FACETTEN DER NACHHALTIGKEIT

DIE NEUE STANDARDWÄHRUNG WIRD "GRAD CELSIUS" HEISSEN

Hannah Helmke, Foto: right. based on science

Die Nachhaltigkeit von Gebäuden wird bislang üblicherweise mithilfe von Nachhaltigkeitszertifikaten definiert. Doch wird damit eigentlich auch sichergestellt, dass das im Rahmen des Pariser Klimaabkommens beschlossene 1,5-Grad-Ziel erreicht wird? Nicht zwangsläufig. Die Autorin hält aber gerade diese Messgröße für deutlich aussagekräftiger als die weit verbreitete Einheit der "Tonne CO2-Äquivalent". Schließlich sei die Frage nach der Auswirkung des Betriebs einer konkreten Immobilie auf die globale Erderwärmung am Ende die entscheidende. Wie genau ein solches "Temperature-Alignment"-Konzept in der Praxis funktioniert und wie es bei der Priorisierung von Sanierungsmaßnahmen helfen kann, ist Gegenstand des folgenden Beitrags. Red.

Im Kampf gegen den Klimawandel stehen vor allem die Stromerzeugung und der Verkehrssektor im Rampenlicht der öffentlichen Debatte. Doch auch der Immobilienwirtschaft kommt dabei eine herausragende Bedeutung zu: Nach Angaben des Zentralen Immobilien-Ausschusses (ZIA) zeichnet der Gebäudesektor für etwa 30 Prozent der CO2-Emissionen in Deutschland verantwortlich.

Eine zunehmend unübersichtliche Gemengelage

Deshalb ist es sehr begrüßenswert, dass sich die Branche ihrer Verantwortung zunehmend bewusst wird und stellen will. Für Investoren, aber auch für Mieter und Finanzierer wird dies immer häufiger zu einem wichtigen Kriterium. Zugleich trägt der Gesetzgeber mit zahlreichen Gesetzen, Verordnungen, Richtlinien und Fördermaßnahmen dazu bei, mehr Verbindlichkeit und Transparenz in das Thema Nachhaltigkeit und Klimaschutz zu tragen. So weit, so gut.

Allerdings wird die Vielzahl an unterschiedlichen Maßnahmen und Kriterien zunehmend unübersichtlich. Die Marktteilnehmer fragen sich, wie sie Artikel-8- oder Artikel-9-konforme Immobilieninvestments, Energieausweise, KfW-Effizienzhausstandards und vieles mehr voneinander abgrenzen und bewerten sollen, von den zahlreichen unterschiedlichen Zertifizierungen einmal ganz abgesehen.

Keine Frage: Jede Einzelmaßnahme hat ihren Wert und leistet einen wichtigen Beitrag, doch in Summe ergibt sich eine nur noch schwer überschaubare Dichte. Die derzeitigen Diskussionen über die Auslegung der EU-Taxonomie auf die nationalen Stromerzeugungen - vor allem die Frage: wie nachhaltig sind Kernenergie und Gaskraftwerke? - zeigen beispielhaft die noch immer vorhandene große Bandbreite der Interpretationsspielräume.

Eine Tonne CO2-Äquivalent ist keine lebensnahe Maßeinheit

Nachhaltigkeit kennt viele Facetten, das zeigt bereits das gebräuchliche Buchstabentrio "ESG" für "Environment, Social, Governance". Allein das "E" für "Environment" steht selbstverständlich für wesentlich mehr als nur den Klimaschutz.

Wenn man sich in der Betrachtung jedoch auf das Thema Klimaschutz beschränken will, steht die Emission von Treibhausgasen, insbesondere natürlich CO2, im Fokus - also der sogenannte CO2- oder Klima-Fußabdruck.

Doch auch dabei gibt es eine Hürde: Kaum jemand kann etwas mit der Einheit "Tonne CO2-Äquivalent" anfangen. Das ist nicht lebensnah. Hinzu kommt, dass diese reine Mengenbetrachtung kaum vergleichbar ist: Eine Tonne CO2 ist für eine Doppelhaushälfte anders zu bewerten als für ein Bürohochhaus oder gar eine Logistik- oder Produktionsimmobilie.

Dies muss ins richtige Verhältnis gesetzt werden. Und schließlich kommt es beim Klimaeffekt nicht allein auf die CO2-Emissionen an einem bestimmten Stichtag an, sondern vielmehr auf die Emissionen über einen langen Zeitraum. Auch dies muss berücksichtigt werden.

Entscheidend ist die Klimawirkung - in Grad Celsius

Hilfreich ist es, sich klarzumachen, dass nicht die Emissionen selbst entscheidend sind, sondern ihre Wirkung auf das Klima. Ein Ausweg aus dem Dilemma ist deshalb die Umrechnung der CO2-Emissionen in ihre Wirkung - also in Grad Celsius Klimaeffekt.

Die Kernfrage lautet: Welche Auswirkung hat der Betrieb einer konkreten Immobilie auf die globale Klimaerwärmung? Der Effekt eines einzelnen Objekts mag verschwindend gering sein. Um eine Aussage treffen zu können, muss man ihn anhand geeigneter Modelle auf die gesamte Welt skalieren. Der Fachbegriff dafür ist "Temperature Alignment".

Dabei wird zunächst die Klima-Performance der Immobilie verglichen mit den Dekarbonisierungspfaden des Carbon Risk Real Estate Monitor (CRREM) ermittelt. Diese Über- oder Unterschreitung der Zielmarke wird dann auf die gesamte Welt skaliert.

So kann kalkuliert werden, wie viele Emissionen in die Atmosphäre gelangen und was das für das Klima bedeuten würde, wenn das Emissionsbudget der gesamten Welt ebenso sehr überschritten würde, wie es das untersuchte Gebäude tut.

Mit diesem Verfahren erhält man ganz konkrete Gradzahlen für jedes einzelne Objekt: Handelt es sich um eine 3,0-Grad-Immobilie, um eine 2,5-Grad- oder gar um eine Pariskonforme 1,5-Grad-Immobilie?

Letztere wäre somit ein Objekt, das geeignet ist, das Ziel des Pariser Klimaschutzabkommens von maximal 1,5 Grad Erderwärmung einzuhalten. Und darauf kommt es schließlich an.

Doch das Verfahren erlaubt nicht nur eine statische Analyse des Status quo von Bestandsimmobilien. Noch wichtiger ist die dynamische Analyse der Auswirkungen von Sanierungsmaßnahmen auf die Klimabilanz.

Berücksichtigung von Sanierungseffekten

Nehmen wir zur Veranschaulichung als konkretes Praxisbeispiel ein Bürogebäude mit Gasheizung und Strombezug gemäß dem typischen deutschen Strommix. So käme das Bestandsgebäude im Ist-Zustand auf ein "Temperature Alignment" von 2,6 Grad.

Eine Fassadendämmung im Jahr 2025 würde die Heizungsemissionen um 50 Prozent senken und aus dieser 2,6-Grad- eine 2,1-Grad-Immobilie machen, was allerdings noch nicht für Paris-Konformität ausreicht. Wird die Fassadendämmung jedoch zusätzlich um eine Wärmepumpe und eine Photovoltaikanlage auf dem Dach ergänzt, sinken die Heizungsemissionen um 95 und der Stromverbrauch um 50 Prozent. Im Ergebnis entsteht auf diese Weise ein Pariskonformes 1,5-Grad-Objekt.

Wichtig ist nicht allein die Art der Sanierungsmaßnahmen, sondern vielmehr auch wann diese durchgeführt werden. Und da selten alle Maßnahmen gleichzeitig erfolgen können, spielt auch die Reihenfolge eine große Rolle für den Klimaeffekt.

Der Grund dafür ist, dass es für die Erderwärmung nicht allein darauf ankommt, wieviel Treibhausgase an einem bestimmten Stichtag X emittiert werden und ob im Jahr 2050 Klimaneutralität hergestellt ist. Viel entscheidender sind die aggregierten Emissionen bis zu diesem Zieldatum und damit der Reduktionspfad.

Ermöglichung eines effizienten Zeitplans

Je früher eine effektive Reduktionsmaßnahme deshalb umgesetzt wird, desto besser. Genau dieser Umstand wird häufig übersehen - und die Auswirkung von Bestandssanierungen zu einem viel zu späten Zeitpunkt, bezogen auf den Klimaeffekt in Grad Celsius, nicht zuletzt deshalb häufig überschätzt.

"Temperature Alignment" ermöglicht es, verschiedene Sanierungsmaßnahmen im Vorfeld auf ihre konkrete Klimawirkung hin zu analysieren und einen möglichst effizienten Zeitplan für eine Sanierung auch unter Berücksichtigung der Kosten zu erstellen.

Im Ergebnis steht ein quantitativ messbares und über alle Immobiliensegmente und sogar Assetklassen hinweg vergleichbares Ergebnis für eine Einzelimmobilie oder ein gesamtes Portfolio: eine Verbesserung der Klimawirkung um X Grad Celsius auf einen gesamten Klimaeffekt von Y Grad Celsius, im Idealfall also 1,5 Grad oder weniger, was Paris-Konformität bedeuten würde.

Für alle Marktteilnehmer ein Gewinn

Bestandshalter erhalten eine für jeden Laien verständliche Kennzahl, mit der sie transparent und vergleichbar die Klimawirkung eines Investments aufzeigen können - für interessierte Mieter ebenso wie für potenzielle Käufer. Institutionelle Investoren wiederum können auf diese Weise ein leicht nachvollziehbares klimafreundliches Immobilienportfolio aufbauen, ohne die erklärungsbedürftige Komplexität von Zertifizierungen. Und nicht zuletzt Immobilienfinanzierer können auf diese Weise die Klimabilanz ihrer Aktiva genauer bestimmen und gegebenenfalls ihr Neugeschäft entsprechend ausrichten.

"Temperature Alignment" ist somit eine transparente, vergleichbare, leicht verständliche und für alle Marktteilnehmer nutzbare Methode zur Bestimmung des Klimaeffekts einer Bestandsimmobilie oder eines Portfolios - und ist damit bestens positioniert, um sich als eine Art Standardwährung für den Klimaaspekt innerhalb des ESG-Rahmens langfristig durchzusetzen.

Hannah Helmke , Gründerin und Geschäftsführerin , right. based on science GmbH, Frankfurt am Main
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