Expo Real Special

Stadtplanung neu denken - das Legoprinzip als Chance

Klaus Freiberg

Wanderung in die sogenannten Schwarmstädte, Zuzug von 1,5 Millionen Flüchtlingen in den vergangenen Jahren. Der Bedarf an Wohnungen wächst und wächst. Bis 2020 braucht Deutschland laut einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) pro Jahr nämlich rund 380 000 neue Wohnungen. Im Folgenden widmet sich der Autor der Frage, auf welche Weise das erreicht werden kann. So sollten beispielsweise Stellplatzvorgaben mit dem Zwang zu teuren Lösungen gelockert werden. Auch die Errichtung ganzer Gebäude in standardisierten Verfahren - beispielsweise in Modulbauweise - wird als Möglichkeit gesehen, den Wohnungsbau zu beschleunigen. Auch bricht der Autor eine Lanze für die Nachverdichtung. Diese sei allemal besser, als neue Trabantenstädte entstehen zu lassen. Einer der Vorteile ist, dass dazu keine neuen Grundstücke erworben werden müssen. Allerdings sei dabei Vorsicht geboten: Jede Nachverdichtung müsse auf einem individuellen Konzept beruhen. Red.

Die deutsche Bevölkerung ist in Bewegung: Rund 3,8 Millionen Menschen sind im Durchschnitt der vergangenen Jahre jedes Jahr über die Kreisgrenzen hinweg umgezogen. Im Jahr 2014 können 73 Prozent der Veränderungen am Wohnungsmarkt mit der Binnenwanderung erklärt werden.*) In Schrumpfungsregionen wandern die Menschen aus der Fläche in die zentralen Orte und in die Wachstumsregionen. In Wachstumsregionen strömen sie in die Zentren der besonders begehrten "Schwarmstädte" und von dort in deren Umland. Die Folge: Wohnungsknappheit und steigende Mieten in den Städten sowie höherer Leerstand in der Fläche. Die Zuwanderung seit 2014 verstärkt diese Entwicklung - Städte und Metropolen sind attraktiver für Neuankömmlinge als das flache Land.

Der hohen Nachfrage nach Wohnraum steht ein immer noch deutlich zu geringes Angebot gegenüber: 2015 wurden in Deutschland rund 270 000 neue Wohnungen gebaut - doch das reicht längst nicht, um den jährlichen Bedarf zu decken. Bis 2020 braucht Deutschland laut einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) pro Jahr nämlich rund 380 000 neue Wohnungen. Zum Vergleich: Vonovia hat heute rund 340 000 Wohnungen im Bestand. Und nicht nur das: Die Miete muss für Normalverdiener erschwinglich sein, gut situierte Doppelverdiener ohne Kinder kommen auch bei den aktuellen Rahmenbedingungen auf dem Wohnungsmarkt zurecht. Es geht vor allem um die Menschen, für die eine Kaltmiete von über zehn Euro pro Quadratmeter unerschwinglich ist.

Rahmenbedingungen für günstigeres Bauen

Wie schafft man es aber, für genügend bezahlbaren Wohnraum zu sorgen - und das möglichst schnell? Zunächst einmal müssen die notwendigen Rahmenbedingungen für kostengünstiges und schnelleres Bauen geschaffen werden. Viele davon sind in den vergangenen Monaten ausführlich öffentlich diskutiert worden. Dazu gehören zum einen beschleunigte Planverfahren, um eine ausreichende Zahl von Baugrundstücken bereitstellen zu können, zum Beispiel durch Dispens eines B-Plans anstatt einer B-Planänderung. Zum anderen sollten Bauämter Baugenehmigungen schneller bearbeiten durch beschleunigte Prüfung, einfachere Verwaltungsverfahren und mehr Personal. So könnten zum Beispiel Eilverfahren eingeführt werden, wenn Bauvorhaben von hoher Dringlichkeit oder öffentlichem Interesse sind.

Darüber hinaus sind Ausnahmen bei Energieeffizienzvorschriften sowie Stellplätzen notwendig. So sollten Vorschriften beim Lärmschutz und nachbarschaftliche Abwehrrechte - analog zur neuen Regelung bei Kinderspielplätzen - eingeschränkt werden, um Bauvorhaben nicht zu verzögern. Immer wieder werden in diesem Zusammenhang auch die stetig wachsenden Anforderungen der Energieeinsparverordnung (EnEV) diskutiert, die ein großer Kostentreiber beim Bauen sind. Die zuletzt eingeführte Stufe der EnEV verteuert den Wohnungsbau um rund sieben Prozent - das Nutzungsverhalten der Mieter verändert sie nicht.

Pkw-Stellplatzvorgaben lockern

Insbesondere in Städten sollten Stellplatzvorgaben mit dem Zwang zu teuren Lösungen keinen Hinderungsgrund mehr darstellen. Wo noch nicht geschehen, sollten Landesregelungen entsprechend vereinfacht werden. In Städten wie Berlin ist gerade bei der Maßgabe "bezahlbarer Wohnraum" häufig kein Stellplatz notwendig. Auch andere Arten von Vorschriften führen zu deutlich höheren Kosten: Als Beispiel sei hier die anteilige Schaffung barrierefreier Wohnungen in München genannt. Bei Umweltvorschriften, etwa beim Baumschutz, sollte es ebenfalls pragmatische Lösungen - etwa Ausgleichsmaßnahmen - oder aber Ausnahmen geben. Oft geforderte Infrastrukturabgaben von Bauherren sind mit Blick auf das Ziel, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, genauso kritisch zu hinterfragen.

Das ist die eine Seite: Wir brauchen pragmatische Lösungen für behördliche Vorschriften und deren Umsetzung. Auf der anderen Seite sind Wohnungsunternehmen und Bauindustrie gefragt, um mit kreativen Ideen für Lösungen zu sorgen. Dazu gehören: Standardisierung und Nachverdichtung. Auch hier geht es allerdings nicht ohne politische und behördliche Unterstützung.

Die Zulassung von Standardisierung ist ein wesentlicher Faktor für Kostensenkungen beim Bau des dringend benötigten Wohnraums. Vonovia praktiziert dies heute schon erfolgreich, etwa bei Balkonen oder im Sanitärbereich. Auch für die Errichtung ganzer Gebäude in standardisierten Verfahren, zum Beispiel in Modulbauweise, sind die ersten Schritte getan. Wichtig dafür ist eine Synchronisierung der Landesbauordnungen. Zur Beschleunigung könnte deshalb die Entwicklung des Instruments einer standardisierten Baugenehmigung für bauliche Prototypen (Massenbauweise) beitragen.

Standardisierung als Lösungsansatz

Der Spitzenverband der Wohnungswirtschaft, GdW, fordert deshalb: "Über eine entsprechende Änderung der Musterbauordnung sollte eine sogenannte Typengenehmigung ermöglicht werden. Und es muss eine für alle Bundesländer gleichermaßen geltende einheitliche Baunutzungsverordnung geben, um solche Typengenehmigungen und die serielle Bauweise zu ermöglichen."

GdW-Präsident Axel Gedaschko mahnt gleichzeitig aber auch Augenmaß an: "Keinesfalls darf unter dem Druck von Zeit und Kosten der schwer vermietbare Wohnraum der Zukunft produziert werden. In puncto Funktionalität und Gestaltung muss Monotonie unbedingt vermieden werden. Darüber hinaus muss mit der Ressource Raum verantwortungsvoll umgegangen und die demografischen Entwicklungen sowie die Energiewende in den Konzepten unbedingt integriert werden." Als Beispiel nennt er Schweden, wo der schwedische Verband kommunaler Wohnungsunternehmen mithilfe von Projekten in serieller Bauweise den dringend notwendigen Wohnungsneubau angekurbelt und dabei die Baukosten gesenkt hat. Gefragt sind also Lösungen, die eine individuelle Gestaltung zulassen und trotzdem "massentauglich" sind.

Nachverdichtung statt Trabantenstädte

Die Fehler der Vergangenheit sollten in der Tat nicht wiederholt werden, indem man abgeschottete Siedlungen am Rande von Städten schafft. Der Neubau sollte für die Menschen attraktiv sein - und er ist es meist nur dann, wenn er sich in den Innenstädten befindet. Im Fokus sollte daher die Nachverdichtung in bestehenden Siedlungen stehen, etwa durch Aufstockung, das Ausfüllen von Baulücken oder die Schaffung zusätzlicher Gebäudeflügel. Die oft parkähnlichen Siedlungen der fünfziger bis siebziger Jahre in den Vonovia-Beständen sind dafür besonders geeignet. Das Unternehmen plant, mindestens rund 1000 Wohnungen pro Jahr zu bauen.

Im Ostteil der Mörfelder Landstraße ist Frankfurt einerseits noch zentral, andererseits sieht es dort schon ziemlich vorstädtisch aus: Zeilenbauten aus der Nachkriegszeit im Grünen; gut 80 Jahre alte lange Wohnriegel mit teils nur zwei Etagen. Vonovia hat die relativ niedrigen Häuser aufstocken lassen- die neuen Wohnungen wurden über die vorhandenen auf das Dach gebaut. Die Vorteile liegen auf der Hand: "Neubau" bedeutet hier nicht zwingend, dass Grünflächen oder Sportplätze mit Häusern zugebaut werden. Auch Spiel- und Parkplätze bleiben erhalten. Die Nachbarn werden deutlich kürzer und mit weniger Baulärm behelligt. Am Hausbestand muss in der Regel vorab einiges getan werden, bevor man ihn aufstocken kann: An der Mörfelder Landstraße zum Beispiel konnte die zusätzliche Etage nicht einfach auf die Holzbalken- und Teerpappen-Dächer der Häuser aus den dreißiger Jahren gesetzt werden. Stattdessen kam auf die Außenwände ein Ringbalken, auf dem der neue Boden für das Obergeschoss aufliegt.

Das Gewichtsproblem der neuen Etage lösten die Mitarbeiter von Vonovia mit vorgefertigten Holzwänden. Sie sind relativ leicht, dämmen gut, sorgen für ein angenehmes Wohngefühl und strapazieren keine begrenzten Rohstoffressourcen. Denkbar ist eine Industrialisierung solcher Aufbauten: Systembautypen aus Holz, die im Grundsatz immer gleich aufgebaut sind, sich aber an jedes vorhandene Haus anpassen lassen. Das hätte auf der einen Seite die Vorteile des Fertigbaus: rationelle Produktion und sehr schneller Wandaufbau - der Rohbau auf dem Dach braucht nur wenige Tage. Auf der anderen Seite wären aber im Grundriss wie in der Optik stets individuelle Lösungen möglich, die zum Bestand und zu den Wohnwünschen vor Ort passen.

Die Potenziale für Nachverdichtungen sind nicht nur in Frankfurt groß. Die Bedingungen unterscheiden sich zwar von Siedlung zu Siedlung, aber Vonovia geht nach einer Potenzialanalyse davon aus, dass 30 Prozent mehr Wohnungen in den untersuchten Quartieren im Durchschnitt technisch und räumlich möglich wären. Unter Berücksichtigung der jeweiligen Makro- und Mikrolagen und der baurechtlichen Gegebenheiten ließen sich mehrere Tausend zusätzliche Wohnungen realisieren, ohne dass ein einziges Grundstück neu gekauft werden müsste. Entscheidend für die Auswahl der Siedlungen bleibt dabei natürlich die Nachfrage.

Modulbauweise als Form des Plattenbaus

Nach der Wiedervereinigung ist der Ruf mancher Plattenbausiedlung dramatisch gesunken. Die Grundidee des standardisierten Wohnungsbaus aber, schnell und preiswert zusätzlichen Wohnraum zu schaffen, ist aktueller denn je. Inzwischen ist der Fertigteilbau mit seinen vorgefertigten Bauelementen überall im Gespräch. Vonovia folgt - vereinfacht gesagt - dem Prinzip der "Legostein-Bauweise". Zunächst werden die verschiedensten Grundrissanforderungen definiert - von der großzügigen Wohngemeinschaft hin zur barrierearmen Singlewohnung. Sind diese Wohnungstypen einmal entworfen, ergeben sich Kombinationsmöglichkeiten, die sich an die jeweiligen sozialen, demografischen und infrastrukturellen Voraussetzungen anpassen lassen. So entsteht immer wieder ein individuelles Ergebnis, ohne jedoch zum Architektenbleistift zu greifen.

Vonovia hat in den vergangenen Monaten die notwendige Prozesskette für das modulare Bauen aufgebaut. Die Kernaspekte dabei sind:

- Die Module werden neu entwickelt, um innovative Wohnkonzepte zu ermöglichen.

- Die Produktionsprozesse werden durch die langfristige Planung des Bedarfs optimiert.

- Fachplaner und Behörden werden frühzeitig, schon während der Entwicklung der adaptierbaren Module, eingebunden. Das minimiert Schnittstellenkonflikte.

- Strategische Partnerschaften ergeben eine kontinuierliche Auslastung mit direkten Kostenvorteilen.

- Die Erfahrung und Kapazitäten der eigenen Mitarbeiter, vor allem unserer Handwerker, werden genutzt.

- Weitergehende Bindungen zum Beispiel beim Einkauf von Rohmaterialien und Transport tragen zur Kostendegression bei.

Skaleneffekte werden dabei außerdem durch identische Bäder für alle Wohnungstypen erzielt, aber auch durch die Reduzierung von notwendigen Fachkräften auf der Baustelle. Das Konzept ist auf unterschiedlichste Anforderungen übertragbar und senkt die Baukosten durch die nur einmal notwendige Konzeptentwicklung und Vorfertigung von sonst 2500 auf rund 1800 Euro pro Quadratmeter. Voraussetzung ist, dass keine zusätzlichen Anforderungen wie Stellplätze und Infrastrukturabgaben hinzukommen. Auf diese Weise sind bezahlbare Mieten unter zehn Euro pro Quadratmeter möglich.

Beispiel Nachverdichtung in Bochum

Vonovia befindet sich zurzeit bereits in der Umsetzungsphase des modularen Bauens. Das Unternehmen baut noch in diesem Jahr in Bochum ein dreigeschossiges Punkthaus in Holzhybrid-Bauweise mit 14 barrierearmen Wohnungen. Es ist für Singles genauso gedacht wie für Familien. Bauzeit: nur wenige Monate. Die standardisierten Elemente werden mit dem Tieflader zur Baustelle gebracht. Dies soll der erste Prototyp für das serielle Bauen werden. Die Wohnungen bestehen zwar aus standardisierten Modulen, können aber so individuell zusammengesetzt werden, dass sie eine Zwei-Zimmer-Wohnung für Singles oder eine Fünf-Zimmer-Wohnung für eine Familie ergeben. Sie verfügen in der Regel über einen Balkon und sind barrierearm. So sind sie gerade auch dafür geeignet, älteren Menschen selbstbestimmtes Wohnen in den eigenen vier Wänden zu ermöglichen.

Ein Fehler muss bei Dachaufstockung und Nachverdichtung unbedingt vermieden werden: Es darf keine "Reißbrett"-Konzepte geben, vielmehr müssen sie je nach Stadtteil individuell geplant werden. Ganzheitliche Quartiersentwicklung ist dabei besonders wichtig: Freiflächenkonzepte, neue Parkplätze, Ansiedlung von Geschäften, neue Energiekonzepte, Ausbau und Erhalt von Infrastruktur, Einbindung der Städte und Anwohner. Auch der Einsatz von erneuerbaren Energien wird geprüft. Die bisherigen Erfahrungen zeigen: Individualität ist nötig und möglich beim seriellen Bauen. Darin unterscheidet es sich grundlegend von den Plattenbauten der siebziger Jahre.

*) Allianz, Prognos: Wohnen in Deutschland 2045 - Wie entwickeln sich die Wohnungsmärkte in den nächsten 30 Jahren?, Stuttgart, 8. März 2016

Der Autor Klaus Freiberg Mitglied des Vorstandes, Vonovia SE, Bochum
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