MARKT- UND OBJEKTBEWERTUNG

"ES GIBT IN DER IMMOBILIENBRANCHE WOHL KAUM EINEN KRISENSICHEREREN JOB"

Tanja Reiss, Foto: HypZert

Das Berufsbild der Immobiliengutachter hat sich in den vergangenen Jahrzehnten stark gewandelt und dabei immer weiter professionalisiert. Einen wesentlichen Anteil daran hat mit Sicherheit auch die vor 25 Jahren gegründete Hypzert GmbH, deren Zertifizierung sich schnell zur Benchmark für Immobiliengutachter in der deutschen Finanzwirtschaft etablierte. Anlässlich des Jubiläums sprach "Immobilien & Finanzierung" mit Hypzert-Geschäftsführerin Tanja Reiß über die Anfänge, aber insbesondere auch über die Zukunft der Organisation. Dabei wird gerade mit Blick auf die Megatrends Digitalisierung, Nachhaltigkeit und Fachkräftemangel deutlich, dass es in den nächsten 25 Jahren sicher nicht an neuen Betätigungsfeldern mangeln wird. Red.

Frau Reiß, wie hat sich der Beruf des Immobiliengutachters im Laufe der Jahre verändert?

Ein kurzer Rückblick, um den Status quo des Berufs heute zu begreifen: Der Immobiliengutachter in der Finanzwirtschaft arbeitete vor 25 Jahren eher im "Verborgenen". In der Öffentlichkeit stand der öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige, der für Gerichte und Privatpersonen Immobilien bewertet, aber in vielen Banken und Sparkassen lief die Bewertung der Sicherheiten noch größtenteils "nebenbei". Meine erste Bewertung in einer Sparkasse habe ich zum Beispiel auf einem zweiseitigen Formblatt gemacht - als Auszubildende.

Bis Jürgen Schneider auf der Bildfläche erschien, der diese Umstände für seine Geschäfte ausnutzte. Aus diesen Fehlern hat die Finanzwirtschaft schnell gelernt und aus der Not eine Tugend gemacht: mit der Gründung der Hypzert vor nunmehr 25 Jahren durch den Verband deutscher Pfandbriefbanken e.V. begann die stete Qualitätssteigerung, Vereinheitlichung und Transparenz in der Immobilienbewertung in den Banken und Sparkassen. Heute gibt es weit über 2 000 Hypzert-Gutachter und kaum noch ein Kreditinstitut in Deutschland, in dem beziehungsweise für das kein Hypzert-Zertifizierter arbeitet.

Wie hat dieser Wandel die Arbeit der Gutachter beeinflusst?

Über die Jahre hat sich so einiges am Arbeitsalltag geändert. Durch die Digitalisierung hat der Gutachter heute eine umfangreiche Software für die Bewertung zur Hand, auf die er sich rechentechnisch verlassen kann. Außerdem wird viel Researcharbeit durch entsprechende Anbieter übernommen, sodass Daten und wichtige Informationen zum Objekt per Knopfdruck abgerufen werden können. Dabei ist die Qualität der Daten aber sehr heterogen und deren Validierung daher enorm wichtig.

Es gibt eine Datenflut, die dem Gutachter heute zur Verfügung steht, aber welche Daten kann man bedenkenlos verwenden? Hypzert arbeitet momentan zusammen mit der vdp-Research an der Bereitstellung von allgemeinen volkswirtschaftlichen, aber auch objektscharfen Bewertungsdaten für unsere Gutachter: Bodenrichtwerte, Baukosten und Sachwertfaktoren, Miet- oder Preisvorschläge, verschiedene Marktdaten, POI/POS et cetera werden dann mit nur einem "Klick" verfügbar sein.

Und wie sieht heutzutage der Arbeitsalltag des Immobiliengutachters aus?

Den Hauptanteil des Arbeitsalltages eines Gutachters nehmen heute nach wie vor Besichtigungen und Bewertungen ein - wenn auch mit digitaler Unterstützung. Egal wie es der Immobilienbranche oder der Wirtschaft gerade geht - Immobilienbewertungen, gerade in der Finanzwirtschaft, sind immer gefragt. Dazu ist der Gutachter aber auch noch Berater des Kreditinstitutes.

Bewertungssoftware kennt die Branche ja schon seit vielen Jahren. Researchdaten gibt es in rauen Mengen - wenn auch in unterschiedlichsten Qualitäten. Gibt es sonst Neuerungen im Bereich der Digitalisierung?

Selbstverständlich. Da wären Apps zur Unterstützung bei Besichtigungen, deren Parameter dann direkt in die Bewertungssoftware eingespielt werden können. In einigen Kreditinstituten werden bereits Besichtigungen durch den Kunden selbst durchgeführt. Dafür lädt der Kunde eine App auf sein Smartphone, mit deren Hilfe der Kreditbearbeiter oder Wertermittler das Objekt besichtigen kann, ohne vor Ort sein zu müssen.

Auch hinsichtlich ESG arbeiten wir an einer Lösung für unsere Gutachter: einmal mithilfe von Klimadaten, die durch K.A.R.L. zur Verfügung gestellt werden, zum anderen aber auch mit einem unserer Fachgremien. Vor nunmehr fünf Jahren hat die Fachgruppe Energie & Umwelt mit Unterstützung der Dena und der vdp-Reserach ein Tool entwickelt, mit dem man Energieausweise plausibilisieren beziehungsweise den Energieverbrauch einer Immobilie einschätzen kann. Dieses wird nun aktualisiert, um den Anforderungen an die Banken durch verschiedene europäische Institutionen nachzukommen.

Ersetzen solche Tools beziehungsweise "der Computer" dann bald den Gutachter?

Nein, das heißt es nicht - jedenfalls nicht in naher Zukunft. Der Immobiliengutachter wird immer mehr zum Berater: Soll die Bank oder der Investor diese Immobilie finanzieren? Wo liegen die Risiken, wo die Chancen des Objektes? Dabei muss er nicht nur den aktuellen Marktwert ermitteln, sondern die Zukunftsfähigkeit des Objektes einschätzen, Szenarien betrachten, mögliche Nutzungen bedenken und Ideen entwickeln. Dieses Expertenwissen ist heute gefragter denn je. Fast täglich veröffentlichen wir auf unserer Webseite neue Stellenanzeigen.

Bedeutet das, statt des viel vorhergesagten Aussterbens haben wir einen Mangel an Immobiliengutachtern?

In der Hypzert können wir aktuell beobachten, dass unsere Gutachter der ersten Jahre inzwischen das Rentenalter erreicht haben. Viele von denen, die mit uns vor 25 Jahren in die Qualitätsoffensive gestartet sind, gehen in den Ruhestand und es kommen noch nicht genügend junge Leute nach. Deshalb haben wir gemeinsam mit Kreditinstituten und Bewertungsgesellschaften vor ein paar Jahren ein Nachwuchsprogramm ins Leben gerufen.

Mit "Hypzert Talents" wollen wir Studenten und junge Berufseinsteiger unterstützen, sie für den Beruf des Immobiliengutachters begeistern und ihnen Starthilfe für eine Karriere in der Finanzwirtschaft geben. Ein besonderes Highlight ist in jedem Jahr unser zweitägiges Summercamp, bei dem wir Studierende aus sämtlichen immobilienspezifischen Studiengängen über diesen abwechslungsreichen Beruf informieren. Im Oktober startete jetzt sogar ein von Hypzert initiierter dualer Studiengang BWL mit Schwerpunkt Immobilienbewertung an der in diesem Bereich renommierten Hochschule Anhalt. Mit der Hochschule Anhalt haben wir einen kompetenten, erfahrenen Partner gefunden, um mehr junge Menschen für diesen Beruf zu begeistern und gezielt dafür auszubilden. Mit dem dualen Studiengang hoffen wir, auch junge Menschen zu erreichen, die aus finanziellen Gründen oder aus Interesse am praktischen Berufsleben sonst vielleicht nicht studiert hätten.

Ist es mit Blick auf Hochschulabsolventen noch immer lohnenswert, eine Laufbahn als Sachverständiger einzuschlagen?

Es gibt in der Immobilienbranche wohl kaum einen krisensichereren Job: egal ob Konjunktur oder Rezession, die Kreditinstitute müssen die Werte ihrer Sicherheiten im Auge behalten. Bewerter sind immer gefragt und werden immer besser bezahlt. Der Job selbst ist sehr flexibel - zeitlich und auch örtlich. Solange Sie einen Rechner und Zugriff auf das Internet haben, können Immobiliengutachter im Prinzip arbeiten, wo und wann sie wollen. Das hat die Corona-Pandemie gezeigt: Die Auftragsvolumen haben trotz Lockdown nicht abgenommen, ganz im Gegenteil. Nur bei Besichtigungen gab es zeitweise Einschränkungen.

Wie wird Hypzert die Gutachter künftig noch unterstützen?

Hypzert steht ja nicht "nur" für die Zertifizierung. Unsere elf Fachgruppen sind zu einem Aushängeschild der Hypzert geworden. Ihre Studien werden uns regelmäßig aus den Händen gerissen und sind inzwischen nicht nur unter Hypzert-Gutachtern zum Standardwerk in der Immobilienbewertung geworden. Neu entsteht zum Beispiel gerade eine Studie zum Baumonitoring in Banken. Eine Veröffentlichung, die es in dieser Tiefe und für diesen Zweck bislang noch nicht gibt, aber dringend benötigt wird, da das Baumonitoring insbesondere für die Risikobetrachtung der Finanzierung ein wichtiger Baustein ist und in den Banken und Sparkassen teilweise noch sehr heterogen betrieben wird.

Unsere aktuellsten Projekte sind der Beweis, dass es immer spannend bleibt und nicht langweilig wird. Neue Herausforderungen stellt gerade das gesamte Thema ESG, Nachhaltigkeit und Energieverbrauch von Immobilien dar. Diese Fragen beschäftigen uns schon eine ganze Weile und sind jetzt dringender denn je geworden. Welchen Einfluss hat der Energieverbrauch auf den Wert der Immobilie? Wie wirken sich soziale Parameter aus? Wir haben dazu eine neue Studie veröffentlicht, die einen guten Überblick gibt und werden natürlich weiterhin ganz viel Engagement in diese Themen stecken, um unseren Gutachtern auch weiterhin nützliche Arbeitshilfen an die Hand zu geben.

Tanja Reiss , Geschäftsführerin , HypZert GmbH, Berlin
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