ÖFFENTLICHE INFRASTRUKTUR

INVESTITIONSOFFENSIVE STARTEN - BÜROKRATIE ABBAUEN!

Gerd Landsberg, Foto: Bernhardt Link_DStGB

Mit den Stimmen der Großen Koalition hat der Bundestag Ende November einen Rekordhaushalt für das Jahr 2020 beschlossen. Er sieht Ausgaben in Höhe von 362 Milliarden Euro vor - so viel wie nie zuvor. Den mit Abstand größten Ausgabenposten bildet dabei erneut Arbeit und Soziales. Zugleich sollen aber auch Investitionen nicht zu kurz kommen: Die GroKo veranschlagt hier im kommenden Jahr ein Rekordvolumen von 42,9 Milliarden Euro. Das Problem dabei: Viele der bereitgestellten Mittel wurden zuletzt gar nicht mehr abgerufen, unter anderem weil erhebliche Kapazitätsprobleme in der Bauindustrie und den kommunalen Planungsämtern bestehen. Welche Maßnahmen aus Sicht des Deutschen Städte- und Gemeindebundes zum Abbau des kommunalen Investitionsrückstandes ergriffen werden müssen, erörtert dessen Hauptgeschäftsführer im vorliegenden Beitrag. Red.

Deutsche Kommunen schieben noch immer einen Investitionsstau von über 138 Milliarden Euro vor sich her. Weit mehr als die Hälfte dieses massiven Investitionsstaus geht dabei auf die für die Bevölkerung und die Wirtschaft so wichtigen Bereiche Straßen- und Verkehrsinfrastruktur sowie schulische Infrastruktur zurück (siehe Abbildung 1). Hinzu kommen noch die enormen Investitionsbedarfe für Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel. Um die Städte und Gemeinden und somit auch Deutschland zukunftsfest zu machen, brauchen wir eine echte Investitionsoffensive.

Bund und Länder stehen in der Pflicht

Dass nun neu anbrechende Jahrzehnt muss im Zeichen kommunaler Investitionen stehen. Nur wenn die Kommunen über Jahre hinweg kontinuierlich massiv in ihre Infrastruktur investieren, kann Deutschland wettbewerbsfähig bleiben. Bund und Länder müssen sich daher dazu bekennen, die Kommunen auch künftig beim Abbau ihres Investitionsstaus zu unterstützen. Dies ist nicht nur für die Städte und Gemeinden selbst wichtig, sondern ist auch gegenüber der Bauindustrie und dem Handwerk ein wichtiges Signal. Nur wenn verlässlich ausreichende Investitionsmittel zur Verfügung stehen, werden die Unternehmen im Vertrauen auf entsprechende Aufträge in den kommenden Jahren zusätzliche Personalkapazitäten aufbauen können.

Der Investitionsbedarf ist angesichts des wahrgenommenen Rückstandes von zuletzt 138,4 Milliarden Euro immens. Seit über 15 Jahren sind die Nettoinvestitionen der Kommunen negativ. Dies bedeutet, dass der jährliche Werteverzehr größer ausfällt als die Investitionen. Der damit einhergehende Substanzverlust wird gerade auf kommunaler Ebene immer sichtbarer. Die Kommunen in Deutschland leben von der Substanz. Einer der Hauptgründe für diese Lage ist, dass viele Städte und Gemeinden über zwei Jahrzehnte hinweg strukturell unterfinanziert waren und es in Teilen immer noch sind.

Über einen zu langen Zeitraum waren viele Städte und Gemeinden gezwungen, nötige Investitionen zu verschieben oder gar ganz zu streichen und Unterhaltsaufwendungen herunterzufahren. Im Ergebnis führen mangelnder Unterhalt und unterlassene Investitionen zu einem steigenden Investitionsbedarf. Flickschusterei hilft nur kurzfristig, mittel- und langfristig entstehen dadurch nur höhere Kosten.

Große regionale Disparitäten

Zu beobachten sind große regionale Unterschiede bei den kommunalen Aufwendungen für Investitionen und Unterhaltung. Diese Disparitäten sind dabei nur begrenzt auf die unterschiedlichen Kommunalisierungsgrade zurückzuführen. So sind die Investitionen der Kommunen je Einwohner in Bayern im Durchschnitt dreimal so hoch wie im Saarland (siehe Abbildung 2). Ähnlich verhält es sich bei den Unterhaltungsaufwendungen: Während die Kommunen in Nordrhein-Westfalen im Durchschnitt lediglich 47 Euro je Einwohner für die Unterhaltung aufwenden, sind es in Baden-Württemberg 149 Euro je Einwohner (siehe Abbildung 3).

Fehlende Finanzmittel sind Ursache für den massiven Investitionsrückstand, aber nicht der alleinige Grund für den nur äußerst langsam voranschreitenden Abbau des Investitionsstaus. Investitionen in die kommunale Infrastruktur werden durch überbordende Standards und Regelungen verteuert, verlangsamt und mitunter auch ganz verhindert. Hinzu kommen Kapazitätsprobleme in der Bauindustrie und den kommunalen Planungsämtern. Es gilt ungenutztes Ausbaupotenzial bei der öffentlichen und der privaten Kooperation zu heben und Innovationen in der Investitionstätigkeit zu fördern. Ferner ist Verkürzung des gerichtlichen Instanzenzuges angezeigt. Aus Sicht des Deutschen Städte- und Gemeindebundes sind dabei die folgenden zehn Punkte von entscheidender Bedeutung für den Abbau des kommunalen Investitionsrückstandes sowie zur Tätigung von Zukunftsinvestitionen.

Aufgabengerechte Finanzausstattung und Investitionsfonds

Um einen Abbau des kommunalen Investitionsstaus zu erreichen, ist eine dauerhafte aufgabengerechte Finanzausstattung der Städte und Gemeinden unabdingbar. Dafür müssen die Kommunen vor allem weiter von Sozialausgaben entlastet und die gemeindliche Steuerkraft gestärkt werden. Da der massive Investitionsrückstand, der zudem in finanzschwachen Städten und Gemeinden in der Regel stärker ausgeprägt ist, nicht aus dem laufenden Haushalt durch investive Maßnahmen vollständig abgebaut werden kann, war es richtig, dass der Bund den zwischenzeitlich auf sieben Milliarden Euro aufgestockten Kommunalinvestitionsförderungsfonds zur Förderung von Investitionen finanzschwacher Kommunen aufgelegt hat.

Dies kann aber nur ein erster Schritt sein. Sowohl gegenüber den Kommunen als auch gegenüber der Bauwirtschaft wäre es ein wichtiges Signal, wenn der Bund diesen Fonds nochmals merklich aufstocken und gegebenenfalls entfristen würde. Kommunen und Bauwirtschaft bekämen so Planungssicherheit und könnten ihre Personalkapazitäten weiter ausbauen. Wollen wir international wettbewerbsfähig bleiben, dürfen wir uns aber nicht nur darauf beschränken den kommunalen Investitionsrückstand abzubauen, sondern müssen auch wichtige Investitionen in Zukunftstechnologien sowie in Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel tätigen. Bund und Länder sind hier gemeinsam aufgefordert einen Investitionsfonds "Kommunaler Klimaschutz" aufzulegen, der zum Beispiel aus den Einnahmen der CO2-Bepreisung finanziert werden könnte.

Im Übrigen verdichten sich die Anzeichen eines wirtschaftlichen Abschwungs. Die öffentliche Hand ist daher besonders gefordert, antizyklisch zu investieren und die Wirtschaft anzukurbeln. Auch unter diesem Aspekt wären Kommunalinvestitionsfonds volkswirtschaftlich daher sinnvoll.

Kooperationsgebot statt -verbot

Es ist weder zeitgemäß noch den Bürgerinnen und Bürgern und der Wirtschaft erklärbar, dass wichtige gesamtgesellschaftliche Aufgaben nicht von Bund, Ländern und Kommunen gemeinsam finanziert werden können. Zudem hat es sich als konkretes Investitionshemmnis erwiesen, dass Bundesmittel nur dort eingesetzt werden dürfen, wo der Bund auch über die entsprechenden Kompetenzen verfügt.

Wenn wir es mit der Chancengerechtigkeit und der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in unserem Land wirklich ernst meinen, muss daher an die Stelle des Kooperationsverbotes ein Kooperationsgebot treten. Ohne dauerhafte Hilfen des Bundes wird es uns nicht gelingen, das große Potenzial in den ländlichen Räumen weiterzuentwickeln, Breitband und medizinische Versorgung flächendeckend sicherzustellen und auch finanzschwachen Kommunen Entwicklungschancen zu ermöglichen.

Abbau überbordender Administration

Die Investitionsbemühungen ersticken oftmals im Bürokratiewust. Gesetzgeberische Vorgaben, Vergabebestimmungen, Beihilfenrecht und Standards werden zum Flaschenhals der öffentlichen Investitionsfähigkeiten. Kritisch sind zudem die häufig recht strikte Zweckmittelbindung und die "Atomisierung" von Förderprogrammen zu sehen. Die zunehmende Anzahl separater Förderprogramme mit jeweils abweichenden Förderbedingungen erhöht den administrativen Aufwand für Städte und Gemeinden erheblich, dies ist nicht investitionsfördernd. Es gilt weiter sicherzustellen, dass Investitionen finanzschwacher Kommunen nicht an der Erbringung des Eigenmittelanteils scheitern, hier müssen Lösungen gefunden werden.

Überbordende Standards verteuern und verzögern kommunale Bauvorhaben massiv. Es muss künftig sichergestellt werden, dass vor Normungsbeginn immer eine Relevanzprüfung erfolgt und im Normungsprozess eine Kosten-Nutzen-Analyse vorgenommen wird. Mit Blick auf die zügige und kostengünstige Realisierung von Bauvorhaben ist darauf zu achten, dass keine weiteren Verschärfungen bei den Gebäudeenergiestandards vorgenommen werden.

Stärkung kommunaler Planungskapazitäten

Neben den begrenzten Personalkapazitäten der Bauindustrie sind auch in der Bauverwaltung Personalengpässe spürbar, die kommunale Investitionen verzögern. Dies ist nicht zuletzt Folge des Zwangs zu Einsparungen in den Rathäusern, auch im Personalbereich. Die Kommunen müssen wieder finanziell in die Lage versetzt werden, ihre Planungskapazitäten auszubauen.

Hierzu brauchen die Städte und Gemeinden Planungssicherheit und die verlässliche Zusage, dass der Investitionsschub anhält. Eine Verstetigung der Investitionsprogramme wäre hier hilfreich. Wo ein höherer eigener Personaleinsatz der Kommune nicht möglich oder nicht zwingend nötig ist, sollte auch auf externe Planungs- und Beratungskompetenzen zurückgegriffen werden können. In diesem Zusammenhang ist zu begrüßen, dass über Förderprogramme mittlerweile externes Planungspersonal abgerechnet werden kann. Dies sollte künftig auch für kommunales Personal möglich sein.

Erleichterung interkommunaler Zusammenarbeit

Die Zusammenarbeit aller öffentlichen Ebenen bei Investitionen muss erleichtert und gestärkt werden. Das gilt aber nicht minder für die interkommunale Zusammenarbeit und gemeinsame Investitionstätigkeiten von Kommunen. Hemmnisse müssen auf kommunaler, Landes-, Bundesund Europaebene systematisch ermittelt und beseitigt werden.

Als positives Beispiel hierfür kann im Grundsatz die im EU-Recht erfolgte Neuregelung des Vergaberechts bei interkommunalen Kooperationen dienen. Die Zusammenarbeit kann auch über Personalpooling, etwa im Bereich der Bauplanung, zielführend sein. Das Umsatzsteuerrecht darf hier keine unüberwindbare Hürde darstellen. Gegebenenfalls sind Anpassungen auf europäischer Ebene notwendig.

Digitalisierung und nutzerorientierte Infrastrukturfinanzierung

Digitalisierung kann ebenfalls einen Beitrag zur Beschleunigung des Abbaus des Investitionsstaus leisten. Hierzu muss sie den Kommunen aktiv als Chance eröffnet werden, ein Schritt ist dabei die Nutzung elektronischer Standards in den verschiedensten Bereichen. Gerade im Baubereich sind durch ein Vorantreiben elektronischer Standards spürbare Effizienzgewinne zu realisieren. Die Kommunen müssen den digitalen Wandel aktiv mitgestalten können. Effizienzsteigerungen in der digitalen Verwaltung müssen mit einer Reduzierung der analogen Verwaltung unterstützt werden.

Die Finanzierung öffentlicher Investitionen aus dem allgemeinen Abgabenaufkommen soll und wird auch zukünftig eine wesentliche Säule sein. Gleichwohl ist es zukunftsweisend, die nutzerorientierte Infrastrukturfinanzierung weiter auszubauen. Ein erster Schritt wäre zum Beispiel eine flächendeckende LKW-Maut. Eine stärker nutzerorientierte Infrastrukturfinanzierung kann zu zielgenaueren Finanzierungsströmen führen, die Transparenz erhöhen und zusätzliche Steuerungsmöglichkeiten generieren. Nutzerorientierte Infrastrukturfinanzierung kann zudem die öffentlich-private Partnerschaft bei Investitionsvorhaben erleichtern und unterstützen.

Verkürzung des gerichtlichen Instanzenzuges

Einfache unbegründete Klagen über mehrere Instanzen dürfen nicht mehr zu einer monatelangen Verzögerung von Bauvorhaben führen. Eine Straffung der Planungs- und Umsetzungsvorschriften ist erforderlich. Rechtsweg- wie Gerichtsverfahrensvorschriften sind zu vereinfachen. Eine Maßnahme wäre die Verkürzung des Instanzenzuges. Es ist an der Zeit, dass für wichtige Infrastrukturmaßnahmen die Zuständigkeiten bei besonders spezialisierten Verwaltungsgerichten konzentriert werden.

Ferner ist eine Einschränkung des Verbandsklagerechtes zu diskutieren. Dass aktuell das Verbandsklagerecht pauschal genutzt wird, um Infrastrukturprojekte zu blockieren, ist jedenfalls nicht investitionsfördernd. Gegebenenfalls sollten Verbände nur klagen können, wenn sie direkt vom Investitionsvorhaben betroffen sind oder gegen eine nicht ordnungsgemäße Beteiligung im Rahmen des Genehmigungsverfahrens vorgehen.

Ausbau der Kapazitäten der Bauindustrie

Immer häufiger scheitern kommunale Bauvorhaben allein schon daran, dass es nicht gelingt, Bauunternehmen für die Umsetzung des Projektes zu gewinnen. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Verwaltungsverfahren und öffentliche Ausschreibungen sind aufwendig und kosten viel Zeit. Überbordende Standards und mögliche langwierige Klageverfahren tragen ihr Übriges zur begrenzten Attraktivität des öffentlichen Auftraggebers bei. Angesichts begrenzter Personalkapazitäten der Bauindustrie zieht die öffentliche Hand dann häufig den Kürzeren.

Neben einer Steigerung der Attraktivität öffentlicher Auftraggeber durch den Abbau von Standards sowie die Verkürzung des Instanzenzuges muss Vertrauen bei der Bauwirtschaft geschaffen werden, dass die derzeitige kommunale Investitionstätigkeit anhält und in den kommenden Jahren sogar noch weiter ansteigen wird. Eine Aufstockung und Entfristung des Kommunalinvestitionsförderungsfonds sowie die Auflegung eines Klimaschutzinvestitionsfonds durch den Bund wären hier ein wichtiges Signal an die Bauunternehmen und Handwerksbetriebe.

Effiziente Bürgerschaftsbeteiligung

Die effektive Bürgerschaftsbeteiligung ist ein wichtiges kommunalpolitisches Motiv bei der Investitionstätigkeit. Mangelnde Akzeptanz bis hin zu organisiertem Widerstand in der Bürgerschaft können kommunale Bauvorhaben dagegen massiv verzögern oder gar ganz verhindern. Dem gilt es über eine frühzeitige Einbeziehung entgegenzuwirken, die Akzeptanz und Zustimmung für die kommunalen Vorhaben schafft und klarmacht: Die kommunalen Investitionsvorhaben werden nicht gegen, sondern für die Bürgerinnen und Bürger und die Wirtschaft unternommen. Die Prozesse der Beteiligungsverfahren sind dabei effizient zu gestalten. Über die direkte Beteiligung der Bürgerschaft und der Wirtschaft bei der Finanzierung von Infrastrukturprojekten (etwa über Crowdfunding-Modelle) kann die Partnerschaft und Zusammenarbeit in der Kommune gestärkt werden.

DER AUTOR DR. GERD LANDSBERG Hauptgeschäftsführer, Deutscher Städte- und Gemeindebund, Berlin
Dr. Gerd Landsberg , Hauptgeschäftsführer , Deutscher Städte- und Gemeindebund

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