IMMOBILIENWIRTSCHAFT 4.0

SMALL DATA IST UNSER GRÖSSTES PROBLEM

Matthias Knabe, Foto: on-geo GmbH

Die Bewertung einer Immobilie gestaltet sich in Deutschland anno 2019 noch immer relativ umständlich. Die zuständigen Gutachter leiden vor allem darunter, dass keine bundesweite und öffentlich zugängliche Datenbank existiert. Nach Einschätzung des Autors ist an dieser Stelle dringender Handlungsbedarf geboten, ansonsten könne die derzeitige Intransparenz im Laufe der Zeit zu einem deutlichen Wettbewerbsnachteil für den deutschen Immobilienmarkt werden. Die grundsätzliche Devise für die Branchenakteure müsse lauten, die Daten künftig zu teilen anstatt sie für sich zu horten. Um dies zu erreichen, gilt es zuvor allerdings dicke Bretter zu bohren: Bei der Weitergabe von Kauf- und Mietpreisen zieren sich nach wie vor viele Marktteilnehmer, nicht zuletzt aus Sorge vor möglichen Kontrollverlusten. Im folgenden Beitrag lassen sich eine Vielzahl von Argumenten finden, die diese Sorgen relativieren. Red.

Heutzutage kennt wohl jeder Internetnutzer Wikipedia. Anfang der 2000er Jahre startete das Projekt als gemeinnützige Organisation zur Sammlung von Wissen. Inzwischen enthält die Datenbank fast 50 Millionen Artikel, darunter mehr als zwei Millionen auf Deutsch. Wikipedia zählt seit vielen Jahren zu einer der beliebtesten Websites der Welt.

Von Wikipedia lernen

Das Erfolgsrezept von Wikipedia ist klar: Open Data. Menschen können alle Daten der Datenbank zu jeder Zeit kostenfrei abrufen und weiterverwenden, inklusive der Bilder unter Angabe der Quelle. Wikipedia hat damit sämtliche Lexika auf der Welt aus dem Markt gedrängt. Während die Brockhaus Enzyklopädie früher zahlreiche Bücherregale herausforderte, finden sich heute kaum noch Nachschlagewerke neben Wikipedia - weder online noch offline - in den deutschen Haushalten.

In der Datenpolitik der Immobilienwirtschaft können wir von Wikipedia einiges lernen, schließlich zeigt die Organisation: Mit der bloßen Bereitstellung von Daten kann man heute kein Geld mehr verdienen. In zahlreichen Bereichen unseres Lebens sind wir es inzwischen gewöhnt, auf einen großen Datensatz zurückzugreifen, ohne dafür langfristige oder teure Verträge abschließen zu müssen. Das ist fast überall nur so, nur nicht im deutschen Immobilienmarkt.

Plädoyer für eine bundesweite Immobiliendatenbank

Warum ist das so? Warum gibt es nach wie vor keine deutschlandweite Immobiliendatenbank? Einer der wichtigsten Gründe ist zweifelsfrei die Datenpolitik der Immobilienwirtschaft. Nahezu jedes Unternehmen versucht, mittels gesammelter Daten einen Wissensvorsprung zu generieren. Das ist wirtschaftlich und strategisch durchaus nachvollziehbar. Doch sind es wirklich Daten, die einen Wettbewerbsvorteil bieten, oder ist es vielmehr die Auswertung der Daten? Einen wirklichen Mehrwert generieren Daten schließlich nur, wenn man eine kritische Masse davon gesammelt hat.

Es bringt nichts zu wissen, wie hoch die Mieterträge einer Immobilie an einem bestimmten Standort sind, wenn man sie nicht in ein Verhältnis zur direkten Umgebung setzen kann. Datensätze werden erst intelligent, wenn sie vergleichbar sind. Vergleichbarkeit benötigt aber eine große Menge. Und diese wird es nicht geben, wenn die Datenpolitik aller Unternehmen besagt, dass Daten nicht geteilt werden können.

Die Intransparenz, die dadurch entsteht, könnte im Laufe der Zeit zu einem deutlichen Wettbewerbsnachteil für den deutschen Immobilienmarkt führen. In mehreren Ländern dieser Welt ist es heutzutage bereits Geschäftsalltag, dass etwa Kauf- und Mietpreise, Grundstücksdaten und Beleihungswerte zugänglich gemacht werden. In Deutschland fehlt eine solche Immobiliendatenbank aber. Das muss sich ändern.

Digitalisierung der Daten ist Mammutaufgabe

Natürlich ist es eine große Herausforderung. Schließlich handelt es sich häufig noch um analoge Daten. Kauf- und Mietverträge, Finanzierungen, Grundbuchauszüge, Bewertungen: All diese Informationen verteilen sich oft auf Berge von Papier. Diese müssen digitalisiert werden. Und damit ist explizit nicht gemeint, sie einzuscannen und anschließend als Dokument in einem Ordner auf dem eigenen Desktop abzulegen. Nein, das wäre lediglich eine Archivierung. Digitalisierung von Daten meint das intelligente Einspeisen in bestehende Systemlösungen.

Zahlreiche Anbieter bieten solche Dienstleistungen inzwischen an. Unternehmen sollten das für ihre Digitalstrategie nutzen. Durch die Digitalisierung der Daten werden zahlreiche Dinge vereinfacht: Transaktionen inklusive jeglicher Due Diligence werden beschleunigt. Die Vergabe von Dienstleistungen wird vereinfacht. Das Asset Management und Reporting dauert keine Tage mehr, sondern Sekunden - zumindest in einer volldigitalen Welt. Nun werden viele Marktteilnehmer von Hürden etwa in den Bereichen Datenschutz und Datensicherheit sprechen. Aber wirkliche Hürden sind das nicht. Es ist schließlich möglich, wie mehrere andere Länder auch in Europa beweisen.

Die Mentalität muss sich ändern

Die größte Hürde ist die Mentalität. Die wenigsten Marktteilnehmer, die es nicht sowieso etwa in Geschäfts- oder Performanceberichtenreporten müssen, sind heute bereit, tatsächlich realisierte Kauf- und Mietpreise zu kommunizieren. Kaum jemand möchte preisgeben, wie hoch der Anschaffungspreis für das Immobilieninvestment dann wirklich war. Die meisten Daten, die heute für Prognosen oder Bewertungen herangezogen werden, basieren nach wie vor auf Angebotspreisen von einschlägigen Plattformen. Dabei kann der Unterschied zwischen angebotenen und realisierten Preisen mitunter sehr groß sein. Doch wovor hat unsere Branche eigentlich Angst? Schließlich kann sie nur gewinnen.

Internationale Investoren zum Beispiel, die eine zunehmend relevante Käufergruppe und wichtige Kundengruppe für viele Unternehmen darstellen, erhalten einen besseren Einblick in die deutschen Immobilienmärkte. Banken und Finanzierer können Beleihungswerte besser errechnen. Und Asset Manager können Risiken besser einschätzen. Dafür können die Daten natürlich anonymisiert werden. Schließlich ist es nicht relevant, wer den Kaufpreis gezahlt und wer ihn erhalten hat. Wichtig sind die Fragen nach der Höhe und dem Zeitpunkt des Kaufpreises. Was sensibel ist, wird geschützt.

Preisblasen werden erkennbar

Die Vorteile einer verbesserten Datenlage liegen auf der Hand aus Sicht von Investoren und Finanzinstituten: Daten sind hier nicht das Geschäft, sie erleichtern es aber. Die Diskussion um eine mögliche Preisblase beweist das. Die Finanzaufsicht hat im Zuge des Finanzaufsichtsrechtergänzungsgesetzes makroprudenzielle Instrumente erhalten. Diese enthalten erhöhte Anforderungen an die Kreditvergabe und Eigenkapitalquoten finanzierender Banken und sollen im Falle einer Preisblase angewendet werden.

Bislang fehlt aber die Datengrundlage, um Preisblasen überhaupt zu erkennen. Ein Zustand, der niemanden zufriedenstellen sollte. Die effizientere Datennutzung könnte dieses Risiko messbar werden lassen - per Knopfdruck. Für den Bankensektor würde durch die passende Datengrundlage das Risiko sinken, dass die Finanzaufsicht die makroprudenziellen Instrumente falsch einsetzt und dadurch eine Kreditklemme bewirkt.

Keine Verdrängung bestehender Geschäftsmodelle

Eine deutschlandweite Immobiliendatenbank könnte zur Verdrängung einzelner Geschäftsmodelle führen - so wie Wikipedia die klassischen Lexika aus den Bücherregalen verdrängt hat. Oder? Wohl kaum. Nehmen wir einmal das Geschäftsmodell von on-geo: In den vergangenen Jahren har das Unternehmen die wohl größte immobilienspezifische Datensammlung in Deutschland aufgebaut. Mehr als 80 Prozent aller deutschen Banken und Sparkassen arbeiten mit der Softwarelösung Lora zur Beleihungswertermittlung. Diese Daten nutzt on-geo aber nicht, es verdient damit also gar kein Geld. Wir liefern jedoch eine intelligente Auswertung der Daten, die durch die Implementierung weiterer öffentlich zugänglicher Daten ermöglicht wird. Das ist unser Geschäftsmodell, die Daten gehören aber weiterhin unseren Kunden. Einige unserer Partner sind jedoch an uns herangetreten mit dem Wunsch, ihre Daten vergleichbar zu machen. Also mussten wir umdenken. So ist die Lora Immo Data Base entstanden. Dort werden die Daten der Nutzer, die sich dazu explizit bereit erklärt haben, anonymisiert mit den Daten anderer Nutzer, die ebenfalls ihre Zustimmung erteilt haben, geteilt. Dadurch werden Vergleichswertverfahren für die Bewertung von Immobilien enorm erleichtert, die Prozessdauer wird auf Sekundenschnelle reduziert.

Datenschutz und Datensicherheit dieser Plattform werden durch externe Gutachter und Experten überprüft und bewertet, sodass stark regulierte Banken und Sparkassen diese Lösung nutzen können. Durch die Immo Data Base kam und kommt es zu keinerlei Disruption. Die Nutzer können schneller und effizienter arbeiten, wir haben unser Geschäftsfeld entsprechend angepasst. Schließlich war bloße Datensammlung zu keiner Zeit ein adäquates Bezahlmodell, das Umsatz generieren könnte.

Mehrwert auch für Privatkunden

Banken und Sparkassen können ihr eigenes Finanzierungsgeschäft durch solche Open-Data-Plattformlösungen enorm erleichtern. Doch nicht nur das. Auch ihre Kunden erhalten dadurch eine höhere Transparenz. Insbesondere im Privatkundengeschäft ergeben sich Vorteile. Der Immobilienkauf etwa stellt für viele Deutsche eine der wichtigsten Entscheidungen ihres Lebens dar. Schließlich gehen sie damit eine jahrzehntelange finanzielle Verpflichtung ein.

Dennoch fehlt es ihnen häufig an Anhaltspunkten, wie viel eine Immobilie eigentlich wert ist. Es gibt mehrere Anbieter, die auf Basis von Angebotspreisen eine Erstbewertung der Immobilie erstellen. Doch wirklich fundiert sind solche Bewertungen nicht. Ein echtes Wertgutachten kostet allerdings - vollkommen zu Recht - viel Geld. Eine deutschlandweite Immobiliendatenbank könnte Abhilfe schaffen. Kaufinteressenten erhalten so einen ersten Überblick, welche Preise in ihren bevorzugten Lagen realisiert werden. So sind sie auch auf das Maklergespräch vorbereitet. Diese müssen dann genau erläutern, warum der angebotene Kaufpreis von realisierten Kaufpreisen abweicht. Zudem erhalten Kaufinteressenten eine Indikation für die Finanzierung.

Fundierte Vorbereitung für das Beratungsgespräch

Diese Idee haben wir mit unserem Partner 1822direkt in den vergangenen Monaten umgesetzt. Kunden geben ab sofort einfach und bequem online die Informationen zu ihrem Finanzierungsobjekt und ihrer persönlichen Situation ein. Dabei erhalten sie in Sekundenschnelle Infografiken zu ihrer Finanzierungsstruktur und Haushaltsrechnung, aus der sich die mögliche Höhe der Kreditrate ergibt. Sobald Kunden ihre Daten für das Finanzierungsobjekt eingegeben haben, erhalten sie eine erste indikative Marktpreiseinschätzung zu ihrem Immobilienvorhaben und können hier bereits eine Überprüfung des Kaufpreises vornehmen.

Basis für die Immobilienbewertung ist die on-geo-Datenbank. Alle Angaben und Grafiken werden anschließend übersichtlich in einer persönlichen Auswertung in Form eines mehrseitigen PDF für den Kunden aufbereitet und zum Download bereitgestellt. Somit erhalten Kunden alle wichtigen Informationen auf einen Blick und können sich auf das Beratungsgespräch vorbereiten.

Der Weg des Open Data in unserer Branche ist simpel: Wir müssen anfangen, unsere Daten zu teilen. Die Vorteile liegen auf der Hand. Nun müssen wir aber die dicken Bretter bohren. Schließlich gehört zur Umsetzung dieser Idee auch die Veränderung unserer Denkweise. Und das ist eine Gemeinschaftsaufgabe.

DER AUTOR MATTHIAS KNABE Geschäftsführer, on-geo GmbH, Erfurt
Matthias Knabe , Geschäftsführer, on-geo GmbH, Erfurt
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