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AUFSICHTS- UND BEIRÄTE VON IMMOBILIENGESELLSCHAFTEN: SPIEGEL WACHSENDER KOMPLEXITÄT

Prof. Dr. Tobias Just, Foto: REBS_Hans-Juergen Heyer

"Ein starkes Aufsichtsorgan ist nicht nur dafür gedacht, etwas zu vermeiden, sondern auch, um etwas zu bewirken." Diesem von Fredmund Malik formulierten Anspruch an die Kontrollgremien von Unternehmen gerecht zu werden, ist gerade in so schnelllebigen Zeiten wie diesen eine enorme Herausforderung. Umso wichtiger ist ein möglichst hoher Professionalisierungsgrad. Wie die Immobilienwirtschaft diesbezüglich aufgestellt ist, eruieren die Autoren des vorliegenden Beitrags. Nicht zuletzt mit Blick auf die beiden Megatrends Nachhaltigkeit und Digitalisierung sehen sie dabei durchaus noch Aufholpotenzial. Red.

Aufsichtsräte haben die Aufgabe, den Vorstand beziehungsweise die Geschäftsführung eines Unternehmens in deren Arbeit und im Sinne der Anteilseigner zu kontrollieren und zu beraten, beziehungsweise die Interessen des Unternehmens treuhänderisch in ihrer Gesamtheit zu wahren. Dadurch soll der langfristige Unternehmenserfolg des Unternehmens sichergestellt werden. Damit ein Aufsichtsrat diese wichtigen Unternehmensaufgaben gut wahrnehmen kann, muss er bezüglich Qualifizierung, Erfahrung und Persönlichkeit individuell sowie in der Zusammensetzung als Team gut aufgestellt sein.

Die Einrichtung des Aufsichtsrats folgt hierbei je nach Gesellschaftsform und Anzahl der Mitarbeiter aus dem Gesetz - zwingend ist ein Aufsichtsrat bei Aktiengesellschaften aufgrund § 95 ff. AktG, bei GmbHs zwingend ab 500 Mitarbeitern und je nach Anzahl der Mitarbeiter auch zwingend mit Arbeitnehmervertretern. Wo ein Aufsichtsrat nicht obligatorisch nach Gesetz ist, kann eine Gesellschaft ihn durch Satzung oder schuldrechtliche Vereinbarung errichten. Bei Aufsichtsräten kleinerer GmbHs (mit regelmäßig weniger als 500 Mitarbeitern) handelt es sich um freiwillige und gesetzlich nicht vorgeschriebene Gremien, die sich typischerweise darauf beschränken, die Geschäftsleitung zu beraten und Netzwerke zur Verfügung zu stellen. Auch Beiräte sind freiwillig eingerichtete Gremien, bei denen die beratende Funktion im Vordergrund steht.

Eine langfristig wertvolle Investition

Ein effektiv arbeitender Aufsichts- oder Beirat ist sowohl kurz-, vor allem aber langfristig eine wertvolle Investition in die Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens. Aufsichtsräte müssen ihre Arbeit effektiv definieren und ausgestalten, um den Herausforderungen ihres Unternehmens begegnen zu können. Hierzu gehört beispielsweise die Struktur und Zuständigkeiten im Aufsichtsrat, die Instrumente des Aufsichtsrats (zum Beispiel Agenda, Informationen und Arbeitsprozesse) sowie die angestrebte Arbeitsweise und Kultur.

Doch wie lässt sich bestimmen, ob ein Aufsichtsrat gut und effektiv arbeitet? Nach David Nadler (2004) sollte sich ein Unternehmen bei dieser Beurteilung zu fünf Aspekten Gedanken machen. Erstens erledigt der Aufsichtsrat die richtigen Aufgaben? Hierfür ist es sinnvoll, ein Bewertungsschema zu erstellen, das zum Beispiel die Themen Strategie, Personalangelegenheiten, Finanzmanagement, Risikomanagement, Vertretung des Unternehmens nach außen, Corporate Governance und natürlich Überwachung der operativen Tätigkeiten umfasst. Jede dieser Kategorien kann eine unterschiedlich wichtige Rolle für einen Aufsichtsrat spielen; es sollte aber frühzeitig geklärt sein, was die Erwartungen der Gesellschafter an den Aufsichtsrat sind, damit die einzelnen Aspekte innerhalb der Aufgabenmatrix richtig gewichtet werden können.

Zweitens müssen natürlich die richtigen Leute zusammenkommen, die über hinreichend viel Erfahrung und eine angemessene fachliche Qualifizierung verfügen. Gerade für die Kontrollfunktion sind hier juristische und betriebswirtschaftliche Kenntnisse sowie das Verständnis des Geschäftsmodells des Unternehmens elementar. Die Struktur vieler Aufsichtsräte spiegelt diese Anforderungen: Wir haben uns beispielhaft die Lebensläufe der Aufsichtsräte von elf Immobilienaktiengesellschaften mit mindestens drei Aufsichtsratsmitgliedern angeschaut. Am häufigsten ließ sich aus den (publizierten) Lebensläufen auf eine hohe Kapitalmarktkompetenz (66 Prozent der Fälle) oder immobilienwirtschaftliche Kompetenz (58 Prozent) schließen. Juristische Expertise war in ähnlich hohem Maße vertreten.1)

Und weil jede Immobilie erst durch ihre nachhaltige Nutzung in ihrer Werthaltigkeit definiert wird, ist auch das Verständnis der Nutzerseite sehr wichtig. Was sind die operativen Risiken der Mieter? Welche regulatorischen oder marktlichen Faktoren sind zu berücksichtigen? Dazu sind tiefgreifende Kenntnisse der Geschäftsmodelle von Mietern, ihrer Erfolgsfaktoren und der von ihnen beabsichtigten Gebäudenutzung für den Immobilienmanager ausschlaggebend, und dies kann dann auch im Aufsichtsrat wertvoll sein.

Von den untersuchten elf Gesellschaften ließen sich in 24 Prozent der untersuchten Fälle eindeutige Kenntnisse dieser Mieterseite zuordnen (diese Zuordnung geschah nur, wenn eindeutig die Erfahrung des Aufsichtsrates einer Kernnutzergruppe zugeordnet werden konnte; dass jeder Aufsichtsrat über Erfahrungen als Akteur auf Wohnungsmärkten verfügt, reichte nicht aus). Es ist zu beachten, dass hierbei natürlich Mehrfachzuordnungen möglich waren.

Verteilung ausgewählter Merkmalsverteilungen in Aufsichtsräten von Immobilienaktiengesellschaften Quelle: Eigene Erhebung von T. Just und T. Wiegelmann

Kapitalmarkterfahrung als Kernkompetenz

Bemerkenswert war nicht nur der höhere Anteil der Kapitalmarktkompetenz, sondern auch deren niedrigere Streuung im Vergleich zu Immobilienmarktkompetenz innerhalb der elf untersuchten Aufsichtsräte (siehe Tabelle). Es besteht offenbar weitgehender Konsens, dass Kapitalmarkterfahrung die Kernkompetenz eines Aufsichtsrates in einer Aktiengesellschaft darstellt.

Drittens bedarf es laut David Nadler der richtigen Agenda und dass der Aufsichtsrat diese selbst definieren kann. Viertens bedarf es der richtigen Information. Es ist essenziell, dass Aufsichtsräte Zugang zu allen für ihre Arbeit relevanten Informationen des Unternehmens haben und diese idealerweise ohne Aufforderung erhalten. Und fünftens braucht es schließlich die richtige Kultur - eine Kultur, nach der die Kontrolle im Sinne des Unternehmens ist und nicht lästige Pflicht.

Mit diesem "Fünfklang" an Aufsichts- und in eingeschränkter Form auch der Beiratsarbeit lassen sich die Langfristziele eines Unternehmens nur dann angemessen verfolgen, wenn gleichzeitig die für die Immobilienwirtschaft besonders relevanten gesamtwirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen aufmerksam analysiert und bewertet werden. Dass solche Entwicklungen rasch auch kurzfristige betriebswirtschaftliche Relevanz entfalten können, folgt aus der Abhängigkeit der Branche von regulatorischen oder konjunkturellen Veränderungen. Auch hat die Internationalisierung vieler Kapital- und Nutzermärkte für zunehmende Komplexität in Geschäftsmodellen beziehungsweise für eine höhere Wettbewerbsintensität gesorgt.

Die Welt verändert sich schneller als zuvor

Es gibt immer Phasen, in denen sich das Umfeld einer Branche schneller ändert als in "normalen" Zeiten. Dies sollte auch in der Arbeit und gegebenenfalls in der Zusammensetzung von Aufsichtsräten eine Rolle spielen. Wir könnten uns für die Immobilienwirtschaft derzeit in einer solchen Umbruchphase befinden, denn einige wirkmächtige Trends haben sich in den vergangenen Jahren verstärkt. Wir möchten auf drei Entwicklungen hinweisen.

Erstens gibt es einen breiten wissenschaftlichen Konsens, dass der anthropogene CO2-Ausstoß maßgeblich für eine dauerhafte und signifikante Veränderung des Klimas ist. Ebenso gilt auch, dass ein großer Teil dieser Emissionen auf die Erstellung und Nutzung von Gebäuden zurückzuführen ist. Dem folgt der wachsende gesellschaftliche Konsens, dass mit weitreichenden Maßnahmen auch im Bereich der Gebäudeerrichtung und -nutzung gegen diese Entwicklung gesteuert werden muss.

Dies wird das Umfeld von Immobilienunternehmen deutlich beeinflussen. Eine frühzeitige Abschätzung und aktive Umsetzung der dahinterstehenden technischen Anforderungen, gesellschaftlichen Veränderungen und künftig erwartbaren regulatorischen Entwicklungen wird daher an Bedeutung gewinnen. Es ist sicherlich richtig, dass hierfür juristischer und wirtschaftswissenschaftlicher Sachverstand hilfreich sind, aber eben nicht nur. Gegebenenfalls bedarf es für die Vorbereitung auf eine emissionsreduzierte Welt Akteure, die andere, spezifische Kenntnisse, Netzwerke und Erfahrungen in energetischen und umweltpolitischen Fragen mitbringen. In den Aufsichtsräten der untersuchten Unternehmen ist dieser Aspekt noch stark unterbesetzt.

Zweitens gilt dies in ähnlicher Weise für die technischen Veränderungen in Richtung digitaler Geschäftsmodelle. Derzeit entstehen zahlreiche neue Geschäftsideen, auf die Unternehmen Antworten für ihr Geschäftsmodell finden müssen. Dies muss natürlich in erster Linie durch Vorstände und deren Fachabteilungen erfolgen. Doch wenn es zu einer stetigen Verschiebung in Geschäftsmodellen und Wettbewerbskonstellationen kommt, kann ein Aufsichtsrat nur effektiv seine Aufgaben wahrnehmen, wenn er auch hier über entsprechende Expertise verfügt. Aktuell ist in den meisten Aufsichtsräten nur wenig direkte Vertretung dieser spezifischen Fachexpertise festzustellen - zumindest mit Blick auf die publizierten Lebensläufe. Digitale Transformation ist neben der Aufdeckung von Risiken daher eine besondere Herausforderung für Aufsichts- und Beiräte. Es geht hierbei darum, das Unternehmen strategisch und visionär aufzustellen und Chancen erörtern und bewerten zu können.

Nachdem zunächst die Leistungsmöglichkeiten neuer Technologien im Fokus standen, verlagert sich das Interesse derzeit eher auf die Frage, wie sich Unternehmen der Immobilienwirtschaft entsprechend transformieren und an die neuen Anforderungen und Chancen anpassen können. Ein Aufsichtsrat, der ein vertieftes Verständnis, Know-how und Erfahrung um die Auswirkungen der digitalen Transformation und Technologie mitbringt, kann das Unternehmen im Hinblick auf möglicherweise aufkommende Bedrohungen und Chancen stärken. Ziel könnte ein produktiver Austausch zwischen Geschäftsführung und Aufsichtsrat dazu sein, in welcher Weise und mit welchen zeitlichen Implikationen digitale Transformationen die Wertschöpfung des Unternehmens, des Geschäftsmodells und des gesamten Sektors beeinflussen.

Drittens verändert sich die Gesellschaft. Dies kann Ausdruck in veränderten regulatorischen Rahmenbedingungen sowie in einer veränderten Anspruchshaltung wichtiger Stakeholder finden. Beispielhaft, aber keineswegs erschöpfend, sei dies an der Einführung einer Frauenquote für Führungspositionen in der Privatwirtschaft (und im öffentlichen Dienst) illustriert (Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst vom 24. April 2015). Aktuell liegt die Frauenquote in Aufsichtsräten der untersuchten elf Immobilienaktiengesellschaften bei 19 Prozent, in drei Fällen gab es keine Frau im Aufsichtsrat.

Die Frauenquote birgt das Risiko, dass Abstriche bei der Eignung und Qualifizierung gemacht werden könnten, nur um die Quote zu erfüllen. Eine Quote birgt aber auch die Chance, bewusst den Blick zu erweitern und aktiv im - in der Immobilienbranche durchaus gut besetzten - Kreis der hochqualifizierten Frauen nach Kandidatinnen zu suchen, die die Zusammensetzung eines Aufsichtsrats in verschiedener Hinsicht inhaltlich bereichern können und ein hoher Anteil von Frauen in Führungspositionen kann Signale an junge weibliche Talente senden - immerhin liegt der Anteil von Frauen in vielen immobilienwirtschaftlichen Studiengängen bei etwa 50 Prozent.

Diese drei oben genannten exemplarischen Entwicklungen sind keineswegs abschließend. Je nach konkretem Geschäftsmodell könnte ein Unternehmen auf weitere Erfahrung mit Trends Wert legen. Ein wachsender Teil der Immobilienwirtschaft hat sich zum Beispiel zu einer globalen Industrie entwickelt, in der ein internationales Immobilien- und Kapitalmarktverständnis in der Kombination mit lokaler Marktpräsenz spannende Perspektiven eröffnet. Entsprechend wichtig könnte für die Gesamtkomposition eines Aufsichtsrates auch eine international ausgerichtete Profilierung von Mitgliedern sicherzustellen, die ein Verständnis für Cross-Border-Investments und unterschiedliche kulturelle Aspekte und entsprechendes Netzwerk einbringen können.

Professionalisierung wird weiter zunehmen

Um eine effiziente Kontrolle (und Beratung) der Unternehmen zu ermöglichen, müssen Aufsichtsräte heute neben einer profilierten Personal- und Governance-Kompetenz in der Immobilienwirtschaft nicht nur über unternehmens- und branchenspezifische Kenntnisse verfügen, sondern diese auch ständig aktualisieren und erweitern. Insgesamt gehen wir von einer weiteren Professionalisierung der Gremienarbeit aus.

Eine aktuelle Initiative für die Immobilienwirtschaft stellt das Institut für Corporate Governance in der deutschen Immobilienwirtschaft (ICG) dar, die im April 2021 den Praxisleitfaden "Building Better Boards" zur Corporate-Governance für Aufsichtsräte und Anlageausschüsse von Immobilien-Kapitalverwaltungsgesellschaften herausgegeben hat. Dass damit beide hier zitierten Publikationen quasi titelgleich eine Aufforderung zur Versäumniskorrektur enthalten, deutet verbleibendes Verbesserungspotenzial an.

Fußnote

1) Wir sind bei der Zuordnung so vorgegangen, dass eine eindeutige Zuordnung zu einer Kompetenz nur dann erfolgte, wenn eine Fachausbildung oder mehrjährige Haupttätigkeit dies aus dem publizierten Lebenslauf erkennen ließ. Mehrfachkompetenzen sind natürlich möglich. Die Prozentangaben beziehen sich auf den mittleren Anteil der Aufsichtsratsmitglieder aller Gesellschaften mit der spezifischen Kompetenz. Wichtig ist, dass natürlich viele Aufsichtsratsmitglieder auch über Kompetenzen jenseits der so ermittelten verfügen. Ein Jurist kann auch Erfahrung in Digitalisierungs- oder Nachhaltigkeitsprojekten gesammelt haben. Doch wenn dies aus dem Lebenslauf nicht geschlossen werden konnte, schien hier kein Schwerpunkt gelegt zu werden. Daher wurde es dann nicht gezählt. Die Analyse ist daher allenfalls indikativ, nicht abschließend.

Literaturverzeichnis

Institut für Corporate Governance in der deutschen Immobilienwirtschaft e.V. (2021): Building Better Boards - Good Governance für Aufsichtsgremien von Immobilien-Kapitalverwaltungsgesellschaften. https://icg-institut.de/de/icg-building-better-boards-good-governance-fur-aufsichtsgremien-von-immobilien-kapitalverwaltungsgesellschaften/.

Nadler, D. (2004). Building Better Boards. Harvard Business Review May 2004. https://hbr.org/2004/05/building-better-boards.

Prof. Dr. Tobias Just , Geschäftsführer, IREBS Immobilienakademie, Eltville und Inhaber des Lehrstuhls Immobilienökonomie, Universität Regensburg
Dr. Thomas Wiegelmann , Geschäftsführer , Schroder Real Estate, München

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