Die Getriebenen

Philipp Hafner, Quelle: Verlag Helmut Richardi

Es war ein höchst ungewöhnliches Bild, das sich da in den vergangenen Wochen am Anleihemarkt bot. Erstmals seit mehreren Jahren konnten wieder steigende Renditen auf Staatsanleihen großer Industrienationen beobachtet werden. Und teilweise fielen diese richtig kräftig aus: In den USA etwa sprang die Rendite zehnjähriger US-Treasuries Mitte März über die Marke von 1,70 Prozent, nachdem sie zu Jahresbeginn noch unter 0,95 Prozent gelegen hatte. Aber auch ihr deutsches Pendant, die zehnjährige Bundesanleihe, stieg temporär relativ deutlich auf knapp minus 0,20 Prozent an - ausgehend von minus 0,60 Prozent zum Jahresanfang.

Realkredite: Konditionen Stand 22. März 2021 Quelle: Interhyp AG

Zurückzuführen ist dies im Wesentlichen auf zwei eng miteinander verbundene Entwicklungen an den Finanzmärkten: Zum einen ist dort eine deutliche Aufhellung der Konjunktur inzwischen mehr oder weniger Konsens. Zugleich zeigen sich aber immer mehr Anleger zunehmend besorgt darüber, dass die damit potenziell einhergehende Beschleunigung der Inflation einen Rückzug der geldpolitischen Unterstützung auslösen könnte.

Und wie es in solchen Momenten der Unsicherheit längst üblich ist, blickten die Marktteilnehmer auch diesmal gebannt auf die Reaktion der Notenbanken. Ihre Hoffnung: Ein Zeichen der Beruhigung, dass die Party noch möglichst lange so weitergeht. Und - auch daran hat man sich in gewisser Weise gewöhnt - Lagarde und Co. taten ihnen den Gefallen. So fielen letztlich alle im März anstehenden Auftritte von EZB, Fed, Bank of England und Bank of Japan mehr oder weniger dovish aus.

Christine Lagarde etwa betonte ausdrücklich die mit dem Renditeanstieg einhergehende Gefahr einer Verschlechterung der Finanzierungsbedingungen für die Eurostaaten, was sich wiederum negativ auf den mittelfristigen Inflationspfad auswirken könnte. Die EZB wird deshalb mit einer signifikanten Beschleunigung der PEPP-Anleihekäufe im zweiten Quartal reagieren. Genau festlegen wollte sie sich diesbezüglich nicht, die Stoßrichtung ist aber klar: Die qua definitionem "hohe Flexibilität" des PEPP-Programms wird in den kommenden Monaten stärker zum Tragen kommen und die bislang noch ungenutzten rund eine Billion Euro aus dem Programm werden mit einem deutlich höheren Tempo in den Markt gepumpt als zuletzt geschehen.

Darüber hinaus steht die EZB weiter bereit, bei Bedarf all ihre Instrumente anzupassen. Hierzu gehört explizit auch eine nochmalige Ausweitung des derzeit maximal 1,85 Billionen Euro umfassenden PEPP. Kritiker der EZB-Politik müssen es somit wohl oder übel schon als "Erfolg" verbuchen, dass ebendiese Anhebung der PEPP-Obergrenze nicht bereits Realität ist. Davon abgesehen reiht sich die Ratssitzung nahtlos ein in die Zurschaustellung einer immer offensichtlicher werdenden Getriebenheit der Notenbanken. Jedes nur noch so kleine Indiz für einen Exit - und schon ist an den aufgeblähten Märkten der Teufel los. Das wiederum setzt die Geldpolitik dermaßen unter Zugzwang, dass deren Rationalität zunehmend auf der Strecke zu bleiben droht.

Den Anstieg der Anleiherenditen etwa muss man nur einmal nüchtern in einen größeren Kontext setzen: Selbst die zehnjährigen griechischen Staatsanleihen lagen zu Redaktionsschluss noch immer unter einem Prozent. Insgesamt gesehen sind die Renditen aller Euro-Staatsanleihen nach wie vor in negativem Terrain. Europa lebt damit also unverändert in einem historisch einzigartigen Niedrigzinsumfeld. Wer da bereits einen Renditeanstieg von rund 0,3 Prozentpunkten zur Gefahr für die Erholung der Eurozone erklärt, übertreibt schlichtweg. Die seit dem Ausbruch der Finanzkrise um sich greifende Hybris, Weltenretter spielen zu müssen, scheinen die Notenbanker einfach nicht mehr ablegen zu können. Was es in dieser Phase aber eigentlich bräuchte, ist etwas mehr Zurückhaltung, die Rückbesinnung auf das übergeordnete Ziel der Preisniveaustabilität und natürlich die verstärkte Inpflichtnahme der Fiskalpolitik. ph

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