EXPO REAL-SPECIAL

PROPTECH UND REAL ESTATE INNOVATION: WARUM JETZT DER ZEITPUNKT ZUM HANDELN IST

Nikola Samios, Foto: N. Samios

Die Aktivitäten am deutschen und europäischen Proptech-Markt sind aktuell extrem hoch. Kein Tag vergeht mehr, an dem nicht über weitere Neugründungen und Akquisitionen bis hin zu hohen Investmentrunden und neuen Kundendeals berichtet wird. Mit der steigenden Relevanz geht oftmals auch ein verändertes Mindset aufseiten der etablierten Immobilienunternehmen einher: Anstatt die Proptechs als "junge Wilde" abzustempeln, werden sie anno 2021 zumeist als ernstzunehmende Anbieter digitaler Lösungen und Produkte angesehen. Der Frage nach den konkreten Erfolgsfaktoren bei der Zusammenarbeit in der Praxis widmet sich der Autor des vorliegenden Beitrags. Red.

Die Immobilienwirtschaft ist groß und wichtig. Richtig groß und richtig wichtig: Gemessen am gebundenen Vermögen über alle Anlagekategorien hinweg sind Immobilien mit 228 Billionen US-Dollar weltweit die Nummer eins. Die aktuelle gesellschaftliche und politische Diskussion, insbesondere in den Ballungsgebieten, ist nicht erst seit Schlachtrufen wie "Deutsche Wohnen enteignen" untrennbar mit der begrenzten Ressource Immobilie und ihrer effizienten und auch fairen Nutzung verbunden.

Deutlich verändertes Kräfteverhältnis

Parallel verändert sich das Nutzer-Anbieter-Kräfteverhältnis nicht nur durch Covid-19 deutlich. Was bereits mit dem Aufkommen von Co-Working-Anbietern begann, nimmt nun seinen Lauf: Flexibles Mieterinteresse und der Anspruch nach einem ordentlichen "User Interface" wird wichtiger. Daraus folgt, dass die oftmals aus der Luxussituation geborene, arrogante Einstellung vieler Eigentümer und Vermieter, die, zugespitzt gesagt, in den letzten Dekaden kaum etwas falsch machen konnten und trotzdem sehr gutes Geld verdient haben, zunehmend infrage gestellt wird.

Und dabei kratzen wir erst an der Oberfläche. Weitere Entwicklungen wie der nachhaltige Megatrend der Verlagerung vom Handel ins Internet, die korrelierend steigende Bedeutung von Logistik oder die Umwälzungen im Hospitality-Bereich, der nicht erst seit dem Börsengang von Airbnb im Dezember 2020 (derzeitige Marktkapitalisierung von über 100 Milliarden US-Dollar, Stand: September 2021) und dem Siegeszug neuer, auf Nutzung für einen mittelfristigen Zeitraum von bis zu zwölf Monaten ausgerichteten Plattformen wie Wunderflats ganz neue Konkurrenz erhält, nehmen Fahrt auf.

Auch auf der Baustelle knirscht es: Während andere Branchen, beispielsweise die Automobilindustrie, in den vergangenen Dekaden durch konsequente Digitalisierung und Prozessinnovation seit 1995 Produktivitätszuwächse von im Schnitt 1,32 Prozent pro Jahr realisierten, wird am Bau oftmals kaum anders gearbeitet als vor 100 Jahren - in Zahlen ausgedrückt nur mit 0,26 Prozent jährlichem Produktivitätswachstum.

Allerorten großer Nachholbedarf

Das enorme wirtschaftliche Potenzial aus der Digitalisierung des Supertankers Immobilienindustrie liegt also auf der Hand. Dabei ist das noch lange nicht der größte Megatrend unserer Tage. Noch eine Dimension nachhaltiger (im doppelten Wortsinn) prägt die Klimakrise, die ruhig auch als solche benannt und nicht als "Wandel" verniedlicht werden sollte, das Ökosystem bereits heute, vor allem aber morgen und übermorgen.

Trotz der Corona-Pandemie ist "ESG" (Environmental-Social-Governance) in letzter Zeit zum heiß diskutierten Thema der Immobilienbranche geworden. Wenn überhaupt hat Covid-19 gezeigt, inwiefern ein externer Faktor erhebliche Auswirkungen auf die Märkte im Allgemeinen und die Immobilienbranche im Besonderen haben kann.

Die Immobilienbranche hat es in den vergangenen Jahrzehnten, in denen andere Wirtschaftszweige an ihrer eigenen Digitalisierung und Prozessoptimierung gewerkelt haben, versäumt, nicht nur eine ausreichende Datenbasis, sondern auch die notwendigen Prozesse aufzubauen, die es in der Zukunft ermöglichen, eigene Immobilienbestände nach ESG-Kriterien zu bewerten.

ESG: Der Druck wird weiter zunehmen

ESG "is here to stay", dafür ist der Druck aus verschiedenen Strömungen der Gesellschaft schlichtweg zu hoch. Wer derzeitige Regularien bereits als überbordend empfindet, wird böse erwachen. Bekanntermaßen wurde 2016 mit dem Pariser Abkommen die Grundlage für eine globale, kollaborative Agenda zur Bekämpfung der Klimakrise und zur Anpassung an diese geschaffen.

Die EU hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2050 klimaneutral zu werden. Mit dem oft unterschätzten Beitrag von etwa 40 Prozent zu den globalen CO2-Emissionen spielt der Immobiliensektor eine entscheidende Rolle beim Erreichen dieses Ziels. Entsprechende Maßnahmen wie der EU Green Deal und die EU-Taxonomie geben bereits einen Vorgeschmack auf das, was noch kommen wird.

Der diffuse Wunsch der Gesellschaft nach einer nachhaltigeren Zukunft materialisiert sich schnell für die Immobilienwirtschaft, wenn das große Geld, also institutionelle Investoren, die Zeichen der Zeit erkennen und ihre Anlagestrategien auf grüne Investments umstellen. Einerseits unterliegen die Investoren oftmals selbst dem Einfluss von grün ausgerichteten Regulierungen, andererseits haben sie ein inhärentes Interesse, risikofrei und entsprechend nachhaltig zu agieren.

Erst kürzlich hat eine Gruppe führender globaler Investoren 36 der größten europäischen Unternehmen über die Institutional Investors Group on Climate Change (IIGCC) aufgefordert, die Auswirkungen der globalen Verpflichtungen zur Begrenzung des Temperaturanstiegs auf deutlich unter 2 Grad Celsius und idealerweise auf 1,5 Grad Celsius in ihren Jahresabschlüssen angemessen zu berücksichtigen. Die IIGCC repräsentiert mehr als 250 Mitglieder - hauptsächlich europäische Pensionsfonds und Vermögensverwalter - mit einem verwalteten Vermögen von über 33 Billionen Euro.

Wandel proaktiv angehen - mit der Hilfe innovativer Start-ups

Der ESG-Megatrend, der von regulatorischem, gesellschaftlichem Druck und durch ESG-bewusste Investoren getrieben wird, wird so schnell nicht verschwinden. Eine zukunftsorientierte Geschäftsstrategie wird darin bestehen, die Chancen aktiv zu nutzen, die sich aus diesem Megatrend ergeben, und dabei zukunftsweisende technologische Lösungen einzusetzen. Wie können nun also Immobilien-Player von den mehrdimensionalen Umbrüchen profitieren und welche Rolle spielen dabei junge, innovative Unternehmen, die sogenannten Proptechs oder Constructiontechs?

Zur Illustration ein paar Beispiele: "Archilyse" ist besonders für Projektentwickler, Raumplaner und Immobilienbestandshalter von gesteigertem Interesse und stellt eine sogenannte Software-as-a-Service-Plattform zur Optimierung diverser Prozesse in der Immobilienwertschöpfungskette zur Verfügung. Sie digitalisieren im ersten Schritt 2D-Papier- oder PDF-Pläne und verwandeln so das Planarchiv in eine brauchbare Datenbasis. Im zweiten Schritt kombiniert Archilyse Geodaten mit den Objektdaten zu einem digitalen 3D-Modell, welches als Ausgangslage für eine qualitative Analyse dient.

Mithilfe dieser digitalen, mit wertvollen Informationen automatisch angereicherten Daten ergeben sich die unterschiedlichsten Anwendungsfälle. So können Projektentwickler Bürogrundrisse oder Gewerbeflächen automatisch auf ihre Eignung für bestimmte Nutzungen oder ihre Auslastungskapazität testen und optimieren. Darüber hinaus ermöglicht die Software beispielsweise automatisierte Compliance-Checks bezüglich lokaler Baunormen. Immobilienbestandshalter können durch Archilyse ihr Portfolio beispielsweise durch die Ermittlung der Lage, der Aussicht oder dem Sonneneinfall ihrer Objekte verfeinert bewerten und optimal auf den Markt zuschneiden.

"Thing-it" ist eine sogenannte Internet-of-Things-Integrationsplattform und ein Prozess-Management-Tool für Smart Offices, smarte Quartiere und für Smart Facility Management. Thing-it dient sozusagen als Betriebssystem eines digitalisierten Gebäudes. So bietet die Plattform im Grunde genommen eine Lösung zur Bündelung der technischen Infrastruktur in Gebäuden und einer Vielzahl an IoT-Geräten in einer Applikation. Darüber hinaus dient es als Hauptkommunikations- und Servicetool für alle Stakeholder in einem Gebäude.

Anwendungsfälle wie Zutrittsmanagement, HVAC- und Lichtsteuerung, Raumbuchungen und Indoor-Navigation sind beispielsweise in der digitalen Lösung von Thing-it enthalten. Durch die Implementierung der Plattform in Gebäude werden nicht nur eine Vielzahl von Datenpunkten kreiert, sondern es wird auch eine intelligente und digitale Steuerung des gesamten Gebäudes ermöglicht. Die Transparenz wird erhöht und Gebäude können effizienter betrieben werden.

Modulverfahren: Game Changer im Bereich der Gebäudesanierung?

"Ecoworks" ist Vorreiter auf dem deutschen Markt für Net-Zero-Modernisierungen. Mit einem innovativen und digitalisierten Ansatz trifft das Unternehmen den Nerv der Zeit und trägt zur Modernisierung des Gebäudebestands bei. Das Start-up verwendet dabei eine modulare Bauweise, die auf vorgefertigte Module zurückgreift und ermöglicht es somit, den individuellen und damit arbeitsintensiven Prozess effizienter zu gestalten.

Auf der Grundlage der modularen Bauweise renoviert Ecoworks Mehrfamilienhäuser in einem Bruchteil der Zeit im Vergleich zu herkömmlichen (energetischen) Sanierungsansätzen. Durch den Einsatz hocheffizienter Energiesysteme erzeugen die modernisierten Gebäude dabei über das Jahr gesehen mindestens so viel Strom, wie ihre Mieter für Heizung, Warmwasser und Haushaltsstrom verbrauchen und speist überschüssige Energie in das allgemeine Stromnetz ein.

Schlussendlich kann man festhalten, dass sich viele Player entlang der immobilienwirtschaftlichen Wertschöpfungskette an einer Weggabelung befinden: Erkennen und handeln sie entsprechend der Megatrends Digitalisierung, veränderte Nutzererwartungen und der Bedeutung von ESG oder ergeben sie sich dem Schicksal vieler starrer Konzerne, die vor ihnen in der Bedeutungslosigkeit verschwunden sind? Während der erste Schritt zwar attraktiver klingt, scheint er auf den ersten Blick jedoch nicht allzu einfach zu realisieren. Und das stimmt auch, wenn Marktteilnehmer der Überzeugung sind, all diese Entwicklungen mit Inhouse-Lösungen bewerkstelligen zu können.

Kooperation statt Konkurrenz

Aufgrund der starren Struktur von gewachsenen Konzernen - ganz besonders in der Immobilienwirtschaft - ist dies in der Tat äußerst schwer abzubilden. Glücklicherweise gibt es aber die Option, sich mit externer Innovation einzudecken. Die Tausenden von Start-ups, Proptechs und Contechs, die in Europa aus dem Boden sprießen, liefern im Zweifel genau den respektlosen Elan, auch mal etwas "anders" zu machen und damit die innovative Lösung, die in konkreten Fällen vonnöten ist.

Die Immobilienbranche hat hierbei sogar einen relevanten Vorteil: Während Start-ups in anderen Wirtschaftszweigen in der Lage waren, disruptive Veränderungen durch digitalisierte Produkte hervorzubringen und bisherige Marktführer im Kern obsolet zu machen, bleiben Immobilien nach wie vor ein analoges Asset. Daher sind die "jungen Wilden" in den meisten Fällen auf eine Kooperation mit den "alten" Wirtschaftsteilnehmern angewiesen und werden nur zu gerne Kooperationen eingehen.

Wenn man schon mit jungen, schnellwachsenden Unternehmen operativ zusammenarbeitet, was für jeden Player unbedingt ratsam ist, stellt sich die Frage, wie man in noch höherem Maße davon profitieren kann. Beteiligt man sich an deren Wertsteigerung, ist man in der Lage, eine doppelte Rendite einzufahren und erhält als Investor im "Cap Table" - also als eigenkapitalgebender Minderheitsgesellschafter - auch eine privilegierte Ausgangsposition für eine eventuelle spätere Übernahme in den Konzern, wodurch es möglich ist, zukunftsweisende Technologien und Lösungen zu integrieren, sich selbst zu verjüngen und sich somit gegenüber der Konkurrenz einen klaren Wettbewerbsvorteil zu schaffen.

Direkte versus indirekte Beteiligung

Diese Kombination aus operativer und strategischer Kooperation gilt als Königsdisziplin der externen Innovation und wird traditionell über drei mögliche Wege erreicht. Zunächst einmal besteht die Möglichkeit der direkten Beteiligung aus der Unternehmensbilanz an einzelnen Proptechs/Contechs, wodurch man wie eben beschrieben sowohl operativ als auch an der Wertsteigerung der Start-up-Anteile profitiert. Während diese Strategie zu Beginn nicht per se falsch ist, stößt sie doch in der Praxis sehr schnell an Skalierungsgrenzen.

Denn die meisten Unternehmen schaffen für ein solches Investmentvorhaben keine dedizierten Personalressourcen, sondern hängen das neue "Hobby" einem thematisch vermeintlich benachbarten Bereich (Head of Innovation, M & A, IT et cetera) zusätzlich um. In junge Unternehmen zu investieren ist jedoch der einfachere Teil der Aufgabe eines Investors. Mit dem wachsenden Portfolio zu arbeiten, ist der deutlich anstrengendere, denn dies bindet zunehmend Personal und erfordert auch spezifische Skills, die nicht unbedingt denen der klassischen Konzernressource entsprechen.

Mehr als ein Hobby

Diesem Defizit kann durch die zweite, weit komplexere Option Abhilfe geschaffen werden: dem Aufbau eines eigenen Corporate-Venture-Fonds, der ein professionelles, mehrköpfiges Investmentteam beschäftigt und sich dann strukturiert eine Vielzahl von Start-ups ansieht, diese bewertet und entsprechend der eigenen strategischen Zielsetzungen ein Portfolio an Unternehmen mit relevanten Lösungen aufbaut.

Während die zweite Möglichkeit also bereits eine professionellere Variante der Beschäftigung mit externer Innovation darstellt, birgt sie zugleich einen entscheidenden Nachteil. Start-ups - besonders die erfolgversprechendsten - sind sich der Gefahr der strategischen Einflussnahme der Unternehmen "hinter" dem Corporate-Venture-"Fonds" - oftmals gibt es diesen ja gar nicht, sondern es wird noch immer aus der Bilanz mit Einzelgenehmigung des C-Levels investiert - nur allzu gut bewusst.

Zudem scheuen sie sich vor dem Lock-out-Effekt, der mit der Beteiligung eines Konzerns auf dessen Konkurrenten einhergeht: Andere Marktteilnehmer haben nach dem Investment ein wesentlich geringeres Interesse, mit einem Start-up zusammenzuarbeiten, dessen Gesellschafter als Wettbewerber von ihrem Geschäft profitiert, ganz zu schweigen von den unternehmensinternen Daten, die sie dadurch offenlegen.

Externen VC-Fonds gelingt der Spagat

Abhilfe kann hier die dritte Variante schaffen: Das Investment in einen externen Venture-Capital-Fonds (VC-Fonds). Einerseits schafft dieser genauso wie ein hausinterner Fonds eine differenzierte Abbildung der auf dem Markt vorhandenen Lösungen und verschafft eine Pole Position für direkte Co-Investments oder spätere Übernahmen, andererseits vermeidet dieser die adverse Selektion, die von einem Corporate-Venture-Fonds per Definition ausgeht.

Dem Investor eines externen VC-Fonds winkt somit eine finanzielle Rendite wie auch ebenso der strukturierte Zugang zu einer Vielfalt an innovativen Konzepten, Geschäftsmodellen und Technologien, die durch Inhouse-Bestrebungen schlichtweg nicht in dieser Breite und Geschwindigkeit erarbeitet werden können.

Für welchen Weg sich tradierte Immobilienunternehmen auch entscheiden mögen, es ist für die eigene langfristige Perspektive unumgänglich, zunächst die bedeutenden, übergreifenden Veränderungen in der Gesellschaft, auf den Kapitalmärkten und beim Nutzer zu erkennen und als Chance für das eigene Geschäftsmodell beziehungsweise den Ausbau dessen zu begreifen.

Im zweiten Schritt gilt es, eine eigene wohl überlegte, strukturierte Unternehmensstrategie zu entwickeln, die in jedem Fall zumindest die Kooperation mit Start-ups, besser noch Investments in diese und im besten Fall eine systematische Abbildung der erfolgversprechendsten Modelle auf dem Markt beinhaltet.

Nikola Samios , Managing Partner , PropTech1 Ventures
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