IMMOBILIEN UND IHRE FÖRDERUNG

PERSPEKTIVEN FÜR DIE DEUTSCHEN INNENSTÄDTE

Michael Reink, Foto: Hoffotografen

Der sich bereits in den vergangenen Jahren abzeichnende Leerstand in der Einzelhandelsbranche hat pandemiebedingt einen extremen Schub bekommen. Laut Erhebung des IVD betrug die Leerstandsquote im Sommer 2021 im bundesweiten Durchschnitt rund 20 Prozent. 77 Prozent der befragten Immobilienunternehmen gaben an, dass sich der Leerstand bei Ladenflächen in den Innenstädten in den vergangenen acht Monaten noch einmal erhöht hat. Eine deutliche Mehrheit (62 Prozent) sieht diesen Prozess außerdem als unumkehrbar an. Die Lage ist also Ernst, hoffnungslos ist sie gleichwohl nicht. Dafür haben die Innenstädte einfach zu oft ihre Fähigkeit zur eigenen Revitalisierung unter Beweis gestellt. Auch der Autor ist grundsätzlich optimistisch, mit Blick auf die enormen Herausforderungen sieht er aber nicht zuletzt bei Politik noch zusätzlichen Handlungsbedarf. Red.

Die deutschen Innenstädte sind mal wieder in den Schlagzeilen. Grund dafür war in den vergangenen Jahrzehnten vornehmlich die Konkurrenz zur grünen Wiese. Das hat sich in den vergangenen zehn Jahren sukzessive in Richtung der Konkurrenz zum Onlinehandel verlagert. Mittlerweile hat der Onlinehandel einen Anteil am Gesamtumsatz von 12,6 Prozent.

Pandemie beflügelt den Onlinehandel weiter

Hierbei ist jedoch zu beachten, dass der Lebensmitteleinzelhandel, der für rund 44 Prozent der Gesamtumsätze des deutschen Handels verantwortlich ist, bisher nur eine geringe Onlinedurchdringung von 2,0 Prozent hat. Betrachtet man also nur den Non-Food-Handel, liegen die Umsatzanteile bereits bei 18,4 Prozent. Bei der alleinigen Betrachtung der Leitbranchen der Innenstadt, dem textilen Einzelhandel sowie dem Handel mit Elektroartikeln, liegen die Umsätze sogar bei 23,1 beziehungsweise 25,5 Prozent.

Das ist jedoch das Bild vor den pandemiebedingten Schließungen des Einzelhandels, die für den Onlinehandel wie ein Katalysator gewirkt haben. So haben viele Bürger in den Lockdowns erstmalig Waren online eingekauft - und viele werden dabei bleiben. Die Lockdowns haben bis auf wenige Ausnahmen (zum Beispiel Lebensmitteleinzelhandel) letztendlich bewirkt, dass die Versorgung der Bevölkerung mit Waren aller Art nur über den Vertriebsweg Onlinehandel möglich war. Der stationäre Handel wurde als konkurrierender Vertriebsweg vom Marktgeschehen ausgeschlossen.

Die Wirkung für die Innenstädte war und ist höchst unerfreulich. So sind beispielsweise die innerstädtischen Frequenzen bis zu über 90 Prozent zurückgegangen. Leider wurden auch in den Zeiten zwischen den Lockdowns im bundesweiten Durchschnitt nicht die Frequenzen vor der Pandemie erreicht. Infolge dieser Frequenzverluste mussten im Jahr 2020 für den textilen Einzelhandel Umsatzverluste in Höhe von 23 Prozent verkraftet werden. Im ersten Halbjahr 2021 lagen die Umsatzverluste in den Innenstädten sogar bei 73 Prozent.

Massive Auswirkungen auf Umsätze ...

Gleichzeitig waren nicht alle Vertragspartner des stationären Handels in der Lage oder gewillt, angemessen auf diese Situation etwa durch Mietreduzierungen zu reagieren. Auch wenn der Handelsverband Deutschland (HDE) mit dem Zentralen Immobilien Ausschuss (ZIA) durch den "Verhaltenskodex des Handels und der Immobilienwirtschaft" eine angemessene Richtschur erarbeitet hat, muss festgestellt werden, dass Stundungen und Mietnachlässe nur in Verbindung mit Vertragsverlängerungen eher die Regel als die Ausnahme waren. Die derzeitigen 2G-Regeln im Einzelhandel bewirken ganz aktuell, dass die wichtigen Weihnachtsumsätze zum zweiten Mal nach 2021 unterdurchschnittlich sind. Die Wirkungen sind für viele Unternehmen existenzgefährdend.

Das wird Auswirkungen auf die Flächenentwicklung in den Innenstädten haben. Laut Studie des IVD sind in den A-Lagen der Klein- und Mittestädte die Leerstände auf 15 Prozent angewachsen, in den B-Lagen sind Leerstände von bis zu 25 Prozent zu verzeichnen. Dabei ist auch die Mietentwicklung bei Handelsimmobilien beachtlich. Haben sich die Mieten in den Top-10-High-Street-Standorten seit den neunziger Jahren verdoppelt, so ist in den Mittelstädten beziehungsweise regionalen Zentren keine derart dynamische Steigerung zu verzeichnen.

... und Leerstände

Dennoch müssen wir davon ausgehen, dass es sich bei den aktuellen Leerständen auch in den Metropolen nicht um die üblichen "Fluktuationsleerstände" handelt, sondern diese Flächenaufgaben für längere Zeit im Stadtbild sichtbar sein werden. Der Handel reagiert ohnehin seit einiger Zeit durch geringere Flächennachfragen und der Nachfrage von kleineren Flächengrößen auf die Digitalisierung. Auch hier haben die pandemiebedingten Schließungen zu einer Beschleunigung der ohnehin schon dynamischen Prozesse geführt.

Es bleibt zu hoffen, dass die Bürger nach dem Ende der Pandemie wieder in ihre Innenstädte zurückkehren werden. Aber was werden sie vorfinden? Städte die oft auf Jahrzehnte auf Verschleiß gefahren worden sind. Es gibt leider zu viele Innenstädte, in denen die Aura der siebziger und achtziger Jahre durch die Gassen weht. Vernachlässigte öffentliche Grünanlagen, unzureichende Sitzmöglichkeiten, ein austauschbares Angebot des Handels und partiellen Investitionsstau.

Dabei ist die Analyse rasch vollzogen aber auch nicht immer fair. Städte können sich nicht alle fünf Jahre neu erfinden. Filialisierte Handelsunternehmen haben sich durch Qualität und gutes Management gegenüber dem kleinteiligen privatgeführten Einzelhandel durchsetzen können und dominieren daher durch die gute Nachfrage ihrer Produkte die A-Lagen. Die Wettbewerbsbedingungen sind für den kleinteiligen privatgeführten Einzelhandel wiederum schwieriger, da er zum Beispiel nicht auf Skaleneffekte setzen kann. Die Herausforderungen der Digitalisierung kommen noch hinzu.

Notwendigkeit zur städtebaulichen Aufwertung

Die Gemengelage zur Gesundung der Innenstädte ist daher herausfordernd. Erschwerend kommt hinzu, dass der Onlinehandel dem stationären Handel die Alleinstellung der Warenverfügbarkeit genommen hat. Diese Alleinstellung war jedoch der Grund, weswegen viele Innenstädte trotz eines erheblichen Sanierungs- und Investitionsstaus mit hohen Frequenzen gut funktioniert haben.

Nicht die städtebauliche Güte hat die Menschen angelockt, es waren die immer wieder neuen und begehrenswerten Produkte. Heutzutage erwarten die Kunden jedoch eine ubiquitäre Warenverfügbarkeit - jederzeit, überall, bequem, preiswert - und tragen dieses Angebot über ihr Handy in der Westentasche. Für die Innenstädte bedeutet dies einerseits weniger Sogwirkung des Handels und gleichzeitig die Notwendigkeit zur städtebaulichen Aufwertung.

Gleichzeitig muss die nachlassende Sogwirkung des Einzelhandels durch die "Nachbarn des Handels" kompensiert werden, wenn die Frequenzen auf dem bisherigen Niveau gehalten werden sollen. Das ist nicht trivial, da auch diese Nachbarn des Handels mit der digitalen Transformation begonnen haben. Beispielsweise werden durch die "digitale Verwaltung" etliche Behördengänge unnötig und dadurch die Servicequalität der öffentlichen Verwaltung verbessert. Damit nimmt man den Bürgern einen Anlassbezug für einen Innenstadtbesuch und sorgt quasi durch Verwaltungshandel für eine zusätzliche Reduzierung der Frequenzen.

Innenstädte funktionieren nur als System

Banken und Versicherungen konsolidieren ihre Filialnetze und auch die Gastronomie lernt über die Lieferdienste, dass sie nicht immun gegen die fortschreitende Digitalisierung ist. Neben diesen "freien Frequenzen" (Zielort ist frei wählbar) ergeben sich auch im Bereich der "gebundenen Frequenzen" (Zielort ist fremdbestimmt) Veränderungen. So wird das Homeoffice zwar dafür sorgen, dass etliche Pendler nicht mehr zu den Tagesspitzen die Zufahrtswege in die Innenstädte als Bürostandorte verstopfen. Gleichzeitig bedeutet dies für den Handel ein verringertes Potenzial an Kunden im Nahbereich. Letztendlich wird eines deutlich erkennbar: Die Innenstädte funktionieren nur als "System". Dieses wurde lange Jahre vom Handel dominiert. Diese Dominanz wird sukzessive abgebaut, wobei der Handel voraussichtlich auch in Zukunft der Frequenzbringer Nummer eins sein wird. Aber die notwendigen Investitionen sind in allen Bereich zu tätigen.

Umsatzentwicklung im deutschen Innenstadthandel (Veränderung zu Vorkrisenniveau in Prozent) Quelle: HDE-Umfragen, durchschnittliche Umsatzveränderung, nicht umsatzgewichtet, Unternehmen geschlossen und mit Öffnungsvarianten.

Daher hat das Bundesministerium des Inneren für Bau und Heimat (BMI) 2020 auf Initiative des HDE den "Beirat Innenstadt beim BMI" berufen. Dieser repräsentiert alle relevanten Wirtschaftsakteure der Innenstädte sowie die kommunalen Spitzenverbände. Damit wurde eine Struktur geschaffen, die die notwendigen Maßnahmen im gegenseitigen Einvernehmen reflektieren und Handlungsempfehlungen geben kann.

Ein erstes Ergebnis ist die Innenstadtstrategie des Beirats Innenstadt, welche nach Aussagen des aktuellen Koalitionsvertrages auch in der neuen Legislaturperiode laufend fortgeschrieben werden soll. Dadurch wird ein Dialog zwischen der Bundesregierung, den kommunalen Spitzenverbänden und der Wirtschaft hergestellt, der zu einem laufend aktualisierten konkreten Maßnahmenkatalog führt. Das ist in der bisherigen Städtebaupolitik einmalig und zeigt den Willen aller Beteiligen, das "System Innenstadt" zukunftsfähig zu machen.

Korrespondierend dazu wurde vom Haushaltsausschuss des Bundestages das Förderprogramm "Zukunftsfähige Innenstädte und Zentren" mit einem Gesamtvolumen von 250 Millionen Euro auf den Weg gebracht. Diese Mittel werden in den nächsten fünf Jahren den bisher ausgesuchten 238 Kommunen helfen, die Entwicklung ihrer jeweiligen Innenstadt zu befördern.

Hilfe für 238 Kommunen

Daraus ist der feste Wille der Bundesregierung zur Vitalisierung der Innenstädte abzulesen, auch wenn der Handelsverband Deutschland sowie die kommunalen Spitzenverbände eine jährliche Sonderförderung in Höhe von 500 Millionen Euro in den kommenden fünf Jahren gefordert haben und weiterhin fordern. Zudem besagt der Koalitionsvertrag, dass die Städtebauförderung von derzeit 790 Millionen Euro jährlich gesichert und dauerhaft erhöht wird. Viel Geld, das sinnvoll investiert werden muss. Ergänzend sei erwähnt, dass wirtschaftswissenschaftliche Untersuchungen, zum Beispiel von der Hochschule für Technik Stuttgart ergeben haben, dass jeder eingesetzte Förder-Euro bis zu acht weitere Euro an privaten und öffentlichen Folgeinvestitionen auslöst.

Um die Investitionen in den Innenstädten zusätzlich anzureizen, fordert der Handelsverband Deutschland neben diesen direkten Fördermitteln eine Sonder-AfA-Innenstadt. Derartige Sonderabschreibungen wurden bereits in den neunziger Jahren erfolgreich zur Vitalisierung der Innenstädte in den damals neuen Bundesländern ermöglicht (siehe Exkurs). Für die gewünschte Entwicklung in Richtung multifunktionaler Innenstädte Bedarfs es vonseiten des Gesetzgebers jedoch ein wenig mehr. Bei der Betrachtung des Rechtsrahmens fällt auf, dass die zumeist als "Kerngebiet" ausgewiesenen Innenstädte etliche Funktionen nur ausnahmsweise zulassen. Dies gilt insbesondere für das innerstädtische Wohnen. Das ist dem Wunsch geschuldet, Gemengelagen, sprich das räumliche Nebeneinander von sich ausschließenden Funktionen, weitestgehend auszuschließen. Wenn die Innenstädte jedoch zukünftig multifunktional werden sollen, sind diese Gemengelagen nicht von vornherein auszuschließen. Vielmehr sollte die Gemengelage zukünftig zur "typischen Situation" in der Innenstadt werden. Das bedeutet nicht, dass das direkte Nebeneinander von Schwerindustrie und Wohnen, wie zu Beginn der Industrialisierung, wiederkehren soll. Jedoch sind auch im Emissionsschutz die modernen technischen Möglichkeiten des aktiven und passiven Schallschutzes deutlich stärker zu berücksichtigen.

So hat bespielweise Adidas im Rahmen des Projektes "Storefactory" in einem Berliner Shoppingcenter den Kunden die Möglichkeit geboten, ihre eigenen Pullover zu gestalten und direkt vor Ort anfertigen zu lassen. Auch kehren Manufakturbetriebe, zum Beispiel in der Fahrradproduktion oder Schneidereien, in die Innenstädte zurück. Diese positiven Entwicklungen, die auch durch Mietreduzierungen ermöglicht werden, tragen zur Verbesserung der funktionalen Attraktivität bei. Zur dauerhaften Sicherung muss jedoch auch der Rechtsrahmen diese "neue Idee von einer Innenstadt" mittragen und Rechtssicherheit bieten.

Lebenswerte Orte zum Konsumieren und Kommunizieren

Alle Faktoren und derzeitige Bestrebungen zusammengerechnet, können sich die Innenstädte tatsächlich zu den vielzitierten "Third Places" und Begegnungsorten entwickeln. Dabei wird der Faktor Kommunikation ein wesentlicher Anlass für den Besuch einer Innenstadt sein und bleiben. Der Handel wird in den Fußgängerzonen teilweise anderen Nutzungen weichen und somit voraussichtlich an Dominanz einbüßen, diese - absolut betrachtet - jedoch in einem Großteil der Kommunen behalten.

Ziel sind lebenswerte Orte zum Konsumieren und Kommunizieren mit einem Höchstmal an unterschiedlichen Nutzungen. Wie das geht zeigt der Best-Practice-Datenpool www.unsere-stadtimpulse.de, den der Handelsverband Deutschland in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Städtetag, dem Deutschen Städte und Gemeindebund sowie der Bundesvereinigung City- und Stadtmarketing Deutschland aufgebaut hat. Ein Blick lohnt sich - versprochen.

Michael Reink , Bereichsleiter Standort- und Verkehrspolitik , Handelsverband Deutschland - HDE e.V., Berlin

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