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KOMMUNALE PERSPEKTIVEN: INNENSTÄDTE STÄRKEN - WOHNUNGSBAU FÖRDERN - INFRASTRUKTUR ERNEUERN

Dr. Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer, Deutscher Städte- und Gemeindebund, Berlin

Quelle: Deutscher Städte- und Gemeindebund

Die deutschen Kommunen stehen infolge der Corona-Pandemie vor einschneidenden Herausforderungen, da zeitgleich Einnahmen wegbrechen und Ausgaben steigen. Hinzu kommt, dass etwa 2 500 von ihnen bereits vor der aktuellen Krise aufgrund hoher Altschulden mit dem Rücken zur Wand standen. Als ein "Signal der Hoffnung" bezeichnete der Deutsche Städte- und Gemeindebund (DStGB) vor diesem Hintergrund den Anfang Juni von der großen Koalition gespannten Rettungsschirm im Volumen von 130 Milliarden Euro für die Kommunen. Welche Hebel es damit und darüber hinaus nun in Bewegung zu setzen gilt, erörtert der DStGB-Hauptgeschäftsführer im vorliegenden Beitrag. (Red.)

Die Corona-Krise stellt für die finanzielle Lage der meisten Kommunen in Deutschland eine deutliche Zäsur dar. Vor allem bei den gemeindlichen Gewerbesteuereinnahmen, die mit über 55 Milliarden Euro eine zentrale Finanzierungssäule der Kommunen sind, sind allein in diesem Jahr Ausfälle von annähernd zwölf Milliarden Euro zu erwarten. Die Zahlen dürften weiter steigen.

Hilfsmaßnahmen zügig umsetzen

Umso wichtiger ist es, dass das am 3. Juni 2020 vom Koalitionsausschuss beschlossene Konjunkturpaket einschließlich eines kommunalen Rettungsschirms mit einem Volumen von insgesamt 130 Milliarden Euro zügig umgesetzt wird. Es wird gerade auf die kommunalen und öffentlichen Aufträge und Investitionen ankommen, die schnell und zielgenau wieder für Umsätze und Arbeit sorgen werden.

Aus Sicht der Kommunen sind die beabsichtigten Konjunkturförderungen in doppelter Hinsicht ein wichtiges Signal: für bereits zur Umsetzung geplante kommunale Investitionen, die wegen der Corona-Krise kurzfristig vor Ort nicht realisiert werden konnten, aber auch für Zukunftsinvestitionen etwa in die Digitalisierung der Schulen, die Verkehrswende und in klimafreundliche Gebäude und Versorgung.

Bei der Frage nach starken und vitalen Städten und Gemeinden kommt den Innenstädten und Ortskernen in der Praxis eine besondere Bedeutung zu. Lebendige Innenstädte haben weit über die Versorgung hinaus eine zentrale Bedeutung. Für Bürger und Touristen haben Innenstädte einen hohen Identifikationswert. Sie sind Aufenthaltsmittelpunkt und bilden die "Visitenkarte" einer Stadt. Vieles, was im Rahmen einer integrierten Stadtentwicklung in den vergangenen Jahren zur Stärkung der Innenstädte erreicht wurde, steht angesichts der Auswirkungen der Corona-Krise allerdings wieder auf dem Prüfstand.

Zukunftsperspektiven statt Schließungsankündigungen

So droht nicht nur die Schließung großer Warenhausstandorte wie etwa der Kaufhof/Karstadt-Filialen, die oft Magneten für die gesamte Innenstadt sind. Die sich weiter verschärfende Krise bedroht viele stationäre Einzelhändler, aber auch die Gastronomie, Kultur und weitere Einrichtungen. Insolvenzen und Schließungen von Warenhäusern, Geschäften und Lokalen haben unmittelbare Auswirkungen auf die gesamten Innenstädte und Ortskerne. Daher gilt es, gemeinsam mit allen Innenstadtakteuren nach Lösungen zu suchen.

Ziel muss es sein, dem drohenden Ausbluten unserer Innenstädte und Ortskerne aktiv entgegenzuwirken. Dies kann nur gelingen, wenn insbesondere der Handel, Immobilieneigentümer sowie Städte und Gemeinden eng zusammenwirken sowie Bund und Länder entsprechende Rahmenbedingungen - auch in finanzieller Hinsicht - schaffen. Wichtig ist eine gute Nutzungsmischung von Handel, Wohnen, Arbeiten und Freizeit. Auch ein attraktives Gastronomieangebot, Kulturveranstaltungen sowie das Abhalten von Märkten tragen zu einer attraktiven Innenstadt bei.

An die Länder ist daher zu appellieren, den Kommunen mehr Gestaltungsmöglichkeiten zu geben. Dies gilt sowohl hinsichtlich der Ladenöffnungszeiten als auch bei der Bewältigung von Lärmkonflikten vor Ort. Ziel muss es sein, flexible Lösungen zu ermöglichen, die den örtlichen Gegebenheiten Rechnung tragen.

Onlinehandel als Chance nutzen

Nach Auskunft des Handelsverbandes Deutschland (HDE) stehen bis zu 50 000 Einzelhändler in Deutschland vor der "Pleite". Ein Grund für die aktuellen Umsatzrückgänge ist der Onlinehandel, der durch die Corona-Krise nochmals verstärkt wurde und weiter an Fahrt zunimmt. Die Zahlen des Handels belegen dabei, dass das Onlinesegment ein wesentlicher Wachstumstreiber der Handelsbranche ist.

Zwar entfielen vor der Corona-Krise in Deutschland noch knapp 90 Prozent des Umsatzes auf den stationären Handel. Nichtsdestotrotz ist ein deutlicher Zuwachs beim Onlinehandel, insbesondere im Bereich Bekleidung, Bücher sowie der Unterhaltungselektronik festzustellen. Bei leicht rückläufiger Wachstumsrate stieg das Wachstum des Onlinehandels im vergangenen Jahr um knapp fünf Milliarden Euro auf 58,5 Milliarden Euro an. Für das Jahr 2020 dürfte - krisenbedingt - ein weiterer Anstieg zu verzeichnen sein.

Die Fußgängerzonen sind aktuell trotz Corona-Lockerungen der Länder immer noch leerer als vor der Krise. Daher kommt es noch stärker darauf an, dass die Kunden trotz oder auch unter Nutzung des Onlinehandels vor Ort einkaufen und "ihren" örtlich-stationären Einzelhandel stärken. Lokale Onlinemarktplätze sind beispielsweise ein sinnvolles Instrument, damit der stationäre Einzelhandel Warensortimente im Internet präsentiert und - in der jeweiligen Region und darüber hinaus - auf sich aufmerksam macht. Erfahrungen zeigen, dass die Kunden solche Angebote annehmen und nach einer Produktsuche auf einem Onlinemarktplatz ihre Waren und Dienstleistungen beim Händler "vor Ort" einkaufen, einschließlich eigener Lieferservices der beteiligten Händler.

Stärkere Verzahnung der Vertriebskanäle

Der Einzelhandel steht mehr denn je vor der Herausforderung, eine stärkere Verzahnung zwischen stationärem Geschäft und dem Onlinehandel vorzunehmen. Denn die meisten Kunden praktizieren heute einen "Multi-Channel-Handel": Sie kaufen sowohl lokal als auch über das Internet ein. Diese Entwicklung hat auch der Onlinehandel bereits aufgegriffen. Immer mehr Onlinehändler eröffnen stationäre Geschäfte auch in den Innenstädten. Umgekehrt sind aber auch die stationären Händler herausgefordert, den Kunden ein digitales Angebot zu offerieren.

Auf diesem Weg können die Strategien des Onlinehandels und die Vorteile des stationären Handels sinnvoll miteinander kombiniert werden. Digitalisierung im Handel muss indes mehr bedeuten als die schlichte Eröffnung von Onlineshops. Es gilt für den stationären Einzelhandel, auch Anwendungen wie Innennavigation, digitale Produktinformationen oder mobile Bezahlsysteme vorzuhalten. Derartige Ansätze müssen handelsseitig ausgebaut und im Kundeninteresse fortentwickelt werden. Die Verschmelzung der Vertriebswege des Handels sowie die "Digitalisierung der Geschäfte" ist daher die größte Serviceoffensive des Handels.

Mit Blick auf die Zukunft unsere Innenstädte sollte zudem ein besonderes Augenmerk auf die Städtebauförderung gelegt werden. Die Städtebauförderung von Bund, Ländern und Kommunen ist mit ihrer Hebelwirkung (ein Euro an Städtebaufördermitteln löst weitere sieben Euro an privaten Investitionen aus) seit jeher ein echtes Konjunkturprogramm und kann gerade zur dringend notwendigen Stärkung und Funktionsvielfalt der Innenstädte beitragen.

Städtebaufördermittel erhöhen

Die Finanzierung durch Bund und Länder muss daher dauerhaft auf hohem Niveau von mindestens einer Milliarde Euro gesichert werden. Nötig sind allerdings neben einer Bündelung und einer stärkeren Durchlässigkeit der Programme eine umfangreichere kommunale Eigenverantwortung sowie einfachere Antrags- und Mittelverwendungsverfahren. Hier gilt es, kurzfristig nachzusteuern.

Auch die Wohnungsfrage bleibt eine zentrale Herausforderung unserer Zeit. Eine angemessene Wohnraumversorgung für alle Bevölkerungsschichten kann nur im Zusammenwirken aller relevanten Akteure, also insbesondere von Bund, Ländern und Kommunen sowie der Bau- und Immobilienwirtschaft sichergestellt werden.

Bauen und Wohnen - eine weitere Herausforderung

Zur Ausfüllung des bestehenden Saldos von zirka 100 000 zu wenig gebauter Wohnungen pro Jahr sah schon der Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD eine Wohnraumoffensive zum Bau von 1,5 Millionen Wohnungen sowohl im freifinanzierten als auch im öffentlich geförderten Wohnungsbau vor. Auch die Gewinnung von Bauland soll verbessert werden. Unter Beteiligung der kommunalen Spitzenverbände hat die sogenannte Baulandkommission bereits im vergangenen Jahr konkrete Verbesserungsvorschläge unterbreitet. Nun müssen den Worten zügig Taten folgen. Dabei bleibt der Wohnungsmarkt in Deutschland von starken Disparitäten bestimmt: Wachsenden Wohnungsmärkten, speziell in stark nachgefragten Städten, stehen Schrumpfung und Leerstände von insgesamt zirka zwei Millionen Wohnungen, insbesondere in strukturschwachen ländlichen Gebieten, gegenüber. Daher gilt es, an den richtigen Stellschrauben zu drehen. Ländliche Räume können eine wichtige Entlastungsfunktion für die oft überhitzten Wohnungsmärkte in den Großstädten übernehmen und so maßgeblich zur Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse beitragen.

In einer verstärkten Dezentralisierung und der Schaffung von öffentlichen wie privaten Arbeitsplätzen in ländlichen Räumen könnte eine Chance zum Ausgleich liegen. Eine Verlagerung von Behördenstandorten und Arbeitsplätzen des Bundes und der Länder sollte insbesondere in Regionen mit starkem demografischem Handlungsbedarf erfolgen. Zur Strukturförderung ist zudem eine weitere Ansiedlung von Ausbildungseinrichtungen, vor allem von Fachhochschulen, in strukturschwachen Räumen erforderlich. Entsprechende Förderboni von Bund und Länder könnten wichtige Impulse setzen.

Bauland mobilisieren

Beim Thema Bauland ist nicht das Bestehen von Baurechten, sondern die Mobilisierung des Baulands für bezahlbare Wohnungen das Problem. Hohe Preise für Bauland hemmen den Wohnungsbau stärker als die eigentlichen Baukosten. Konflikte mit dem Umwelt-, Arten- und Naturschutz sind weitere Schranken für eine Bebauung, auch im Innenbereich. Zudem ist es oftmals schwer, die in Privatbesitz befindlichen Grundstücke für eine Bebauung zu mobilisieren. Die Baulandmobilisierung muss daher forciert werden. Ein wichtiger Hebel ist in diesem Zusammenhang das Städtebaurecht.

Über eine entsprechende Anpassung des Rechtsrahmens muss es gelingen, die Zugriffsmöglichkeiten der Kommunen auf Grundstücke und Liegenschaften deutlich zu verbessern. Der Bund ist aufgefordert, zügig die entsprechenden Rechtsänderungen, insbesondere zur Stärkung kommunaler Vorkaufsrechte, auf den Weg zu bringen. Dies muss sich auch auf kommunale Zugriffsmöglichkeiten im Rahmen von Insolvenzverfahren erstrecken.

Planungsverfahren vereinfachen und beschleunigen

Wenn wir die Infrastruktur nachhaltig verbessern wollen, bedarf es beschleunigter Planungsverfahren. In Deutschland vergeht von der Planung bis zur endgültigen Genehmigung wichtiger Infrastrukturvorhaben nicht selten ein ganzes Jahrzehnt. Die Gründe hierfür sind vielfältig: Das europäische Natur- und Artenschutzrecht sowie das Wasserrecht erfordern immer umfangreichere Umweltuntersuchungen, die mehrere Monate oder sogar Jahre dauern und deren Dokumentation in Antragsunterlagen oft mehrere tausend Seiten einnimmt. Eine wesentliche Rolle spielt auch der Rechtsschutz. Der Europäische Gerichtshof hat die Klagemöglichkeiten von Umweltverbänden in den vergangenen Jahren kontinuierlich ausgeweitet. Inzwischen können Umweltverbände Genehmigungen für umweltrelevante Vorhaben wegen aller denkbaren Rechtsverletzungen beklagen. Um den Ausbau wichtiger Infrastrukturvorhaben zu beschleunigen, müssen - neben einer Verkürzung des Instanzenzuges - die Anforderungen insbesondere des Natur- und Artenschutzrechts auf die unbedingt erforderlichen Schutzstandards reduziert werden. Auch praxistaugliche Stichtagsregelungen im Hinblick auf die Datenaktualität bei Umweltuntersuchungen sowie strengere Fristen für den Vortrag in Zulassungs- und Gerichtsverfahren könnten zu einer effektiveren Verfahrensgestaltung führen. Zudem ist es dringend erforderlich, eine europarechtskonforme materielle Präklusion wieder einzuführen. Es ist nicht länger hinnehmbar, dass derzeit das Verbandsklagerecht pauschal genutzt wird, um Infrastrukturprojekte zu blockieren.

Standards abbauen - Baukosten senken

In den letzten zehn Jahren sind die Baukosten in Deutschland mit bis zu 36 Prozent schneller gewachsen als die allgemeinen Lebenshaltungskosten. Daher gehören auch die Normung und die bautechnischen Regeln auf den Prüfstand. Die Erarbeitung von technischen Normen sowie ihre Übernahme in das bautechnische Regelwerk (DIN et cetera) bedürfen zukünftig einer strengen Prüfung auf Erforderlichkeit und einer Kosten-Nutzen-Analyse. Ohne eine nachhaltige Reduzierung der Baukosten wird es nicht gelingen, Wohnungsbauprojekte zu bezahlbaren Preisen zu realisieren.

Die Zahl der Bauvorschriften hat sich zudem in den letzten Jahren von 5 000 auf 20 000 vervierfacht. Diese Entwicklung muss gestoppt werden. Überflüssige Standards müssen abgebaut werden. Allein die am 1. Januar 2016 in Kraft getretene Verschärfung der Energieeinsparverordnung (EnEV) für Neubauten führt zu Mehrkosten von bis zu zehn Prozent. Dies wirkt sich auf die Neubautätigkeiten und das Mietniveau aus. Energiestandards sollten daher in Zukunft verstärkt quartiersbezogen statt auf die Einzelwohnung ausgerichtet werden.

Effizienzgewinne via Standardisierung und Digitalisierung

Standardisierung und serielles Bauen sparen nicht nur Geld. Sie beschleunigen auch die Fertigstellung von Wohnbauprojekten und sind im Sinne einer flexiblen Nutzung nachhaltig. So können zum Beispiel Variowohnungen, die eine unterschiedliche Wohnnutzung ermöglichen (zum Beispiel für Studierende, Senioren, junge Familien), zügig erstellt werden. Die Prozessdauer im Genehmigungsverfahren kann zudem durch die verstärkte Zulassung von Typengenehmigungen deutlich verkürzt werden.

Auch die Digitalisierung kann einen Beitrag zur Beschleunigung des Abbaus des Investitionsstaus leisten. Hierzu muss sie den Kommunen aktiv als Chance eröffnet werden, ein Schritt ist dabei die Nutzung elektronischer Standards in den verschiedensten Bereichen. Gerade auch im Baubereich sind durch ein Vorantreiben elektronischer Standards spürbare Effizienzgewinne zu realisieren. Die Kommunen müssen den digitalen Wandel aktiv mitgestalten können. Effizienzsteigerungen in der digitalen Verwaltung müssen mit einer Reduzierung der analogen Verwaltung unterstützt werden. Es gibt viel zu tun - packen wir es an!

DER AUTOR DR. GERD LANDSBERG Hauptgeschäftsführer, Deutscher Städte- und Gemeindebund, Berlin
Dr. Gerd Landsberg , Hauptgeschäftsführer , Deutscher Städte- und Gemeindebund

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