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CORONA UND DIE KOMMUNALFINANZEN - PLÖTZLICHER ABSTURZ NACH EINEM LANGSAMEN SINKFLUG

Dr. Stephan Brand, Foto: S. Brand

Infolge der Corona-Krise wird sich die Haushaltslage der Kommunen spürbar verschärfen. In diesem Zusammenhang besteht nach Einschätzung der Autoren das Risiko, dass (notwendige) Konsolidierungen zulasten der Investitionen vorgenommen werden. Im KfW-Kommunalpanel 2020 zeigt sich, dass selbst in den konjunkturell guten Zeiten der Investitionsrückstand nicht abgebaut werden konnte. Insbesondere in finanzschwachen Kommunen sind dafür immer noch strukturelle Hemmnisse wie eine unzureichende Finanzausstattung ursächlich. Die Fragen rund um die angemessene Finanzausstattung der Kommunen und deren Investitionsfähigkeit dürften deshalb auf der politischen Agenda bleiben, auch nachdem die gröbsten Folgen der Corona-Krise überwunden sind. Red.

In der ökonomischen Debatte ist ein breiter Konsens erkennbar: Deutschland muss mehr investieren. Das gilt bei den öffentlichen Investitionen vor allem für die Kommunen, die für einen großen Teil der öffentlichen Infrastruktur und Baumaßnahmen zuständig sind.1)

Obwohl die Bruttoinvestitionsausgaben über die vergangenen Jahre kontinuierlich gesteigert werden konnten, reichte das Investitionsniveau noch nicht aus, um die Abschreibungen auf den Kapitalstock auszugleichen. Negative Nettoanlageinvestitionen der kommunalen Ebene führen seit nunmehr 18 Jahren in Folge zu einem erheblichen Vermögensverzehr bei der Infrastruktur und entsprechend hohen Nachholbedarfen (siehe Abbildung 1).2) Bedenkt man die zusätzlichen investiven Herausforderungen, die sich beispielsweise aus dem demografischen Wandel, der Digitalisierung oder dem Klimawandel - wo Kommunen nicht nur ihren Beitrag zum Klimaschutz leisten, sondern auch zunehmend auf eine klimaresiliente Infrastruktur achten müssen - ergeben, werden weitere substanzielle Investitionsbedarfe offenkundig. Da stellen die aktuellen Auswirkungen der Corona-Krise für die Kommunen "nur" eine zusätzliche unter den schon vielen Herausforderungen dar.

Abbildung 1: Nettoanlageinvestitionen der Gemeinden und Gemeindeverbände (in Milliarden Euro) Quelle: Destatis (2020)

Auswirkungen abhängig von Dauer und Schwere der Krise

Steigen die Investitionsbedarfe schneller als die Investitionsfähigkeit der Kommunen, werden Investitionen teilweise aufgeschoben oder unterlassen. Genau dieses Phänomen dokumentiert der von den befragten Kämmereien wahrgenommene Investitionsrückstand im KfW-Kommunalpanel nun seit über zehn Jahren.3) Ein Erfolg der guten konjunkturellen Rahmenbedingungen der vergangenen Jahre war, dass die kommunalen Investitionsausgaben zumindest nominal gesteigert werden konnten (siehe Abbildung 2). Die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise gefährden aber diese positive Entwicklung.

Abbildung 2: Geplante Investitionsausgaben (brutto) der Kommunen (in Milliarden Euro) Quelle: Destatis (2020)

Die Auswirkungen auf die Kommunalfinanzen werden abhängig von Dauer und Schwere der Krise sein. Noch lassen sich die finanziellen Konsequenzen nicht seriös abschätzen.4) Aber: Von starken Einnahmerückgängen und perspektivisch steigenden Ausgaben ist auszugehen. So erwarten in einer Ergänzungsumfrage zum KfW-Kommunalpanel für das aktuelle Jahr über 90 Prozent der befragten Kommunen sinkende Einnahmen (insbesondere durch Ausfälle bei der Gewerbesteuer), über 60 Prozent prognostizieren zugleich steigenden Ausgaben (insbesondere für Personal- und Sozialausgaben).5) Perspektivisch ab 2021 sind die Aussichten zwar etwas weniger pessimistisch, bleiben aber mit deutlich negativen Vorzeichen, sodass von mindestens mittelfristigen Auswirkungen dieses Schocks auszugehen ist.

Verstärkung regionaler Disparitäten

Erfreulich ist zumindest, dass viele Kommunen über die vergangenen Jahre Finanzierungsüberschüsse erwirtschaften konnten. Vielerorts sind also noch finanzielle Reserven vorhanden, durch die Teile der Verluste aufgefangen werden können.6) Jedoch gilt für die Gesamtheit der Kommunen: Perspektivisch drohen Haushaltskonsolidierungen und umschichtungen zulasten der Investitionen. Denn obwohl für alle Ausgabenarten von den Kommunen ein Anstieg erwartet wird, gilt dies nicht für die Investitionen, wo eine relative Mehrheit der befragten Kämmereien sogar von einem Rückgang ausgeht. Besonders problematisch ist diese Aussicht im Hinblick auf die regionalen Disparitäten, die auch in konjunkturell guten Zeiten nicht verschwunden sind und sich nun auf mittelfristige Sicht wieder zu verstärken drohen, wenn vor allem in finanzschwachen Kommunen stärker konsolidiert und damit an Investitionen gespart werden muss.

Vor diesem Hintergrund zeichnet das KfW-Kommunalpanel 2020 noch die gute Finanzlage und steigenden Investitionen beziehungsweise Investitionsplanungen des Jahres 2019 nach. Allerdings deutete sich schon im Herbst eine deutliche Eintrübung bei der Erwartung der Kämmereien hinsichtlich der Entwicklung der Finanzlage an - erste Anzeichen für ein Ende des Booms gab es bereits zu diesem Zeitpunkt. Gleichzeitig gab es erhebliche Hemmnisse, die einem Abbau des Investitionsrückstandes gegenüberstanden: So sorgten zum Beispiel hohe Baupreise für einen Ausgabenanstieg, aus diesem resultierte jedoch kein vergleichbares Mehr an Infrastruktur.7) Zusätzliche politische Vorhaben - zum Beispiel der Ausbau der Ganztagsbetreuung in Schulen - sorgten für weitere Investitionsbedarfe, die nicht im erforderlichen Umfang gedeckt werden konnten. In der Folge wuchs der wahrgenommene Investitionsrückstand trotz nominal steigender Investitionsausgaben um sechs Prozent auf insgesamt 147 Milliarden Euro an (siehe Abbildung 3). Zur Finanzierung dieser Investitionsbedarfe greifen die Kommunen in ihrer Investitionstätigkeit vor allem auf Eigenmittel zurück, die sich aus Schlüsselzuweisungen und den originären Steuereinnahmen speisen. Auf diesem, letztlich auf Haushaltsüberschüssen basierendem Finanzierungsinstrument beruht über ein Drittel der kommunalen Investitionsfinanzierung.8) Hier droht die Corona-Krise nun spürbar ins Kontor zu schlagen.

Abbildung 3: Wahrgenommener Investitionsrückstand der Kommunen 2019 (in Milliarden Euro) Quelle: KfW-Kommunalpanel 2020

Rettungsanker Kommunalkredite?

Wenn die Eigenmittel wegbrechen, wäre der logische Schritt, auf die Fremdkapitalfinanzierung auszuweichen. Mit Blick auf Kommunalkredite, auf die rund ein Viertel der Investitionsfinanzierung entfällt, deuten sich immerhin auf absehbare Zeit keine negativen Effekte ab. Die Befürchtung, dass sich die Finanzierungskonditionen durch die Corona-Krise verschlechtern, wird von den Kommunen zu 65 Prozent nicht geteilt. Aber die Schulden werden wieder steigen, denn ein Viertel der Kommunen plant mehr Investitions- und ein Drittel mehr Kassenkredite aufzunehmen, um die Einnahmeausfälle zu kompensieren.

Den Möglichkeiten einer fremdfinanzierten Investitionsausdehnung sind durch das Haushaltsrecht allerdings enge Grenzen gesetzt, da sich die Höhe der Kreditermächtigung letztlich an der finanziellen Leistungsfähigkeit und damit der langfristigen Haushaltslage orientiert. Zwar ist im Moment keine ernsthafte Gefahr für die Tragfähigkeit der kommunalen Haushalte zu vermuten, auch dank der finanziell guten vergangenen Jahre, zahlreicher Konsolidierungserfolge der Kommunen sowie vielen Unterstützungsmaßnahmen des Bundes und der Länder. Aber das Risiko, dass Investitionen einer Konsolidierung zum Opfer fallen, ist wieder gestiegen, weil sinkende Einnahmen und letztendlich Investitionen sich nur bedingt durch eine höhere Schuldenaufnahme überbrücken lassen.

Dabei ist die weitere Steigerung der kommunalen Investitionen von hoher Relevanz, denn die Kommunen spielen nicht nur bei der Bewältigung der unmittelbaren Auswirkungen der Krise eine wichtige Rolle, sondern auch bei der langfristigen Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit und Lebensqualität Deutschlands. Wenn Deutschland gestärkt aus der Krise hervorgehen will, darf die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts nicht geschwächt werden, dafür sind die kommunalen Investitionen in die lokale Infrastruktur eine zentrale Stellschraube.

Bund und Länder haben den Ernst der Lage erkannt

Eine Konsolidierung zulasten der Investitionen muss also verhindert werden. Die Sicherung einer hinreichenden Investitionsfähigkeit insbesondere der Kommunen ist und bleibt damit eine zentrale Aufgabe der Wirtschaftspolitik in Deutschland. Dies scheint auch die grundsätzliche Überzeugung der Politik in Bund und Ländern zu sein, die deshalb erste Schutzschirme für die kommunalen Haushalte in der Corona-Krise aufgespannt haben.

Das Konjunkturpaket des Bundes und die Hilfsmaßnahmen in einigen Ländern werden die härtesten Konsequenzen für die kommunalen Haushalte vermutlich auffangen können. Die Entlastung bei den Sozialausgaben durch die Übernahme von 75 Prozent der Kosten der Unterkunft (KdU) durch den Bund wird zudem zu einer dauerhaften Entspannung in den Haushalten gerade bei finanzschwachen und hochverschuldeten Kommunen führen. Viele der anderen Maßnahmen sind jedoch nur temporärer Natur und werden kaum die grundsätzlichen Investitionsprobleme der kommunalen Ebene lösen.

Manche Investitionshemmnisse, wie fehlende Fachkräfte in der Verwaltung, werden bleiben, andere wie die Kapazitätsauslastung am Bau könnten sich verringern; aber die langfristige Planungssicherheit bleibt das zentrale Hindernis für (höhere) Investitionen. Eine auskömmliche Finanzausstattung aller Kommunen muss darum wieder mehr Gewicht in der politischen Debatte bekommen, wenn die Corona- und Konjunkturmaßnahmen auslaufen.

Dieser Beitrag gibt die persönliche Meinung der Autoren wieder und nicht notwendigerweise die der KfW.

Fußnoten

1) Diese grundsätzliche Übereinstimmung spiegelt sich beispielsweise in verschiedenen Vorschlägen der großen Wirtschaftsforschungsinstitute für Investitionsprogramme, vgl. etwa IW/IMK (2019): "Für eine solide Finanzpolitik - Investitionen ermöglichen!" oder DIW-Konjunkturprognose Sommer 2020.

2) Siehe hierzu die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung des Statistischen Bundesamtes: Die Bruttoanlageinvestitionen auf kommunaler Ebene reichen seit 2002 nicht aus, die Abschreibungen zu decken.

3) Vgl. Krone/Scheller (2020a): "10 Jahre KfW-Kommunalpanel: Methodik der Datenerhebung und -aufbereitung".

4) Aktuelle Schätzungen der Spitzenverbände reichen von 11,5 bis 20 Milliarden Euro. Viele Länder haben bereits Hilfsmaßnahmen (etwa vorgezogene Zahlungen aus dem kommunalen Finanzausgleich) in die Wege geleitet. Auch der Bund hat mit seinem Konjunkturpaket in Höhe von 130 Milliarden Euro viele Maßnahmen auf kommunaler Ebene adressiert.

5) Vgl. Brand/Steinbrecher/Krone (2020): "Kommunalfinanzen in der Corona-Krise: Einbruch erwartet, Investitionen unter Druck".

6) Vgl. Freier/Geißler (2020): "Kommunale Finanzen in der Corona-Krise: Effekte und Reaktionen".

7) Vgl. Brand/Steinbrecher (2020): "Kommunale Investitionen: Preiseffekte am Bau fressen Zinsentlastung auf".

8) Vgl. Krone/Scheller (2020b): "KfW-Kommunalpanel 2020".

DER AUTOR
DR. STEPHAN BRAND
Senior Referent Volkswirtschaft (Kommunen und Infrastruktur), KfW Bankengruppe, Frankfurt am Main
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DER AUTOR
DR. JOHANNES STEINBRECHER
Senior Referent Volkswirtschaft (Kommunen und Infrastruktur), KfW Bankengruppe, Frankfurt am Main
Dr. Stephan Brand , Senior Referent Volkswirtschaft (Kommunen und Infrastruktur) , KfW Bankengruppe, Frankfurt am Main
Dr. Johannes Steinbrecher , Senior Referent Volkswirtschaft (Kommunen und Infrastruktur) , KfW Bankengruppe, Frankfurt am Main

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