinlichste Szenario - was dann wiederum auch die Tür für eine erste Zinserhöhung noch im laufenden Jahr öffnen würde.

Realkredite: Konditionen Stand 23. März 2022 Quelle: Interhyp AG

"Der Einmarsch Russlands in die Ukraine markiert einen Wendepunkt für Europa", gab EZB-Präsidentin Christine Lagarde bei der Pressekonferenz zu Protokoll. Der Krieg werde dabei sowohl auf Wachstum als auch Inflation "signifikante Auswirkungen" haben. Deshalb schraubte die EZB für ihr Basisszenario die Wachstumserwartung in der Eurozone 2022 um 0,5 Punkte auf 3,7 Prozent zurück. Für die Inflation erwartet sie nun 5,1 anstatt bislang 3,2 Prozent. Dass die EZB in dieser Zwickmühle aus Wachstumssorgen und verschärftem Inflationsdruck Letzterem Vorrang einräumt, ist ein gutes und wichtiges Signal. Die EZB wäre aber nicht die EZB, wenn sie sich dabei nicht immer auch alle Optionen auf dem Tisch behielte: "Wir haben uns wegen der maximalen Unsicherheit eine maximale Flexibilität vorbehalten", betonte Lagarde. Die allem Anschein nach wiedererstarkten Falken im EZB-Rat werden hoffentlich sicherstellen, dass das vorrangige Ziel der Preisstabilität dabei stets im Fokus aller Überlegungen steht.

In den USA ist die Zinswende dagegen bereits offiziell eingeleitet worden. Die US-Notenbank Fed hat auf ihrer Sitzung vom 16. März den Leitzins um 25 Basispunkte angehoben. Angesichts einer schwindelerregend hohen Inflationsrate von zuletzt 7,9 Prozent blieb den Mitgliedern des Federal Open Market Committee (FOMC) auch kaum etwas anderes übrig. Und dabei wird es nicht bleiben: So stellten die US-Notenbanker für jedes der sechs noch anstehenden Treffen in diesem Jahr Zinserhöhungen in Aussicht - auch jenseits des Atlantiks scheinen somit die Falken zunehmend das Zepter zu übernehmen. Keinen Zweifel ließen die FOMC-Mitglieder zudem daran, die Inflation notfalls auf Kosten des Wirtschaftswachstums zu bekämpfen. Das zeigt sich insbesondere in den langfristigen Zinsprognosen: Mit einem Leitzins von 3,00 Prozent bis Ende 2023 peilt die US-Notenbank eindeutig die Rückkehr in restriktiveres geldpolitisches Terrain an.

Die spannende Frage wird sein, ob die US-Wirtschaft stark genug ist, um derart hohe Zinsen zu verkraften. Fed-Präsident Jerome Powell zeigte sich diesbezüglich jedenfalls ziemlich optimistisch. Eine andere Sprache spricht hingegen die US-Zinskurve. Die nämlich invertierte im Anschluss an Powells Statement, was sich in der Vergangenheit stets als sehr zuverlässiger Vorbote einer Rezession herausstellte. So hat eine inverse Kurve in den vergangenen 60 Jahren jede Rezession korrekt vorhergesagt, auch die jüngst durch die Pandemie verursachte. Der letzte Strohhalm, an den sich Volkswirte in einer solch scheinbar ausweglosen Situation gerne klammern, ist das gute, alte "Diesmal-ist-alles-anders-Syndrom". Vielleicht erweist es sich ja diesmal als richtig. ph

Philipp Hafner , Leitender Redakteur, Immobilien & Finanzierung , Helmut Richardi Verlag

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