FACETTEN DER NACHHALTIGKEIT

NEUBAU IM NAMEN DES KLIMASCHUTZES

Prof. Dr. Steffen Metzner, Foto: Empira

Der Wohnungsneubau bringt oft wesentlich größere Energie- und Emissionseinsparpotenziale mit sich als die Bestandssanierung. Das ist das zentrale Ergebnis einer aktuellen Studie der Empira-Gruppe. Demnach sind die deutschen und europäischen Klimaziele nur durch deutlich mehr privatwirtschaftlichen Wohnungsneubau technisch und ökonomisch effizient erreichbar. Wie das gelingen kann, ist Gegenstand des vorliegenden Beitrags. Red.

Bei dem ehrgeizigen klimapolitischen Ziel, bis 2050 eine annähernd klimaneutrale Europäische Union zu erreichen, kommt der Immobilien- und Bauwirtschaft eine besondere Bedeutung zu. Schließlich tragen Wohnraumnutzungen einen erheblichen Teil zum Energieverbrauch und zu den CO2-Emissionen bei. So geht allein in Deutschland ein Viertel des gesamten Endenergieverbrauchs auf private Haushalte zurück. Doch steigende Bevölkerungs- und Haushaltszahlen führen grundsätzlich zu einem Mehrbedarf an Energie.

Steigende Pro-Kopf-Wohnfläche treibt Energieverbrauch

Diesem Trend konnten bisher auch der vermehrte Einsatz energiesparender Technologien und energiepolitische Bemühungen nicht ausreichend entgegenwirken. Ein Blick auf die Zahlen macht dies deutlich: Während der deutsche Energieverbrauch im Gewerbe seit 1990 um 22,6 Prozent und in der Industrie um 14,9 Prozent zurückgegangen ist, hat er im privaten Wohnraum lediglich um 2,6 Prozent abgenommen.

Doch wo genau liegen die Ursachen dafür? Der wachsende Energieverbrauch im Gebäudesektor ergibt sich nicht zuletzt aus der deutlich höheren Wohnfläche pro Kopf. Diese ist von durchschnittlich 35 Quadratmetern im Jahr 1990 um rund 34 Prozent auf 47 Quadratmeter 2019 angestiegen (siehe Abbildung 1). Mehr Fläche verbraucht zwangsläufig auch mehr Energie. Hinzu kommt die sinkende durchschnittliche Haushaltsgröße: In einem Single-Haushalt wird pro Kopf mehr Energie etwa für Licht und Heizung verbraucht als bei einer vierköpfigen Familie. Diese Trends haben schließlich dazu geführt, dass der Energieverbrauch trotz hochgerüsteter Haustechnik nicht wesentlich gesunken ist.

Abbildung 1: Wohnflächennutzung pro Einwohner in Deutschland (in Quadratmeter) Quelle: Statistisches Bundesamt; eigene Berechnung und Darstellung von S. Metzner und G. Wolfram (teils unter Glättung der Verläufe mittels statistischer Verfahren)

Die Wärmeerzeugung als entscheidender Hebel

Sicherlich würde eine geringere Pro-Kopf-Wohnfläche helfen, den Klimaschutzzielen näherzukommen. Doch in den vergangenen Jahrzehnten ist der Wohnraumbedarf pro Kopf in nahezu allen Ländern und Regionen kontinuierlich gestiegen, während die Haushaltsgrößen tendenziell abgenommen haben. Mit einem gegenläufigen Trend ist nicht zu rechnen. Dies impliziert auf der Verwendungsseite auch künftig einen hohen Energiebedarf und entsprechende CO2-Emissionen.

Im Gebäudesektor kann eine signifikante Verringerung des Energiebedarfs in erster Linie durch eine effizientere Wärmeerzeugung erreicht werden. Unter den aktuellen klimatischen Bedingungen Deutschlands sind Raumwärme und Warmwasser für 87 Prozent des Energieverbrauchs im Wohnbereich verantwortlich. Nur wenn sich hier durch technische, qualitative oder nutzungsbezogene Maßnahmen Einsparungen ergeben, können die privaten Haushalte einen maßgeblichen Beitrag dazu leisten, die Nachhaltigkeitsziele zu erreichen. Für die Verbesserung der Energiebilanz im deutschen Wohnungsbestand ist auch die Substanz der Gebäude von entscheidender Bedeutung. So verbraucht ein unsanierter Altbau in Deutschland durchschnittlich 151 Kilowattstunden Energie pro Quadratmeter und Jahr (kWh/m²) für Heizung und Warmwasser. Teilsanierte Gebäude, an denen zwischen ein bis drei energieeinsparende Maßnahmen durchgeführt wurden, verbrauchen mit jährlich 143 kWh/m² lediglich fünf Prozent weniger. Deutlich besser schneiden vollsanierte Wohnimmobilien ab, die den Heizenergieverbrauch um 24 Prozent auf 115 kWh/m² senken.

Gebäudesubstanz - hochrelevant für die Energiebilanz

Den mit Abstand höchsten Einspareffekt zeigen jedoch Neubauten, die ab 2002 nach aktuellen technischen Standards errichtet wurden. Hier liegt der durchschnittliche Heizenergieverbrauch von 89 kWh/m² um stolze 59 Prozent unter dem des unsanierten Referenzobjekts. Damit macht die Studie deutlich, dass sich durch Wohnungsneubauten erheblich mehr Energie und Emissionen einsparen lassen als durch energetische Sanierungen von Bestandsbauten (siehe Abbildung 2).

Abbildung 2: Gebäudesanierungsstand und Heizenergieverbrauch nach Sanierungsstand in Deutschland (1995 bis 2019, in Prozent) Quelle: co2online; eigene Berechnung und Darstellung von S. Metzner und G. Wolfram

Hinzu kommt, dass die Gebäudesubstanz in Deutschland überwiegend veraltet ist: Der Anteil von unsanierten Altbauten am gesamten Bestand an Wohngebäuden liegt hierzulande bei 36 Prozent, bei teilsanierten Gebäuden sogar bei 50 Prozent. Da gegen machen vollsanierte und neu errichtete Wohngebäude zusammen nur einen Anteil von lediglich 13,8 Prozent am Bestand aus.

Auch im EU-Vergleich weist der deutsche Immobilienmarkt einen deutlich älteren Gebäudebestand auf. So liegt Deutschland beim Anteil der Altbauten, die bis 1945 gebaut worden sind, mit 25 Prozent nah am EU-Schnitt von 23 Prozent. Allerdings stammt der höchste Anteil des deutschen Wohnungsbestandes mit 49 Prozent aus den Jahren 1945 bis 1979 und liegt damit deutlich über dem EU-Schnitt in Höhe von 42 Prozent. Dagegen sind jüngere und damit auch wesentlich energieeffizientere Wohnimmobilien hierzulande stark unterrepräsentiert. Gebäude aus den Jahren 1980 bis 1999 haben lediglich einen Anteil von 19 Prozent sowie nach 2000 errichtete Immobilien von 7 Prozent - der entsprechende EU-Schnitt liegt mit 22 Prozent beziehungsweise 13 Prozent deutlich darüber.

Gleichzeitig hinkt Deutschland im europäischen Vergleich auch beim Wohnungsneubau hinterher. Im Jahr 2018 wurden hierzulande nur 3,47 Wohnungen pro 1 000 Einwohner gebaut, während der entsprechende Wert beispielsweise in Österreich bei 6,48 lag. Auch in Belgien, Frankreich und Polen wurden wesentlich mehr Wohnungen gebaut.

Alle Argumente sprechen für den Ersatzneubau

Die detaillierte Analyse führt zwangsläufig zu dem Schluss, dass sich die gesamte Betriebsenergie im deutschen Wohnbereich langfristig nur durch einen massiven Neubau von Immobilien nennenswert senken lässt. Mit einer Fortführung des Status quo und dem Schwerpunkt auf Sanierungen statt auf Ersatzneubauten sind die ehrgeizigen EU-Klimaziele nicht zu erreichen. Natürlich könnte man im Rahmen einer vollständigen Energiebilanz noch die sogenannte graue Energie ergänzen, die in dieser Analyse nicht berücksichtigt wurde. Darunter versteht man die Energie, die für die Errichtung von Immobilien aufgewendet werden muss, wie etwa für die Zementproduktion. Das heißt, auch im Gebäudebestand steckt Energie, die im Zuge von Ersatzneubau erst einmal wieder ersetzt werden muss. Doch langfristig betrachtet ist der Neubau unter dem Strich trotzdem energieeffizienter.

Darüber hinaus verbessert der Ersatzneubau im Vergleich zur Sanierung auch die Wohnqualität, da Gebäude beispielsweise aus den fünfziger und sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts in vielen Punkten den heutigen Ansprüchen nicht mehr gerecht werden. Deswegen ist aus gesamtgesellschaftlicher Perspektive ein Neubau oft vorteilhafter als eine Sanierung. Natürlich ist es nicht sinnvoll, alle älteren Wohngebäude durch Neubauten zu ersetzen.

Appell an die Politik

Stattdessen sollte jeder Standort und jedes Objekt einzeln betrachtet und dann individuell entschieden werden, ob eine Sanierung oder ein Ersatzneubau sinnvoller ist, um die energetischen, sozialen und städtebaulichen Ziele zu erreichen. Die vorgenommene Analyse gilt für den Durchschnitt des gesamten Wohnimmobilienbestandes, nicht für das individuelle Einzelobjekt. Sonderfälle beziehungsweise Ausnahmen sind in diesem Sinne möglich.

Die Analyse zeigt, dass die politische Forderung, unter allen Umständen die Wohnungsbestände aller Baualtersklassen möglichst umfassend zu sanieren und energetisch zu verbessern, bisher keine spürbare Wirkung gezeigt hat.

Stattdessen sollte unvoreingenommen über Ersatzneubau gesprochen werden, bei dem neben den energetischen Zielen auch zeitgemäße Komfortaspekte in deutlich größerem Umfang realisiert werden können als zum Beispiel durch Investitionen im Schlichtwohnungsbau der fünfziger und sechziger Jahre.

Zudem braucht Deutschland und Europa dringend mehr neue Wohnungen, gerade in Großstädten und ihrem direkten Umland. Hier ist die öffentliche Hand mehr denn je gefordert, schneller mehr Bauland aus zuweisen. Dabei wäre es am effektivsten, gewerblichen Wohnprojektentwicklern ein attraktives Umfeld zu bieten, um energieeffiziente Wohnungsneubauten zu schaffen.

Im Ergebnis sind die deutschen und europäischen Klimaziele wohl nur durch deutlich mehr privatwirtschaftlichen Wohnungsneubau zu erreichen. Denn bisher hinkt Deutschland den eigenen Ansprüchen - auch im europäischen Vergleich - nach wie vor hinterher.

Um den Rückstand aufzuholen, führt kein Weg an größeren professionell agierenden Immobilienunternehmen vorbei, die umfangreich mit privatem Kapital ausgestattet sind und damit schnell und unabhängig vom Budget öffentlicher Haushalte agieren können. Diese werden auch künftig bei der Realisierung von Wohnraum in Deutschland mit Abstand die wichtigste Rolle spielen.

Prof. Dr. Steffen Metzner , Head of Research , Empira Asset Management GmbH, Leipzig
Gabriele Wolfram , Head of Portfolio Management , Empira AG, Zug

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