PERSONALMANAGEMENT

QUALIFIKATION FÜR DIE IMMOBILIENWIRTSCHAFT NACH CORONA

Prof. Dr. Tobias Just, Foto: IREBS Hans-Jürgen Heyer

Das heimtückische Corona-Virus sendet seine Schockwellen in so ziemlich alle Lebensbereiche und verändert diese damit zugleich tiefgreifend. Auch die Immobilienwirtschaft wird im "Post-Corona-Zeitalter" mit hoher Wahrscheinlichkeit eine andere sein. Damit einhergehen dürften nicht zuletzt neue Anforderungen an die berufliche Qualifikation. Welche das im Detail sind, erörtert der Autor des vorliegenden Beitrags. Er plädiert dabei insbesondere für eine Stärkung der digitalen und sozialen Kompetenzen der Mitarbeiter. Dadurch könnten unter anderem Abläufe in Unternehmen sowohl stabiler als auch schneller werden. Mit Blick auf die Ausbildungsformate erwartet er künftig zwar mehr rein digitale Angebote, gleichwohl seien viele der erforderlichen Qualifikationen in der Immobilienwirtschaft weiterhin offline aufzubauen. Red.

Eine gute Qualifikation lohnt sich: In der OECD erhalten Absolventen einer tertiären Ausbildung (hier Äquivalent zu einem Bachelorabschluss) im Durchschnitt gut 50 Prozent mehr Gehalt als Arbeitskräfte mit "nur" einer Berufsausbildung. In Deutschland ist diese Bildungsprämie sogar etwas höher (OECD, 2019). Auch die Verlässlichkeit der erzielten Einkommen wird durch eine qualifizierte Ausbildung erhöht, sprich, diese Bildungsprämie wird nicht durch wenige Ausreißer bestimmt, sondern durch die Mehrzahl der Absolventen. Zudem ermöglicht Bildung neben höheren privaten Einkommen auch zahlreiche positive Externalitäten, also Effekte, die nicht über Marktprozesse abgebildet werden, weil sie Dritten unentgeltlich zugutegekommen (Münich und Psacharopoulos, 2018).

Megatrends erhöhen die Anforderungen spürbar

Sowohl die privaten Einkommenseffekte als auch die Spillover-Effekte resultierten in den vergangenen Jahrzehnten auch aus immobilienwirtschaftlichen Qualifikationen. Und zwar sowohl aus strukturellen als gerade in den letzten Jahren auch aus zyklischen Gründen: Zunächst einmal ist die Immobilienbranche mit einem in Bauten gebundenen Bruttoanlagevermögen von 16 Billionen Euro so groß, dass selbst kleine, durch eine höhere Qualifikation ermöglichte Effizienzsteigerungen, stark positive Folgewirkungen schaffen.

Hinzu kommt, dass sich wechselseitig verstärkende Trends die Anforderungen an Tätigkeiten in der Immobilienwirtschaft spürbar erhöht haben: die Internationalisierung der Marktakteure zwang, neue Standards, Techniken und Gepflogenheiten zu lernen, der Klimawandel macht es notwendig, dass alle Gebäude energetisch ertüchtigt werden müssen und natürlich eröffnet der technische Fortschritt und insbesondere die Digitalisierung neue Geschäftsmodelle, Prozesse und Produkte, die etablierte Marktakteure zur Anpassung drängen.

Schließlich sorgte der langanhaltende Aufschwung in Deutschland, verstärkt durch demografische Entwicklungen, dafür, dass qualifizierte Arbeitskräfte knapp wurden. Hier befindet sich die Immobilienwirtschaft im Wettstreit mit Unternehmen anderer Branchen um motivierte und kreative Menschen. All diese Effekte galten bereits vor der Corona-Pandemie und haben dazu geführt, dass in der Immobilienbranche mehr Hochschulabsolventen beschäftigt wurden, dass die Einkommen spürbar stiegen und dass ganz neue Tätigkeitsprofile entstanden, für die passgenaue Ausbildungen konzipiert wurden.

Eine scharfe Zäsur mit vielschichtigen Folgen

Die Pandemie, die durch das Virus SARS-CoV-2 ausgelöst wurde, bedeutet für einige dieser Entwicklungen eine scharfe Zäsur, die zu vielschichtigen Folgen für die Immobilienwirtschaft führen dürften (Just, 2020) und die zum aktuellen Zeitpunkt kaum abschließend beurteilt werden können, denn zu dürftig sind aktuell die Datenlage und die Erfahrungen, auf deren Basis Analysten versuchen, die wilde Abfolge von Angebotsund Nachfrageschocks sowie von rasch zusammengehämmerten geld- und fiskalpolitischen Antworten in ein halbwegs konsistentes Zukunftsbild zu passen.

Wie groß die aktuelle Unsicherheit ist, veranschaulicht die Spreizung der Prognosen der volkswirtschaftlichen Auguren zur möglichen weiteren Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts: Zwischen den Veröffentlichungsterminen der in der Abbildung zusammengeführten Prognosen liegen mitunter nur wenige Tage. Sollten die Erwartungen der Bundesregierung stimmen, und es würden im Jahresmittel 2020 gut 2,3 Millionen Kurzarbeiter gezählt werden, wären dies doppelt so viele wie im Rezessionsjahr 2009.

Drei dauerhafte Effekte

Anders als 2009 sind hiervon aber nicht in erster Linie Industriebetriebe und die Finanzbranche betroffen, sondern sehr viele zuvor als wenig krisenanfällig betrachtete Branchen wie das Gastgewerbe, der innerstädtische Einzelhandel und die Unterhaltungsbranche. Gleichzeitig müssen viele Dienstleister ihre eingeschwungenen Arbeitsabläufe, teilweise sogar Geschäftsmodelle, umstellen, von analog auf digital. Diese Krise erreicht also viel mehr Nutzungen in mehr Immobilien-Assetklassen als die Finanzkrise. Und weil die Corona-Krise viel unmittelbarer die Lebenswirklichkeit von Millionen Menschen beeinträchtigt als es die Schockwellen durch die Finanzwelt 2008/2009 taten, die für die meisten Menschen in Deutschland letztlich abstrakt blieben, ist zu erwarten, dass die Corona- Krise länger im kollektiven Gedächtnis als latentes Unsicherheitsgefühl verankert bleiben wird als die Finanzkrise.

Selbst wenn es zu einer kurzen V-förmigen Rezession in Deutschland kommen sollte und der Nachfrageeinbruch nur wenige Spuren in der langfristigen Flächennachfrage der Nutzer hinterlassen sollte - was wohl eher ein optimistisches Szenario darstellt - werden mindestens die folgenden drei dauerhaften Effekte für die Immobilienwirtschaft bleiben:

Erstens wird die Digitalisierung von Prozessen und Geschäftsmodellen beschleunigt. Die größten Reibungsverluste während der Zeit im Homeoffice liegen ja nicht darin, dass manchmal die unzureichende Bildqualität während einer Videokonferenz stört oder dass es wiederholte Einwahlversuche erfordert, um eine Telefonkonferenz zu starten, sondern darin, dass nicht-digitale Informationen eben ortsgebunden sind. Und die Ortsbindung von Informationen wird nicht nur während einer Pandemie zur Fessel.

Zweitens dürften innerbetriebliche Organisationsstrukturen dann infrage gestellt werden, wenn sie während der Krise keine schnellen Antworten ermöglicht haben. Ähnlich wie für die Digitalisierung könnte die Pandemie hier zum Katalysator für Arbeitsstrukturen, in deren Mittelpunkt kleinere, selbstständige Teams stehen, werden. Überall dort, wo schnell kreative Entscheidungen getroffen werden müssen, kann dies auch ohne Pandemie Vorteile bedeuten.

Am wichtigsten dürfte aber Punkt drei sein: Die Corona-Krise wird nicht mit dem Auslaufen bei den Neuinfektionen abgeschlossen sein. Zu tief dürften gesundheitliche Sorgen noch nachwirken, zu stark dürfte das Einschränken persönlicher Freiheiten für uns alle in Erinnerung bleiben, zu massiv werden die finanzwirtschaftlichen Folgen der geld- und fiskalpolitischen Maßnahmen ausfallen, mögliche innereuropäische oder geopolitische Spannungen sogar noch ausgeblendet.

Stärkung der Resilienz steht im Fokus

Noch befinden wir uns nach Aussagen der Epidemiologen in einer Frühphase der Entwicklung (Stand Anfang April 2020), doch es lässt sich erahnen, dass dieser Schock die empfundene Unsicherheit lange prägen dürfte. Hierbei geht es um wahrgenommene Arbeitsplatzsicherheit, empfundene Stabilität von Branchen, aber vor allem um mögliche Gesundheitsrisiken im täglichen Miteinander und ob irgendwo auf der Welt ein neues Virus entdeckt wird. Dementsprechend wird es in den nächsten Jahren insbesondere darum gehen, die Resilienz der Unternehmen und Volkswirtschaft zu stärken.

Dies könnte den Grad internationaler Verflechtung reduzieren, es könnte zu Prozessredundanzen führen. Gesamt- und immobilienwirtschaftliche Risikomodelle dürften um neue Parameter erweitert werden, die abbilden, inwiefern eine Region Gesundheitsrisiken managen kann. Es dürfte aber vor allem den sektoralen Strukturwandel befeuern. Aktuell beherrscht noch die Technik des sogenannten fünften Kondratieff-Zyklus unser Denken. Kondratieff-Zyklen beschreiben langanhaltende Wellen wirtschaftlicher Dynamik, bei denen eine Schlüsseltechnologie diese Welle prägt.

An der Schwelle zum sechsten Kondratieff-Zyklus

Dies ist im fünften Kondratieff die Informations- und Kommunikationstechnik. Wir erleben letztlich auch einen Unsicherheitsschock, weil es unzureichende Daten und Informationskapazitäten gibt. Die Immobilienwirtschaft ist aufgrund der Intransparenz auf vielen Märkten ebenfalls betroffen. Zumindest dem kann durch neue Daten und Analysemethoden begegnet werden. Insofern dürfte die Corona-Pandemie zahlreiche Dynamiken in der Immobilienwirtschaft anschieben, die die Transparenz in der Branche erhöhen.

Wir bewegen uns also innerhalb des fünften Kondratieff schneller voran als bisher und betreten gleichzeitig einen neuen Zyklus: Als sechster Kondratieff-Zyklus wurde von Leo Nefiodow (1997) bereits vor knapp einem Vierteljahrhundert die Gesundheitswirtschaft vorgeschlagen. Hierzu zählt unter anderem auch die Biotechnologie. Je stärker die Pandemie unserem gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben seinen Stempel aufdrückt, umso schneller werden wir auch von dieser Welle mitgerissen.

Weitreichende Implikationen für die immobilienwirtschaftliche Qualifikation

Dies hätte weitreichende Implikationen für die Immobilienwirtschaft (Welche Nutzungen werden nachgefragt? Welche Lageund Standortfaktoren spielen eine neue Rolle? Welche Gebäudetypologien zahlen auf diesen Zyklus ein? In welchen Regionen gibt es gesundheitswirtschaftliche Cluster?) und folglich auch dafür, welche Qualifikationen notwendig sein werden. Was sind also die zentralen Implikationen für die Qualifikationen in der Immobilienwirtschaft nach Corona? Diese lassen sich vereinfachend den im Folgenden skizzierten drei Oberthemen "Formaler Inhalt", "Soziale Kompetenz" und "Unterrichtstechnik" zuordnen.

Formaler Inhalt: Wir müssen unsere Qualifikationen um digitale Kompetenz erweitern. Dies bedeutet nicht, dass die Mitarbeiter zu Programmierern umgeschult werden müssen, sondern dass ihr Verständnis für die Vorteile digitaler Prozesse und Geschäftsmodelle erhöht wird, damit Abläufe stabiler und schneller werden. Bereits nach der Finanzkrise wurde zudem die Forderung nach methodisch reiferem Risikomanagement laut. Dieser Ruf wird auch jetzt wieder erschallen, insofern gewinnt wissenschaftliche Fundierung an Bedeutung - durchaus kein Nachteil für eine häufig als postfaktisch bezeichnete Welt. Doch bei der Forderung nach reiferem Risikomanagement geht es nicht nur um technisch ausgefeilte Risikomodelle; diese werden zunehmend von Algorithmen übernommen werden können. Vielmehr geht es dabei um die Sensibilität für Ungewissheiten und notwendige Risikozuschläge, die möglicherweise nicht aus langen Reihen "herausregressiert" werden können.

Neugier, Offenheit und Kooperationsfähigkeit

Mindestens genauso wichtig wie die Fähigkeit, Risikomodelle aufzubauen, wird sein, unsichere Situationen zu strukturieren und zu managen. Und weil der nächste schwarze Schwan sicherlich keine Pandemie sein wird, verflochtene Wirtschaften aber definitionsgemäß Komplexitäten bedingen, ist diese Fähigkeit sozusagen virenunabhängig. Daher müssen wir mehr Augenmerk auf Managementqualifikationen legen. Wie lässt sich die Anpassungsfähigkeit in Teams erhöhen? Wie lässt sich die Dynamik erhöhen, damit Lösungen unabhängig von der zukünftigen Risikolage schnell und individuell gefunden werden?

Soziale Kompetenz: Sehr eng an den Managementfähigkeiten hängt das Stärken sozialer Kompetenzen. Ungewisse Situationen erfordern Improvisationstalent. Hier geben Checklisten zwar Orientierung, doch wichtiger wird es sein, kreative Lösungen entwickeln zu können. Dafür ist Teamarbeit essenziell, am besten sogar in heterogenen Teams, um kognitive Dissonanzen zu nutzen. Neugier, Offenheit und Kooperationsfähigkeit werden dann ausschlaggebende Kompetenzen.

Diese korrelieren nicht zufällig mit der Wissenschaftsorientierung, sondern sind elementare Bestandteile davon. Diese Fähigkeiten werden insbesondere daher wichtig, weil die Immobilienbranche noch immer mit der Digitalisierung fremdelt, also der Technik des fünften Kondratieff, nun aber schon Immobilienformate und Nutzungen für den sechsten Kondratieff mitdenken muss. Hierfür gibt es keine Blaupausen. Solange diese fehlen, liegt die Qualifizierung nicht im Lernen von Standardlösungen, sondern im Aufbau von Problemlösungskompetenz.

Digitale Lehrformate sind kein Allheilmittel

Unterrichtstechnik: Lehrende und Studierende/Schüler haben neue Erfahrungen mit digitalen Unterrichtsformaten gesammelt. In der Vergangenheit überwogen auf beiden Seiten des Pultes häufig Bedenken. Diese Bedenken mussten nun radikal über Bord geworfen werden und alle Beteiligten sind die Lernkurve hinaufgespurtet. Überall dort, wo die reine Wissensvermittlung im Mittelpunkt der Qualifikation steht, kann ein großer Teil dieser Erfahrungen in noch bessere digitale Formate einfließen.

Doch es wird auch deutlich, wo digitales Unterrichten an Grenzen stößt, nämlich dort, wo Interaktion, Diskussion und Mentoring im Mittelpunkt des Lehrens stehen müssen. Hier ist das direkte Miteinander auch in Zukunft entscheidend. Auch der Aufbau belastbarer Netzwerke funktioniert offline im Jahr 2020 besser als online, diese Pandemie wird nicht Jahrtausende Evolutionsgeschichte über den Haufen werfen; das hatte keine der zahllosen Pandemien der Vergangenheit geschafft. Menschen bleiben auch in Zukunft soziale Wesen.

Weitere Herausforderungen nicht aus dem Blick verlieren

Es wird sicherlich in Zukunft mehr rein digitale Ausbildungsformate geben, doch viele der oben skizzierten Managementqualifikationen werden überwiegend offline aufzubauen sein. Dies lässt zu, dass es auch im digitalen Miteinander sozialer Kompetenz erfordert und dass es sich hier als hilfreich erweisen wird, wenn diese auch online vermittelt werden kann. Ideal wäre es auf jeden Fall, wenn die digitalen Ausbildungsformate Freiräume schafften, um Zeit für das Herausbilden der kreativen, sozialen Kompetenzen zu gewinnen.

All dies bedeutet natürlich nicht, dass diese drei Aspekte die Qualifizierung in der Post-Corona-Zeit ausschließlich prägen werden. Nach Überwinden der Schockstarre werden wir hoffentlich auch wieder Zeit und Aufmerksamkeit finden, um zum Beispiel die großen Herausforderungen des Klimawandels und der gesellschaftlichen Alterung anzugehen.

Literaturverzeichnis

Just, T. (2020). Implikationen der Corona-Pandemie für die Immobilienwirtschaft. IREBS Standpunkt 88 (https://www.irebs-immobilienakademie.de/aktuelles-bei-irebs/irebs-standpunkt/irebs-standpunkt-nr-88/).

Münich, D. und G. Psacharoupoulos (2018). Education externalities: What they are and what we know? EENEE Analytical Report No. 34 prepared for the European Comission. Luxembourg.

Nefiodow, L. A. (1997). Der sechste Kondratieff - Die großen neuen Märkte des 21. Jahrhunderts. IFO Studien-Zeitschrift für empirische Wirtschaftsforschung, 43, 1-4.

OECD (2019). Education at a Glance 2019. OECD Indicators. Paris.

DER AUTOR PROF. DR. TOBIAS JUST FRICS, Geschäftsführer, IREBS Immobilienakademie, Eltville und Inhaber des Lehrstuhls Immobilienökonomie, Universität Regensburg
Prof. Dr. Tobias Just , Geschäftsführer, IREBS Immobilienakademie, Eltville und Inhaber des Lehrstuhls Immobilienökonomie, Universität Regensburg

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