FACILITY UND PROPERTY MANAGEMENT

GEBÄUDETECHNIK: KÜHLEN IST DAS NEUE HEIZEN

Sebastian Nitsch, Foto: feelimage Matern

Die Bullenhitze dieses, aber auch der vorherigen Sommer werden viele noch lebhaft in Erinnerung haben. Da solche Extremwetterszenarien aufgrund des voranschreitenden Klimawandels ein steter Begleiter bleiben dürften, befindet sich nicht zuletzt die Immobilienwirtschaft auf der Suche nach tragfähigen Lösungen zur Abkühlung. Der folgende Beitrag widmet sich den Potenzialen im Bereich der Projektentwicklung. Die Palette an Maßnahmen reicht dabei von lichtreflektierenden Dächern über begrünte Gebäudefassaden bis hin zu Fernkältenetzen. Bei Letzteren steht man nach Einschätzung des Autors allerdings noch ziemlich am Anfang. Red.

Glanz, Glamour und eine Skyline, die nicht nur architektonisch zu den beeindruckendsten der Welt gehört: Singapur ist eine Metropole, die viele fasziniert - Touristen und Unternehmer gleichermaßen. Kein Wunder, dass die Bevölkerung des Stadtstaates in den vergangenen 20 Jahren um mehr als 1,6 auf 5,7 Millionen Einwohner gewachsen ist. Und das bei einer Landfläche von gerade einmal 709 Quadratkilometern.

In Singapur und im DACH-Raum wird reagiert

Mit dem Wachstum begannen allerdings auch die städtebaulichen Probleme. Die hohe Flächenversiegelung und die dichte Bebauung führten dazu, dass sich Singapur doppelt so schnell aufheizte wie der Rest der Welt: Asphaltierte Straßen und Parkplätze absorbierten die Hitze, während die vielen verschachtelten Hochhäuser Windschneisen verhinderten.

Ab dem Jahr 2017 wurden daher weitreichende Maßnahmen entwickelt, um Singapur systematisch abzukühlen - unter anderem soll die Seebrise durch die Stadt geleitet und jedes einzelne Hausdach mit einer Farbe gestrichen werden, die das Sonnenlicht reflektiert. Zudem ist vorgesehen, einen Großteil der Gebäude bis 2030 systematisch zu bepflanzen. In Singapur zeigt sich aktuell in Reinform, was in Österreich und Deutschland ebenfalls schleichend zum Problem wird. Schließlich handelt es sich bei der Reurbanisierung auch hierzulande um einen unumkehrbaren Megatrend. Jedoch sorgt der Klimawandel für immer heißere Sommer, die die Lebensqualität in der Stadt sowie in der eigenen Wohnung durchaus einschränken können. Daher forschen Immobilienexperten und Stadtentwickler gemeinsam bereits jetzt an Lösungsansätzen - unter anderem auf Basis zahlreicher Computersimulationen werden nicht nur Hitzeinseln eruiert, sondern auch mögliche Maßnahmen analysiert.

Beispielsweise könnte in einigen Metropolen ein zentrales Fernkältenetz - analog zum Fernwärmenetz - entstehen. Für Wien wird dies beispielsweise sukzessive umgesetzt. Aufgrund der Architektur und der bauphysikalischen Voraussetzungen sowie der bautechnischen Bestimmungen wäre nicht nur in der österreichischen Hauptstadt eine flächendeckende dezentrale Kühlung aktuell vergleichsweise schwer zu realisieren.

Dazu existieren einige vielversprechende Ansätze, die jedoch bislang eher am Anfang stehen. Einer davon besteht darin, die Wärme des Sommers und die Kälte des Winters durch Sonden 100 Meter tief im Erdreich zu speichern. Das System funktioniert unter anderem mit Photovoltaikanlagen, aber auch mit der Abwärme von energieverbrauchenden Geräten - verbunden mit einer Wärmepumpe.

Dieses sogenannte Anergienetz wurde von der österreichischen Gesellschaft für Umwelt und Technik testweise in zwei Wiener Quartieren installiert. Das Ergebnis: In beiden Testgebieten wurden die Wärmemenge, Speicherkapazität und Heizleistung teilweise deutlich übererfüllt. In einem der Testgebiete lag die Speicherkapazität sogar 550 Prozent über dem benötigten Wert. Auch wirtschaftlich wäre es sinnvoll, ein solches System flächendeckend zu etablieren, wobei dies nicht nur einiges an Zeit- und Kapitaleinsatz, sondern auch einen passenden gesetzlichen Rahmen erfordert.

Einzelprojekte werden umso wichtiger

Die Kühlung unserer Städte ist also nicht allein eine Frage der Stadtplanung. Vielmehr müssen sich die Entwickler jedes einzelnen Immobilienprojekts fragen, mit welchen Ansätzen sie einen größtmöglichen Erfolg bei gleichzeitig erschwinglichen Kosten und vor allem bei geringen Energieverbräuchen erhalten. Schließlich geht es sowohl um die Wirtschaftlichkeit und Zukunftsfähigkeit der eigenen Immobilienkonzepte als auch um die Lebensqualität all derer, die auf den Flächen wohnen oder arbeiten.

Auf der baulichen Ebene bedeutet das: Der Stellenwert, den früher die Heizungsanlage innerhalb der Haustechnik eingenommen hat, kommt nun auch der Kühlung zu. Interessanterweise ist auch hierfür die Photovoltaik verbunden mit einer Wärmepumpe die zukunftsweisende Schlüsseltechnologie, da Wärme- und Kälteversorgung gleichzeitig sichergestellt werden. Vor allem dann, wenn nur so wenig wie wirklich nötig gelüftet wird.

Schlüsselfaktor Strahlung?

Natürlich ist bei einem Gebäude, das sowohl gewärmt als auch gekühlt werden muss, die Energiebilanz ein elementarer Faktor. Daher kann es ein wichtiger energetischer und ökologischer Vorteil sein, auf sparsamere Anlagen mit Strahlungstechnik anstatt auf klassische Konvektionsgeräte zurückzugreifen. Im direkten Vergleich sind Einsparungen von mehr als 50 Prozent realisierbar, was vor allem daran liegt, dass die Luft als Leitmedium wegfällt. Klimasysteme, die mit Strahlung arbeiten, bieten aber noch weitere Vorteile.

Zunächst einmal können sie sowohl heizen als auch kühlen, es sind also keine separaten Anlagen nötig. Zudem lassen sich die Systeme in sämtlichen Immobilien vom Wohnhaus über das Büro bis hin zur Logistikhalle installieren und die Wärme- beziehungsweise Kältequalität ist höher: Die Strahlen treffen sofort auf den menschlichen Körper und erwärmen ihn oder kühlen ihn ab. Die Umgebung wird erst anschließend temperiert.

Diese Wirkungsweise entspricht der Sonnenstrahlung und fühlt sich daher für viele natürlicher an als ein konstanter Wärme- oder Kältestrom, der in den Raum geblasen wird. Weder gibt es einen Luftdurchzugseffekt noch wird der Luft Feuchtigkeit entzogen, wodurch auch die Schleimhäute nicht austrocknen. Genauso wenig entstehen Staubaufwirbelungen, und Bakterien, Pilze oder Milben bilden sich nur schwer. Es lässt sich also mit Fug und Recht behaupten, dass Strahlen wärme nicht nur angenehmer, sondern zugleich hygienischer ist.

Die Einsparpotenziale sitzen unter der Decke

Entsprechende Systeme lassen sich - für manchen vielleicht überraschend - vor allem in den Gebäudedecken installieren. Für Büroimmobilien, Krankenhäuser, Schulen und Verwaltungsgebäude können Metallklimadecken verwendet werden. Die beweglichen Deckenplatten mit den altbekannten Paneelen lassen sich leicht abklappen, um an die technischen Anlagen zu gelangen.

Aber auch auf Wohnimmobilien kann dieses Prinzip übertragen werden. Dort sind es vor allem Gipskartonklimadecken, die sowohl Akzente in Sachen Raumklima als auch Akustik setzen können. Zudem lassen sich die Strahlensysteme in aller Regel in Bestandsgebäuden nachrüsten, da die Konstruktionshöhe relativ gering ausfällt und somit die Räume nicht spürbar "niedriger" werden.

Werden die drei Elemente Photovoltaik, Wärmepumpe sowie Strahlensystem nun miteinander kombiniert, ergibt sich eine Selbstversorgerimmobilie, die auf umweltschonende Art sowohl heizt als auch kühlt. Bei geringem Stromverbrauch kann dank der Photovoltaikpaneele zudem die überschüssige Elektrizität ins Stromnetz eingespeist werden. Kühlt man hingegen die Innenräume mit konventionellen Konvektionssystemen herunter, entstehen unnötige Energieemissionen und Abwärme für die Umgebung.

Mit anderen Worten: Zur Kühlung unserer Städte ist ein doppelter Ansatz gefragt -vom Einzelprojekt zur übergeordneten Strategie für die gesamte Stadt und umgekehrt. Je mehr Immobilien mit Photovoltaikanlagen und Wärmepumpen errichtet werden, desto schneller werden wir uns an den Gedanken eines flächendeckenden Anergiesystems gewöhnen können.

Doppelter Ansatz zur Kühlung der Städte

Es handelt sich dabei allerdings nur um ein Beispiel von vielen, um unsere Städte abzukühlen und insgesamt nachhaltiger zu gestalten. Potenziale ergeben sich vor allem dort, wo man sie zunächst vielleicht nicht vermuten mag. Zum Beispiel in der Umsetzung von Mischnutzungs- und Quartierskonzepten anstatt starrer Monokulturen, die für zu viel Individualverkehr und verstopfte Straßen sorgen.

Entstehen stattdessen lebendige, gut an den öffentlichen Nahverkehr angebundene Stadtviertel, reduziert sich nicht nur der CO2-Ausstoß massiv. Es könnten statt überflüssiger Parkplätze auch neue Grünflächen realisiert werden. Mit anderen Worten: Ein Aspekt, der in Singapur maßgeblich für das Problem der Aufheizung verantwortlich war, würde ganz ohne rechtliche Auflage durch eine der zentralen Lösungen ersetzt werden. Wenn sich Immobilienentwickler also bei der Konzeption jedes neuen Projektes fragen, wo sie die städtebaulichen Leitlinien unserer Zeit konkret auf ihren Flächen umsetzen können, können wir der Aufheizung unserer Städte entgegenwirken, bevor sie überhandnimmt.

DER AUTOR SEBASTIAN NITSCH CEO, 6B47 Real Estate Investors AG, Wien
Sebastian Nitsch , CEO, 6B47 Real Estate Investors AG, Wien
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