BEZAHLBARER WOHNRAUM IN DEUTSCHLAND

DER DEUTSCHE WOHNUNGSMANGEL IM HISTORISCHEN KONTEXT

Dr. Norbert Hiller, Foto: DZ Hyp AG

"Wer die Zukunft erforschen will, muss die Vergangenheit kennen." Diese alte chinesische Weisheit scheint auch für die Entwicklung des deutschen Wohnimmobilienmarktes Gültigkeit zu besitzen. Denn wie der folgende Beitrag belegt, war und ist dieser kontinuierlich von Phasen des Auf- und Abschwungs geprägt. Der Autor spannt dabei den großen historischen Bogen angefangen bei den Ölpreiskrisen in den Siebzigern über die Wiedervereinigung Ende der Achtziger bis hin zur Dotcom-Blase zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Die hierbei immer wieder zu erkennenden Parallelen zur heutigen Situation legen den Schluss nahe, dass sich aus der Vergangenheit tatsächlich einige wichtige Lehren für das Handeln von Wohnungs- und Geldpolitik ziehen lassen. Red.

Der Wohnungsmarkt in Deutschland ist aktuell von einem deutlichen Angebotsmangel gekennzeichnet. Insbesondere die Metropolen und attraktiven Groß- und Mittelstädte verzeichnen einen stetigen Einwohnerzuwachs und damit einhergehend steigende Miet- und Kaufpreise. Die Frage, inwieweit die aktuelle Preisentwicklung nachhaltig auf dem hohen Niveau bleiben wird, ist für alle Akteure am Wohn immobilienmarkt von großer Bedeutung.

Im historischen Kontext sind solche Preisbewegungen nichts Ungewöhnliches, durchlebte der deutsche Wohnimmobilienmarkt doch immer Phasen des Auf- und Abschwungs. Schaut man sich die Wohn immobilienpreis-, Gewerbeimmobilienpreis- und Büromietindizes an (siehe Abbildung 1), so sind innerhalb der vergangenen 40 Jahre wiederholt entsprechende Bewegungsmuster in Teilsegmenten des Immobilienmarktes zu erkennen. Ein Blick in die Historie ist für die Einschätzung der Zukunft daher lohnenswert.

Parallelen zu den Ölpreiskrisen

In den siebziger Jahren stand die deutsche Wirtschaft unter dem Einfluss zweier Ölpreiskrisen, die in allen Industrienationen Rezessionen auslösten. Hervorgerufen wurde die erste Krise durch die bewusste Verknappung des Erdöls, mit der die Vereinigung erdölexportierender Länder den Westen hinsichtlich ihrer Israel-Politik unter Druck setzte. Der Mangel an Öl und seine hohen Preissteigerungen hatten zur Folge, dass die Inflationsrate im Jahr 1975 das allgemeine Zinsniveau überstieg und einen Wertverlust der Bankeinlagen bewirkte. Ähnlich der heutigen Situation stieg vor diesem Hintergrund die Nachfrage nach Immobilien als attraktive Anlagealternative und bewirkte einen spürbaren Preisanstieg.

Unterstützt wurde die steigende Nachfrage durch eine Reihe staatlicher Interventionen wie der Grunderwerbssteuerbefreiung von Ein- und Zweifamilienhäusern, der Einführung einer degressiven Abschreibung für Wohnimmobilien und der Förderung von sozialem Wohnungsbau. Zudem wurden energetische Sanierungen für Bestandswohnungen bezuschusst, um Energieeinsparungen im Wohnungsbestand zu erzielen. Insgesamt trugen die wohnungspolitischen Maßnahmen zu einer starken Belebung der Konjunktur und damit des Wohnimmobilienmarkts bei. Dabei sind einige Parallelen zur heutigen Situation erkennbar.

Bezogen auf die energiesparenden Investitionen in Wohnhäusern gab zum Beispiel der Sachverständigenrat 1977 zu bedenken: "Es ist überhaupt nicht zu sehen, [...] Energie gerade durch wärmedämmende Anlagen in Wohnbauten zu sparen und solche Energieeinsparung durch mehrere Subventionsmilliarden zu fördern." Ferner beobachtete er im Jahr 1978: "Die Aufträge [...] waren in den letzten Monaten in einigen Gemeinden so umfangreich, dass es regional zu einer Überhitzung im Baugewerbe gekommen ist." Im Jahr 1982 kam der Sachverständigenrat zu dem Urteil, dass das Rentabilitätskalkül der Investoren und der Kapitalgeber in beträchtlichem Umfang durch Subventionen und andere Interventionen beeinflusst wird. Die Knappheitssignale des Gutes Wohnung seien dadurch verzerrt. Zwei Jahre später wies der Rat darauf hin, dass die Preissteigerungen nicht allein auf die Baupreise zurückgingen, sondern auch auf die verschärften Bauvorschriften.

Verzerrte Knappheitssignale

Letztlich fand der Immobilienpreisboom unter anderem durch die zweite Ölpreiskrise in den Jahren 1981/82 sein Ende. Sie löste in Westdeutschland die bis dato schwerste Rezession seit Bestehen der Bundesrepublik aus. Hintergrund dieser Ölpreiskrise war eine große Unsicherheit in den Ölförderländern nach dem Krieg zwischen Iran und dem Irak. Steigende Hypothekenzinsen, hohe Baukosten und das Auslaufen der Konjunkturprogramme verschärften die Situation. Der deutsche Wohnimmobilienmarkt kühlte sich merklich ab. So sanken zum Beispiel die Baufertigstellungen zwischen 1980 und 1983 um 12,3 Prozent und die Zahl der Beschäftigten im Baugewerbe reduzierte sich um 12,6 Prozent.

Diese Entwicklung zeigt, welche Auswirkungen geopolitische Ereignisse wie die erste und zweite Ölpreiskrise und die darauffolgenden wirtschaftspolitischen Entscheidungen auf nationale und letztlich regionale Immobilienmärkte haben. Der Staat und die internationale Geldpolitik nehmen eine Schlüsselrolle bei der Entwicklung der Preise ein. Darüber hinaus beeinflussen Zeitgeist und Ideologien, etwa ökonomischer oder ökologischer Natur, die eingeschlagenen Lösungswege.

Mietpreisbremse bereits in den achtziger Jahren ein Thema

In Deutschland erhöhte sich als Folge der zweiten Ölpreiskrise die Arbeitslosenquote unter den ausländischen Arbeitnehmern im gesamtdeutschen Verhältnis spürbar (siehe Abbildung 2). Angesichts dieser Entwicklung verabschiedete die damalige Bundesregierung unter Bundeskanzler Helmut Kohl ein Rückkehrhilfegesetz und gab ausländischen Staatsbürgern finanzielle Anreize, Deutschland zu verlassen. Infolgedessen wanderten in den Jahren 1982 bis 1984 mehr Menschen aus als ein. Erst 1985 kehrte sich das Verhältnis wieder um, da sich der Arbeitsmarkt stabilisierte und das Rückkehrhilfegesetz auslief. Der Fall der Mauer, Konflikte im ehemaligen Jugoslawien oder die sich zuspitzende Lage im kurdisch besiedelten Teil der Türkei führten in den Folgejahren zu einem starken Zuzug von Spätaussiedlern und Asylbewerbern, vor allem in die Ballungsgebiete.

Die Zuwanderung wirkte sich auf den Wohnungsmarkt aus. Die verstärkte Nachfrage führte zu steigenden Mieten und Kaufpreisen. Ein Blick in die Ausführungen des Sachverständigenrates verrät, dass im Jahr 1987 "immer geringer werdende Leerstände und steigende Mietpreise [...] die Renditeerwartungen der Bauherren offenbar nachhaltig verbessert" hatten. Im Jahr 1988 bemerkte der Rat: "Vor eine besondere Herausforderung wird der Wohnungsmarkt durch die verstärkte Zuwanderung gestellt. Das Wohnungsangebot ist im Verhältnis zur Nachfrage, vor allem in den größeren Städten, wieder knapper geworden." Die Diskussion um eine Mietpreisbremse erinnert an heutige Debatten. Denn auch damals begegnete man dem Wohnraummangel mit zunehmender Regulierung. Dies kritisierte der Sachverständigenrat: "Schärfere Mietpreiskontrollen und ein weiter ausgebauter Mieterschutz werden den freifinanzierten Mietwohnungsbau gefährden".

Nachfragestimulation dank "Aufbau Ost"

Aufgrund der geringen Inflationsrate legte die damalige Bundesbank im Jahr 1987 einen niedrigen Leitzins fest, was Kredite vergleichsweise günstig machte. Hypothekendarlehen mit zehnjähriger Zinsbindung waren zu einem Zinssatz von 7,3 Prozent erhältlich. Im Jahr 1980 hatte dieser Wert noch bei 11,5 Prozent gelegen (zum Vergleich: heute liegt er bei 1,5 Prozent). Die niedrigen Zinsen hatten - damals wie heute - eine steigende Nachfrage nach Immobilien zur Folge, was sich in höheren Preisen niederschlägt.

Die zunehmende Zahl der Haushalte in Westdeutschland, deren gestiegenes verfügbares Einkommen und die wohnungsbaupolitischen Maßnahmen im Rahmen des Subventionsprogramms "Aufbau Ost" wirkten nachfragestimulierend. Mit Letzterem sollte der Wohnungsbestand in Ostdeutschland an das westliche Niveau angepasst werden.

Deshalb wurde die Möglichkeit geschaffen, (Ost-)Immobilien mit bis zu 50 Prozent von der Steuer abzuschreiben. Der Sachverständigenrat kam 1993 zu dem Schluss, dass die Rahmenbedingungen für die Wohnungswirtschaft im historischen Vergleich positiv ausfielen. Sinkende Hypothekenzinsen, steigende Mieten und staatliche Förderungsmaßnahmen erhöhten in Summe die Rentabilität von Investitionen in Wohneigentum spürbar. Die Eingriffe in den Wohnungsmarkt hatten ein Überangebot an Wohnimmobilien ab Mitte der neunziger Jahre zur Folge. Bei gleichzeitiger Rücknahme der Förderprogramme mündete dies in einen Preisverfall. Die Renditeerwartungen der Investoren wurden überwiegend nicht erfüllt. Insbesondere in Ostdeutschland war aufgrund der Mietausfälle der zugewiesene Steuervorteil schnell aufgezehrt.

Ein konjunktureller Abschwung erfasste Deutschland und der Zyklus war vorüber. Die Folgen dieser Entwicklungen waren noch Jahre später spürbar, denn Immobilienmärkte reagieren in der Regel träge. So lag die Leerstandsquote bei Wohnimmobilien in Ostdeutschland noch 2002 bei rund 14,4 Prozent (Westdeutschland 6,7 Prozent) und 2010 bei rund 11,5 Prozent (7,8 Prozent).

Nach den durch die Wiedervereinigung bedingten intensivierten Wohnungsbaumaßnahmen entwickelte sich der deutsche Wohnimmobilienmarkt um die Jahrtausendwende stabil. So verliefen die nationalen Preisindizes für Wohnimmobilien relativ konstant. Währenddessen ebneten neue Innovationen in der Informationstechnologie den Weg zur Dotcom-Blase, welche den Büroimmobilienmarkt ab 1999 beflügelte. Jedoch waren die Auswirkungen auch in Teilen der Wohnimmobilienmärkte spürbar. München ragte als damals viertgrößter IT-Standort der Welt bei der Entwicklung der Wiederverkaufspreise für Eigentumswohnungen mit besonderer Dynamik hervor (siehe Abbildung 3).

Dotcom-Blase erfasst auch den Wohnimmobilienmarkt

Doch die neuen Technologieunternehmen wurden den hohen Renditeerwartungen kaum gerecht. Vermeintliche Hoffnungsträger mussten Insolvenz anmelden. Im Jahr 2000 platzte die Blase und löste die Dotcom-Krise aus. Die Leerstandsquote von Büroimmobilien stieg aufgrund der von IT-Unternehmen nicht mehr benötigten Flächen sprunghaft an. Das Beispiel zeigt, wie bedeutsam regionale Wirtschaftsstrukturen und ihre Schwerpunkte für die dortigen Wohnimmobilienmärkte sind.

Eine einseitige Ausrichtung birgt die Gefahr einer Abhängigkeit, die mit potenziellen Rückschlägen verbunden ist. Übertragen auf die Zukunft haben Ereignisse wie die Dieselaffäre oder der Strukturwandel im Einzelhandel das Potenzial, spürbare Auswirkungen auf regionale Immobilienmärkte zu verursachen.

In der ersten Hälfte der 2000er Jahre waren die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen durch die Folgen der Wiedervereinigung, die Dotcom-Blase und für die Exportnation Deutschland auch durch die Asienkrise geprägt. Die Bundesrepublik wurde zum "kranken Mann" Europas. Erst der anschließende Aufschwung der Schwellenländer stärkte dank steigender Importzahlen bei den Handelspartnern die hiesige Wirtschaft und damit den Immobilienmarkt. Im Jahr 2007 kam es zur Finanzmarktkrise. Die europäische Zentralbank musste ihre restriktive Zins politik aufgeben und läutete die Ära der bis heute andauernden Niedrigzinsphase ein.

Finanzmarktkrise befeuert Immobilieninvestments

Die Krise und die zu ihrer Bewältigung eingesetzten wirtschaftspolitischen Maßnahmen hatten gravierende ökonomische Auswirkungen. In Griechenland mündete dies in eine Staatsschuldenkrise, die den gesamten Euroraum ab 2010 vor große Herausforderungen stellte. Die Stabilität des Euro stand zur Disposition. Da die Inflationsrate über dem allgemeinen Zinsniveau lag, brachte das klassische Sparen kaum eine Rendite. Wie Mitte der siebziger Jahre wurden Sachgüter wie Immobilien zu einer interessanten Anlagealternative. Deutschland zeichnete sich während der Finanzmarkt- und Eurokrise durch wirtschaftliche Stabilität aus. Exportorientierte Unternehmen anderer Länder waren von den Entwicklungen stärker betroffen als deutsche Firmen. Politiker machten hierfür Arbeitsmarktreformen wie die Agenda 2010 oder Anpassungen bei der Kurzarbeit verantwortlich.

Die deutsche Industrie hingegen verwies auf ihre internationale Stärke in der Automobil-, Maschinen- und Chemiebranche. Zudem lobte man - zumindest auf Arbeitgeberseite - die vergleichsweise verhaltene Lohnentwicklung der vergangenen Jahre. Die Attraktivität des Standorts Deutschland hat sich nach der Krise weiter verbessert - auch für ausländische Arbeitnehmer.

Alter Wein in neuen Schläuchen

Ab 2010 wanderten wieder mehr Menschen zu als ab. Die Zuwanderung erhöhte sich durch den Bürgerkrieg in Syrien weiter und erreichte mit den Flüchtlingsströmen im Jahr 2015 ihren Höhepunkt. Erneut suchten die Menschen aufgrund bestehender kultureller Netzwerke und des großen lokalen Arbeitsmarktes vor allem in den Ballungsgebieten nach einer Bleibe. Der Staat reagierte mit den üblichen Instrumenten auf den zunehmenden Wohnungsmangel: Er stimulierte den Markt beispielsweise durch einen stärkeren sozialen Wohnungsbau, führte das Baukindergeld ein (prinzipielle Ähnlichkeiten zur Eigenheimzulage) und nahm Anpassungen bei der Abschreibungssystematik von Immobilien vor, die mit steuerlichen Erleichterungen einhergehen. Fehlendes Bauland, Kapazitätsengpässe in der Bauindustrie und langwierige Genehmigungsverfahren schränken jedoch die Marktentwicklung bis heute ein.

Die Finanzmarkt- und Eurokrise sowie der Zustrom von Geflüchteten sind das Ergebnis zunehmender (wirtschafts-)politischer Instabilität. Unsicherheit beeinflusst die Ökonomie negativ, denn Investitionsentscheidungen und wirtschaftliches Handeln beruhen auf Planungssicherheit und Kalkulierbarkeit. Eine langanhaltende Niedrigzinsphase und wohnungspolitische Eingriffe sind die Folgen dieser Instabilität. Seit nunmehr acht Jahren wird der deutsche Wohn immobilienmarkt hiervon beflügelt. Doch ist diese Entwicklung nachhaltig? Erreicht der Immobilienmarkt ein neues, stabiles Preisniveau oder kommt es zu Preiskorrekturen?

Die Historie der Wohnimmobilienmärkte zeigt, dass jedem Aufschwung eine Abkühlung folgt. Preise sind das Ergebnis von Angebot und Nachfrage. Je stärker die Zinsen kurzfristig ansteigen, je stärker die Wanderungsströme nachlassen und je plötzlicher wohnungspolitische Eingriffe zurückgefahren werden, desto eher wird die Nachfrage nach Immobilien sinken. Wird im gleichen Zuge das Wohnungsangebot massiv ausgeweitet, ist mit einer stärkeren Preiskorrektur zu rechnen. Bleiben die Rahmenbedingungen unverändert, dürfte die momentane Entwicklung weiter anhalten.

DER AUTOR DR. NORBERT HILLER Analyst Immobilien-Research, DZ HYP AG, Münster

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