EXPO REAL-SPECIAL

ANALOG UND DIGITAL HAND IN HAND - ERFOLGSFAKTOREN FÜR DIGITALE IMPLEMENTIERUNGEN

Martin Czaja, Foto: BEOS AG

In jeder Krise steckt auch eine Chance, heißt es bekanntlich. Mit Blick auf die Covid-19-Pandemie scheint diese Binsenweisheit insbesondere auf die digitale Transformation vieler Branchen zuzutreffen. Die deutsche Immobilienwirtschaft bildet in diesem Zusammenhang keine Ausnahme, schließlich tritt der Mehrwert digitaler Lösungen auch hier nun deutlich zutage. Nahezu alle Branchenakteure sehen zudem digitale Prozesse inzwischen als notwendigen Wettbewerbsvorteil an. Doch in die Aufbruchstimmung mischen sich weiterhin Skepsis und Vorbehalte mit ein. Sie finden wohl erst dann ein Ende, wenn eine umfassende digitale Lösung erfolgreich in Betrieb genommen werden konnte. Dass dies gelingt, hängt nach Einschätzung der Autoren weitaus mehr von menschlichen als von technischen Faktoren ab. Red.

Digitalisierungsstudien mit Immobilienbezug, etwa die von EY und ZIA, machen immer wieder eines deutlich: Sobald effektive Tools und eine hohe Nutzeridentifikation zusammenkommen, gelingt Digitalisierung. Andernfalls nicht. Die im Rahmen der vierten EY/ZIA-Studie befragten Branchenakteure nannten weder unausgegorene Proptech-Produkte noch die mangelnde Leistungsfähigkeit der eigenen IT-Infrastruktur als Haupthemmnisse der Digitalisierung.

Tatsächlich beziehen sich alle häufig genannten Gründe auf mangelnde Kenntnis und fehlende Kommunikation: sei es die mangelnde Kompetenz (68 Prozent), das defizitäre Wissen um die passende Stelle im Geschäftsmodell (60 Prozent) oder das Vorurteil zu hoher Investitionskosten (55 Prozent). Auf Basis dieses Befundes empfahl McKinsey in einer Studie zu Künstlicher Intelligenz (KI) bereits 2017, gezielte Kooperationen zwischen etablierten Unternehmen und digitalen Dienstleistern, in diesem Fall Proptechs, einzugehen.

Einbettung in eine Gesamtstrategie

Jede Implementierung eines neuen Tools muss sich in die übergeordnete Digitalstrategie des Unternehmens einfügen. Eine für Projektentwickler, Bestandshalter oder Asset Manager naheliegende Strategie ist die des "digitalen Zwillings". Sie besagt: Alle Objekte im jeweiligen Portfolio haben ein identisches Pendant in einer digitalen Plattform - als Modell mit allen verfügbaren Informationen von Verträgen über Messwerte bis hin zur Verwaltung des Cashflows.

Doch wo anfangen? Die Frage ist in der Regel einfach zu beantworten - zumindest dann, wenn die Digitalisierungsstrategie KI mitberücksichtigt. KI in ihrer Variante Machine Learning ist ein Effizienztreiber bei massenhaft anfallenden, repetitiven und standardisierten Geschäftsvorgängen. Natürliche Ansatzpunkte finden sich also bei der Immobilienverwaltung: Das Property Management mit seinen Mietverträgen und Dauerrechnungen bietet sich als Einstiegsfeld ebenso an wie das Facility Management mit seinen wiederkehrenden Dokumenten wie Messwerten oder Wartungsprotokollen.

Entscheidungshilfe für Asset Manager

KI-Tools können die digital vorliegenden Dokumente korrekt benennen und im bestehenden Dokumentenindex richtig zuordnen. Wo kein Index besteht, kann der jüngst erschienene gif-Datenstandard mit 164 verschiedenen Dokumentenklassen zur Hilfe genommen werden. Neben der automatisierten Kategorisierung ist es allen voran die Nutzbarmachung der im Dokument enthaltenen Angaben, die KI ermöglicht. Erst dann beginnt Digitalisierung im Sinne von Big Data, wenn Datenpunkte im PDF erkannt und dadurch Verknüpfungen zwischen Vorgängen ermöglicht werden.

KI-Tools erlauben also per Knopfdruck umfangreiche Einblicke in das Portfolio. Sie werden damit zur maßgeblichen Entscheidungshilfe im Asset Management. Zudem ist eine systematische digitale Aufarbeitung der Dokumente nicht nur transparenter, sondern auch sicherer. Einheitliche Formate und funktionierende Schnittstellen sorgen wiederum für schlankere Verwaltungsprozesse, sodass sich Asset und Property Manager stärker auf ihre Kernkompetenzen konzentrieren können und damit perspektivisch für eine bessere Performance der Immobilieninvestments oder auch für eine höhere Servicequalität gegenüber Mietern und Investoren sorgen. Eine lückenlose Dokumentation kann aber auch den Objekt- beziehungsweise Portfoliowert selbst steigern und sichert zudem Zeitvorteile, beispielsweise im Rahmen einer anstehenden Transaktion. Für Investoren wiederum ergibt sich der große Vorteil, dass die größere Datentransparenz für eine stärkere Unabhängigkeit sorgt - und dass die Qualität sämtlicher relevanter Immobiliendienstleistungen detaillierter und objektiver beurteilt werden kann.

Proptechs als Partner auf Augenhöhe

Je umfangreicher die digitale Lösung, desto partnerschaftlicher sollte der Austausch zwischen Immobilienunternehmen und Proptech erfolgen. Das bedeutet, dass das Proptech im Idealfall neben seiner Rolle als Hersteller und Lieferant der Software auch eine Position des Beraters und Begleiters bei der Etablierung digitaler Prozesse einnehmen sollte. Liegen ein umfangreicher Track Record beim Proptech und ausreichend Erfahrung beim Immobilienunternehmen vor, kann die Implementierung mittels erfahrener Teammitglieder reibungslos erfolgen. Für den Fall, dass beide noch wenig Projekterfahrung mitbringen, ist ein externer Kommunikator empfehlenswert, der diese Implementierungsarbeit begleitet. Auf Prozess- und Change-Management spezialisierte Berater können hierbei als kommunikative Schnittstelle zwischen Immobilienunternehmen und Proptech dienen.

Partnerschaftliche Zusammenarbeit umfasst vertrauensvolle Maßnahmen. Hierzu zählen flexible Budgetanpassungen, wenn der ein oder andere Teilprozess länger dauert als vorgesehen. Regelmäßige Stundenaufstellungen oder Provisionsregelungen für den Dienstleister sind kein Garant für einen erfolgreichen Prozess.

Heimische Anbieter im Vorteil

Nach Identifizierung des passenden Geschäftsprozesses erfolgt die Auswahl des geeigneten Dienstleisters. Im Hinblick auf den späteren Implementierungsprozess empfehlen sich heimische Anbieter. Die Vorteile liegen im sprachlichen Verständnis, der Kundennähe für spontane Besprechungen und der Vertragssicherheit. In Deutschland befindliche Server und DSGVO-konforme Lösungen garantieren außerdem höchste datenschutzrechtliche Standards.

Bei der Auswahl des Tools sollten die intuitive Anwendbarkeit und ein ansprechendes Design nicht unterschätzt werden. Mitarbeiter übertragen ihre privaten Erfahrungen mit digitalen Lösungen, insbesondere mit aufwendig gestalteten Apps, auf ihre beruflich genutzten Instrumente. Das Tool muss sich am Nutzer ausrichten und nicht umgekehrt. Zu den obligatorischen Bedienungshilfen zählen daher Drag and Drop-Funktionen, mobile Verfügbarkeit, responsives Design, Such- und Filterfunktionen sowie eine browserbasierte Anwendung.

Gemischte Teams im Sinne der Agilität

Gemischte Teams sind in der Entwicklungsphase der Garant für eine simple Handhabung der neuen Software. Zu den ersten Nutzern darf demensprechend nicht nur die IT-Fachabteilung mit dem jeweiligen Proptech als Dienstleister zählen, sondern gerade auch Mitarbeiter ohne tiefere IT-Kenntnisse. Erst ihre Mitarbeit am Tool führt ohne großen Schulungsaufwand zur breiten Akzeptanz digitaler Prozesse im Unternehmen. Mitarbeit ist hierbei im Sinne der gemeinsamen Entwicklung des Tools zu verstehen.

Agile Methoden wie beispielsweise Scrum definieren klare Rollen und Prozesse im Team, die unabhängig von der jeweiligen Unternehmensposition sind. Ohne hierarchische Struktur, sondern mit viel Gestaltungsfreiheit aller Teammitglieder, liegen Entscheidungen nicht bei den Projektleitern, sondern werden gemeinsam gefällt. Es empfiehlt sich ebenfalls, operative und strategische Ebenen nicht miteinander zu vermischen. Wer gemeinsam daran arbeitet, dass das Tool den größten Nutzen entfaltet, sollte nicht Detailarbeiten zu Preiskalkulationen vornehmen.

Für Pilotprojekte und erstmalige Kooperationen zwischen Unternehmen und Proptech gilt: Die gemischte Zusammensetzung der Implementierungsteams, die Notwendigkeit regelmäßiger Feedbackrunden und die individuelle Konfigurierung der Lösung tragen wesentlich zur erfolgreichen Implementierung bei. Vor der eigentlichen Produktivsetzung ausreichend Zeit zu investieren ist nicht nur ratsam, sondern in vielen Fällen auch geboten. Der Vorteil: Das fertige Tool umfasst bereits viele gemeinschaftlich entwickelte Features.

Gut Ding will Weile haben

Kennen sich beide Partner schon seit einiger Zeit oder weisen umfangreiche Erfahrungen mit agiler Softwareimplementierung auf, kann ein Implementierungsprozess innerhalb weniger Wochen abgeschlossen sein. Bei einer kooperativen Entwicklung des Tools kann sogar auf einen detaillierten Leistungskatalog verzichtet werden. Dieser ist aufgrund seiner allzu formalisierten Struktur gegebenenfalls sogar ein Hindernis, da viele Anforderungen und Wünsche sich erst während der gemeinsamen Zusammenarbeit ergeben.

Für die gesamte Entwicklungs- und Implementierungsphase kann auf beiden Seiten im Rahmen der Budgetplanung ein eigener Kostenblock für Forschung und Entwicklung (F & E) angesetzt werden, mit dem das Team eigenständig zum Beispiel eine notwendige Softwareanpassung umsetzen kann. Denn die gemeinsamen Überlegungen und Verbesserungen der Lösung sind zwangsläufig mit schlankeren und vereinfachten Geschäftsprozessen und damit einer höheren Effizienz und Nutzerakzeptanz verbunden. Ein F & E-Budget kann also eine gute Alternative zu teuren externen Unternehmensberatungen sein, die ohne Zuhilfenahme der Mitarbeiter auf Kundenseite Optimierungspotenziale im Unternehmen aufweisen.

Mehr Zeit für Mieter

Im Idealfall geht die neu erworbene Lösung für den digitalen Prozess also einher mit effizienteren Vorgängen, die gemeinsam mit dem Proptech im eigenen Unternehmen entwickelt wurden. So wird die Software auch zum Motor für einen verstärkten Teamgeist. Gleichzeitig nehmen alle Teammitglieder teil an diesen wichtigen Veränderungsprozessen hin zum "digitalen Zwilling" - und mit jedem Schritt in Richtung Digitalität optimieren sie nicht nur ihre eigenen Arbeitsbedingungen, sondern treiben auch den notwendigen Strukturwandel der Immobilienbranche ein Stück weit voran. Durch den sinnvollen Einsatz von KI wird das Asset Manage-ment von Routinearbeiten entlastet und kann sich stärker wertschöpfenden Aktivitäten widmen, vor allem den Mietern als Kunden.

DER AUTOR
MARTIN CZAJA
Sprecher des Vorstands, BEOS AG, Berlin
 
DER AUTOR
MAURICE GRASSAU
CEO, Architrave GmbH, Berlin
LinkedIn
Martin Czaja , Sprecher des Vorstands , BEOS AG, Berlin
Maurice Grassau , Gründer und CEO, Architrave GmbH, Berlin

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