Entwicklungen im Einzelhandel

Deutsche Kunden hin- und hergerissen zwischen stationärem und digitalem Angebot

Abbildung 1: Umsatz Einzelhandel insgesamt (in Milliarden Euro) ohne Umsatzsteuer, Kfz, Tank stellen, Brennstoffe und Apotheken Quelle: Statistisches Bundesamt, Handelsverband Deutschland

Wer denkt, dass der Online-Handel den Einzelhandel im Sturm erobert, wird beim Blick auf aktuelle Zahlen zur Umsatzentwicklung eines Besseren belehrt. Rund zehn Prozent dürfte der im Rahmen von E-Commerce erzielte Umsatz am gesamten Einzelhandelsvolumen im laufenden Jahr ausmachen. Zwar stieg der Anteil des Online-Handels in den vergangenen Jahren kontinuierlich, doch die erste Euphorie ist etwas verflacht und das Segment befindet sich an einem kritischen Punkt. Dringend gesucht sind Innovationen, um die spektakulären Zuwächse der Anfangsjahre wieder aufleben zu lassen. Die Eroberung unkonventioneller Sparten wie etwa der Lebensmittelhandel ist rein logistisch eine Herkulesaufgabe. Eine wichtige Rolle kommt dabei der Logistikimmobilie zu. Vor allem über beachtliche Fläche sollte sie verfügen. Die örtlichen Begebenheiten sind mindestens genauso bedeutend: Gefragt ist sowohl die Nähe zum Endkunden als auch zu einem möglichst großen Arbeitskräfteangebot. In anderen Worten: Die Niederlassung in Ballungszentren wird angestrebt. Red.

Von Philipp Haffner, Redaktionsvolontär - Die Umsätze im deutschen Einzelhandel sind in den vergangenen fünf Jahren kontinuierlich gestiegen. In diesem Zeitraum hat sich der Online-Handel als Wachstumssegment erwiesen. Allein im Jahr 2015 wuchs dieser um zwölf Prozent von 37,1 auf 41,7 Milliarden Euro. Lag der Anteil am Gesamtumsatz des Einzelhandels im Jahr 2010 noch bei rund 5,5 Prozent, so dürfte er in diesem Jahr bereits auf knapp zehn Prozent steigen (siehe Abbildungen 1 und 2). Abzuwarten bleibt, ob diese Wachstumsraten auch in Zukunft erzielt werden können.

In einer Studie aus dem vergangenen Jahr diagnostiziert die Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) nämlich erste Müdigkeitserscheinungen. Einzelne Produktsparten, insbesondere die zu Beginn populären Umsatztreiber wie Bücher, Musik und Filme hätten demnach einen gewissen Sättigungsgrad erreicht und dämpften die Erwartungshaltung für anhaltend hohes Umsatzwachstum. Gleichzeitig werden bislang als klassisch stationär geltende Produkte wie etwa Gartengeräte zunehmend online gekauft.

Widerstandsfähiger stationärer Handel

Obgleich der Online-Handel als nicht mehr wegzudenkende Konstante erachtet wird, hält die GfK Einschätzungen, wonach der stationäre Sektor zeitnah komplett verschwinden könnte, für unrealistisch. Der Anteil des E-Commerce am gesamten Einzelhandelsumsatz dürfte sich der Studie zufolge bis zum Jahr 2025 lediglich verdoppeln. Angesicht des aktuell noch relativ geringen Anteils mutet diese Einschätzung beinahe pessimistisch an. Prognosen mit einem derart langen Zeithorizont sind natürlich mit Vorsicht zu genießen. Dass wirklich alle Wachstumstreiber ausreichend berücksichtigt wurden, ist nur schwer vorstellbar. Der Online-Lebensmittelhandel sowie die Entwicklung intuitiver Apps sind nur zwei Stichworte, die dem Online-Handel erneuten Schub verleihen könnten - zulasten des stationären Handels.

Allen Unkenrufen zum Trotz erweist sich der stationäre Handel bislang aber als robust und anpassungsfähig. Außerdem verfügt er offensichtlich über einige wertvolle Vorteile gegenüber dem digitalen Modell. Die Bequemlichkeiten ("Convenience") und oftmaligen Preisvorteile des Online-Shoppings sind zwar gewichtige Argumente, andererseits schätzen Konsumenten das im Verkaufsgespräch erworbene Verständnis, die Haptik sowie die unmittelbare Verfügbarkeit eines Produkts im Laden vor Ort.

Vergleicht man das Kaufverhalten auf Basis der Einteilung in verschiedene Alterskohorten, so ergibt sich ein vielsagendes Bild: Die unter 30-Jährigen - dicht gefolgt von den 30- bis 39-Jährigen - geben in Deutschland verhältnismäßig den größten Teil ihres Geldes (rund 18 Prozent) für das digitale Einkaufen aus. Der Anteil der Online-Ausgaben für die Altersgruppe über 60 Jahre bewegt sich dagegen nur im mittleren einstelligen Prozentbereich. Grundsätzlich gilt der moderne Konsument als überaus pragmatisch und flexibel hinsichtlich seiner Einkaufsgewohnheiten.

Der stationäre Handel scheint ohne Frage besser darin, die Emotionen eines Kunden zu wecken. Deshalb davon zu sprechen, dass der durchschnittliche Kunde über große Loyalität für den Buchladen um die Ecke verfügt, würde vermutlich aber zu weit gehen. Vielleicht ist es deshalb für stationäre Einzelhändler auch keine Seltenheit mehr, durch den Aufbau eigener Online-Shopping-Möglichkeiten das Beste aus der analogen und digitalen Welt zu verbinden.

Die Logistikimmobilien der Zukunft

Was bedeuten diese Entwicklungen für den Immobilienbereich? Die Nachfrage nach Logistikimmobilien dürfte durch neue Vertriebskonzepte großer Online-Händler jedenfalls weiter getragen werden. Nach dem Rekordjahr 2015 auf dem deutschen Lager- und Logistikimmobilienmarkt halten die Experten von JLL bei anhaltend guten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen auch für das laufende Jahr ein Flächenumsatz volumen in Höhe von sechs Millionen Quadratmetern für realistisch. Die Spitzenmieten dürften sich dabei stabil entwickeln. Die Stadt München hält mit 6,75 Euro pro Quadratmeter derzeit die Spitzenposition in diesem Segment.

Sogenannte Mega-E-Fulfillment-Zentren bilden den Kern dieser neuen Vertriebskonzepte und weisen Flächen bis über 100 000 Quadratmeter auf. JLL spricht in diesem Zusammenhang gar von einer ganz neuen Assetklasse der Logistik- und Distributionsimmobilien.

Amazon verfügt beispielsweise alleine in Deutschland über acht solcher Zentren mit einer Fläche von jeweils 110 000 Quadratmeter. Der Modehändler Zalando baut derzeit sein viertes Logistikzentrum in Südbaden, das ab Herbst 2016 eine Fläche von 130 000 Quadratmetern bieten soll. Diese Zentren dienen Online-Händlern in erster Linie als Warenlager. Der hohe Platzbedarf spiegelt sich in teilweise fünfzehn Meter hohen Hallen wider. Da Bestandsimmobilien diesen Ansprüchen nur unzureichend gerecht werden, ist die Projektentwicklung im Logistikbereich besonders ausgeprägt.

Der Standort der Fulfillment-Zentren ist grundsätzlich von großer Bedeutung. Der hohe Bedarf an Arbeitskräften erfordert die Nähe zu einem großen Arbeitsangebot, das sich wiederum vor allem in großen Städten und Ballungsräumen finden lässt. Auch die nachgelagerten Paket- und Sortierzentren sowie kleinere Logistikdepots sollten in der näheren Umgebung liegen, um eine zügige Zustellung bestellter Waren zu gewährleisten. Überhaupt arbeiten die Online-Händler sehr ehrgeizig daran, diesen Nachteil gegenüber der stationären Konkurrenz mit Konzepten wie der "same day delivery" (siehe hierzu auch den Gastbeitrag von Andreas Fleischer) wettzumachen.

Hürden auf dem Weg in die Städte

In diesem Zusammenhang droht ein echter Engpass, denn die Online-Händler treten damit direkt ein in den munteren Konkurrenzkampf um knapper werdende Flächen. Die Logistik mag zwar wichtig sein, im Wettbewerb mit Wohn-, Büro-, und Hotelprojekten zieht sie aber tendenziell den Kürzeren. Die Bedeutung der Logistik als Fundament vieler Wirtschaftsprozesse gegenüber städtischen Bauleitplanungen präzise herauszuarbeiten, wird somit zu einem Schlüsselanliegen der Branche.

Inwieweit etwa Amazon bestrebt ist, die Kontrolle über die gesamte Lieferkette zu gewinnen, ist eine aktuell viel diskutierte Frage. Der Konzern soll spätestens seit den letzten Streiks bei der Deutschen Post mit der Errichtung eines eigenen, unabhängigen Zustellungsdienstes liebäugeln. Der vom E-Commerce ausgehende Druck auf die Paketdienstleister zur Entwicklung innovativer Zustellkonzepte ist enorm. Immer kürzere Lieferzeiten erfordern stabile und leistungsfähige Logistiknetze. Besonders die sogenannte "letzte Meile" der Auslieferung an den Endkunden ist aufgrund hoher Verkehrsbelastung komplex und kosten intensiv. Nach Ansicht von JLL wird es für Einzelhändler, Immobilienentwickler- und investoren entscheidend sein, sowohl die unterschiedliche Dynamik als auch die Komplexität verschiedener Lieferketten im jeweiligen lokalen Markt frühzeitig zu verstehen und in ihre Strategie einzubeziehen. Nur so kann gewährleistet werden, von zukünftigen Trends in der schnelllebigen Logistikbranche nicht unvorbereitet überrumpelt zu werden.

Philipp Hafner , Leitender Redakteur, Immobilien & Finanzierung , Helmut Richardi Verlag

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