EXPO REAL-SPECIAL

"WIR SIND FLEXIBLER DENN JE UND DRÄNGEN IN DIE STÄDTE UND BALLUNGSZENTREN"

Jan Riemann, Foto: Aldi Süd

Der lebensmittelgeankerte Einzelhandel gehört zu den wenigen "Gewinnern" der Pandemie. Nach Berechnungen des Statistischen Bundesamtes stiegen die Umsätze bei Supermärkten, Discountern & Co im Jahr 2020 Corona-bedingt um real 5,7 Prozent sprunghaft an. Infolge dieser positiven Entwicklung schmieden Branchenvertreter allerorten fleißig Expansionspläne. Dazu gehört auch Aldi Süd: Der Discounter-Riese hat kürzlich selbstbewusst die Bündelung seiner Immobilienkompetenzen angekündigt. Die Details verrät der hierfür verantwortliche Director Jan Riemann im Interview mit "Immobilien & Finanzierung". Red.

Herr Riemann, Aldi Süd hat Anfang Juli 2021 eine Bündelung seiner Immobilienkompetenzen angekündigt. Was genau hat es damit auf sich?

Ein zentraler Punkt der Neuausrichtung ist die Bündelung unserer Immobilienkompetenz durch unsere "Local Offices". Das sind vier Immobilienteams, die sich auf die Städte Köln, Frankfurt am Main, Stuttgart und München konzentrieren. Sie sind auf die Entwicklung von Mixed-Use-Immobilien in den jeweils genannten Metropolen spezialisiert. Denn mitten in der Stadt einen Standort mit Gastronomie, Einzelhandel und einer Kita auf dem Dach zu planen, ist deutlich komplexer als der Bau einer alleinstehenden Filiale im Grünen. Deshalb bündeln wir unsere Expertise. Außerdem sind die "Local Offices" der direkte Ansprechpartner vor Ort und als solche zuständig für die jeweilige Metropolregion. Wir sind Ratgeber und Ideenentwickler. Gemeinsam mit unseren Partnern wollen wir Immobilien entwickeln, die den städtebaulichen Anforderungen entsprechen und für alle Nutzer einen Mehrwert schaffen. Ob als Investor, Eigentümer, Mieter oder Vermieter - für uns zählt die langfristige Perspektive, und dafür steht die flexible Entwicklung mit dem richtigen Nutzermix im Mittelpunkt.

Warum dieser Schritt und warum zum jetzigen Zeitpunkt?

Wir beobachten schon seit geraumer Zeit den Trend der Urbanisierung. Immer mehr Menschen zieht es in die Cities. Lebten 1950 in Deutschland nur knapp 30 Prozent der Bevölkerung in Städten, werden es 2050 aller Voraussicht nach schon über 77 Prozent sein. Der Bevölkerungszustrom stellt die städtische Infrastruktur vor neue Herausforderungen. Große freie Flächen für neue Immobilienprojekte werden selten, und noch nie gab es so viele Pkws in den Städten wie heute. Gleichzeitig ändern sich die Lebensentwürfe und Gewohnheiten vieler Menschen. Es gibt immer mehr Singles und Alleinwohnende, und auch Familien entscheiden sich für ein Leben "Downtown", weil sie dort kulturelle Einrichtungen, Schulen, Kindergärten und ärztliche Versorgung in direkter Nähe haben.

Nähe wird auch im Hinblick auf das Einkaufen immer wichtiger. Laut einer repräsentativen Kundenumfrage vom Institut für Handelsforschung in Köln von 2020 hat es mittlerweile die stärkste Bedeutung. Dabei beschreibt der Begriff "Nähe" nicht nur die Nähe zu Wohnort, Schulen oder Arbeitsplatz. Gemeint ist damit auch die "Nähe" zu täglichen Routinen: Wie gut lassen sich Fahrten mit Auto, Fahrrad oder ÖPNV mit notwendigen Besorgungen unter einen Hut bringen? Denn Einkaufen wird vor allem bei jüngeren Zielgruppen immer häufiger in den täglichen Tagesablauf integriert. Spannend ist dabei zu sehen, dass der Planungshorizont für den Einkauf immer kürzer wird. Über 74 Prozent der Deutschen kauften 2019 mehrfach wöchentlich ein. Im Jahr 2020 nimmt die Essensplanung und Bevorratung während der Corona-Pandemie temporär wieder eine größere Rolle ein. Es sind dennoch weiterhin zwei Drittel der Deutschen, die mehrmals pro Woche einkaufen. Die altbekannte Speisekammer ist heute kein düsterer kleiner Raum mehr, sondern der attraktive Nahversorger um die Ecke.

Wir bewegen uns als Nahversorger im Windschatten der Urbanisierung und fühlen uns in der Innenstadt sehr wohl. Ob im Großen oder im Kleinen: Wir sind flexibler denn je und drängen in die Städte und Ballungszentren. Um uns hier noch besser entwickeln und aktiv werden zu können, haben wir hier unsere Projektentwicklungsbüros eröffnet.

Wo konkret sehen Sie Verbesserungsbedarf hinsichtlich der Zusammenarbeit beziehungsweise Kommunikation mit Ihren Stakeholdern?

Was für unsere Kunden gilt, gilt auch für die Beziehung zu unseren bestehenden und künftigen Partnern: Hier wie da ist die Nähe entscheidend - räumlich genauso wie kommunikativ. Wir wollen besser erreichbar und einfacher ansprechbar sein. Unsere "Local Offices" sind dafür der Schlüssel in den Metropolgebieten. Sie können bestehende Partnerschaften pflegen und neue Kontakte besser aufbauen. Auf dieser vertrauensvollen Grundlage können wir unsere Ideen überzeugender präsentieren und auch auf die Wünsche und Ansprüche unserer Partner individuell eingehen. So wollen wir den Austausch mit Städten und Kommunen, Investoren, Projektentwicklern, Asset Managern, Maklern und Architekten weiter intensivieren.

Vor allem in den deutschen Metropolen sind Neubauflächen bekanntlich zunehmend Mangelware. Gleichzeitig stehen die Kommunen unter erheblichem Druck, mehr und bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Als wie akut nehmen Sie den "Flächenkonkurrenzkampf" wahr?

Aldi Süd möchte das eine mit dem anderen verbinden. Wir entwickeln individuelle Ideen und Konzepte und sind sehr flexibel, wenn es darum geht, sie gemeinsam mit unseren Partnern für den optimalen Nutzen vor Ort anzupassen. So profitieren das gesamte Umfeld und die umliegende Infrastruktur. Dafür stellen wir uns immer individuell auf die Anforderungen der einzelnen Standorte ein und sehen uns im Schulterschluss mit allen Stakeholdern als Ideenentwickler. Unsere Konzepte sind also maßgeschneidert und die Nutzungen können variieren. Ob Wohnungen, Büros, Kitas, Gastronomie, Studentenwohnungen oder ergänzender Einzelhandel: Wir entwickeln Immobilienkonzepte für jeden Standort.

Wie schwer vermittelbar ist vor diesem Hintergrund ein eingeschossiger, "standalone" Supermarkt im Zentrum einer Großstadt? Ist das nicht de facto ein Auslaufmodell?

In ländlichen Räumen ist Aldi Süd für viele Kunden ein wichtiger Bestandteil des Alltags - und wird es auch bleiben. Unser Filialnetz ist sehr dicht. Dort, wo es noch weiße Flecken gibt, versuchen wir diese zu schließen - falls sinnvoll und passend auch mit alleinstehenden Filialen. Innerhalb der City wird es immer schwieriger, solche Filialtypen zu bauen. Diese Objekte sind dort weniger gewünscht und wirtschaftlich oft nicht mehr sinnvoll. Daher lässt sich nur im urbanen Raum von einem Auslaufmodell sprechen.

Ihre neu gegründeten "Local Offices" sind wie erwähnt auf die Entwicklung von Mixed-Use-Immobilien in den jeweiligen Metropolen spezialisiert. Wie komplex gestaltet sich in der Praxis die Umsetzung solcher Konzepte, besonders mit Blick auf die vielerorts doch starren Bauvorgaben?

Die Bauvorgaben sind für uns nicht starrer als für andere Projektentwickler - wir nehmen diese Herausforderungen gerne an. Wie bereits erwähnt, sind wir sehr stark darin, uns an individuelle Rahmenbedingungen zu adaptieren und maßgeschneiderte Lösungen für jeden Standort zu entwickeln, wenn es wirtschaftlich für alle Beteiligten sinnvoll ist. Dazu gehört auch, die jeweiligen Bauvorgaben aufzugreifen und sie bei der Entwicklung neuer Projekte zu berücksichtigen. Das ist mitunter deutlich komplexer als der Bau einer frei stehenden Filiale außerhalb der Ballungszentren. Aus diesem Grund haben wir unsere Filialentwicklung neu aus gerichtet und bündeln unsere City-Kompetenz durch die "Local Offices".

Sehen Sie da Bewegung vonseiten der Politik, mehr Flexibilität und Schnelligkeit in die Prozesse zu bekommen?

Das lässt sich nicht pauschal beantworten. Jeder Standort hat seine eigenen Rahmenbedingungen und Anforderungen. Grundsätzlich möchten wir unsere Interessen nicht über Konflikte umsetzen. Vielmehr versuchen wir, mit unseren Partnern gemeinsame Interessen herauszuarbeiten und sie mit Konzepten und Lösungen zu überzeugen. Damit machen wir gute Erfahrung.

Werden Sie solche Projektentwicklungen eigentlich in Eigenregie durchführen? Wie groß sind die Teams in den jeweiligen Local Offices?

Die Teams sind im Aufbau und greifen auf bestehende Netzwerke zurück. Wie viele Personen pro Team zum Einsatz kommen, lässt sich aktuell noch nicht sagen. Wir entwickeln Ideen und können unseren Partnern individuell abgestimmte und wirtschaftlich tragfähige Konzepte bieten. Genauso können wir bestehende Konzepte begleiten, beraten und unterstützen. Was unsere Rolle bei der Projektentwicklung angeht, sind wir grundsätzlich flexibel.

Der Neubau von Wohnungen ist bekanntlich teuer. Welche Mietpreise sind bei Ihren Projekten denn realistisch?

Pauschale Angaben zu möglichen Mietpreisen sind nicht möglich. Sie hängen immer von den jeweiligen Grundstückspreisen und Baukosten ab und sind an den Markt gekoppelt. Ähnlich sieht es beim Potenzial für neue Wohnungen aus. Jedes Bauprojekt entwickelt sich unter individuellen Rahmenbedingungen und berücksichtigt die Interessen und Ansprüche der beteiligten Partner.

Kommen neben Wohnen also auch andere Nutzungsarten als Beimischung infrage?

Bereits heute nutzen wir zahlreiche Mixed-Use-Immobilien, in denen Wohnungen, sozialer Wohnungsbau, Studierendenwohnungen, Büros oder eine Kita untergebracht sind. Grundsätzlich sind wir diesbezüglich sehr flexibel.

Der seit Jahren durch den Onlinehandel versursachte Druck auf die Innenstädte wurde durch die Corona-Pandemie noch einmal merklich verstärkt. Was erwarten Sie, wie tiefgreifend wird der Wandel im Erscheinungsbild sein?

Wir glauben an die Innenstadt. Die Innenstädte werden sich verändern und Nutzungen werden sich stärker durchmischen. Wie das konkret aussehen kann? Mitten in der Düsseldorfer Altstadt haben wir beispielsweise an der Flinger Straße das ehemalige Kult-Kaufhaus als Generealmieter übernommen. In einem Objekt, das in der Vergangenheit vor allem durch textilen Einzelhandel geprägt war, wurden alle Handelsflächen revitalisiert und mit Partnern aus der Gastronomie und dem Einzelhandel komplett neu positioniert. Das ist ein Modell für die Innenstadt der Zukunft. Wir sind "stadtklar" und bereit, zukünftige Möglichkeiten zu nutzen, um als smarter Frequenzbringer Lücken in den Innenstädten zu schließen.

Wie genau setzt sich das Immobilienportfolio von Aldi Süd zusammen? Sind Sie immer Eigentümer, oder mitunter auch Mieter?

Etwa zwei Drittel unserer Immobilien befinden sich in unserem Eigentum. Diese Form präferieren wir grundsätzlich, treten aber auch als Investor oder Mieter auf, wo es für uns sinnvoll ist. Als Mieter machen uns sicherlich die bei uns üblichen, langen Vertragslaufzeiten von 10 bis 15 Jahren attraktiv - und natürlich unsere Bonität.

Wie kommen Sie an neue Objekte und Grundstücke heran?

Bei der Anbahnung neuer Bauprojekte greifen wir auf ein starkes Netzwerk zurück, das wir über Jahrzehnte aufgebaut und gepflegt haben. Unsere Unternehmensstruktur umfasst darüber hinaus zahlreiche Regionalgesellschaften, die in ihren jeweiligen Regionen verankert und ausgezeichnet vernetzt sind. Ob in unseren "Local Offices" oder außerhalb der Städte haben unsere Kollegen so immer ein Ohr am Markt und ergreifen die Gelegenheit, wenn sich attraktive Objekte nutzen lassen.

Welche Rolle spielt das Immobiliengeschäft heute für die Umsatzentwicklung von Aldi Süd, und welche soll es künftig einnehmen?

Wie bereits erwähnt, verändern sich die Lebensentwürfe unserer Kunden und dementsprechend auch das Nachfrageverhalten. Wir richten unser Portfolio daran aus und sehen nach wie vor weiße Flecken, die wir gerne schließen möchten - vor allem in Städten. Wir expandieren weiter und wollen noch mehr Kunden erreichen. Gelingt uns das, können wir auch unseren Umsatz steigern. Entsprechend wichtig ist für uns die Immobilien-Entwicklung.

ZUR PERSON JAN RIEMANN Director Property Cooperation, ALDI SÜD Dienstleistungs-GmbH & Co. oHG, Mülheim an der Ruhr
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