MARKT- UND OBJEKTBEWERTUNG

DIGITALISIERUNG IN DER IMMOBILIENBEWERTUNG

Frank Hemmer, Foto: Britta Pagel

Ob Big Data, BIM oder Künstliche Intelligenz: Für die Zukunft der Immobilienbewertung spielt der technologische Fortschritt eine entscheidende Rolle. Doch welche Chancen und Herausforderungen implizieren diese derzeit dynamisch Einzug haltenden Trends im Einzelnen für die tägliche Arbeit von Sachverständigen? Der Autor nähert sich dieser Frage im vorliegenden Beitrag anhand konkreter Praxisbeispiele und geht dabei insbesondere auch auf das Potenzial sogenannter Automated Valuation Models (AVM) ein. Diese bislang nur für bestimmte Objektarten (zum Beispiel Wohnimmobilien) eingesetzten Bewertungsmodelle werden seiner Einschätzung nach weiter an Bedeutung gewinnen. Red.

Qualitativ - schnell - preisgünstig: Das sind die drei Hauptanforderungen, die heute an die Sachverständigen in den Bankbewertungsabteilungen gestellt werden, wenn sie mit der Erstellung eines Immobilienwertgutachtens beauftragt werden. Um zu verstehen, wo man hin will, hilft oft ein Blick in die Vergangenheit. Bis in die achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts wurden Wertermittlungen oft handschriftlich auf einer Seite erstellt und auf das rechnerische Ergebnis wurde eine Kreditentscheidung abgestellt. Heute umfassen selbst Wertungen für Sach- und Vergleichswertobjekte 30 bis 40 Seiten, nur weil standardisierte Texte und fertige Lagebeschreibungen das zulassen und die große Herausforderung nach der Objektbesichtigung besteht darin, die Auswahl aussagekräftiger Bilder zur Dokumentation ohne das Gutachten durch die Vielzahl der Fotos in ein Bilderbuch zu verwandeln. Meist ist aber in den Gutachten eine Seite mit einer zusammenfassenden Übersicht der Kennzahlen vorhanden und dann ist da wieder die eine Seite, die für die Kreditentscheidung relevant ist.

Verbesserte Datengrundlage

Allerdings gibt es einen entscheidenden Unterschied zu den Gutachten früherer Jahre, denn die Datengrundlage hat sich massiv erweitert und verbessert. Das betrifft die Verfügbarkeit von Mieten in vielen Märkten für verschiedene Objektarten ebenso wie Renditekennzahlen bei Gewerbeimmobilien und Vergleichswerte für eigengenutzte Wohnimmobilien. Tatsächlich ist die Immobilienbranche aber erst am Anfang der Nutzung von Machine Learning, Big Data und Künstlicher Intelligenz. Nur durch die Sammlung vieler Daten und die Anwendung moderner Techniken zur Modellierung wird das Immobilienbewertungsmodell aber nicht präziser. Ein zentraler Punkt ist ein gutes geografisches Informationssystem sowie die Qualität und Aussagekraft der Daten. Dies hat einen direkten Einfluss auf die Bewertung. Die Daten müssen daher zuverlässig, präzise und sicher sein. Weitere Anforderungen sind die Verarbeitungsmöglichkeiten, wobei Überprüfbarkeit, Eignung, Klassifizierung, Kalkulierbarkeit und Analysefähigkeit gegeben sein muss.

Bei der Weiterentwicklung der Bewertungssysteme steht der Wunsch nach Automatisierung ganz oben. Mit der Anlage einer Adresse und einer Objektart steht bereits heute eine Vielzahl von Möglichkeiten offen. Sofern es sich beispielsweise um eine Büroimmobilie handelt, können Informationen zum regionalen Büromarkt dargestellt werden, gleiches gilt für Wohnen, Einzelhandel, Hotel und Logistik. Ein geografisches Informationssystem kann durch die Georeferenzierung eine Makrolagenbeschreibung erzeugen. Entsprechende Vorlagen, die in regelmäßigen Abständen aktualisiert werden, können eingefügt werden, ergänzt um ökonomische Daten wie Demografie, Kaufkraft und Zentralität. Auch die Mikrolagenparameter sind auf diese Art und Weise verfügbar.

Dabei können die Entfernungen vom Bewertungsobjekt zu Infrastruktureinrichtungen beschrieben und mit einer Gewichtung des Kriteriums bewertet werden, die einen Fließtext darstellt oder eine Einschätzung in visueller Form gibt. Zusätzlich können beispielsweise Informationen zu Bodenkontaminationen oder Hochwassergefährdungen dargestellt werden. Mit der Adresse und Objektart können auch Grundbuchdaten referenziert werden, sodass eine Vorkonfektionierung möglich ist. Das Hauptaugenmerk liegt aber auf der Verfügbarkeit der Bewertungsparameter. Dabei ist es wünschenswert, dass Vorschläge von Mietbandbreiten und Renditekennzahlen, örtliche Baukosten aus anerkannten Kostenkennwerten und Vergleichswerte für Bodenwerte, möglichst aus vorhandenen Transaktionsdaten generiert werden. Diese Informationen können mit Geoinformation wie Übersichtskarten, Ortsplänen, Luftbild und Lageplan ergänzt werden.

Kurz- bis mittelfristig erreichbares Zielbild

Dieses Zielbild ist kurz- bis mittelfristig erreichbar. Die große Schwäche der meisten am Markt verfügbaren Systeme ist das Commitment auf eine einzige Datenquelle. Für eine feinere Granulierung der Werte ist aber die Heranziehung einer Vielzahl von Datenquellen sowie deren Abgleich untereinander notwendig. Die Anbindung dieser Quellen an ein modernes Bewertungssystem über Schnittstellen sowie das Matchen der Daten stellt die nächste Herausforderung dar. Transaktionspreise sind dabei die wichtigsten Komponenten einer automatisierten Immobilienbewertung. Mit den verfügbaren Daten können Märkte und Lagen gut beschrieben werden, was fehlt sind die objektspezifischen Merkmale.

Darüber hinaus können baurechtliche Informationen wie die Inhalte eines Bebauungsplans, die zulässige Geschossflächenzahl (GFZ) des Bewertungsgrundstücks und bei Verfügbarkeit eines digitalen Katasters die tatsächliche GFZ geliefert werden. An diesem Punkt kommt Building Information Modeling (BIM) ins Spiel. Dieses Instrumentarium aus den USA findet sukzessive auch in Europa Anwendung bei modernen Bauvorhaben. Dabei werden die einzelnen Bauteile mit Datenträgern bestückt, die Informationen zu ihrem Baujahr, Aufbau, Lebenszyklus et cetera enthalten. Damit können Bauwerke, die im BIM erstellt wurden, Daten zu Baujahr, Fläche und Instandhaltungsaufwendungen sowie digitalen Bauzeichnungen liefern. BIM integriert dabei digitale Services von Gebäudemanagementkompetenz, Gebäudemanagementplattform, integrierte Systemlösungen, Digitalisierung und analytische Kompetenz, Simulationstools sowie BIM-konforme Produktdaten.

Ebenso können die energetischen Kennwerte eines Gebäudes systematisch ausgewertet und auf ihre Eignung für ausgewählte Finanzprodukte geprüft werden. Neben den bewertungsspezifischen Anforderungen spielen verwaltungstechnische Aspekte eine immer größere Rolle. Eine integrierte Prozess- und Änderungsdokumentation sowie grafische Auswertungsmöglichkeiten in einem Dashboard sollen zum Standard werden. Die Besichtigungen können mit Virtual-Reality- oder Mixed-Reality-Brillen durchgeführt und die Bilder live übertragen werden. Durch digitale Dokumentation können Filme zum Objekt in das Gutachten integriert werden, die Objektdaten sind in der Cloud jederzeit verfügbar.

Für einige Objektarten bestehen bereits Automated Valuation Models (AVM). Die Wertfindung generiert sich durch die Transaktionsdaten, das hedonische Verfahren steht in den Startlöchern, obwohl es gegenüber Machine Learning, Big Data und Künstlicher Intelligenz, deren Möglichkeiten in anderen Branchen längst genutzt werden, schon wieder veraltet wirkt. Auf jeden Fall ist das noch existierende Sachwertverfahren antiquiert, arbeitet mit fortgeschriebenen oder davongaloppierenden Bodenrichtwerten in Verbindung mit synthetischen, allein der Besteuerung dienenden Baukostenansätzen, sodass mit Markt anpassungs- und Sachwertfaktoren gerechnet wird, die willkürlich wirken.

Unterschiedliche Ansichten zur Zukunft von AVM

Mit immer höherer Verfügbarkeit von Transaktionsdaten auch im Bereich eigengenutzter Wohnhäuser dürfte es wohl bald der Vergangenheit angehören, sobald die schützende Hand der Regulatorik weggezogen wird. Das größte Hindernis beim Vorantreiben neuer Technologien ist die fehlende Standardisierung. Damit wird ohne entsprechende Mappingtabellen, die einer Einigung in der deutschen Kreditwirtschaft bedürfen, der Datenaustausch limitiert. Daher arbeiten die Kreditinstitute in der Regel an eigenen Lösungen, um die Digitalisierung voranzutreiben. Im Zentrum steht dabei die Weiterverarbeitbarkeit der Daten. Wurde vor einigen Jahren Digitalisierung noch als elektronische Kommunikation mit Auslieferung eines Gutachtens als PDF-Datei verstanden, ist heute die Übermittlung der einzelnen Datensätze in andere Systeme zur weiteren Modellierung unabdingbar. Auf der Kundenseite werden die Erwartungen und Anforderungen immer höher, auch hier wächst eine neue Generation heran, die mit den technischen Möglichkeiten stark vertraut ist.

Durch die Weiterentwicklungen der Bewertungssysteme, die verbreiterte Datenbasis und die verbesserte Datenqualität werden die AVM verstärkt an Bedeutung gewinnen. Klar ist, dass die AVM, die heute überwiegend für eigennutzungsfähiges Wohneigentum eingesetzt werden, weitere Entwicklungen durchlaufen, die einen erheblichen Fortschritt in ihrer Benutzerfreundlichkeit und ihrer Genauigkeit markieren. Zur Weiterentwicklung von AVM zur Künstlichen Intelligenz gibt es mit Blick auf die Tätigkeit des Sachverständigen unterschiedliche Ansichten. So wird sie wahlweise als Bedrohung oder als sinnvolle Ergänzung gesehen.

Dazu Alexander Aronsohn, technischer Direktor im International Valuation Standards Council (IVSC), in der RICS-Studie "The Future of Valuations": "Die Bewertung wird oft als teils Kunst, teils Wissenschaft bezeichnet. Künstliche Intelligenz wird sicherlich die Art und Weise ändern, wie Gutachter arbeiten und den zeitlichen Anteil verschieben, den sie innerhalb des Bewertungsprozesses aufwenden. Künstliche Intelligenz kann erheblich die Routinearbeiten im Bewertungsprozess rationalisieren, was Gutachtern erlaubt, weniger Zeit mit dem Sammeln und Analysieren von Daten zu verbringen und dafür mehr Zeit in die Interpretation von Daten und Beratungsleistungen auf Basis des Marktwerts, Expertise und Wissen des Gutachters zu investieren. Künstliche Intelligenz kann sogar den wissenschaftlichen Teil der Bewertung eliminieren, aber nicht die "Kunst" des Bewertens ersetzen, bei der der Gutachter die Daten interpretiert und ein Urteil über die Auswirkungen dieser Daten auf den Wert trifft."

Sachverständigenwesen muss sich wandeln

So oder so - die Immobilienwirtschaft mit hohem Geldtransaktionsvolumen und branchenübergreifend geringem Digitalisierungsgrad gerät derzeit immer stärker in den Fokus von branchenfremden Unternehmen vor allem aus dem IT-Bereich, was die Entwicklung weiter vorantreiben wird. Die Bewertung wird sich von einer vergangenheitsorientierten Analyse immer stärker zu einer Prognose ändern, die die Chancen und Risiken in der Zukunft abwägt.

Daher muss auch ein Wandel im Sachverständigenwesen stattfinden, der die neuen Möglichkeiten als Chance begreift und auf die sich verändernden Kundenanforderungen einstellt: ein Report mit allen wesentlichen Daten in guter grafischer Aufbereitung, ein Report, auf dessen Basis eine gute Beratung erfolgen kann, die in eine schnelle und sichere Entscheidung mündet, ein Report auf einer Seite.

DER AUTOR FRANK HEMMER Geschäftsführer, M-Wert GmbH, München
Frank Hemmer , Geschäftsführer, M-Wert GmbH, München

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