WOHNUNGSWESEN

GEWERBLICHES WOHNEN: DIE NISCHE WÄCHST IN VIELE RICHTUNGEN

Niels Berl, Foto: The Collective

Der gewerbliche Wohnungsmarkt differenziert sich immer weiter aus. Eine steigende Nachfrage ganz unterschiedlicher Zielgruppen nach adäquaten Beherbergungs- und Servicekonzepten für eine bestimmte Zeit trifft auf ein zunehmend breit gefächertes Angebot aus Richtung der Wohnungs- und Hotelwirtschaft. Nach Einschätzung des Autors handelt es sich dabei durchaus um einen nachhaltigen Trend, denn die Art, wie Menschen wohnen, reisen und arbeiten ändere sich und schaffe dadurch einen an haltend hohen Bedarf an gewerblichen Wohnprodukten, besonders in wirtschaftsstarken Städten. Blinde Euphorie sei vor dem Hintergrund einer möglicherweise heraufziehenden Rezession gleichwohl fehl am Platz. Red.

Co-Living, Micro-Living, Serviced Apartments, Branded Residences, Shared Flats, Business Apartments - immer mehr Begriffe, immer mehr Anbieter, immer mehr Produkte. Fest steht: Der Markt für gewerbliches Wohnen in Deutschland und Europa wächst. Laut Marktreport Serviced Apartments sollen bis 2021 allein 17 000 Serviced Apartments in Deutschland dazukommen.

Es gibt eine Vielzahl neuer Projektentwicklungen und eine Fülle an Konzepten - doch was meint gewerbliches Wohnen eigentlich im Kern? Wo liegen zum Beispiel die Besonderheiten und Unterschiede von Co-Living und Serviced Apartments? Warum nun treffen die verschiedenen Spielarten vom temporären Wohnraum den Nerv der Zeit? Und ist dieser Trend nachhaltig?

Besonderheiten bei der Vermietung

Gewerbliches Wohnen ist der Oberbegriff für unterschiedliche Wohn- und Beherbergungsmodelle für eine bestimmte, also begrenzte Zeit. Gewerbliches Wohnen zählt nicht zum klassischen Wohnen, die Vermietung stellt also einen gewerblichen Betrieb dar. Damit fällt diese Form des temporären Wohnens nicht unter Regulierungen wie Mietpreisdeckel, Mietpreisbremse et cetera.

Im Gegenzug müssen Aspekte wie Meldepflicht, Zweckentfremdung von Wohnraum, Umsatzsteuerpflicht und Vorsteuerabzugsberechtigung beachtet werden. Beherbergungsbetriebe bieten nach Baunutzungsverordnung einem ständig wechselnden Kreis von Gästen vorübergehende Übernachtungsmöglichkeiten, ohne dass hier der Schwerpunkt häuslicher Lebensgestaltung ausgeübt werden kann.

Die Zielgruppen (und damit die Produkt- und Leistungserwartungen) vom gewerblichen Wohnen sind heterogen: Geschäftsreisende, Pendler, "Digitalnomaden", Young Professionals, Studierende, ExPats und manchmal auch ältere Menschen. Kurz: Alle, die für eine bestimmte Zeit in einer fremden Stadt nicht ganz allein leben wollen oder müssen.

Neben einigen unterschiedlichen Präferenzen ist den verschiedenen Zielgruppen gemein, dass sie meist mobil und weltoffen sind, wenig Gepäck haben, nicht sehr gern in einer isolierten "Hotel-Blase" wohnen wollen, weniger an Wohnfläche als an All-In-Angeboten interessiert sind und Flexibilität bei Mietverträgen schätzen.

Heterogene Zielgruppen und fokussierte Angebote

Wesentlich für das Konzept sind unter anderem Selbstversorgungsmöglichkeiten sowie Gemeinschafts- und Mehrfachnutzungsflächen. Damit bieten die neuen Konzepte ihren Nutzern nicht nur kompakte, möblierte Apartments, sondern auch einen fühlbaren Mehrwert durch ein umfangreiches Gesamtpaket.

Die verschiedenen Angebote und Anbieter im Bereich gewerbliches Wohnen unterscheiden sich erheblich nach Lage, Serviceumfang, Branding, Pricing, Nutzungsmix, Integration in den urbanen Kontext, Verhältnis öffentliche/nicht öffentliche Flächen et cetera. Zum Beispiel Serviced Apartments: Sie bieten mehr Service und mehr Hotel, aber weniger Gemeinschaft und Quartier - damit richten sich Serviced Apartments eher an Geschäftsreisende, Projektmitarbeiter und ein insgesamt eher älteres Publikum. Serviced Apartments haben sich aus der klassischen Hotellerie heraus entwickelt und sind zwischen Hotel und Wohnungsmarkt einzuordnen.

Co-Living hingegen bietet mehr Sharing, mehr Community, mehr Events und mehr Nachbarschaft, aber weniger Service und Individualfläche - womit das Konzept eher für Young Professionals und urbane junge Leute interessant ist. Beim Co-Living ist der Community-Gedanke entsprechend wichtig. Blickt man auf die zugrunde liegenden gesellschaftlichen Trends für gewerbliches Wohnen, wird deutlich, warum sich diese Produkt- und Anlagenische weiter sehr positiv entwickeln wird.

Boom speist sich aus vielen Quellen

Bereits heute leben laut Statistischem Bundesamt 50 bis 60 Prozent der Deutschen in den A-Städten allein in einem Haushalt - mit steigender Tendenz. Dabei machen Ein- und Zweizimmerwohnungen laut Mikrozensus 2011 zusammen nur etwa zwölf Prozent am Wohnungsbestand in Deutschland aus. Gleichzeitig gibt es immer mehr Geschäftsreisende und Pendler. Der Fachverband VDR Geschäftsreisende zählte im Jahr 2018 rund zwölf Millionen Geschäftsreisende und fast 190 Millionen (vor allem inländische) Geschäftsreisen mit Ausgaben von mehr als 53 Milliarden Euro. Laut Agentur für Arbeit sind rund 40 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Deutschland Pendler.

Schaut man sich dazu beispielsweise Berlin als aufstrebende Metropole an, sieht man deutlich, dass den mehr als 500 000 neuen Jobs seit 2008 keine annähernd adäquate Zunahme an kleinteiligen Wohnraum gegenüberstand, und immer noch nicht steht. Oft vergessen wird dabei ein wesentlicher Aspekt: Nicht nur internationale, junge Menschen suchen kompakten Wohn raum, sondern auch ältere Menschen. In Berlin sind heute schon 30 Prozent der Einwohnerinnen und Einwohner älter als 60 Jahre.

Neue Felder für Wohn- und Hotelentwickler

Es gibt also heute schon einen enormen Mangel an Ein- und Zweizimmerwohnungen in den Metropolen. Temporäre Wohnformen stellen deshalb für zahlreiche Zielgruppen nachgefragte und attraktive Alternativen dar. Dementsprechend viele Akteure aus dem Wohn- und Hotelsegment sind im Bereich gewerblichen Wohnens unterwegs. Einerseits suchen viele Entwickler und Betreiber von Wohnimmobilien nach neuen Ansätzen, denn Grundstücke in den Metropolen sind für den klassischen Wohnungsbau inzwischen oft zu teuer.

Vielerorts sind die Peaks bei Wohnungsmieten häufig erreicht, die politische Regulierung nimmt ebenfalls zu. Andererseits ist das Interesse der Hotelentwickler und -betreiber am gewerblichen Wohnen groß, weil der Wettbewerb scharf und der Investitionsdruck hoch ist, die steigende Zimmerzahl die Margen unter Druck setzt und deshalb mancherorts zu sinkenden Umsätzen pro verfügbarem Zimmer (Revenue per Available Place) führt.

Wie andere Industrien auch, ist die Hotelbranche mit verändertem Reise- und Arbeitsverhalten, Individualisierung, Digitalisierung und demografischem Wandel konfrontiert. Hier sind zeitgemäße Beherbergungs- und Servicekonzepte für junge, relevante Zielgruppen insbesondere für einen längeren Aufenthalt ("Extended Stay") besonders gefragt - siehe etwa den Erfolg der 25h-Hotels oder auch Airbnb. Dennoch ist und bleibt Deutschland für Touristen ein attraktives Reiseziel. Laut Statistischem Bundesamt gab es 2018 rund 478 Millionen Übernachtungen, einen Großteil davon machen inländische Reisende aus. Die Differenzierung findet also auf der gesamten Bandbreite zwischen klassischem Wohnraum und Hotelprodukten statt.

Innovative Konzepte an der Schnittstelle zwischen Wohnen und Hotel suchen also nach den Gästen von heute und morgen. Hinzu kommt: Gewerbliches Wohnen ist nicht nur eine wesentliche Antwort auf enge Wohnungsmärkte und veränderte Unterbringungsbedürfnisse von mobilen Menschen, sondern auch eine aussichtsreiche Anlagenische mit attraktiven Chance-Risiko-Profilen.

Eine lohnende Investmentalternative?

Denn auch das Jahr 2020 bleibt, getrieben von der europäischen Zinspolitik, ein Jahr mit hoher Nachfrage nach Immobilien bei gleichzeitiger Angebotsknappheit und Renditekompression in den meisten Assetklassen. Die Suche nach passenden Investitionsmöglichkeiten seitens institutioneller Investoren geht also auf absehbare Zeit weiter. Investitionsmöglichkeiten im gewerblichen Wohnen können zum Beispiel Joint Ventures, Direktanlagen oder Fondsbeteiligungen sein.

Blinde Euphorie ist natürlich nicht angebracht. Wichtig für langfristig erfolgreiche Projekte sind gerade vor den ersten Anzeichen einer Rezession unter anderem eine zielgruppenrelevante Profilierung, eine gute Anbindung und Lage, eine starke Einbindung in den städtischen Kontext, digitale Zugangs- und Buchungstechnologien, kompetente Betreiber und ein passender Nutzungsmix, wie zum Beispiel Co-Living, Co-Working und Gastronomie.

Insbesondere Co-Living hat durch die große Schnittmenge bei den Zielgruppen, das moderate Servicelevel, die hohe Integrationsfähigkeit arrondierender Nutzungen und die - inzwischen sehr geschätzte - nachbarschaftliche Einbindung großes Marktpotenzial. Denn kombinierte, ineinandergreifende Nutzungen in einem Objekt oder Quartier sind laut "Investment Barometer" von Union Investment und Hospitality Inside der Trend in den kommenden Jahren schlechthin. Auch wenn viel gebaut wird, hat der deutsche Markt noch großes Potenzial.

DER AUTOR NIELS BERL, Director, The Collective Deutschland, Berlin
Niels Berl , Director, The Collective Deutschland, Berlin

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