Spiel mit dem Feuer

Philipp Hafner, Quelle: Verlag Helmut Richardi

Zinsen begleiten die Menschen schon seit vielen Tausenden von Jahren. Die ältesten Beweisstücke für ihre Existenz datieren bis zirka 2 400 vor Christus zurück, als sumerische Gläubiger Zins und Zinseszins von ihren Schuldnern als Gegenleistung für vorübergehend überlassenes Kapital verlangten. Historiker vermuten allerdings, dass die tatsächlichen Anfänge sogar noch viel weiter zurückreichen könnten. So spricht einiges dafür, dass Menschen bereits in der Jungsteinzeit ab 11 000 vor Christus mit dem Zins vertraut waren.

Realkredite: Konditionen Stand 25. August 2020 Quelle: Interhyp AG

Anno 2020 hat es allerdings den Anschein, als ob dieses vermeintlich untrennbar mit der menschlichen Entwicklung verbundene Konzept langsam aber sicher an sein Ende gekommen ist. Hauptverantwortlich dafür sind die Zentralbanken, die zur Bekämpfung der Corona-Krise rund um den Globus unisono auf einen ultraexpansiven Kurs eingeschwenkt sind. Besonders eindrücklich zeigt sich dies am Beispiel der G10-Staaten: Wie die DZ Bank ermittelt hat, ist für diese Gruppe zehn führender Industrienationen der durchschnittliche Leitzins von gut drei Prozent zu Beginn des Jahres 2020 auf zuletzt gerade einmal noch 0,05 Prozent gefallen.

Flankiert wurden diese Zinssenkungen bekanntlich mit einer massiven Ausweitung der meisten Zentralbankenbilanzen. Ob EZB, Fed, Bank of England, Bank of Japan oder die Schweizerische Notenbank: Sie alle weiteten ihre Bilanzsummen innerhalb weniger Wochen um mehrere Billionen aus und die Palette der angekauften Assets wird dabei immer bunter. Die Europäische Zentralbank etwa wird allein in diesem Jahr zusätzliche Staats- und Unternehmensanleihen mit einem Volumen von über eine Billion Euro ankaufen. Die Fed kauft seit Kurzem ebenfalls Unternehmensanleihen, darunter sogar solche im Non-Investment-Grade-Bereich. Dadurch ist die Bilanzsumme der US-Notenbank seit Beginn der Corona-Krise von 4,2 auf rekordhohe sieben Billionen US-Dollar förmlich explodiert, die der EZB wuchs ebenfalls dynamisch von 4,7 auf mehr als 6,4 Billionen Euro an.

Die naheliegende Konsequenz dieser Geldpolitik: Das Geldmengenwachstum hat sich stark beschleunigt. Im europäischen Währungsraum betrug es für die Geldmenge M3, die Bargeld, Girokontenguthaben und andere geldnahe Bankeinlagen umfasst, zuletzt 9,2 Prozent. Und es wird sich dabei aller Voraussicht nach nicht lediglich um ein kurzfristiges Phänomen handeln: Das Corona-Anleihekaufprogramm PEPP läuft noch mindestens bis Mitte nächsten Jahres und dürfte danach - Hand aufs Herz - in der ein oder anderen Form verlängert werden. Schließlich deutet nichts darauf hin, dass die Adressaten dieser Hilfsmaßnahmen nur temporär auf (noch) mehr Schulden angewiesen wären. Zudem existieren in den meisten Ländern keine funktionierenden Schuldenbremsen, die in diesem Zusammenhang zumindest eine kleine disziplinierende Wirkung entfalten könnten.

Kurzum: Der nicht zu bändigende Kredithunger der Staaten gepaart mit der hohen Bereitwilligkeit einer EZB, diesen zu stillen, werden die Geldmenge noch sehr lange Zeit stark steigen lassen. Und das daraus resultierende Zuviel an Liquidität ist ein Spiel mit dem Feuer, da können Lagarde & Co. noch so sehr auf die angeblichen Deflationsrisiken in der Eurozone abstellen. Mag sein, dass sie sich am Ende tatsächlich nicht in einer überbordenden Inflation niederschlägt. Definitiv aber leistet die EZB damit der Blasenbildung an den Finanz- und Immobilienmärkten immer weiter Vorschub - die Entwicklungen der vergangenen Wochen dürften diesbezüglich nur ein kleiner Vorgeschmack gewesen sein.

Auf dem Wohneigentumsmarkt näherten sich die Finanzierungsbedingungen für Häuslebauer zuletzt trotz der Corona-bedingt gestiegenen Risiken wieder ihrem Allzeittief an: Nach Angaben von Interhyp fielen die Zinskonditionen für zehnjährige Baudarlehen im Verlauf des Julis um 0,1 Prozentpunkte auf nur noch 0,7 Prozent. Bei entsprechender Bonität liegen die Bestsätze aktuell sogar bei rund 0,6 Prozent und damit fast gleichauf mit dem bisherigen Allzeittief aus dem März 2020. ph

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