Positionen zur Stadtentwicklung von Politik und Immobilienwirtschaft

Baukultur zahlt sich aus

Daniela Michalski

Vielerorts befinden sich deutsche Kommunen in einem harten Standortwettbewerb und kämpfen mit sinkenden Einwohnerzahlen. Um diesem Trend wirksam entgegenzutreten, sind Konzepte gefragt, die zur Identifikation und Lebensqualität an einem Standort beitragen. Ein erfolgsversprechender Faktor im Ringen um die Gunst der Menschen könnte dabei nach Ansicht der Autorin eine gelungene Form der Baukultur sein. In Umfragen beteuern die kommunalen Vertreter in Deutschland die grundsätzliche Sinnhaftigkeit der Baukultur. Insbesondere ökonomisch werden mit dem Begriff große Hoffnungen verbunden, etwa in Form von mehr Touristen oder gesteigerter Umsätze im Einzelhandel. Red.

Lohnt es, in Baukultur und damit in gute Gestaltung zu investieren? Macht sich eine höhere gestalterische oder handwerkliche Qualität bei Bauvorhaben bezahlt? In jedem Fall, meinen die Kommunen in Deutschland. Sowohl direkt als auch indirekt profitieren alle Beteiligten, wenn sie auf Qualität und Anspruch bei der Durchführung von Bauvorhaben setzen. Zwei Umfragen unter Städten und Gemeinden in Deutschland, die das Deutsche Institut für Urbanistik (Difu) im Auftrag der Bundesstiftung Baukultur zur Erstellung der Baukulturberichte 2014/15 und 2016/17 durchgeführt hat, untermauern diese Einschätzung.

Mehr als nur Gestaltung

Ein wichtiges und vor allem sichtbares Kriterium von Baukultur ist das äußere Erscheinungsbild eines Gebäudes. Wird hier auf qualitätsvolle Gestaltung gesetzt, auf ein unverwechselbares Äußeres, das sich zudem gut in die Umgebung einfügt, ist schon viel erreicht für die Qualität der gebauten Umwelt. Doch Baukultur ist mehr als das. Baukultur setzt bei einem umsichtigen Planungsprozess an, geht über eine handwerklich sorgsame Durchführung und erfordert auch im Nachgang die Bereitschaft für Pflege und Instandhaltung der Gebäude.

Es ist ein ganzes Portfolio an Aspekten, die sich bei Bauprozessen zu einem sinnvollen Ganzen zusammenfügen müssen, damit von Baukultur die Rede sein kann. Dies bestätigen die zahlreichen Gemeindevertreter, die vom Difu befragt wurden. Die lange Liste an Kriterien bei jeglichen Bauvorhaben zu beherzigen, erscheint auf den ersten Blick zeitlich und finanziell aufwendig. Dass dieser Aufwand seine Berechtigung hat und sich unterm Strich rechnet, beweisen die zahlreichen Synergieeffekte, die sich mit Baukultur erzielen lassen.

Ökonomische Effekte von Baukultur

Befragt nach der ökonomischen Bedeutung, die Baukultur für verschiedene Bereiche der kommunalen Entwicklung hat, bestätigen drei Viertel der Gemeindevertreter, dass eine qualitätsvoll gestaltete Umwelt ausgesprochen wichtig für den Tourismus ist. Vor allem der Städtetourismus lebt von einem hochwertigen Stadtbild. Wenn man bedenkt, dass allein die deutsche Bevölkerung im eigenen Land jährlich 2,84 Milliarden Tagesreisen und 77,1 Millionen Kurzurlaubsreisen unternimmt und insbesondere bei den Kurzurlauben kulturelle beziehungsweise historische Sehenswürdigkeiten die wichtigste Rolle spielen, wird die Bedeutung von gepflegten, individuellen und baukulturell hochwertigen Gebäuden offensichtlich. Investitionen in gute Architektur, die einen Beitrag leistet zu einem interessanten und unverwechselbaren Stadtbild, ist eine essenzielle Voraussetzung für touristische Attraktivität.

Kampf um Einwohner

Nicht nur der Tourismus, auch der innerstädtische Einzelhandel lebt von einer attraktiven Umgebung mit Aufenthaltsqualitäten. Wichtig ist ein Nutzungsmix aus Einzelhandel und Gastronomie und auch das Stadtbild sowie ein interessant gestaltetes Umfeld sind die Stellschrauben, die über Einkaufsbereitschaft und Aufenthaltsdauer der Kunden im Zentrum mitentscheiden. Folgerichtig geben rund die Hälfte der befragten Kommunalvertreter an, dass sie der Baukultur eine relevante Bedeutung für den Einzelhandel beimessen. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund, dass der Online-Handel kontinuierlich Marktanteile gewinnt, müssen Gemeinden in Zusammenarbeit mit den ortsansässigen Händlern Strategien entwickeln, um konkurrenzfähig zu bleiben. Aus gutem Grund lässt sich die Stadt Frankfurt daher die Rekonstruktion des alten Stadtgrundrisses am Römerberg rund 190 Millionen Euro kosten, um mithilfe von moderner Architektur und rekonstruierten Altbauten eine attraktive Atmosphäre für Besucher und Einheimische zu schaffen.

Auch indirekt profitieren Gemeinden von einer sorgfältig gestalteten Umwelt. Rund zwei Drittel der vom Difu befragten Städte und Gemeinden bestätigen den bedeutenden Einfluss, den Baukultur auf den interkommunalen Standortwettbewerb hat. Vor dem Hintergrund starker Schrumpfungstendenzen in vielen Regionen Deutschlands herrscht unter den Gemeinden ein enormer Kampf um Einwohner und Zuzügler.

Zwar spielen für die Bevölkerung das Arbeitsplatzangebot sowie bezahlbare Mieten und Grundstückspreise bei der Wahl des Wohnstandortes die größere Rolle, doch kann die Lebensqualität und damit auch die bauliche Attraktivität einer Gemeinde richtungsweisend sein für die Entscheidung, ob gependelt oder vor Ort gewohnt wird.

Die sogenannten weichen Standortfaktoren - Wohn- und Wohnumfeldqualitäten, Image und Lebensqualität einer Kommune - sind gleichermaßen wichtige Argumente für ansiedlungswillige Betriebe. Sie nehmen Einfluss auf Profil und Standort eines Unternehmens. Kann eine Gemeinde mit der Schönheit vor Ort punkten, ist also auch in puncto Unternehmensansiedlung ein wesentlicher Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Kommunen erreicht. Die Wirtschaftsförderung der Stadt Lippstadt in Nordrhein-Westfalen hat das für sich erkannt und setzt zum Auftakt ihrer Imagebroschüre auf genau diese lokalen Qualitäten: "Lippstadt ist schön, hier lässt es sich sehr gut leben und arbeiten. Damit wäre eigentlich alles gesagt ..."

Vernachlässigung der Ortsränder

Baukulturelle Qualitäten allein auf die zentralen Orte in einer Gemeinde zu beschränken, wäre jedoch die falsche Strategie. Zwar haben die Stadt- und Ortskerne die wohl größte identitätsstiftende Wirkung für eine Gemeinde - sie sind die Aushängeschilder in der Region, das Zugpferd für Tourismus und Einzelhandel, für Gewerbeansiedlung und Einwohnergewinne - doch gewohnt wird überwiegend in den Stadterweiterungs- und Neubaugebieten. Die hier vorhandenen baukulturellen Qualitäten bestimmen mit über die Zufriedenheit der Bevölkerung vor Ort. Auch wegen des enormen Flächenanteils ist der Einfluss der zentrumsnahen Quartiere und Stadtränder auf die Vorzüge einer Gemeinde nicht zu unterschätzen. Dennoch lässt in vielen deutschen Städten und Gemeinden der Qualitätsanspruch außerhalb des Zentrums nach. Während laut Umfragen rund zwei Drittel der Verwaltungen gestalterische Vorgaben für Bauvorhaben im Ortskern machen, tun dies noch nicht einmal ein Drittel der Kommunen in ortsnahen Lagen und nur jede fünfte Gemeinde nimmt gezielten Einfluss auf die Gestaltung der Ortsränder.

Vor diesem Hintergrund wundert es nicht, dass die befragten Gemeindevertreter im Ergebnis zahlreiche gestalterische Mängel ausmachen. Vor allem sind es die privaten Bauvorhaben, die von den Kommunalverwaltungen kritisch beurteilt werden. Noch nicht einmal ein Drittel aller Befragten hält den aktuellen Mietwohnungsbau für qualitätvoll und nur ein Viertel erkennt Qualitäten im Einfamilien- beziehungsweise Reihenhausbau. Noch schlechter schneiden allerdings gewerbliche Bauten ab. Aktuelle Bauten für den Einzelhandel werden nur von jeder fünften Gemeinde als (sehr) gut bezeichnet, bei reinen Gewerbebauten sind dies sogar nur 17 Prozent.

Alle Beteiligten profitieren

Was muss geschehen, damit die Baukultur bei aktuellen Bauvorhaben gesteigert wird? Und führt ein höherer Qualitätsanspruch automatisch zu einem Mehr an Kosten? Es ist nicht unbedingt eine bessere Finanzausstattung, welche zumindest aus Sicht der Kommunen erforderlich ist. Die Finanzen werden erst an vierter Stelle genannt, wenn es um eine Steigerung der Baukultur vor Ort geht. Vielmehr ist es ein stärkeres Bewusstsein für baukulturelle Qualitäten, das die Gemeindevertreter von allen relevanten Akteuren einfordern. Als wichtigste Aspekte werden die Stärkung des politischen Willens und ein größeres Interesse für Baukultur bei privaten Investoren genannt. Und auch die Sensibilisierung der Bevölkerung für gestalterische Qualitäten rangiert noch vor der besseren Finanzausstattung.

Damit angesichts der Baukultur tatsächlich alle an einem Strang ziehen, bedarf es neben den zahlreichen Synergieeffekten für die Stadt- und Gemeindeentwicklung auch eines Profits für andere Akteure. Der ist durchaus gegeben. Neben den Effekten für Tourismus, lokale Identität und wirtschaftliche Ausstrahlungskraft wird in der Finanz- und Immobilienbranche zu Recht auf die höhere Wertstabilität von Gebäuden hingewiesen, die durch baukulturelle Qualitäten erzielt werden kann. Die optische Qualität eines Gebäudes, die Unterscheidbarkeit von anderen Objekten, die Immobilie als "Marke" - all das hat einen positiven Einfluss auf den Wert, die Nachfrage und die Vermarktbarkeit von Immobilien. Städte und Gemeinden, die Wirtschaft, Immobilienbesitzer und die Bevölkerung vor Ort profitieren also gemeinsam von Baukultur. Von Gebäuden, in denen gerne gelebt und gearbeitet wird.

Ausführlich wird die derzeitige Lage der Baukultur in Deutschland in den zwei Veröffentlichungen "Baukulturbericht 2014/15. Gebaute Lebensräume der Zukunft - Fokus Stadt." und "Baukulturbericht 2016/17. Stadt und Land" der Bundesstiftung Baukultur erläutert, die unter der Mitarbeit des Deutschen Instituts für Urbanistik entstanden sind. Die Berichte zeigen anhand von Zahlen, Grafiken und guten Praxisbeispielen den derzeitigen Status Quo auf und identifizieren vielfältige Strategien, wie die Qualität bei Bauvorhaben gesteigert werden kann.

Quellen

Bundesstiftung Baukultur (Hrsg.)(2016): Baukulturbericht 2016/17. Fokus Stadt und Land. Potsdam.

Bundesstiftung Baukultur (Hrsg.)(2014): Baukulturbericht 2014/15. Gebaute Lebensräume der Zukunft - Fokus Stadt. Potsdam.

Bundesstiftung Baukultur (Hrsg.)(2014): Baukulturbarometer 2014/15. Gebaute Lebensräume der Zukunft - Fokus Stadt. Begleitband zum Baukulturbericht 2014/15. Potsdam.

Deutscher Tourismusverband e.V. (2016): Zahlen - Daten - Fakten 2015. Berlin.

Dom Römer Frankfurt online: Die Stadt lebt! Neues Leben zwischen Dom und Römer (Online unter http://www.domroemer.de/diestadtlebt).

Murr, Günther (2016): Rekonstruktion der Frankfurter Altstadt. Großer Andrang beim Altstadt-Richtfest. Beitrag für die Frankfurter Neue Presse vom 15.10.2016.

WFL - Wirtschaftsförderung Lippstadt GmbH: Lippstadt - Setzt auf Wachstum. Lippstadt.

Jordan, Clifford für die VR Bank Südpfalz eG (2014): Mehr Wert Baukultur - Ästhetik oder Mittel zur Werterhaltung innerstädtischer Immobilien. Vortrag am 20. November 2014 beim 1. Forum Innenstadt Rheinland-Pfalz.

Die Autorin Daniela Michalski Wissenschaftliche Mitarbeiterin und Projektleiterin, Deutsches Institut für Urbanistik gGmbH, Berlin

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