IMMOBILIENWIRTSCHAFT 4.0

SPIELEREI ODER ALLESKÖNNER - WELCHEN NUTZEN BRINGEN PROJEKTEIGENE APPS?

Hamid Farahmand Quelle: FIBIX STUDIO

Die eigene App gehört in vielen Branchen inzwischen zum guten Ton. Durch sie bieten Unternehmen ihren Kunden die Möglichkeit, sich am Smartphone über Produkte zu informieren, Buchungen abzuschließen oder Mitgliedschaften einzugehen. Inzwischen hat sich dieser Ansatz auch auf die Immobilienbranche übertragen. Neben Shoppingcentern werden auch für größere gewerblich genutzte Gebäudekomplexe immobilienbezogene Apps entwickelt. Gerade bei Letzteren zeigen ambitionierte Pilotprojekte, wie vielfältig die Funktionen eines solchen Tools ausfallen können. Für Investoren kann es nach Ansicht der Autoren daher Vorteile haben, sich stärker mit diesem Teilbereich der Digitalisierung auseinanderzusetzen. Red.

Sei es zum Musikhören, um Ferien zu buchen oder Sprachen zu lernen - für so ziemlich jeden Lebensbereich gibt es inzwischen Apps, die unseren Alltag erleichtern sollen. Manche von ihnen sind äußerst nützlich, andere weniger: Es gibt zum Beispiel eine App, die angeblich die Stimmung ihres Nutzers anhand seines Fingerabdrucks erkennt. Solche Spielereien werden nach dem Download meistens nur einmal aufgerufen und verschwinden wieder, erst von der Speicherkarte, dann aus dem Gedächtnis.

Zahlreiche Branchen haben bereits erfolgreich Apps in ihr Geschäftsfeld integriert, das hierbei gewonnene Wissen wird aktuell auf die Immobilienwelt übertragen. In der Branche ist dies ein neuartiger, aber vielversprechender Ansatz, dessen Erfolg sich aktuell in ersten Pilotprojekten zeigt. Jedoch müssen die Verantwortlichen darauf achten, dass hierbei nicht eine bloße Spielerei entsteht - vielmehr muss die Nutzwertigkeit über den gesamten Lebenszyklus hinweg ersichtlich sein.

Ein virtuelles Erlebnis

Das beginnt bereits bei der Visualisierung in der Planungsphase. Während computererstellte (gerenderte) Grafiken der Objekte inzwischen zum Einmaleins des Immobilienmarketings gehören, ermöglicht eine interaktive App, dass sich ein Nutzer eigenständig und frei durch die visualisierten Gebäude bewegen kann. Dadurch wird das Projekt für Investoren, Mieter oder Kämmerer virtuell erlebbar. Die Entwicklung einer entsprechenden App für Smartphone und stationäre Bildschirme ist aufwendig, allerdings ergibt sich die Möglichkeit, auf Knopfdruck Momentaufnahmen beziehungsweise Screenshots in hochauflösender Qualität anzufertigen. Die gerenderten Grafiken von früher sind also gewissermaßen in der App mit inbegriffen.

Bei einer immobilien- beziehungsweise quartierseigenen App geht es jedoch nicht nur um den Marketingeffekt. Vielmehr wird die Visualisierung einer Immobilie mit den wichtigen Informationen und Serviceangeboten verknüpft. Die Potenziale einer solchen App zeigen sich in Grundzügen sehr anschaulich am Beispiel von Shoppingcentern. Dort werden die Kunden auf ihrem Smartphone oder auf stationären Terminals über Angebote oder Sonderaktionen informiert, sie können sich orientieren, an Umfragen teilnehmen oder bargeldlos ihren Parkplatz bezahlen. Die Benutzererfahrung - oder mit Fachbegriff User Experience - der App trägt also zur Aufenthaltsqualität im Gebäude selbst bei. Dieses Prinzip wird von Projektentwicklern seit einiger Zeit auch auf andere gewerblich genutzte Immobilientypen übertragen und im Hinblick auf technische Standards und Interaktivität entscheidend weiterentwickelt.

Eignung für stark frequentierte Areale

Besonders attraktiv ist dies bei einer stark frequentierten Liegenschaft, die relevant für die lokale Infrastruktur ist. Das kann ein größerer, zentral gelegener Bürokomplex mit Einzelhandels-, Gastronomie- und Serviceflächen sein, eine Ferienanlage oder auch ein moderner Universitätscampus. Anstelle der jeweiligen App jedes einzelnen gewerblichen Mieters oder der mühsamen Suche über Google kann eine immobilienbezogene App die verschiedenen interessanten Standorte (Points of Interest) im 3D-Modell hervorheben und jeweils mit einer Übersicht über die wichtigen Informationen oder Angebote schaffen.

Wichtig dabei ist, dass der Nutzer per Mausklick oder Touchscreen im Projekt eigenständig und frei durch die virtuellen Gebäude navigieren kann. Durch die größere Dimension und die Vielfalt der Unternehmen und Institutionen auf dem Areal ist auch das Anwendungsgebiet eines solchen Programms weitaus vielseitiger als bei den konventionellen Center-Apps.

Orientierungshilfe und Nachrichtenquelle in einer Applikation

Moderne Gewerbekomplexe und Campusse verfügen in der Regel über flexibel buchbare Flächen. Mit einer entsprechend aufgebauten App kann ein Nutzer unter anderem sofort sehen, welche Seminarräume oder Coworking-Spaces für welchen Zeitraum verfügbar sind. Diese kann er direkt reservieren - ähnlich wie bei der Buchung von Kinokarten im Internet. Ergänzt wird dieses digitale Angebot um weitere Leistungen wie Catering, technisches Equipment oder die Anmietung von Parkplätzen. Wenn ein Boarding-House oder ein anderer Beherbergungsbetrieb im Areal integriert ist, verlinkt die App auf dessen Betreiberwebsite. So können Übernachtungen bequem hinzu gebucht werden.

Gerade Besuchern aus dem Ausland, die sich zum ersten Mal auf dem Areal aufhalten, kann eine App bei der wichtigen Erstorientierung helfen. Wollen sie sich beispielsweise verpflegen, so erhalten sie eine Übersicht des Angebots auf einen Blick und können sich ohne lange Suche entscheiden, ob sie zum Asia-Imbiss, zum Italiener oder zum Würstchenstand gehen - oder sich doch lieber beim Nahversorger eindecken.

Wer sich entschieden hat, kann sich auf dem Smartphone oder Bildschirm automatisch die sinnvollste Route anzeigen lassen. Eine mehrsprachige App trägt darüber hinaus dazu bei, Verständigungsbarrieren zu überwinden. Wenn beispielsweise die Beschilderung an den Gebäuden nur auf Deutsch ist, schafft ein Blick auf das Display Klarheit, das Wegenetz wird aufgezeigt. Das Gleiche ist auch für wichtige Zusatzinformationen möglich: Wie funktioniert der Zimmerservice im Hotel oder ist der Cappuccino auf den Coworking-Spaces mit inbegriffen?

Gezielte Ergänzung der Marketingstrategie

Aber auch für diejenigen Nutzer, die sich bereits auf dem Areal auskennen, kann ein integrierter Newsfeed durchaus nützlich sein. Auf einem Universitätscampus mit integrierten Büros, Gastronomie- und Einzelhandelsflächen können sich die Studierenden und Mitarbeiter etwa über tages aktuelle Verpflegungs- und Shoppingangebote informieren. Wenn die App das Anlegen einer Favoritenliste oder das selektive Hinzubuchen von Newslettern und ähnlichen Medien ermöglicht, lassen sich diese Neuigkeiten auch gezielt filtern. So können sich Studierende andere Angebote anzeigen lassen als Mitarbeiter oder Gastdozenten, die nicht nur lehren, sondern auch mehrere Monate auf dem Campus wohnen.

Der Einzelhändler kann infolgedessen Sonderaktionen entwickeln, die auf bestimmte Zielgruppen ausgelegt sind und seine Warenbestellung und Kalkulation dementsprechend anpassen. Für diese Aktion kann er dann Texte und Bilder in Absprache mit dem Eigentümer als Popup-Link in die App integrieren und erhält ein zusätzliches Instrument für seine Online-Marketing-Strategie.

Dadurch wird die Flächenqualität für den Mieter digital aufgewertet, er kann seine Einnahmen erhöhen und der Standort gewinnt für ihn an Attraktivität hinzu. Dieser Effekt potenziert sich noch dadurch, dass sich verschiedene Mieter untereinander vernetzen und ihre Angebote kombinieren können. Dazu ein Beispiel: Wenn ein Nahversorger und ein Buchhändler auf dem Areal sind, kann ersterer eine Aktion mit mediterranen Produkten starten und letzterer das zugehörige Kochbuch bewerben.

Höhere Flächenqualität - steigende Mieteinnahmen

Für den Vermieter zeigt sich diese höhere Flächenqualität in Form von neuen Mietinteressenten. Er kann leerstehende Einheiten effizienter vermarkten und im Idealfall bieten sich ihm zusätzliche Optionen, den Nutzermix nach eigenen Wünschen zusammenzustellen. Dadurch kann er wiederum die Clusterbildung von einander ergänzenden Angeboten vorantreiben.

Ebenfalls kann er die App als wichtiges Argument bei den Vertragsverhandlungen ins Feld führen. Die Mehreinnahmen für den Mieter steigern wiederum den potenziellen Mietzins. Die App generiert also einen zusätzlichen Cashflow und somit entsteht die Chance auf einen Überschuss, der die Entwicklungskosten für den Investor mehr als ausgleicht.

Skalierbarkeit als Grundvoraussetzung

Eine Grundvoraussetzung für eine solche App ist ihre Skalierbarkeit. Sie ist technisch so gestaltet, dass sich die Angebote neuer Mieter nachträglich integrieren lassen. Wenn sich das Areal weiterentwickelt, wächst die App sozusagen über Monate und Jahre organisch mit. Diese Verknüpfung funktioniert aber auch extern und kann lokale Schnittstellen bieten.

Restaurants, Kinos oder Clubs in der Umgebung können ebenfalls in die App eingebunden werden - zum Beispiel in Form eines gemeinsamen Event-Kalenders, auf dem der Nutzer täglich über Veranstaltungen auf dem Areal informiert wird. Genauso sind Kooperationen mit den Kommunen möglich, die auf ihr kulturelles Angebot aufmerksam machen wollen. Die lokale Infrastruktur wird also mit einer digitalen Infrastruktur aufgewertet. Der Investor muss allerdings darauf achten, die Integration so einfach wie möglich zu gestalten. Perspektivisch könnten - und sollten - entsprechende Apps ein Netzwerk zwischen mehreren Liegenschaften bieten. Vor allem ältere deutsche Universitäten sind beispielsweise mit verschiedenen Campussen in der ganzen Stadt vertreten, Studierende müssen häufig von Standort zu Standort pendeln. Da wäre es ein logischer Schritt, die einzelnen Areale in ein und derselben App zusammenzufassen, natürlich jeweils mit Filter, sodass der Nutzer nicht mit Informationen überfrachtet wird.

Je komplexer eine solche App wird, desto stärker sollte der Entwickler darauf achten, dass sie übersichtlich bleibt und jeder Nutzer selektiv genau das in Erfahrung bringen kann, was ihn gerade interessiert. Ansonsten hätte die App keinerlei Vorteil mehr gegenüber einer klassischen Internet-Suchmaschine wie Google. Zudem darf die App keine technischen Probleme bereiten. Auch größere Areale müssen hochwertig dargestellt und alle Informationen ergänzt werden, ohne dass dies die Rechenkapazität der Endgeräte übersteigt.

Eine digitale Visitenkarte der Region

Ein bisschen Fachjargon für Technikfreunde: Die flüssige Darstellung mit 50 bis 60 frames per second (fps) muss zu jedem Zeitpunkt gewährleistet sein. Ein wichtiges Ziel für die Zukunft ist, die App über das Areal hinaus gewissermaßen zur digitalen Visitenkarte der Region zu machen und dadurch den Alltag der Nutzer zu vereinfachen.

Es gibt jedoch eine Hürde auf diesem Weg. Denn eine solche Anwendung zu erklären oder zu beschreiben, ist weitaus abstrakter, als sie vorzuzeigen und den Nutzer selbst ausprobieren lassen zu können - womit wir wieder bei der User Experience wären. Für die Immobilienbranche ist es daher an der Zeit, die theoretische Ebene zu verlassen und sich aktiv mit den neuen digitalen Lösungen auseinanderzusetzen. Ein enger Dialog zwischen Investoren, Projektentwicklern und Asset Managern auf der einen sowie Software-Spezialisten auf der anderen Seite kann zusätzliche Anwendungsgebiete identifizieren und Mehrwerte schaffen.

Schließlich geht die Entwicklung einer immobilien- oder quartierseigenen App stets Hand in Hand mit dem Voranschreiten des zugehörigen Immobilienprojekts. Je konkreter sich zeigt, wie eine Immobilie im laufenden Betrieb funktionieren wird, desto exakter wissen die Beteiligten auch, welche Funktionen erweitert werden sollten und welcher Mehrwert dadurch entstehen kann.

DER AUTOR HAMID FARAHMAND, Gesellschafter, FCR Media GmbH, Hamburg
 
DER AUTOR OLIVER SOINI, CEO, SOINI GmbH, Salzburg

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