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EuGH-Urteil trifft spanische Banken hart

Nils Döhler, Senior Associate, Monereo Meyer Marinel-lo Abogados S.L.P., Barcelona

Bittere Pille für spanische Banken: Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hat Ende Dezember 2016 dem Urteil des obersten Gerichtshofs Spaniens widersprochen und die in zahlreichen spanischen Hypothekendarlehen enthaltene Mindestzinsklausel auch rückwirkend für unwirksam befunden. Betroffene Banken werden somit zur zeitlich unbefristeten Rückzahlung von zu viel gezahlten Zinsen seit Abschluss der Darlehensverträge gezwungen. Die damit verbundenen Belastungen könnten sich nach Schätzungen der spanischen Notenbank auf bis zu fünf Milliarden Euro belaufen. Mit einem jüngst verabschiedeten Eilgesetz wurde mittlerweile die gesetzliche Grundlage für ein Verfahren zur außergerichtlichen Rückerstattung geschaffen. Der Autor erläutert im folgenden Beitrag die wichtigsten Hintergründe zu dem EuGH-Urteilsspruch. Red.

Am 21. Dezember 2016 entschied der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) mit seinem Urteil in den verbundenen Rechtssachen C-154/15 (Francisco Gutiérrez Naranjo/Cajasur Banco, S.A.U.), C-307/15 (Ana María Palacios Martínez/ Banco Bilbao Vizcaya Argentaria, S.A. - BBVA) sowie C-308/15 (Banco Popular Espñol, S.A./Emilio Irles López und Teresa Torres Andreu), dass die spanische höchstrichterliche Rechtsprechung, mit der die Wirkungen der Nichtigkeit von Mindestzinsklauseln in Hypothekendarlehensverträgen in Spanien zeitlich beschränkt werden, mit dem Unionsrecht unvereinbar ist. Die Folge einer solchen zeitlichen Beschränkung wäre anderenfalls ein nur unvollständiger und unzureichender Verbraucherschutz, der kein angemessenes und wirksames Mittel sein kann, um der Verwendung missbräuchlicher Klauseln ein Ende zu setzen.

Erstattungen in Milliardenhöhe erwartet

Verbraucher, die mit spanischen Banken ein Hypothekendarlehen mit einer unwirksamen "cláusula suelo" abgeschlossen haben, können demnach auch rückwirkend Rückzahlungsansprüche gegen spanische Banken geltend machen. Nach Einschätzung der spanischen Zentralbank ("Banco de España") beträgt das geschätzte Erstattungsvolumen zwischen drei und fünf Milliarden Euro und betrifft unter anderem spanische Geschäftsbanken wie BBVA, Caixabank und die verstaatlichte Bankia-Bank.

Das EuGH-Urteil konzentriert sich im Wesentlichen auf folgende Vorschriften: Artikel 6 Absatz 1 der Richtlinie 93/13/ EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (Amtsblatt Nr. L 095 vom 21.04.1993, S. 0029 - 0034) bestimmt, dass die Mitgliedsstaaten vorsehen müssen, dass missbräuchliche Klauseln in Verträgen, die ein Gewerbetreibender mit einem Verbraucher geschlossen hat, für den Verbraucher unverbindlich sind.

Im Übrigen kann der Vertrag wirksam bleiben, wenn er ohne die missbräuchlichen Klauseln bestehen kann. Die Mitgliedsstaaten haben in diesem Zusammenhang die entsprechenden innerstaatlichen Rechtsvorschriften zu treffen. Artikel 7 Absatz 1 derselben Richtlinie besagt wiederum in erster Linie, dass die Mitgliedsstaaten für das Vorhandensein angemessener und wirksamer Mittel sorgen müssen, damit der Verwendung missbräuchlicher Klauseln ein Ende gesetzt wird.

Mechanismus zum Schutz vor starkem Zinsabfall

Viele spanische Hypothekendarlehen enthalten einen sich am Zinsmarkt (zum Beispiel Euribor) orientierenden, variablen Zinssatz mit einer Mindestzinsklausel. Durch diesen Mechanismus schützt sich die Bank vor einem marktbedingten zu starken Zinsabfall. Konkret bedeutet dies: Fällt der vertraglich vereinbarte variable Zinssatz aufgrund allgemeiner Niedrigzinsen unter das vertraglich vorgesehene Niveau, findet zum Vorteil des Kreditinstituts der Mindestzins Anwendung. Der EuGH widerspricht mit seinem Urteil der Entscheidung des "Tribunal Supremo", vom 9. Mai 2013.1) Dieses sah im Ergebnis keine rückwirkende Unwirksamkeit der für missbräuchlich erklärten Mindestzinsklauseln ab Vertragsschluss vor.

Urteil auch für Auslandsbanken relevant

Gleichermaßen wird auch der Folgeentscheidung des Tribunal Supremo vom 25. März 2015 2) widersprochen, das sein vorheriges Urteil auch auf Individualklagen von einzelnen Verbrauchern ausdehnte. Der Tribunal Supremo rechtfertigte damals seine Entscheidungen aus Gründen der Rechtssicherheit sowie zur Verhinderung des Eintritts schwerwiegender finanzieller Folgen oder Störungen ("trastornos graves"). Der Geltendmachung erheblicher Rückforderungsansprüche durch die Kreditnehmer gegenüber den spanischen Banken, auch für die Vergangenheit, sollte vor dem Hintergrund der erheblichen Auswirkungen Einhalt geboten werden.

Interessant ist, gerade auch für ausländische Kreditinstitute und Bankkunden der EU, dass der EuGH in seiner Entscheidung explizit die verbraucherfreundliche Auslegung des Tribunal Supremo im Hinblick auf Artikel 4 der besagten Richtlinie und das Erfordernis eines nicht nur formalen, sondern auch materiellen Transparenzgebots würdigt. Somit werden auch ausländische Banken gegebenenfalls ihre vorhandenen Zinsregelungen einer Überprüfung unterziehen müssen. Darüber hinaus wird hervorgehoben, dass es den Mitgliedsstaaten obliegt, vorliegend dem nationalen Gericht, die Voraussetzungen zur Feststellung der Missbräuchlichkeit einer Klausel und die entsprechenden Auswirkungen zu präzisieren. Insoweit stand es dem Tribunal Supremo sogar zu, im Sinne der Rechtssicherheit Sachverhalte unberücksichtigt zu lassen, über die bereits abschließend und rechtskräftig entschieden worden ist. Darüber hinaus darf das Unionrechts den nationalen Gerichten der Mitgliedsstaaten nicht vorschreiben, seine innerstaatlichen Verfahrensvorschriften zu missachten. Um allerdings eine einheitliche Anwendung des Unionsrechts zu gewährleisten, obliege es wiederum ausschließlich dem EuGH zu bewerten, ob eine vorgenommene Auslegung einer Unionsvorschrift zeitlich eingeschränkt werden darf oder nicht.

Sofern also ein Verbraucher ein Hypothekendarlehen mit einem rein variablen Zinssatz abschließen wollte, ohne dass sich dieser später aufgrund starken Zinsabfalls und infolge von Mindestzinsklauseln in einen festen Zinssatz umwandeln kann und der Verbraucher über die tatsächlichen wirtschaftlichen sowie rechtlichen Folgen einer solchen Klausel auch nicht hinreichend aufgeklärt wurde, dann ist diese Klausel als missbräuchlich einzustufen. Dass die Klausel, rein formal beziehungsweise grammatikalisch betrachtet, nicht zu beanstanden sei, erfülle nur das formale Transparenzgebot, reiche aber für sich allein betrachtet nicht aus.

Erste Revision bereits bestätigt

Im Ergebnis zwingt die EuGH-Entscheidung die betroffenen spanischen Banken zur zeitlich unbefristeten Rückzahlung von zu viel gezahlten Zinsen seit Abschluss des Darlehensvertrages. Dies betrifft ungefähr den Zeitraum ab dem Jahre 2009. Ab diesem Zeitpunkt, inmitten der damaligen Finanzkrise, aktivierten sich die Mindestzinsklauseln aufgrund zunehmenden Zinsverfalls. Die allgemeine Ausbreitung eines Niedrigzinssatzumfeldes über einen längeren Zeitraum war die Folge. Insbesondere von dieser EuGH-Entscheidung betroffene Banken sollen, in dieser Reihenfolge, die BBVA, Caixabank, Sabadell, Banco Popular, Liberbank und Bankia sein.

Rückforderungsberechtigt sind selbstverständlich auch ausländische Ferienhausbesitzer, die über spanische Banken finanziert hatten. Nach veröffentlichten Schätzungen wird mit durchschnittlichen Rückerstattungsansprüchen in der Größenordnung zwischen 8 000 und 12 000 Euro pro Hypothekendarlehen gerechnet. Direkt nach Bekanntwerden des EuGH-Urteils wurden aber erste Stellungnahmen bekannt, wie beispielsweise der Banco Sabadell, die der Auffassung sind, die Transparenzvorschriften dennoch erfüllt zu haben. Das EuGH-Urteil wurde wiederum in der spanischen Gerichtspraxis direkt umgesetzt und mündete bereits am 15. Februar 2017 laut Pressemeldungen in einem ersten Tribunal-Supremo-Urteil, das die EuGH-Rechtsprechung in einem Fall gegen die BBVA bestätigt und damit seine eigene Rechtsprechung ausdrücklich revidiert.3)

Grundlage für außergerichtliche Rückerstattung

Die spanische Regierung hat am 20. Januar 2017 im Eiltempo das Königliche Gesetzesdekret 1/2017,4) welches am Folgetag in Kraft trat, erlassen und damit eine solide gesetzliche Grundlage für die außergerichtliche Geltendmachung von Rückerstattungsansprüchen für zu Unrecht gezahlte Mindestzinsen geschaffen. Hauptziele der Maßnahme sind die Entlastung der spanischen Gerichte, die Beschleunigung der Abwicklung insgesamt und die Verhinderung einer wirtschaftlichen "Ausschlachtung" der Situation durch eigens zu diesem Zweck gegründete Beraterfirmen.

Der Bankensektor wird wiederum dazu verpflichtet, Darlehensverträge mit Mindestzinsklauseln schnellstmöglich zu überprüfen, um mit ihren Bankkunden zu einer außergerichtlichen Einigung zu gelangen. Die spanische Regierung verspricht sich durch das neu eingeführte, außergerichtliche Vergleichsverfahren zudem selbst erhebliche Kosteneinsparungen. Denn bei geschätzt rund 2,2 Millionen anspruchsberechtigten Kunden hätten andernfalls enorme Kosten aufgewendet werden müssen, um die Gerichte für die ansonsten zu erwartende Klagewelle entsprechend auszustatten.

Der Verfahrensablauf sieht im Detail folgendermaßen aus:

- Allgemeine Anforderungen: Bis zum 21. Februar 2017 sollten spanische Kreditinstitute Spezialabteilungen einführen. In sämtlichen Zweigstellen und auf ihrer Website müssen folgende Informationen zur Verfügung stehen: (i) Postanschrift und E-Mail der für die Bearbeitung der Rückerstattung zuständigen Abteilung; (ii) Verpflichtung zur Prüfung und Entscheidung der Rückzahlungsforderungen innerhalb einer Frist von drei Monaten nach Eingang; (iii) Hinweis auf die weiteren gesetzlichen Regelungen zum Schutz von Verbrauchern im Finanzdienstleistungsbereich; (iv) Darstellung des Verfahrens und Hinweis darauf, dass dieses von sämtlichen Kunden in Anspruch genommen werden kann, die über Mindestzinsklauseln in ihren Darlehensverträgen verfügen.

- Anwendungsbereich: Das Gesetzesdekret findet grundsätzlich nur auf Verbraucher Anwendung. Dies bedeutet, dass Darlehen, die zur Finanzierung geschäftlicher Zwecke oder durch Unternehmen abgeschlossen wurden, eigentlich nicht erfasst sind. Allerdings hat die spanische Rechtsprechung in der jüngsten Vergangenheit auch Mindestzinsklauseln in Hypothekendarlehensverträgen für nichtig erklärt, die durch Unternehmen abgeschlossen wurden.5)

- Kostenfreie, außergerichtliche Geltendmachung: Die Banken sind verpflichtet sicherzustellen, dass sämtliche betroffene Kunden über das Vergleichsverfahren informiert werden. Innerhalb einer Frist von drei Monaten, gerechnet ab dem 21. Februar 2017, hat die Bank die Rückerstattungsgesuche zu prüfen und dem Kunden den anfallenden Rückerstattungsbetrag, zuzüglich anfallenden Verzugszinsen, darzustellen. Bei Einverständnis muss die Bank dem Kunden die vereinbarte Zinsrückerstattung innerhalb der vorgenannten Frist auszahlen. Sollte hingegen die Bank keinen Rückerstattungsanspruch zugestehen, dann hat sie dies ihrem Kunden ebenso in der genannten 3-Monatsfrist unter Angabe von Gründen mitzuteilen.

Das außergerichtliche Vergleichsverfahren gilt dann als beendet; gleichermaßen, wenn sich die Bank in der genannten Frist gar nicht auf das Rückerstattungsgesuch äußert oder aber der Kunde den angebotenen Betrag ablehnt. Die gesetzlich geregelten Gebühren für die aufgrund der außergerichtlichen Vereinbarung eventuell erforderlich werdenden notariellen Beurkundungen und Grundbuchberichtigungen werden unabhängig vom Gegenstandswert auf ein Minimum reduziert, ohne dass das Gesetzesdekret regelt, ob diese Mindestkosten vom Darlehensnehmer oder der Bank zu tragen sind. Wichtig zu beachten ist, dass anstatt Zahlung auch bessere Darlehenskonditionen angeboten werden können (zum Beispiel durch Anrechnung auf das noch nicht amortisierte Darlehenskapital).

- Steuerliche Implikationen: Die Banken müssen den Steuerbehörden die Vorgänge melden. Einkommenssteuerrechtlich haben Kunden die von der Bank erhaltenen Rückerstattungsbeträge nachzuversteuern, soweit es sich um Zinsaufwendungen handelt, die für noch nicht der Verjährung unterfallende Zeiträume steuerreduzierend im Nachhinein "unberechtigt" in Abzug gebracht wurden. Die Nachversteuerung hat für das Jahr zu erfolgen, in dem die außergerichtliche Einigung zwischen Kunde und Bank geschlossen wurde. Im Falle der ordnungsgemäßen Nachversteuerung fallen weder Verzugszinsen noch Säumniszuschläge oder Bußgelder an. Die Nachversteuerungspflicht besteht dann nicht, wenn der Rückerstattungsbetrag nicht ausgezahlt wurde, sondern zur Amortisierung des Darlehenskapitals verwendet wurde.

- Gerichtliche Geltendmachung bei erfolglosem außergerichtlichen Vergleichsverfahren: Bei Inkrafttreten des Gesetzesdekrets laufende Verfahren können auf gemeinsamen Antrag ausgesetzt und dem außergerichtlichen Vergleichsverfahren unterworfen werden. Stellt das Gericht letztlich einen Rückerstattungsanspruch fest, der über dem durch die Bank angebotenen Betrag liegt, so hat die Bank die Verfahrenskosten zu tragen. Bei direkter Klage eines Kunden ohne Wahrnehmung des außergerichtlichen Vergleichsverfahrens wird die Bank nicht zu den Kosten des Verfahrens verurteilt, wenn es die Rückzahlungsforderung sofort anerkennt. Erkennt die Bank nur einen Teilbetrag sofort an und zahlt diesen bei der Gerichtskasse ein, so wird sie nur dann zu den Kosten des Verfahrens verurteilt, wenn das Gericht einen höheren als den bei der Gerichtskasse eingezahlten Erstattungsbetrag dem Kunden zuspricht.

- Gründung eines Aufsichtsorgans und Ausweitung des Anwendungsbereichs: Die spanische Regierung behält sich vor, unter Beteiligung der Verbraucherverbände und der Anwaltschaft ein Aufsichtsorgan einzurichten, das über die Beachtung der Vorgaben des Gesetzesdekrets wachen soll. Man behält sich darüber hinaus vor, den Anwendungsbereich auch auf andere Verbraucherkreise im Bereich von Finanzdienstleistungen zu erweitern.

Außergerichtliche Einigung sinnvoll

Dass sich einige spanische Banken im Rahmen des außergerichtlichen Vergleichsverfahrens oder aber im Rahmen von Klageverfahren darauf berufen werden, dass der Bankkunde ausreichend über die Existenz, den Inhalt und die Folgen der Mindestzinsklausel aufgeklärt worden sei, wird sich kaum aufrecht erhalten lassen, zumal es der Bank obliegt diese Umstände zu beweisen. In den meisten Fällen sollte es sich im Ergebnis um unstreitige Ansprüche handeln, was eine für die Banken verpflichtende, außergerichtliche Abwicklung dieser Situation sinnvoll erscheinen lässt, anstatt weiterhin unnötig anfallende Verfahrenskosten in Prozessen aufzuwenden.

Daneben trug in der jüngeren Vergangenheit die große Zahl an Rechtsstreitigkeiten auch zu einer weiteren Überlastung der spanischen Gerichte bei. In diesem Sinne kündigte die verstaatlichte Bankia-Bank vor einigen Tagen an, ab sofort sämtlichen Kunden zu viel gezahlte Mindestzinsen unbürokratisch zurück zu zahlen. Bankia erhoffe sich damit Verfahrenskosten in Höhe von rund 100 Millionen Euro einzusparen.

6)

Fußnoten

1) Sentencia del Tribunal Supremo 241/2013 (Sala de lo Civil, Pleno), de 9 de mayo de 2013 (Recurso número 485/2012)

2) Sentencia del Tribunal Supremo 139/2015, de 25 de marzo de 2015 (Recurso número 138/2014)

3) Quelle: El País, 15. Februar 2017

4) "Real Decreto-Ley, de 20 enero, de medidas urgentes de protección de consumidores en materia de cláusulas suelo"

5) (Sentencia de la Audiencia Provincial de Toledo 579/2016, de 18 de octubre de 2016; Sentencia del Juzgado de Primera Instancia de Jaén, de 4 de noviembre de 2016 (Juicio Ordinario 22/2016))

6) Quelle: El País, 31. Januar 2017

Der Autor Nils Döhler Senior Associate, Monereo Meyer Marinel-lo Abogados S.L.P., Barcelona

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