RISIKOMANAGEMENT

MESSUNG VON IMMOBILIENRISIKEN - NEUER KENNZAHLENKATALOG DER GIF FÜR DIE IMMOBILIENWIRTSCHAFT

Prof. Dr. Carsten Lausberg, Foto: Anja Weber, Berlin

Im Umgang mit Krisen und Exzessen hat die Immobilienwirtschaft zweifellos viel Übung. Umso verwunderlicher ist, dass man beim Thema Risikomanagement anderen Branchen doch oftmals hinterherhinkt. Die Autoren des vorliegenden Beitrags vermuten, dass der fehlende ökonomische und regulatorische Druck der Hauptgrund dafür sind. Dieser dürfte sich nun allerdings infolge der Corona-Krise sowie neuen, strengeren Prüfungs regeln deutlich erhöhen. Um die Branche stärker für Immobilienrisiken und deren Messung zu sensibilisieren, hat die gif deshalb einen entsprechenden Leitfaden er arbeitet. Die darin enthaltenen Risikokennzahlen sollen, so die Autoren, mittelfristig zum Standard werden. Red.

Fragt man Immobilienexperten nach der wichtigsten Risikokennzahl, bekommt man sehr unterschiedliche Antworten - manche nennen die durchschnittliche Restlaufzeit der Mietverträge (DRMV), andere die Volatilität und wieder andere den Immobilienmarktscore. Die Vielfalt entspricht der Komplexität von Immobilien, und es ist nicht verwunderlich, dass es für die mannigfachen Risiken auch viele Kennzahlen gibt.

Vielfalt als Ausdruck von optimierbarer Kompetenz

Verwunderlich ist aber, dass die wenigsten Immobilienexperten mehr als eine Hand voll Kennzahlen kennen beziehungsweise nutzen, wie eine Umfrage der gif Gesellschaft für Immobilienwirtschaftliche Forschung e.V. ergab. Beispielsweise befassen sich Wissenschaftler kaum mit der DRMV. Für die meisten Praktiker spielt dagegen die in der Wissenschaft dominierende Volatilität keine Rolle. Die Leerstandsquote zählt zu den beliebtesten Kennzahlen in der Praxis, wohingegen die Forschung diese Kennzahl nicht akzeptiert, weil ein bereits eingetretener Leerstand kein Risiko darstellt. So gesehen ist die Vielfalt der Risikokennzahlen nicht nur Ausdruck von Komplexität, sondern auch von optimierbarer Risikokompetenz in der Immobilienbranche.

Das ist lange Zeit nicht aufgefallen. Der Immobilienboom hat in den vergangenen Jahren viele Risiken überdeckt und seit der Finanzkrise schien es keinen großen Bedarf zu geben, die eingegangen Risiken konkret zu messen. Es gab auch keine rechtliche Notwendigkeit, außer für die eng regulierten (Immobilien-)Banken und Kapitalverwaltungsgesellschaften. Doch diese Zeiten sind vorbei. Neue Normen, Gesetze, Verordnungen und Prüfungsrichtlinien zwingen heute alle großen Immobilienunternehmen zur Risikomessung, für die man natürlich Messgrößen braucht.

Unbefriedigender Status quo

Die uneinheitliche Handhabung solcher Größen einerseits und der zunehmende Regulierungsdruck andererseits haben die gif dazu bewogen, einen Katalog mit den wichtigsten Immobilienrisikokennzahlen zu erstellen. Er soll einen wertenden Überblick geben, die Diskussion über Risiken und Risikomessung ankurbeln und zur weiteren Professionalisierung des Immobilienrisikomanagements beitragen. Mittelfristig sollen die Kennzahlen zum Standard werden.

Wo die Immobilienbranche heute steht, lässt sich wie folgt charakterisieren: Die meisten Immobilienunternehmen decken nur einen kleinen Teil ihres Gesamtrisikos ab, weil sie nur einzelne Risiken berücksichtigen und diese oft nicht quantifizieren, sondern nur beschreiben. Zu mehr wären sie auch nicht in der Lage, unter anderem weil ihnen die Daten, Techniken oder Kenntnisse dafür fehlen. Unternehmen, die Risiken ernsthaft managen, betrachten typischerweise auch Portfolio- und Marktrisiken, setzen Risikomaße ein und haben eine zentrale Stelle für das Risikocontrolling.

Als Best Practice gelten Unternehmen, die darüber hinaus zum Beispiel operationale Risiken im Blick haben, Monte-Carlo-Simulationen einsetzen und eine ausgeprägte Risikokultur besitzen. Aus wissenschaftlicher Sicht ist die Entwicklung des Risikomanagements damit aber noch lange nicht abgeschlossen, denn gegenüber manchen anderen Branchen hat die Immobilienwirtschaft noch einiges aufzuholen. Der gif-Kennzahlenkatalog berücksichtigt diese Kluft, indem er sowohl von Praktikern eingesetzte, aber kaum erforschte als auch von Wissenschaftlern empfohlene, aber kaum eingesetzte Kennzahlen enthält.

Risikomaße sind der Kern des Risikomanagements

Der Hauptgrund für das bislang gering ausgeprägte Risikomanagement ist der fehlende ökonomische und regulatorische Druck auf die Immobilienwirtschaft. Doch den dürften die aktuelle Wirtschaftskrise und die neuen, strengeren Prüfungsregeln deutlich erhöhen. Das Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland (IDW) mit seinen Prüfungsstandards 340 und 981 und das Deutsche Institut für Interne Revision (DIIR) mit dem Revisionsstandard Nummer 2 verlangen ein Risikomanagement, das der Unternehmensleitung angemessene Informationen über bestandsgefährdende Risiken und die gesamte Risikosituation des Unternehmens liefert. Dazu muss es den Gesamtrisikoumfang messen und dem Risikodeckungspotenzial - also Eigenkapital und Liquidität - gegenüberstellen.

Kennzahlen sind ein unentbehrliches Managementinstrument, auch im Risikomanagement. Dadurch lassen sich unter anderem Risiken frühzeitig erkennen, risikobehaftete Alternativen vergleichen und Maßnahmen zur Risikoabwehr planen. Außerdem sind Risikokennzahlen zentraler Bestandteil von Risikoberichten, zum Beispiel an den Vorstand eines Unternehmens oder an die Kapitalgeber. Sie lassen sich grob einteilen in quantitative und qualitative Kennzahlen. Quantitative Risikomaße sind metrisch skaliert, haben also vereinfacht ausgedrückt den Vorteil, dass man mit ihnen gut rechnen kann.

Brauchbare Daten sind Mangelware

Eine Voraussetzung dafür ist, dass Daten vorliegen, mit denen man rechnen kann. Das engt ihre Anwendung in der Immobilienbranche stark ein, denn öffentlich verfügbare Informationen über Immobilien und Immobilienmärkte sind knapp und brauchbare unternehmensinterne Datenbestände nicht in jedem Unternehmen vorhanden. Daher haben qualitative Risikomaße im Immobilienrisikomanagement eine hohe Bedeutung. Sie sind ordinal skaliert wie etwa eine Ratingnote, die ein Risiko in Form von Zahlen oder Buchstaben ausdrückt, oder nominal wie eine Warnampel, die mit Farben eine grobe Risikoindikation gibt.

Beide Arten sind für ein umfassendes Risikomanagement nötig. Wichtig ist, dass eine Risikokennzahl zum Risiko und zur Datenlage passt. Noch wichtiger ist, dass sie der Risikosicht des Anwenders entsprechen muss. Es gibt vier alternative Sichtweisen, die alle ihre Berechtigung und ihre dazu passenden Kennzahlen haben. Risiko ist entweder

1. die Möglichkeit, ein angestrebtes Ziel zu verfehlen oder

2. die Möglichkeit, dass infolge einer Entscheidung ein unerwünschtes Ereignis eintritt oder

3. die Wahrscheinlichkeit, dass ein bestimmtes Ereignis eintritt oder

4. das, was Menschen als Risiko empfinden.

Unternehmensbezogene und ...

Eine weitere Anforderung an Risikokennzahlen ist, dass sie kohärent sein sollen. Dies sind nicht alle Immobilienrisikomaße, die von der gif empfohlen werden, denn einerseits gibt es hier noch erheblichen Forschungsbedarf, andererseits sind auch nichtkohärente Kennzahlen für das Risikomanagement wertvoll, zum Beispiel für die Identifizierung von Risiken.

Auf der Unternehmensebene sollen Risikokennzahlen laut IDW-Prüfungsstandard 340 den aggregierten Gesamtrisikoumfang ausdrücken. Aggregation bedeutet, dass man die quantifizierten Risiken gemeinsam betrachtet und dass man abschätzt, welche Auswirkungen diese auf den zukünftigen Ertrag, die wesentlichen Finanzkennzahlen, eventuelle Kreditvereinbarungen und das Unternehmensrating haben. Zur Aggregation von Risiken verwendet man in der Regel die Monte-Carlo-Simulation, die eine große Zahl computergenerierter Zukunftsszenarien erzeugen kann. Die daraus entstehende Häufigkeitsverteilung ist die Basis für viele Risikokennzahlen wie Spannweite, Volatilität und Conditional Value at Risk.

Risikoaggregationsmodelle dienen daneben der Bestimmung der Risikotragfähigkeit. Hier wird mit geeigneten Kennzahlen der Abstand der aktuellen Unternehmenssituation zu dem Punkt gemessen, den man als "bestandsgefährdende Entwicklung" im Sinne von § 91 Absatz 2 AktG bezeichnet, und die Wahrscheinlichkeit, dass eine solche eintritt.

Die Modelle dienen damit der Erfüllung einer gesetzlich geforderten Kernaufgabe des Risikomanagements. IDW PS 981 und DIIR RS Nummer 2 schaffen so einen neuen Standard für das Risikomanagement - zunächst nur für bestimmte Unternehmen, aber Experten erwarten, dass die Regeln früher oder später auf alle größeren Unternehmen angewendet werden. Hier wird es vermutlich keine besonderen Regeln für die Immobilienwirtschaft geben.

... immobilienbezogene Risikomessung

Auf der Ebene der einzelnen Anlagen unterscheidet sich das Risikomanagement in der Immobilienbranche erheblich von dem in anderen Branchen. Immobilien weisen im Vergleich zu Wertpapieren und anderen Kapitalanlagen einige Besonderheiten auf, die sich in besonderen Risiken und besonderen Anforderungen an das Risikomanagement niederschlagen. Einige Kennzahlen, die von der gif zusammengetragen wurden, sind immobilienspezifisch.

Dazu gehören der Instandhaltungsstau (zur Messung des Objektrisikos) und die Mietertragskonzentration (Klumpenrisiko). Andere Kennzahlen sind dagegen universell einsetzbar, beispielsweise die Ratingnote (Mieterrisiko, aber auch Insolvenzrisiko des eigenen Unternehmens) und der Variationskoeffizient (Kostenrisiko, aber auch Ertragsrisiko), wobei auch diese immer auf die Besonderheiten von Immobilien zugeschnitten werden müssen. Die Erstellung des Kennzahlenkatalogs erfolgte durch die gif-Kompetenzgruppe Immobilien-Risikomanagement in drei Phasen:

1. Zunächst wurden Risikomaße aus der wissenschaftlichen und praxisorientierten Fachliteratur zusammengetragen. Nach Bereinigung um redundante oder nach Auffassung der Teilnehmer ungeeignete Kennzahlen enthielt die Liste noch 96 Risikomaße.

2. Diese Liste wurde mit einem Fragebogen an 157 Risikoexperten geschickt. Gefragt wurde vor allem nach Verwendung und Kenntnis der Kennzahlen. Am häufigsten werden in der Praxis die DRMV und die Leerstandsquote verwendet. Wahrscheinlichkeitsbasierte Risikomaße werden selten eingesetzt, obwohl viele Teilnehmer sie kennen. Die Ergebnisse waren teilweise überraschend, unter anderem weil zur Ermittlung der Risikotragfähigkeit eine Wahrscheinlichkeitsrechnung nötig ist. Nicht verwunderlich war, dass alle Teilnehmer mehr als nur ein Risikomaß verwenden. Dies kann so interpretiert werden, dass Immobilienprofis keiner "Super-Risikokennzahl" zutrauen, alle Risiken einer Immobilieninvestition abzudecken.

3. Die Kennzahlen mit den meisten Nennungen sowie einige weitere, die die Mitglieder der Kompetenzgruppe für besonders wichtig hielten, wurden anschließend eingehend diskutiert und detailliert beschrieben. Zunächst nicht berücksichtigt wurden Kennzahlen für die Entwicklungs- und Bauphase von Immobilien; sie sollen später ergänzt werden.

Der Katalog mit den 26 wichtigsten Immobilienrisikomaßen ist alphabetisch nach der üblichen Bezeichnung sortiert. Er enthält ferner die Begriffe Risikotragfähigkeit, Risikotoleranz und Risikoappetit - sie drücken die Risikodeckung aus, die dem gemessenen Risikoumfang gegenübergestellt werden muss.

Primär für die interne Verwendung

Der Kennzahlenkatalog ist in erster Linie für die interne Verwendung in Immobilienunternehmen gedacht, dort vor allem für das zentrale Risikocontrolling und die Geschäftsleitung. Das schließt eine Verwendung für andere interne Stellen und für Externe natürlich nicht aus. Im Gegenteil hoffen wir, dass eine größere Verbreitung von Risikokennzahlen und damit verbunden eine bessere Quantifizierung von Risiken dazu führen wird, dass in der Branche mehr und offener über Risiken gesprochen wird. Das hängt freilich noch von anderen Aspekten wie der Risikokultur ab.

Bei manchen Kennzahlen liegt eine externe Verwendung nahe, vor allem bei denen, die das Gesamtrisiko eines Unternehmens ausdrücken. Zu beachten ist hierbei, dass Risikokommunikation immer adressatenbezogen erfolgen sollte. Da die meisten Menschen über wenig Risikowissen verfügen und manche der Kennzahlen im Katalog selbst unter Experten kaum bekannt sind, schränkt das die Verwendbarkeit der Risikokennzahlen ein. Andererseits gibt es externe Adressaten, die mit einzelnen Risikomaßen sehr wohl vertraut sind. Banken beispielsweise berechnen seit langem den Value at Risk und professionelle Immobilienkäufer dürften mit der Kennzahl Ertragskonzentration vertraut sein. Hier bietet der Kennzahlenkatalog die Möglichkeit, das Spektrum der externen Kommunikation zu erweitern.

An zwei einfachen, stark gekürzten Beispielen soll gezeigt werden, wie der Kennzahlenkatalog grundsätzlich aufgebaut ist.

Beispiel DRMV Quelle: gif
Beispiel Konzentration Quelle: gif

Pläne zur Anwendung und Weiterentwicklung

In Zukunft soll der Kennzahlenkatalog um Risikomaße für Projektentwicklungen erweitert werden. Außerdem möchte die gif einem Benchmarking von Risikokennzahlen den Weg ebnen. Wir halten den Aufbau eines Branchenvergleichs für sehr wichtig, weil noch für lange Zeit nur sehr wenige Immobilienunternehmen über eine ausreichende Datenhistorie verfügen dürften, um ihre Risiken alleine bewerten zu können. Und für Risiken gilt das Gleiche wie für Kosten, Renditen und andere betriebswirtschaftliche Größen: Ohne einen Maßstab ist Messen nur begrenzt sinnvoll.

Ein weiteres Optimierungsfeld sehen wir bei den Risikoverantwortlichen: Es gibt bisher kein Berufsbild "Immobilienrisikomanager", welches die Aufgabenbereiche des Berufs sowie erforderliche Kenntnisse und Qualifikationen beschreibt. Auch hierzu wird die Kompetenzgruppe Risikomanagement der gif in Zukunft einen Beitrag leisten.

Fußnoten

1) gif Gesellschaft für Immobilienwirtschaftliche Forschung (Hrsg.): Kennzahlenkatalog Immobilien-Risikomanagement. Wiesbaden, Juni 2020, https://www.gif-ev.de/onlineshop/detail/472.

2) Blahusch/Lausberg: Prozessorientierte Weiterentwicklung des Risikomanagements. In: Zeitner/Peyinghaus (Hrsg.): Prozessmanagement Real Estate, Berlin/Heidelberg 2013, S. 75-91.

3) Just/Lausberg: Menschenorientiertes Immobilien-Risikomanagement, gif im Fokus (2) 2017, S. 5-9.

4) Gleißner: Grundlagen des Risikomanagements. 3. Auflage, München 2017, S. 503f.

5) Gleißner: Risikomanagement, KonTraG und IDW PS 340. WPg Die Wirtschaftsprüfung 70 (3) 2017, S. 158-164.

DER AUTOR PROF. DR. CARSTEN LAUSBERG Professor für Immobilienwirtschaft, Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen
 
DER AUTOR TOBIAS SCHULTHEISS Geschäftsführer, Blackbird Real Estate GmbH, Königstein
Prof. Dr. Carsten Lausberg , Professor für Immobilienwirtschaft, Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen
Tobias Schultheiss , Geschäftsführer, Blackbird Real Estate GmbH, Königstein

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