"Pandemic" oder "Permanent"?

Philipp Hafner, Quelle: Verlag Helmut Richardi

Von Otmar Issing, dem ersten Chefvolkswirt der EZB, ist die Anekdote überliefert, dass ihn seine Mutter in den ersten Jahren der Währungsunion gerne anrief, um sich nach seinem Befinden im neuen Amt zu erkundigen. Und wenn die EZB den Leitzins eine Weile nicht mehr verändert hatte, fragte sie auch recht unverblümt: "Arbeitet ihr denn gar nichts mehr? Ihr habt die Zinsen schon so lange nicht mehr verändert."

Sollte die Verwandtschaft der heutigen EZB-Entscheider dieselben Maßstäbe anlegen, wird es für diese zunehmend ungemütlich, denn der Leitzins verharrt nun wirklich schon sehr, sehr lange - genau genommen seit dem 16. März 2016 - bei exakt 0 Prozent und eine Änderung ist weiter nicht in Sicht. Daraus aber zu schlussfolgern, die europäischen Währungshütern seien untätig, ginge aber dennoch etwas zu weit. Schließlich wurden und werden seit geraumer Zeit mit großem Eifer neue, teils sehr unkonventionelle Instrumente aus dem geldpolitischen Werkzeugkasten gekramt, die den Leitzins als zentrales Element zur Beurteilung der Geldpolitik im Prinzip längst den Rang abgelaufen haben.

Jüngstes Beispiel dafür ist das als Antwort auf die Corona-Krise am 26. März 2020 gestartete Notfallanleihekaufprogramm PEPP. Und tatsächlich hat der EZB-Rat diesbezüglich auf seiner ersten Sitzung nach der Sommerpause direkt einen weiteren "Arbeitsnachweis" erbracht. So kündigten Lagarde & Co an, den Umfang der zuletzt monatlich rund 80 Milliarden Euro umfassenden PEPP-Käufe im vierten Quartal wieder leicht zu reduzieren. Um wie viel genau, wurde offen gelassen, es wird vermutlich aber auf ein Volumen irgendwo in der Bandbreite zwischen 60 und 80 Milliarden Euro pro Monat hinauslaufen. Unter dem Strich ist das also eine Maßnahme mit sehr überschaubarer Wirkung, und doch könnte sie in der Rückschau vielleicht einmal symbolisch für den ersten zaghaften Trippelschritt raus aus dem (akuten) Krisenmodus stehen. Dass die Zeit dafür (über)reif ist, belegt einerseits die anhaltend robuste und dabei unerwartet starke Konjunkturerholung, andererseits der mindestens ebenso unerwartet hartnäckige Inflationsdruck: Während das BIP der 19 Eurostaaten im zweiten Quartal und Juni um respektable 2,2 Prozent wuchs, kletterte die Inflation im August abermals kräftig auf 3,0 Prozent und damit den höchsten Stand seit fast zehn Jahren.

Eine Krise sieht nun wirklich anders aus und damit entfällt so langsam aber sicher die Daseinsberechtigung für das Ende 2020 ohnehin bereits einmal voreilig verlängerte (bis Ende März 2022) und aufgestockte (auf 1,85 Billionen Euro) PEPP. Alles andere als eine fristgerechte Einstellung wäre im Prinzip eine Realitätsverweigerung beziehungsweise ließe nur den Schluss zu, dass der Rat - wie von Bundesbank-Präsident Jens Weidmann befürchtet - unter dem ersten "P" in PEPP inzwischen mehrheitlich "permanent" anstatt "pandemic" versteht. Und so bahnbrechend ein vollständiger Abschied von PEPP mitunter erscheinen mag - nüchtern betrachtet wäre es noch nicht einmal der Beginn des viel zitierten Tapering. Dafür müsste schon eine Drosselung des parallel munter weiter laufenden "Evergreen" APP (Asset Purchase Pogramme) ins Visier genommen werden, und das steht ja überhaupt nicht zu Debatte. Insofern kann man schon erwarten, dass die EZB spätestens im Dezember den Mut aufbringt, hier Nägel mit Köpfen zu machen. Ansonsten wäre der Vorwurf der Untätigkeit vielleicht doch gar nicht so unangemessen.

Unterdessen ist auch die Fed beim Thema "Tapering" noch nicht so wirklich in die Gänge gekommen. Zwar hatte Jerome Powell im August angekündigt, dass die Anleihekäufe vielleicht noch in diesem Jahr reduziert werden könnten. Seitdem warten die Marktteilnehmer aber auf einen konkreten Fahrplan und auf der jüngsten Fed-Sitzung vom 22. September blieb ihn Powell erneut schuldig. Er sprach nur höchst vage davon, dass der Tapering-Prozess "bald" beginnen würde. Auch in den USA läuft es an dieser Stelle also auf einen Marathon anstatt eines Sprints hinaus. 

Realkredite: Konditionen Stand 27. September 2021 Quelle: Interhyp AG
Philipp Hafner , Leitender Redakteur, Immobilien & Finanzierung , Helmut Richardi Verlag

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