Digitalisierung in der Immobilienwirtschaft

Unternehmen sind gefangen in der analogen Welt

Thomas Beyerle

Die Digitalisierung in der Immobilienbranche steckt laut Autor bislang in den Kinderschuhen. Die wahren Experten auf diesem Gebiet befänden sich noch auf der Hochschule und in der Schule. Die Schaffung von Datentransparenz hätte große Vorteile, weil sie für mehr Fairness und Vergleichbarkeit sorge. Die komplexen Prozesse in einer Immobilie und deren hoher Anlagewert böten ein großes Potenzial für den Einsatz neuer Technologien. Auch Immobilien selbst würden mehr denn je zum Softwareproduzenten. Nicht nur neue Berufsbilder wie beispielsweise der Data Scientist würden hier entstehen, sondern auch massive Eingriffe in die bisherige Struktur. Die dadurch möglichen Effizienzsteigerungen sollten laut Autor Treiber genug sein, die Digitalisierung auch im eigenen Unternehmen in die Hand zu nehmen. Er teilt die Firmen in drei Kategorien auf und beschreibt die jeweilige Haltung zum technischen Fortschritt. Red.

Die entscheidende Frage ist relativ einfach zu beantworten: Haben wir begriffen, was Digitalisierung für die Immobilienbranche bedeutet? Ehrliche Antwort: noch nicht einmal in Ansätzen. Starke Worte! Diese sollen keinesfalls die vielen kleinen und großen Arbeitsgruppen, Innovationsforen oder Startup-Pitches in der Immobilienbranche unterminieren oder gar die Dynamik der Veränderung bremsen. Aber eine Branche, welche seit jeher Backsteine von Hand aufeinander stapelt, weil es sich bewährt hat und in zunftartigen Silos organisiert ist, ist offensichtlich tief gefangen in der analogen Welt.

Was zu dieser verstörenden Aussage führt, ist ein Eingeständnis: Die wahren Präger und Dynamiker, welche sich dieser Sache annehmen sollten, sind aktuell noch an den Hochschulen, sind vielleicht in der Oberstufe oder gar noch in den Kinderzimmern dieser Republik - also die Generation, welche ausschließlich in der digitalen Welt bisher groß wurde und - frei von Zwängen der Organisationshölle - disruptiv denken lernt.

Das Thema Digitalisierung und damit in der Ausprägung Big Data wird von Auguren gerne mit dem Ölrausch Ende des 19. Jahrhunderts verglichen und gipfelt dann beispielsweise in der Aussage: "Daten sind das Öl des 21. Jahrhunderts". Als sprachliches Bild und Statement der Dynamik sicherlich nicht schlecht, doch letztlich falsch. Denn im Gegensatz zu einigen Regionen oder Ländern, welche über bis dato quasi unbekannte Erdölmengen verfügten, sind Daten im 21. Jahrhundert ubiquitär, also überall verfügbar.

Und es sind vor allem Small Data - die letztlich nichtstandardisiert und permanent anfallen. Die meisten davon geben die Nutzer beziehungsweise die Immobilien freiwillig her. Allein: Sie sind zunächst kein sichtbarer Vermögensgegenstand. Einen Defizitcharakter weißt dieser neue Rohstoff also bei Weitem nicht auf. Gleichwohl, wie sollen diese veredelt werden oder gar in den Geschäftsprozess mit Gewinnerzielungsabsicht implementiert werden?

Drei Kategorien von Unternehmen

Und so lassen sich viele Unternehmen - nicht nur aus der Immobilienbranche - beim Umgang mit Daten in drei Kategorien klassifizieren: Die Ersten nutzen sie als flüchtige Stromgröße, da sie eben im Tagesgeschäft anfallen. Danach kommt nichts. Die Zweiten sind sich zumindest ob des relativen Wertes bewusst und unternehmen einige Schritte, um diese auch entsprechend zu speichern und selektiv mittels Routinen zu veredeln. Die Dritten wiederum bauen ihr Geschäftsmodell auf Algorithmen auf und entziehen sich nahezu komplett den physischen Prozessen der Leistungserstellung. In diesem Zusammenhang fallen dann gerne Begriffe wie disruptive Technologie, Design Thinking, Location Cloud oder eben die Mutter aller technologischen Schlagwörter: Digitalisierung.

Es handelt sich also um einen Rohstoff der vorliegt, aber erst sinnstiftend in ein immobilienwirtschaftliches Geschäftsmodell übertragen werden wird. Und das schafft - so die wirtschaftliche Evolutionstheorie - immer Innovationssprünge und Strukturveränderungen in einem. Einfacher formuliert: Es gibt Gewinner und es gibt Verlierer. Das wir als Immobilienbranche inmitten dieses Strukturwandels sind, wenngleich an der Außenlinie, wird anhand des Bemühens und Ringens von Medienkonzernen, Automobilkonzernen oder Banken seit einigen Jahren sichtbar.

Allen gemeinsam ist die Frage, wie sich die traditionellen Geschäftsmodelle mittels Digitalisierung auch in eine Zahlungsbereitschaft beim Kunden transformieren lassen. Hinzu gesellen sich beispielhaft messbare globale Bedrohungsszenarien im traditionellen Taxioder im Hotel -und Gaststättengewerbe. Der Kunde sieht einen zeitlichen oder monetären Effizienzvorteil und nutzt ihn. Operative Basis: das massive Sammeln von Daten und die individualisierte Kanalisierung via App.

Höhere Preistransparenz

Übertragen auf die Immobilienwirtschaft - stark den bekannten Zyklen unterworfen, einer latenten Intransparenz innewohnend und durch Standortpersistenz definiert - sind die Möglichkeiten der Innovationssprünge definitiv gewaltig. Gleichwohl bedarf es dabei nicht nur profanen Dingen wie Verfügbarkeit wie Daten, Standards oder schlicht Transparenz, sondern auch der Erkenntnis, dass Daten der Schlüssel zum langfristigen wirtschaftliche Erfolg sind.

Zwar gilt weiterhin die Aussage des persönlichen Gesprächs basierend auf Vertrauen, egal, in welchem Teilmarktsegment auch weiterhin, doch aus Sicht der Nachfrager sind nicht nur Dienstleistungen transparenter geworden, sondern auch die Bereitschaft, große Teile der Dienstleistung individuell zu erbringen, deutlich gestiegen. Und das bei nahezu vollständiger Preistransparenz.

Provokant gefragt: Wenn der Standort die unverrückbaren Koordinaten einer Immobilie ist, in der sich auch ein wesentlicher wertstiftende Faktor wiederspiegelt, dann sollten sich doch die meisten Unternehmen auf dem Feld der digitalen Karten oder gar der Dark Maps bereits tummeln?

Immobilien werden zu Softwareproduzenten

Überall hört man mantraartige Aussagen zu den Vorteilen von Smart-City-Konzepten. Doch wie viele Unternehmen sind es, die hier Flagge zeigen?

Und: Wer sieht die Immobile wirklich als Softwarelieferant? Doch das ist sicherlich eine Sichtweise, welche mehr aufwecken soll, als in kurzfristige Hektik zu verfallen - viel wichtiger ist es, zeitnah die Bereitschaft für das strukturierte Sammeln von Daten zu entwickeln. Denn der flüchtige Charakter, den diese Daten - leider - noch immer bei vielen einnehmen, wird sich in eine Kerngröße der Leistungserstellung transformieren. Je mehr Daten vorliegen, desto präziser werden Informationen.

Selbstverständlich werden auch Immobilien mehr denn je zum Softwareproduzenten - obwohl sie Jahrtausensende der Begriff für Hardware schlichthin waren. Was innerhalb der bisher eher anlog aufgestellten Immobilienbranche einen dramatischen Wandel zur Digitalisierung auslösen wird, sind ein globales unternehmerisches Denken, die passende Datenbanken und Softwarekompetenz - keine Insellösungen und eine vollständige Transparenz betrieblicher Abläufe inklusive 360 Grad Feedback der Nutzer, sprich Mieter.

Immobilien werden vollständig digitalisiert, kundenzentriert und anpassungsfähig sein müssen. Die bisher verwendete Standardsoftware setzt zwar Standards, löst aber in der bisherigen Form sicherlich keine Innovationen aus. Oder um mit den drei "V" zu argumentieren:

- Volume - sehr große Datenberge werden entstehen,

- Variety - komplexe Daten werden analysiert werden müssen, die nicht in das relationale immobilienökonomische Schema passen, und

- Velocity - sich schnell bewegende Daten (Ströme oder häufige Änderungen der Daten) in einem eigentlich immobilen Vermögensgegenstand.

In Zeiten von robo advice, künstlicher Intelligenz, Algorithmen oder augmented reality ist es lediglich eine Frage der Zeit, bis dieser datenbasierte, digitalisierte Erstellungsprozess auch in der Immobilienbranche Einzug hält. Gerade, weil die komplexen Prozesse in einer Immobilie und deren hoher Anlagewert großes Potential für den Einsatz von Technologien bieten.

Als aktuelle Trends mit Relevanz für die Immobilienwirtschaft können beispielhaft nachfolgende Technologien genannt werden: Gebäudeautomation, Informationsidentifikation (RFID), Informationsspeicher (Cloud), Robotik, Internet der Dinge, Software (BIM, Applikationen), Mobile Computing und 3D-Druck.

Digitale Daten als vierter Produktionsfaktor

Offensichtlich ist, dass Daten auch in der Immobilienbranche aufgrund von Effizienzsteigerungsmöglichkeiten als vierter Produktionsfaktor gesehen werden. Auch ist sich die Branche bewusst, dass sie in der Real-Time-Welt der Entscheidungsunterstützung angekommen ist. Die Entscheidungen, welche zunehmend auf Grundlage dieser Datenmengen getroffen werden, finden immer schneller statt, fast in sogenannter Echtzeitanalyse.

Dies wird zu Veränderungen in den immobilienwirtschaftlichen Prognoseverfahren führen, Bewirtschaftungsfragen oder die Steuerung der Anlagen, Fragen nach dem immobilienwirtschaftlichen Outsourcing oder make or buy stehen auf der Agenda ganz oben. Nicht nur neue Berufsbilder wie beispielsweise der Data Scientist werden entstehen; weitere massive Eingriffe in die bisherige Struktur sind bereits jetzt absehbar: Absatzplanung, dynamische Preisgestaltung, automatisierter Börsenhandel, Marketing, Analyse des Kaufverhaltens, personalisierte Immobilienwerbung.

Gerade in der kundenorientierten Spezialisierung und transparenter Preisgestaltung wird ein sehr großer Strukturbruch auf die Branche zukommen. Aber auch Fragen zu den Eigentumsstrukturen der Daten werden beantwortet werden müssen. Etwas verkürzt: Wer die Daten hat, verfügt über die Information. In einem weiteren Schritt ist bereits jetzt schon die Entstehung von Datenoligopolen in der Branche zu erkennen.

Neue Berufsfelder werden entstehen

Trotz aller Technik wird sich auch die Rolle der Beteiligten, sei es der Analyst oder der CEO, ändern. Wo beginnt die vielgerühmte Schwarmintelligenz und wo die Schwarmdummheit? Wohin die Reise geht, kann man aktuell nur schwer prognostizieren, die Unternehmen müssen sich deshalb mit dem Thema befassen und den Evolutionsprozess beschreiten.

Wenn jeder die gleichen Informationen hat, muss sich ein anderer hervorheben, der noch mehr Informationen hat, um Wettbewerbsvorteile zu haben und somit einen Mehrwert zu bieten. Ansonsten läuft alles - noch - über den Preis. Genereller Konsens ist, dass die Digitalisierung als relevant angesehen wird.

Auf der einen Seite ist Digitalisierung das Mantra unserer Zeitepoche. Aber auf der anderen Seite sind Zahlen von Natur aus "dumm" und Innovationen können nicht via Disruption "verordnet" werden. Der Wandel der Immobilienbranche ist in vollem Gange.

Der Autor Dr. Thomas Beyerle Managing Director, Catella Property Valuation GmbH, Frankfurt am Main
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