PRIVATE BAUFINANZIERUNG

DIE IMMOBILIENRENTE IM KONTEXT DIGITALER ÖKOSYSTEME VON BANKEN

Dr. Georg Friedrich Doll, Foto: WIR WohnImmobilienRente GmbH

Mit 66 Jahren, da fängt das Leben an - vorausgesetzt man verfügt über ausreichend liquide Mittel. Und genau daran scheint es hierzulande zunehmend zu mangeln, Stichwort "Rentenlücke". Abhilfe könnten an dieser Stelle die eigenen vier Wände in Form sogenannter Verzehrprodukte leisten. Noch fristet das Konzept in Deutschland zwar ein Nischendasein, die zuletzt stark gestiegene Anzahl von Anbietern belegt aber, dass grundsätzlich viel Potenzial vorhanden ist. Gerade auch Banken sollten diesen Trend deshalb wohl frühzeitig in ihren strategischen Überlegungen berücksichtigen. Die Autoren beleuchten im vorliegenden Beitrag die wichtigsten Potenziale der Immobilienrente im Kontext digitaler Ökosysteme. Red.

Mehr als 90 Prozent der deutschen Banken sehen eine sehr hohe strategische Relevanz von digitalen Ökosystemen für den deutschen Bankenmarkt in den nächsten Jahren. Sie wollen erheblich höhere Anteile ihrer Erträge darüber erwirtschaften. Im wirtschaftlichen Kontext wird der Begriff "Ökosystem" für das Zusammenwirken mehrerer Akteure mit dem Ziel, eine gemeinsame Wertschöpfung zu betreiben, verwendet. Im Zentrum eines digitalen Ökosystems steht der Anbieter einer digitalen Plattform, auf der Drittanbieter ihre Produkte platzieren können.

Zurückgewinnen der Alltagsrelevanz

Über digitale Ökosysteme wollen die Banken die Alltagsrelevanz für Kunden zurückgewinnen. Denn zum einen besteht durch Vergleichsportale, Vermittler und andere Anbieter auf digitalen Plattformen die Gefahr des Verlustes der traditionellen Kundenbindung. Zum anderen entsteht eine attraktive Alltagsrelevanz für die Kunden nur durch Services und Produkte, welche die praktischen Alltagsprobleme lösen.

Dabei erkennen die Banken zunehmend, dass sie bisher bei einer Vielzahl ihrer Produkte der "Produktillusion" erlegen sind, da ihre Produkte keineswegs die finalen Kundenbedürfnisse erfüllen, sondern nur sogenannte "Ermöglicher" zur Befriedigung der letztendlichen Kundenwünsche sind. Beispiel Sparprodukte: Diese werden nicht um des Sparens willen gehalten, sondern um sich schließlich das erträumte Auto kaufen zu können.

Rückgewinnung und Erhöhung der Alltagsrelevanz für Kunden kann somit nur durch die Integration bankferner Services erfolgen und durch ein Umdenken vom Fokus auf Produkte und Kundensegmente hin zur Sicht auf Lebenswelten: Arbeit, Freizeit, Konsum, Wohnen. Insbesondere zu den Lebenswelten "Wohnen" und "Konsum" haben Banken zahlreiche Schnittstellen und könnten ihre eigene Rolle in den Ökosystemen vielseitig ausrichten.

Keine Antworten auf das Dilemma der Ruheständler

So stellt die Immobilie zum Beispiel bei vielen Immobilieneigentümern im Ruhestand den größten Vermögensposten dar, der zur privaten Altersvorsorge über ein langes Erwerbsleben erspart und finanziert wurde. In vielen dieser Haushalte wird gemäß Umfragen allerdings die Höhe des Alterseinkommens als nicht ausreichend angesehen, um den erhofften Lebensstandard zu finanzieren.

Dabei wächst die Erkenntnis, dass man von gebildeten Bankguthaben, Wertpapierdepots und Pensionsfonds beliebig Geld entnehmen kann, das Geld der viel gepriesenen Altersvorsorge in der Immobilie aber "eingemauert" ist. Eigentlich wäre zu erwarten, dass die Banken, welche den Aufbau einer solchen Altersvorsorge über die Wohnungsbaukredite oftmals über Jahrzehnte geschäftlich begleitet haben, nun auch Lösungen für dieses Dilemma der Ruheständler entwickeln würden. Antworten findet man allerdings bei deutschen Banken und Versicherungen kaum.

Verändertes Sozialverhalten der "jungen Alten"

Das Marktpotenzial ist jedenfalls riesig: In Deutschland gibt es aktuell sechs Millionen Wohneigentümer, die 65 Jahre oder älter sind. Der Wert des Immobilienvermögens dieser Altersgruppe liegt bei circa 1 800 Milliarden Euro und gemäß Umfragen wollen über 75 Prozent auch im höheren Alter ihre Immobilie weiter bewohnen.

Die demografische Entwicklung mit dem deutlich steigenden Anteil der über 65-Jährigen und den in den nächsten Jahren in den Ruhestand tretenden geburtenstarken Jahrgängen wird zusammen mit der bisher nicht reformierten Struktur der Altersversorgung ein sinkendes Rentenniveau und den Abbau der betrieblichen Altersvorsorge bedingen, was konkret sinkende Ruhestandseinkommen bedeuten wird.

Neben diese ökonomischen Rahmenbedingungen und einer steigenden Lebenserwartung bilden sich auch neue Bedürfnisse der "jungen Alten" heraus - manchmal auch mit der Überschrift "70 ist das neue 50!" beschrieben. Weitere Elemente im Sozialverhalten sind sicherlich, dass die Erbengeneration nicht mehr ein so großes Interesse am Erbe der Familienimmobilie der Eltern hat, da sich ihre Lebensgewohnheiten durch die entwickelte Arbeitsplatzmobilität ändern.

Auch der Wertekanon der älteren Generation hat sich dahingehend verändert, dass sie nicht das gesamte Vermögen zulasten des persönlichen Lebensstandards im Ruhestand für die Erben aufbewahren will.

Zum Wunsch, möglichst lange in der eigenen Immobilie wohnen zu bleiben, tritt die Notwendigkeit, die Immobilie für ein dem Alter entsprechendes Wohnen umzurüsten. Dies erfordert in vielen Fällen nicht unerhebliche finanzielle Mittel, die von dem ohnehin reduzierten Ruhegehaltseinkommen zu leisten wären. Aufgrund absehbar begrenzter Pflegekapazitäten fördert der Staat die Pflege zu Hause, was sicherlich Investitionen in diese Richtung erleichtern wird und die zu erwartende Entwicklung verdeutlicht.

Von der Altersvorsorge zum Alterseinkommen

Immobilieneigentümer zahlen oftmals ein ganzes Arbeitsleben lang für den Erwerb einer Immobilie, vergleichbar mit dem Einzahlen in eine große "Spardose". Dies geschieht vielfach auch unter der Überschrift der "Altersvorsorge", ohne sich darüber Gedanken zu machen, wie diese Vorsorge konkret auszusehen hat. Mit Eintritt in den Ruhestand kann man zwar weiterhin mietfrei wohnen, muss aber alle laufenden Kosten und eventuelle Investitionen zur Anpassung der Immobilie an eine altersgerechte Ausstattung aus dem meistens verringerten Ruhestandseinkommen zahlen.

Eigentlich sollte eine Vorsorge wie das Anlegen eines finanziellen Vorrats betrieben werden, von dem man im Ruhestand in Gestalt eines zusätzlichen Einkommens zehren kann. Viele Immobilieneigentümer sehen aber bis heute oft nur zwei Möglichkeiten: Erstens, weiter in der eigenen Immobilie wohnen und die laufenden Kosten tragen. Dies schränkt aber den gewünschten Lebensstandard ein. Als zweite Möglichkeit besteht der Verkauf der Immobilie, die dann den Auszug und - am wenigsten gewünscht - einen Wechsel des gewohnten Umfeldes bedingt.

Banken sind gegenüber Newcomern im Vorteil

Schön wäre es, wenn das Geld, das in der Immobilie gebunden ist, ganz oder in Teilen wieder an den Sparer zurückfließen könnte, ohne dass er seine Wohnung und sein soziales Umfeld verlassen muss. Immobilienpreise, die nach neuesten Studien oftmals das 30- bis 40-Fache der jährlichen marktüblichen Mietzahlungen erreichen, lassen die dort enthaltenen Möglichkeiten zur Freisetzung von Vermögen für den Ruhegehaltsempfänger erkennen.

Das große Marktpotenzial, die Auswirkungen der Demografie, die Veränderungen im Sozialverhalten der Generation im Ruhestand, die steigenden Kosten aus vermehrten Pflegebiografien sowie die zu erwartende schwierige Entwicklung bei den Alterseinkommen haben in den vergangenen beiden Jahren vermehrt Unternehmen am Markt auftreten lassen, die Lösungen für das geschilderte Dilemma der Immobilieneigentümer im Ruhestand anbieten.

Neue Anbieter mit möglicherweise nur einem Produkt aus der Produktpalette der Immobilienverrentung werden es schwer haben, im Markt erfolgreich zu sein. Wie oben dargestellt, decken die Banken traditionell große Teile der Bedürfnisse der Lebenswelt "Wohnen" ab und diese spielt daher in ihren Überlegungen zur Gestaltung der digitalen Ökosysteme eine große Rolle. Allerdings versuchen sie vornehmlich, die bisherigen Produkte und Dienstleistungen auf den Plattformen abzubilden. Dies zeigt auch die Übersicht aus einer Studie von PwC.

Abbildung 1: Potenziale für Banken im Ökosystem "Wohnen" (beispielhafte Auswahl an Use Cases) Quelle: Studie "Relevanz digitaler Ökosysteme für deutsche Banken", PwC

Mit der klassischen Immobilienfinanzierung, dem Makeln von Immobilien sowie verschiedenen Tochtergesellschaften und Partnerschaften für bestimmte Immobilienaktivitäten sind viele Banken im Bereich Immobilien breit aufgestellt. Wie die erwähnte Studie darüber hinaus zeigt, wird der Erfolg der digitalen Ökosysteme aber davon abhängen, dass man bankferne Leistungen und innovative Produkte integriert.

Ein breites Spektrum an Lösungen

Die voranstehende Abbildung zeigt jedoch immer noch das systemimmanente Denken im bisher Bekannten. Die Lebenswelt "Wohnen" muss daher zur Teilnahme am Megatrend "Immobilienverrentung" unbedingt erweitert werden. In einer Studie im Auftrag der EU hat das Institut für Finanzdienstleistungen e. V. unter der Überschrift "Integration von Immobilieneigentum und Ruhestandseinkommen in der EU" festgestellt, dass bei angemessener Gestaltung, fairen Preisen und verantwortungsvollem Verkauf die Immobilienverrentungsprodukte erhebliche soziale und wirtschaftliche Vorteile bieten. Allerdings wird auch konstatiert, dass sich bislang nur in wenigen europäischen Ländern ein Markt für diese Produkte herausgebildet hat.

Auch wenn hier nicht die Stelle sein kann, um die gesamte Palette der Immobilienverrentungsprodukte darzustellen, soll doch ein kurzer Abriss gegeben werden. Dadurch wird der für den Kunden entscheidende Perspektivwechsel vom Ansparen zum Verzehren deutlich. Für die Banken wiederum wird die notwendige Abkehr von der Orientierung an traditionellen Bankprodukten hin zur Alltagsrelevanz der Kunden sichtbar.

Drei gängige Produkttypen

Die Stiftung Warentest hat im Jahr 2020 eine Darstellung der in Deutschland angebotenen Lösungen unter der Überschrift "Die Rente geht aufs Haus" veröffentlicht und drei Produkttypen herausgestellt:

Die längste Tradition in Deutschland hat die Leibrente, deren gesetzliche Grundlage sich schon im Bürgerlichen Gesetzbuch (§§ 759 ff.) findet. Die durch einen Eintrag im Grundbuch abgesicherte Leibrente folgt zumeist folgendem Modell: Beim Verkauf an den Leibrentenzahler wird vom Verkehrswert der Immobilie der Wert des Wohnrechts für den Verkäufer abgezogen sowie weitere Kosten der Instandhaltung. Dann wird eine lebenslange Rente ermittelt, kombinierbar mit einer Einmalzahlung. Wegen der Vereinbarung der lebenslangen Zahlung ist meist ein Mindestalter von 70 Jahren Voraussetzung.

In der jüngsten Zeit haben sich Anbieter gegründet, die einen "Teilverkauf mit Nutzungsentgelt" anbieten. Dabei kauft der Anbieter zum Verkehrswert einmal oder in mehreren Schritten bis zu 50 Prozent der Immobilie. Mit mindestens 50 Prozent Eigentumsanteil nutzen die Bewohner die Immobilie weiterhin ganz und zahlen ein Nutzungsentgelt.

In den USA und Großbritannien ist die sogenannte Umkehrhypothek sehr verbreitet, während sie in Deutschland noch fast unbekannt ist. Bei diesem Produkt wird die Immobilie nicht verkauft, sondern durch die lebenslange Auszahlung verzehrt. Daher hat der deutsche Gesetzgeber sie auch zutreffend "Immobilienverzehrkredit" genannt und im Bürgerlichen Gesetzbuch in § 491 ihre Bedingungen genau geregelt. Das Eigentum an der Immobilie wechselt nicht, sondern der Kreditgeber leistet pauschale oder regelmäßige Zahlungen und erhält im Gegenzug einen Betrag aus dem künftigen Erlös des Verkaufs einer Wohnimmobilie. Erst nach dem Tod des Immobilieneigentümers kann eine Rückzahlung gefordert werden. Auch hier wird bei Vereinbarung einer lebenslangen Zahlung ein Mindestalter von 70 Jahren vorausgesetzt.

Zahlreiche Varianten dieser Grundmodelle sind möglich und richten sich - wie die Auswahl des geeigneten Modells überhaupt - nach den individuellen Bedürfnissen der Immobilieneigentümer.

Große Ertrags- und Wertschöpfungspotenziale

Über Kooperationen mit den Anbietern der Verrentungsprodukte bietet sich hier die Chance, den Kunden tatsächlich innovative - und ertragsträchtige - Produkte anzubieten und diese aktiv mitzugestalten. Ansatzpunkte für Banken liegen neben den Ankerprodukten der Immobilienverrentung auf der Begleitung des Kunden im Alter.

Abbildung 2: Anknüpfungspunkte in den Ökosystemen "Wohnen" und "Altersversorgung" Quelle: Georg Friedrich Doll und Peter Scholten

Insbesondere erscheinen Dienstleistungen rund um die Immobilie, die Pflege und den späteren Immobilienverkauf naheliegend. Durch den Verkauf schließt sich für Banken der Zyklus hin zur Finanzierung des neuen Eigentümers. Die Produkte und Dienstleistungen dieser Kundenbegleitung sind eine logische Ergänzung der bisherigen Bankangebote und erhöhen die Vernetzung mit den Kunden.

Wie die zu Beginn dargestellten Rahmendaten für diesen entstehenden Markt gezeigt haben, ist das Potenzial sehr groß. Wie groß wiederum der jeweilige Anteil der neuen Teilnehmer sein kann, muss jedes Unternehmen für sich selbst erarbeiten, abhängig von seinen unternehmerischen Möglichkeiten in Sachen Know-how, Investitionsbereitschaft und Risikoeinstellung.

Auf jeden Fall bietet sich hier ein Geschäftsfeld, in dem innovative Lösungen angeboten werden können, das große Schnittmengen mit dem bisherigen Geschäftsfeld "Immobilie" hat und das über die Lösungen zur "Vermögensfreisetzung" eine im wahrsten Sinne des Wortes lebenslange Kundenbindung sicherstellen kann.

DER AUTOR DR. GEORG FRIEDRICH DOLL Geschäftsführender Partner, WIR WohnImmobilien - Rente GmbH, Hamburg
DER AUTOR PETER SCHOLTEN Vorsitzender des Vorstands, Sparkasse Rhein-Nahe, Bad Kreuznach
Dr. Georg Friedrich Doll , Geschäftsführender Partner, WIR WohnImmobilien - Rente GmbH, Hamburg
Peter Scholten , Vorsitzender des Vorstands, Sparkasse Rhein-Nahe, Bad Kreuznach

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