Immobilienbewertung

Das Bewertungskorsett der Ertragswertrichtlinie

Abbildung 1: Gegenüberstellung der Struktur WertR vor und nach der Reformierung

Seit dem 14. April 2015 liegt der neue Entwurf der Ertragswertrichtlinie (EW-RL) vor, die die Regelungen der Wertermittlungsrichtlinie aus dem Jahr 2006 ersetzen soll. Zeit, sich mit der Frage zu beschäftigen, welche Auswirkungen der aktuelle Entwurfstand auf die Immobilienbewertung haben wird. Der Autor kommt dem im Folgenden nach und prüft, inwieweit die Ertragswertrichtlinie dem Anspruch, dass die Ertrags- beziehungsweise Verkehrswertermittlung von Grundstücken nach einheitlichen und marktgerechten Grundsätzen gesichert wird, tatsächlich gerecht wird, um letztlich eine Erleichterung für den Immobilienbewerter darzustellen. Das Korsett scheint enger geworden zu sein, die Vorgaben stringenter - gleichzeitig aber scheint der Aufwand nicht allein aus einer nur indirekten Betrachtung des Markteinflusses höher. Große Interpretationsspielräume sowie ein daraus resultierendes notwendiges sachverständiges Abwägen und Anpassen aufgrund der Heterogenität von Immobilien verkomplizieren die Bewertung. Positiv hingegen ist die Ergänzung der EW-RL um das periodische Ertragswertverfahren zu bewerten. Red.

Die Ertragswertrichtlinie (EW-RL) liegt im Entwurfsstand 14. April 2015 vor1). Sie soll noch in diesem Jahr die entsprechenden Regelungen der Wertermittlungsrichtlinie (WertR 2006) ersetzen. Im Zuge der Aktualisierung der Wertermittlungsrichtlinien wurden bereits im Jahr 2011 die Bodenrichtwertrichtlinie,2) im Jahr 2012 die Sachwertrichtlinie3) und im Jahr 2014 die Vergleichswertrichtlinie4) in Kraft gesetzt. Nach dem Inkrafttreten der EW-RL sollen die einzelnen Richtlinien zu einer einheitlichen Wertermittlungsrichtlinie zusammengefasst werden und damit den Teil 1 der WertR 2006 endgültig ablösen. Abbildung 1 fasst die Reformierung grafisch zusammen.

Die EW-RL gibt Hinweise und Erläuterungen für die Ermittlung des Ertragswerts nach der Immobilienwertermittlungsverordnung (ImmoWertV). Hierdurch soll die Ermittlung des Ertrags- beziehungsweise Verkehrswerts von Grundstücken nach einheitlichen und marktgerechten Grundsätzen5) sichergestellt werden. Darüber hinaus soll sie dem Immobilienbewerter die korrekte Anwendung der ImmoWertV veranschaulichen. Die EW-RL wird allen in der Grundstückswertermittlung Tätigen zur Anwendung, insbesondere bei der Bewertung von klassischen Renditeobjekten, empfohlen. Eine rechtliche Bindungskraft, wie die Anwendungsverpflichtung der ImmoWertV bei der Ermittlung von Verkehrswerten (Marktwerten) gemäß § 194 Baugesetzbuch6), hat sie jedoch nicht.

Durch die zu erwartende Einführung in den Geltungsbereich der öffentlichen Hand einzelner Bundesländer wird die EW-RL allerdings - wie auch zuvor die WertR - einen öffentlichen Charakter annehmen. Insofern wird sich ein Immobilienbewerter nicht gänzlich vor der Anwendung der EW-RL verschließen können.

Die Anwendbarkeit und Verfahrensvarianten

Die EW-RL bezieht sich auf das Ertragswertverfahren, welches in den §§ 17 bis 20 ImmoWertV geregelt ist und durch die allgemeinen Verfahrensgrundsätze der §§ 1 bis 8 ImmoWertV sowie im weiteren Sinne durch die Vorgaben zur Bodenwertermittlung und sonstigen wertermittlungsrelevanten Daten in den §§ 9 bis 16 ImmoWertV ergänzt werden. Die Anwendbarkeit des Ertragswertverfahrens wird in der EW-RL konkret beschrieben. Das Ertragswertverfahren kommt in der Verkehrswertermittlung insbesondere dann zur Anwendung, wenn im gewöhnlichen Geschäftsverkehr (marktüblich) die Erzielung von Erträgen für die Preisbildung von Immobilien ausschlaggebend ist, zum Beispiel bei Mietwohngrundstücken und gewerblich genutzten Immobilien aber auch bei Wohnungseigentum.7) Mit Letzterem wurde nunmehr offiziell eine neue Nutzungs-/Eigentumsform in dieses Verfahren einbezogen.8)

Für Wohnungseigentum ist es jetzt auch möglich neben dem Vergleichswertverfahren eine Bewertung nach dem Ertragswertverfahren vorzunehmen. Damit wären bei der Anwendung des Ertragswertverfahrens für selbst genutzte Objekte beziehungsweise Einheiten (wie zum Beispiel eine selbst genutzte Eigentumswohnung) die am Wertermittlungsstichtag marktüblich erzielbaren Erträge anzusetzen.

In der EW-RL werden entsprechend den Vorgaben der ImmoWertV drei Verfahrensvarianten angeboten:9)

- das allgemeine Ertragswertverfahren unter modellhafter Aufspaltung in Boden- und Gebäudewertanteil,

- das vereinfachte Ertragswertverfahren, bei dem der diskontierte Bodenwert zum Ertragswert des Grundstücks hinzuaddiert wird,

- das periodische Ertragswertverfahren (in Anlehnung an das Discounted Cashflow- beziehungsweise DCF-Verfahren).

Damit wurde in der EW-RL das periodische Ertragswertverfahren in Ausgestaltung als DCF-Verfahren ergänzt, welches in der WertR 2006 noch nicht enthalten war. Die nach der EW-RL möglichen Verfahren werden in Abbildung 2 schematisch dargestellt.

Die einzelnen Verfahrensgänge werden in der EW-RL jeweils beschrieben und mit mathematischen Formeln unterlegt. Darüber hinaus werden die anzusetzenden Bewertungsparameter wie marktüblich erzielbare Erträge, Bewirtschaftungskosten, Liegenschaftszinssatz, Restnutzungsdauer und besondere objektspezifische Grundstücksmerkmale erläutert. Die Anlagen enthalten Bewirtschaftungskostenansätze,10), Modellparameter für die Ermittlung des Liegenschaftszinssatzes11) sowie vier Beispiele zu den einzelnen Ertragswertverfahren.12)

Modellkonformität und Liegenschaftszinssatz

Im Entwurf der EW-RL wird besonderer Wert auf die Modellkonformität gelegt. Im Rahmen der Ertragswertermittlung sind vorrangig die vom örtlichen Gutachterausschuss für Grundstückswerte ermittelten und veröffentlichten Liegenschaftszinssätze heranzuziehen. Um bei der Anwendung des Liegenschaftszinssatzes die Modellkonformität sicherzustellen, sind das verwendete Ableitungsmodell und die zu Grunde gelegten Daten zu beachten. Dazu werden in Anlage 2 der EW-RL die wesentlichen Modellparameter für die Ermittlung des Liegenschaftszinssatzes benannt und erläutert.

Ob und inwieweit die Gutachterausschüsse diesen hohen Anforderungen gerecht werden können, bleibt abzuwarten (insbesondere bei nur wenigen Transaktionen oder durch die Heterogenität von zum Beispiel Gewerbeimmobilien oder bei der aus praktischer Erfahrung heraus festgestellten Personalknappheit bei den GAA). Insofern bleibt dem Immobilienbewerter noch die Anwendung eines Liegenschaftszinssatzes aus vergleichbaren Gebieten - natürlich unter Berücksichtigung der Abweichungen in den regionalen und allgemeinen Marktverhältnissen - oder die nur ausnahmsweise zulässige sachverständige Schätzung des Liegenschaftszinssatzes, wobei hierbei eine besondere Begründung und nachvollziehbare Ableitung bei Heranziehung anderer Quellen erwartet wird.

Bewirtschaftsungskostenansätze

Im Sinne der EW-RL sind grundsätzlich die modellkonformen Bewirtschaftungskostenansätze heranzuziehen, die für die Ableitung des Liegenschaftszinssatzes zu Grunde gelegt wurden. Sollten im Ableitungsmodell des Liegenschaftszinssatzes keine Bewirtschaftungskostenansätze aufgeführt sein, sind die in Anlage 1 hinterlegten Einzelansätze zu verwenden. Die vorgegebenen Ansätze der Anlage 1 für Verwaltungskosten, Instandhaltungskosten und Mietausfallswagnis sind als exakte Werte und nicht mehr als Spannen ausgewiesen, sodass hinsichtlich Baualter, Ausstattung, Größenklasse, Lage, Nutzung und so weiter keine individuelle Differenzierung gegeben und damit der Ermessensspielraum eingeschränkt ist. Die sachverständige Einschätzung wesentlicher wertprägender Merkmale als Basis professioneller Bewertung muss nunmehr an anderer Stelle vorgenommen werden.

Erhebliche Abweichungen der modellkonformen zu den tatsächlichen Bewirtschaftungskosten sind im allgemeinen und vereinfachten Ertragswertverfahren als besondere objektspezifische Grundstücksmerkmale und im periodischen Ertragswertverfahren in der jeweiligen Periode innerhalb des Betrachtungszeitraums zu berücksichtigen. Der Begriff "erheblich" wird dabei nicht weiter definiert.

Die einzelnen Kostenarten, welche unter den Begriff "Bewirtschaftungskosten" subsummiert sind, werden in Nr. 6 der EW-RL erläutert. Bei den Verwaltungskosten wurde nunmehr auch der Wert der vom Eigentümer persönlich geleisteten Verwaltungsarbeit aufgenommen. Allerdings bleiben die Kosten der Geschäftsführung, die gemäß § 19 Abs. 2 Nr. 1 ImmoWertV angesetzt werden können, hier außen vor.

Periodisches Ertragswertverfahren

Eine Besonderheit im aktuellen Entwurfsstand der EW-RL stellt auch die Ausführung des periodischen Ertragswertverfahrens dar. Hierbei wird der vorläufige Ertragswert typischerweise aus der Summe der abgezinsten periodischen Reinerträge des Betrachtungszeitraums und dem abgezinsten Restwert des Grundstücks ermittelt. Der Restwert des Grundstücks wird allerdings nach dem vereinfachten Ertragswertverfahren ermittelt, das heißt aus der Summe eines kapitalisierten Reinertrags und dem abgezinsten Bodenwert unter Beachtung der wirtschaftlichen Restnutzungsdauer. Der Restwert wird somit nicht als Kapitalwert einer ewigen Rente angenommen. Hierdurch soll vermutlich primär die Ergebniskonformität gewährleistet werden, welche bei sachgerechter Anwendung aller beschriebenen Verfahren zum gleichen Verkehrswert führt.

Bei der Ermittlung des Restwertes sind - entgegen dem Betrachtungszeitraum - marktübliche Erträge und Kosten als Eingangsgrößen für die Reinertragsermittlung zu verwenden. Die Abbildung vertraglicher Besonderheiten wie zum Beispiel Mietabweichungen, ungewöhnliche Kostenumlagen et cetera bleibt den einzelnen Perioden des in der Regel mit zehn Jahren zu wählenden Betrachtungszeitraumes vorbehalten.

Unterschied zwischen EW-RL und DCF-Verfahren

Für die Kapitalisierung und Abzinsung ist im periodischen Ertragswertverfahren nach der EW-RL jeweils ein einheitlicher Liegenschaftszinssatz zu verwenden. Eine besondere Hürde dürfte auch hier die modellkonforme Ableitung und Anwendung von veröffentlichten Liegenschaftszinssätzen sein. Somit unterscheidet sich die EW-RL von international gebräuchlichen DCF-Verfahren, bei denen in der Regel eine "discount rate" und eine "cap rate" zur Anwendung kommen. Dabei orientiert sich die "discount rate" am Zins langfristiger Kapitalanlagen und berücksichtigt Risiken, die mit dieser Investition verbunden sind. Ähnlich verhält es sich mit der "cap rate", die oft mit Hilfe eines Kapitalmarktmodells (Capital Asset Pricing Model, kurz "CAPM") gebildet wird.13)

Das periodische Ertragswertverfahren nach EW-RL nähert sich somit dem internationalen DCF-Verfahren nur etwas an, wobei die Zahlungsströme im Betrachtungszeitraum adäquat behandelt werden. Hinsichtlich der Restwertermittlung und der zu verwendenden Zinssätze wird für die Immobilienwertermittlung allerdings ein anderer - eher deutscher - Weg eingeschlagen.

Das Bewertungskorsett der EW-RL scheint gegenüber der WertR 2006 insgesamt also enger geworden zu sein. Die stringenten Vorgaben hinsichtlich der Bewertungsparameter lassen eine marktgerechte Bewertung zunächst eher nicht vermuten. Auf den zweiten Blick ist jedoch erkennbar, dass der Einfluss des Marktes auf den Wert - wenn auch über Umwege durch Berücksichtigung von erheblichen Abweichungen als besondere objektspezifische Grundstücksmerkmale - möglich ist.

Der Aufwand für nachvollziehbare Ableitungen und Begründungen wird dabei nicht unerheblich werden. Hinzu kommt, dass unter anderem weiche Faktoren integriert sind, das heißt Begriffe wie "erhebliche Abweichung" beziehungsweise "wesentliche Abweichungen" oder auch "stark schwankende Erträge" nicht näher erläutert oder monetär eingeschränkt werden. Dadurch bleiben dem Bewerter Interpretationsspielräume, bei dem sachverständiges Abwägen und Ermessen gefragt ist.

Nicht zuletzt bietet auch die Öffnungsklausel am Ende der EW-RL eine Marktanpassungsmöglichkeit: "Eine zusätzliche Marktanpassung kann jedoch angebracht sein, wenn der verwendete Liegenschaftszinssatz oder die sonstigen Daten die Marktverhältnisse für das Wertermittlungsobjekt nicht detailliert oder aktuell genug wiedergeben. In diesen Fällen sind aufgrund ergänzender Analysen und sachverständiger Würdigung Zu- oder Abschläge vorzunehmen. Eine zusätzliche Marktanpassung ist besonders zu begründen."

Immobilien-Heterogenität

Des Weiteren könnte man annehmen, dass sich die Immobilienwertermittlung nach der EW-RL durch die konkreten Vorgaben zu den Bewirtschaftungskosten vereinfacht hat. Das Gegenteil scheint der Fall. Aufgrund der Heterogenität von Immobilien kann bereits ohne Einzelfallprüfung davon ausgegangen werden, dass Anpassungen zu den vorgegebenen Werten erfolgen müssen. Diese sind nachvollziehbar abzuleiten und ausreichend zu begründen. Eine Wertauswirkung wird somit durch die EW-RL nicht mittelbar entstehen. Ungewohnt sind der zunächst einheitliche Ansatz von modellkonformen oder vorgegebenen Bewertungsparametern und die anschließende Anpassung an die tatsächlichen Verhältnisse in den besonderen objektspezifischen Grundstücksmerkmalen. Dies wird sicherlich bei der Prüfung von Bewertungsergebnissen zu Diskussionen führen.

Bei den Liegenschaftszinssätzen verhält es sich ähnlich. Die Prüfung der für die Ableitung der Liegenschaftszinssätze verwendeten wesentlichen Modellparameter und die Applikation auf das konkret zu bewertende Grundstück(-srecht oder -teil) wird mit einem nicht unerheblichen Mehraufwand verbunden sein, um ein nachvollziehbares und belastbares Ergebnis zu erhalten.

Klärungsbedarf auf internationaler Ebene

Positiv ist die Ergänzung der EW-RL gegenüber der WertR 2006 um das periodische Ertragswertverfahren zu bewerten. Der Vorteil der Implementierung einer DCF-Methode wird allerdings gleich wieder gedämpft, indem die Ermittlung des Restwertes nach dem vereinfachten Ertragswertverfahren und die Anwendung von Liegenschaftszinssätzen nicht den internationalen Gepflogenheiten entsprechen. Für internationale Auftraggeber oder Finanzierungsunternehmen werden bei dieser Vorgehensweise sicher Fragen aufkommen und ein erhöhter Erklärungsbedarf erforderlich sein.

Die EW-RL liegt bisher im Entwurf vor. Insofern besteht Aussicht, dass vor Inkrafttreten einige - auch in diesem Artikel angesprochene - Punkte geändert werden. Damit würde sie nicht nur dem Anspruch, dass die Ertrags- beziehungsweise Verkehrswertermittlung von Grundstücken nach einheitlichen und marktgerechten Grundsätzen gesichert wird, gerecht werden, sondern auch eine Erleichterung für den Immobilienbewerter hinsichtlich der korrekten Anwendung der ImmoWertV darstellen.

Der Autor dankt seinen Mitarbeitern für die rege Diskussion und konstruktiven Anmerkungen. Er vertritt in dem Beitrag seine persönliche Meinung.

Fußnoten

1) Der Entwurfstand vom 14. April 2015 zur EW-RL ist online unter www.bmub.bund.de/fileadmin/Daten_BMU/Download_PDF/Staedtebaurecht/ertragswertrichtlinie_entwurf.pdf verfügbar. Abruf: 3. Mai 2015.

2) Vgl. BAnz vom 11. Februar 2011, Nr. 25, S. 597-609.

3) Vgl. BAnz AT vom 18. Oktober 2012, S. 1-49.

4) Vgl. BAnz AT vom 11. April 2014, S. 1-16.

5) Vgl. § 1 Abs. 1 EW-RL.

6) Baugesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 23. September 2004 (BGBl. I S. 2414), zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 20. November 2014 (BGBl. I S. 1748).

7) Vgl. Nr. 2 Abs. 2 EW-RL.

8) Im Vergleich zu Nr. 3.5 WertR 2006.

9) Vgl. Nr. 3 Abs. 1 EW-RL.

10) Vgl. Anlage 1 EW-RL.

11) Vgl. Anlage 2 EW-RL.

12) Vgl. Anlage 3 EW-RL.

13) Vgl. IDW S 10 Tz. 62 ff.

14) Vgl. Nr. 4.4 EW-RL.

Der Autor

Martin Beck Senior Manager, BDO AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, Leiter Fachbereich und Branchencenter Real Estate, München

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