NACHHALTIGKEIT

NACHHALTIGES BAUEN GELINGT NUR NUTZUNGSNEUTRAL

Patrick Herzog, Foto: DKW AG

Der vor gut zwei Jahren eröffnete "Cube Berlin" ist nicht nur architektonisch ein Hingucker, er setzt auch technologisch neue Maßstäbe: Rund 3 750 Sensoren, 750 Bluetooth-Beacons und 140 Mobilfunkantennen sammeln hier eine kaum noch zu überblickende Fülle an Daten, um eine smarte und damit auch nachhaltige Gebäudesteuerung zu ermöglichen. Doch wie zielführend ist dieser Trend zur Hochtechnologie im Gebäude am Ende wirklich? Die Ausführungen des Autors säen diesbezüglich jedenfalls gehörige Zweifel. Um beim Thema Nachhaltigkeit wirklich voranzukommen, plädiert er stattdessen für eine stärkere Fokussierung auf das Prinzip der Nutzungsneutralität einer Immobilie. Red.

Die Immobilienbranche hat ein Problem. Sie emittiert gigantische Mengen an CO2 - einige Erhebungen gehen davon aus, dass der Gebäudesektor für 30 Prozent der Emissionen weltweit verantwortlich ist. Es liegt auf der Hand, dass hierbei dringender Handlungsbedarf besteht.

Private als Pioniere, öffentliche Hand und Großkonzerne folgen

In den kommenden Jahren stehen Neubauten besonders im Fokus und werden auch anhand ihres ökologischen Impacts bewertet. In Zeiten, in denen sich insbesondere Unternehmen für das von ihnen verursachte CO2 öffentlich verantworten müssen, werden auch Ansprüche an angemietete Gewerbeimmobilien entsprechend erhöht.

Den ersten Schritt in diese Richtung unternahmen in den vergangenen zehn Jahren vor allem Privatunternehmen, die sich in der Pionierrolle gefielen, aber auch die öffentliche Hand und Großkonzerne legen zunehmend ein Augenmerk auf die Klimabilanz ihrer Nutzgebäude.

Denn Klimaschutz ist nicht länger eine Option, sondern wird von der Gesellschaft und dem Gesetzgeber in steigendem Maße eingefordert. Die jüngste EU-Taxonomie und der "Green New Deal" der EU sind nur zwei der zahlreichen Anzeichen dafür, dass diese Entwicklung nicht beginnt, sondern schon in vollem Gange ist.

Klimaneutralität reicht über die Primärnutzung hinaus

Auf lange Sicht wird auch die breite Schicht der Gewerbetreibenden vor allem Immobilien anmieten, die Nachhaltigkeitskriterien erfüllen. Damit gerät neben der Bestandssanierung auch der "grüne" Neubau in den Fokus von Mietern und Investoren.

Entstehung, Nutzung, Umnutzung oder Abriss - so sieht der klassische Lebenszyklus einer Immobilie aus. Im Alltag wird jedoch in Anbetracht von Nachhaltigkeitskriterien leider häufig lediglich die aktive Nutzungsphase einer Immobilie bewertet. Ein vermeidbarer Fehler. Denn ein Großteil der Emissionen entsteht beim Abriss und Neubau eines Objekts, nicht im Betrieb.

In der Immobilienwirtschaft wird auch jetzt schon darauf geachtet, möglichst klimafreundlich zu bauen. Mittlerweile achten Bauherren verstärkt darauf, welche Baustoffe sie verwenden. Recycelte und wiederverwendbare Materialien gewinnen an Popularität. Der Anteil von Beton oder Glas im Bauwerk wird auf den Prüfstand gestellt.

Es wird zu viel Hochtechnologie verbaut

Für Unternehmen ist aber von größerer Bedeutung, ob sie mit der Klimaverträglichkeit ihrer Immobilie auch werben können. Die Frage, die sich vielen stellt, zielt in der Regel darauf ab, ob der Impact einer Immobilie dann auch im Alltag messbar ist. Und gerade hierbei neigt die Branche zu weiteren Denkfehlern.

Um die Frage nach dem Impact zu beantworten, wird sehr viel Technik verbaut. Enorme Mengen an Sensoren werden in den Gebäuden eingesetzt, um die Immobilie auf ihren Emissionsausstoß hin zu untersuchen. Um die Emissionen zu senken, wird dann auf weitere Technologie gesetzt.

Was erst einmal sinnvoll erscheint, bringt auch Probleme mit sich. Denn Technologie, insbesondere Hochtechnologie, veraltet sehr schnell. Mit einer steigenden Nachfrage und einer daraus resultierenden erhöhten Kommerzialisierung der Gebäudetechnik werden die Nutzungszyklen der Technologie so immer weiter verkürzt.

Die voranschreitende Gebäudeautomation führt auch zu einer weiteren Verschiebung des Break-even-Points des angepeilten Klimaschutzes in die Zukunft. Somit wird die Branche vor immer größere Probleme bei der Bewältigung von Klimaschutzaufgaben gestellt. Und bevor ein energetischer Breakeven-Point überhaupt erreicht ist, kann von CO2-Neutralität nicht die Rede sein.

Gebäudetechnik - Wiederverwendung ist unwahrscheinlich

Die stetige Weiterentwicklung der Technologie führt indes nicht immer nur zu Fortschritt und Verbesserung, veraltete Technik wird selten wieder einem Kreislauf zugeführt. Dass es sich mit Gebäudetechnik anders verhält, ist nicht zu erwarten. Deshalb erscheint es doch wenig weitsichtig, energieaufwendige Technologie bloß zum Zwecke der Messung der Nutzungsnachhaltigkeit in Gewerbeimmobilien zu verbauen.

Der Einbau von Technologie sollte somit weiterhin ermöglicht werden, nicht aber verpflichtend sein. Zwar ist es sinnvoll, mithilfe von Hochtechnologie die Energieeffizienz von Gebäuden messbar zu machen, nur gibt es auch andere Möglichkeiten, um Projekte langfristig nachhaltig zu entwickeln. Es wäre ein Fehler, nur einseitig auf die Wirksamkeit von digitalen Lösungen zu setzen, um die Klimaverträglichkeit von Büroimmobilien zu erhöhen.

Schnelle und unkomplizierte Umnutzung ...

Ein Ansatz, den es besonders hervorzuheben lohnt, ist derjenige, die Nutzungsneutralität von Immobilien zu erhöhen und in den Vordergrund zu stellen. Nutzungsneutral sind vor allem Gebäude, die über mehrere Vermietungszeiträume und sogar über die ursprünglich angedachte Nutzungsphase flexibel genutzt werden können.

Diese Umnutzung ermöglicht es, dass beispielsweise Gewerbeflächen wie Büros schnell und unkompliziert in bewohnbare Flächen, etwa Wohnungen oder Hotels, umfunktioniert werden können. Moderne Flächenkonzepte erlauben sogar eine Umnutzung innerhalb der gleichen Assetklasse.

Das Prinzip der Nutzungsneutralität muss von Bauherren und Architekten zwingend schon zu Beginn der Planung beachtet werden. Das erfordert, dass Ausstattung und entsprechende Komponenten effizient verbaut werden. Vor allem Hochtechnologie aber ist weniger dazu geeignet, da Gebäudetechnik oftmals für einen sehr spezifischen Anwendungsfall konzipiert und installiert wird. Dadurch wird nicht nur die Umnutzung der Immobilie erschwert, sondern auch der Break-even-Point der Klimaneutralität des Objekts verschoben.

Prinzipiell ist es nachteilig, sich lediglich auf die erste Nutzungsphase einer Immobilie zu fokussieren. Durch einen zu starken Fokus auf die primäre Nutzungsphase und -art von Gebäuden gestaltet es sich sehr schwierig, diese nachhaltig zu entwickeln. Investoren sollten sich dennoch vor Augen führen, dass sie ihren Mietern nicht nur nachhaltige Flächen zur Verfügung stellen, sondern selbst auch nachhaltig wirtschaften müssen.

... ermöglicht längere Lebenszyklen

Vor diesem Hintergrund ist es dringend notwendig, moderne, flexible Flächenkonzepte zu schaffen. Denn nur durch eine effiziente Kalkulation kann es gelingen, den komplexen Nachhaltigkeitsanforderungen im Gebäudesektor langfristig gerecht zu werden.

Dies würde eine nutzungsneutrale Bewirtschaftung von Flächen ermöglichen. Digitale Lösungen leisten zwar einen guten Beitrag zur Einsparung von Energie während der Nutzung eines Gebäudes, doch sind sie nicht selbsttragend und noch lange kein Allheilmittel für die Probleme im Gebäudesektor.

Und weiterhin sollten wir uns die Frage stellen, ob wir mit Workarounds leben oder ob wir Lösungen schaffen wollen, die tatsächlich auch nachhaltig und langlebig sind. Analog zum E-Auto verbrauchen hoch technologisierte Gebäude zwar wesentlich weniger Energie während der Nutzungszeit, die im Übrigen kürzer kalkuliert wird, jedoch benötigt die verbaute Technologie ein Vielfaches an Energie. Die Energieemissionen werden also tatsächlich bloß verlagert.

Zielführend oder Augenwischerei?

Dies soll nicht als Absage an die digitale Überwachung von Gebäuden missverstanden werden - im Gegenteil. Jedoch sollten wir uns auch vor Augen führen, dass viele technologische Entwicklungen schnell überholt sind und dass oftmals auch unnötige Komponenten eingebaut werden. Fraglich ist vor diesem Hintergrund auch, ob all diese Maßnahmen tatsächlich zielführend sind oder nur Augenwischerei.

Es ist durchaus begrüßenswert, dass inzwischen in der Entstehungsphase das Augenmerk darauf liegt, ressourcenschonend zu bauen und die Emissionen während der Nutzung einzuschränken. Für einen ganzheitlichen Wandel sollten wir aber auch in Betracht ziehen, Gebäude nutzungsneutral und zweckungebunden zu entwickeln.

Denn mehr Flexibilität führt unweigerlich auch zu einem effizienteren Gebäude. Schafft es der Bausektor, digitale Lösungen smart einzusetzen und gleichzeitig die Nutzungsdauer, etwa durch Umfunktionierung, zu verlängern, wird es auch gelingen, einen positiven Beitrag zum Klimaschutz zu leisten.

Patrick Herzog , Vorstand , DKW Deutsche KapitalWert AG, Berlin
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