MARKT- UND OBJEKTBEWERTUNG

"SOLANGE DER MENSCH ENTSCHEIDUNGEN TRIFFT, WIRD DER MENSCH SIE BEWERTEN"

Brigitte Adam, Foto: Eva Zocher Photography

Die Wertermittlung von Immobilien sollte stets höchsten Ansprüchen genügen, schließlich geht es am Ende immer um viel Geld. Zwar existieren in diesem Zusammenhang entsprechende Regelwerke, doch nach Einschätzung der gif-Kompetenzgruppe Marktwertermittlung ist dies nicht ausreichend. Aus diesem Grund wurde jüngst ein Leitfaden ("Erfolgsmethode bei der Marktwertermittlung") konzipiert, der die in der Praxis am besten bewährten Methoden detailliert beleuchtet und Gutachtern somit zusätzliche Orientierung liefern soll. Im Interview mit I & F berichtet das federführend an dem Projekt beteiligte gif-Vorstandsmitglied Brigitte Adam über die Kernbotschaften des Werks und diskutiert darüber hinaus die Implikationen der Digitalisierung auf die Immobilienbewertung. Red.

Frau Adam, die Kompetenzgruppe Marktwertermittlung der Gesellschaft für immobilienwirtschaftliche Forschung (gif) hat kürzlich einen Best-Practice-Leitfaden für Immobiliengutachter vorgestellt. Was war der Anlass dafür?

Wir haben in der Kompetenzgruppe Marktwertermittlung durch intensive Recherchen festgestellt, dass zwar eine Menge formeller Anforderungen an das Gutachten und auch an die Gutachter in diversen Regelwerken formuliert werden; jedoch fehlen Best-Practice-Empfehlungen für die inhaltliche und substanzielle Erarbeitung von Verkehrswert- beziehungsweise Marktwertgutachten. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf Analyse, Würdigung, der Objektbesichtigung et cetera. Diese Lücke schließen wir mit der "Erfolgsmethode bei der Marktwertermittlung" durch die gif e.V.

Die Empfehlung listet vier Kernkompetenzen für Immobilienbewerter. Welche sind dies und warum?

Zunächst müssen die Immobilienbewerter über eine hohe Marktkompetenz verfügen. Hierunter ist ein strukturelles wie aktuelles Verständnis des bewertungsrelevanten Marktgeschehens und der unterschiedlichen Interessenlagen der Marktteilnehmer zu verstehen. Es muss ein Gespür vorhanden sein, wie das Bewertungsobjekt zum Bewertungsstichtag von den Marktteilnehmern wahrgenommen wird. Die Gutachter müssen darüber hinaus alle üblichen Wertermittlungsverfahren, deren Gemeinsamkeiten und Unterschiede sowie deren Kontext zum Wertermittlungszweck kennen. Diese Kenntnis versetzt sie in die Lage, die für das Bewertungsobjekt geeigneten Verfahren auszuwählen und anzuwenden. Wir bezeichnen dies als Methodenkompetenz.

Um die Einflussfaktoren auf den Marktwert sachgerecht würdigen zu können, müssen die Gutachter über die entsprechenden technischen, wirtschaftlichen und rechtlichen Kenntnisse verfügen ohne Sonderfachleute in einem dieser Fachgebiete sein zu müssen. Diese Fachkompetenz ist kontinuierlich auf einem aktuellen Stand zu halten und den bewertungsrelevanten Veränderungen und Weiterentwicklungen regelmäßig anzupassen.

Und mit einem hohen Maß an sozialer Kompetenz gelingt es den Immobilienbewertern in Kommunikations- und Interaktionssituationen entsprechend den Bedürfnissen der Beteiligten Realitätskontrolle zu übernehmen und effektiv zu handeln. Es dient der Vertrauensbildung in die Sachkenntnis und umspannt unter anderem Kommunikation, Gründlichkeit, Zuverlässigkeit, Empathie, Objektivität, Wissensdrang, Reflexionsvermögen und Integrität.

Inwieweit haben sich die Anforderungen an Bewerter in den vergangenen Jahren Ihrer Einschätzung nach grundsätzlich gewandelt? Sind diese komplexer geworden, gerade mit Blick auf die (steigenden) Ansprüche der Auftraggeberseite?

Die Anforderungen an die Immobilienbewertung waren schon immer anspruchsvoll und komplex - so anspruchsvoll und komplex wie der Markt und die Bewertungsobjekte. Als weitere Kompetenz in der Immobilienbewertung kann sicher die Veränderungskompetenz genannt werden. Die Immobilienbewerter erkennen Veränderungen, ob im Markt, im Nutzerverhalten, regional und/oder sektoral. Unsere Intention war, die vorhandenen Kompetenzen und die Umsetzung "Best Practice" herauszuarbeiten, zu beschreiben und somit zu dokumentieren - für die Kolleginnen und Kollegen wie auch für die Auftraggeber seite.

Hat sich dadurch auch die Zusammensetzung der Branche verändert? Mitunter ist von einem Konsolidierungsprozess zu hören ...

Das ist tatsächlich tendenziell hörbar. Die Auftraggeber erkennen und bestätigen die umfangreichen und vertieften Kompetenzen der Immobilienbewerter, wünschen sich gleichzeitig die adäquaten infrastrukturellen und kapazitären Grundlagen von ihnen: schlanke Prozesse, hochwertige und zeitgemäße technische Möglichkeiten, ausreichende und qualifizierte personelle Ressourcen. Da waren bereits umfangreiche Umstellungen und Veränderungen erforderlich und das wird auch weiter so erforderlich sein.

Zurück zur gif-Empfehlung: Darin werden detailliert die einzelnen Schritte im Rahmen des Bewertungsprozesses beschrieben. Besonders betont wird die "höchstpersönliche Besichtigung des Bewertungsobjektes" durch den verantwortlichen Sachverständigen selbst. Lässt sich daraus schließen, dass dieser Vorgabe in der täglichen Praxis nicht immer Rechnung getragen wird?

Sie wird partiell infrage gestellt. Die Objektbesichtigung ist der wesentliche Teil in der Immobilienbewertung. Zu keinem sonstigen Zeitpunkt im Prozess der Wertermittlung werden so viele und wesentliche Informationen aufgenommen, verifiziert, plausibilisiert und auf Wahrhaftigkeit geprüft wie bei der Objektbesichtigung. Wenn eine andere Person als der/die fachlich verantwortliche Sachverständige die Objektbesichtigung vornimmt, entstehen erhebliche Brüche im Informationsfluss. Nimmt die andere Person oder ein sonstiges Besichtigungsinstrument das Bewertungsobjekt so wahr, wie der/die fachlich verantwortliche Sachverständige? Wir sind der Meinung, dass eine Aufteilung der Sachverständigenleistung, speziell an diesem herausragenden Punkt in der Wertfindung, nicht "Best Practice" ist.

Welche weiteren Voraussetzungen müssen erfüllt sein, um am Ende zu einem tragbaren Ergebnis im Rahmen der Marktwertermittlung zu gelangen?

Weitere maßgebliche Voraussetzungen für ein tragbares Ergebnis sind Daten und Informationen sowie deren fundierte Analyse und Würdigung. Die erfassten, recherchierten und/oder zur Verfügung gestellten, vor allen Dingen identifizierten Informationen und Daten werden methodisch in relevante einzelne Bestandteile aufgelöst und beschrieben; weiterhin werden sie strukturiert und geordnet positioniert und bewertet. Im Verhältnis untereinander, also zwischen Objekt - Standort - Markt sowie im Verhältnis zur Wahrnehmung durch Marktteilnehmer.

Unter Beachtung der Zukunftserwartungen auf Basis der Erfahrungen aus der Vergangenheit und die aktuelle Wahrnehmung durch den Markt erfolgt die Würdigung aller analysierten Daten, Eindrücke und Informationen. Mit einer nachvollziehbaren Beschreibung der Analyse und Begründung der entsprechenden erfolgten Würdigung ist man dem Ziel sehr nah.

Wie fiel bisher das Echo auf die Empfehlungen aus? Sind weiterführende Initiativen geplant?

Die Empfehlung ist erst seit einigen Wochen online. Seit dieser Zeit ist die Resonanz durchweg positiv. Sicher wird an dem einen oder anderen Punkt diskutiert werden, aber auch das ist positiv anzusehen. Die Empfehlung ist ein lebendiger Prozess, welche sich auch weiter entwickeln soll. Die Kompetenzgruppe Marktwertermittlung der gif e.V. wird einzelne Themen weiter vertieft ausarbeiten und veröffentlichen. Ziel ist es, dass sie als verlässlicher Best-Practice-Standard von allen mit der Immobilienwertermittlung befassten Personen, Verwaltungen, Institutionen et cetera wahr- und ernstgenommen wird.

Der Leitfaden lässt insgesamt einen noch immer erstaunlich analogen Bewertungsprozess vermuten. Wie passt das zu Meldungen, in denen vermehrt Anbieter mit virtuellen/digitalen Besichtigungsbeziehungsweise Bewertungstools an den Start gehen?

Der Leitfaden ist in dieser Hinsicht völlig flexibel. Er hat bezüglich des infrastrukturellen Umfelds keine Vorgaben. Hier geht es um den inhaltlichen Umgang mit den Angeboten und Möglichkeiten.

Inwieweit verändert die Digitalisierung die Immobilienbewertung, insbesondere mit Blick auf die Qualität von Gutachten?

Die Digitalisierung eröffnet große Möglichkeiten für die Immobilienbewerter. Sie schafft Kapazitäten, damit sich die Gutachter mehr Raum für ihre Kernkompetenzen nehmen können. Denn die Digitalisierung hat eine unbeabsichtigte Nebenwirkung: die Neu- und Höherbewertung menschlicher Fähigkeiten. Ihnen eröffnet sich nun eine echte Realisierungschance - weil der Markt sie fordert und Technik sie ermöglicht.

Sehen Sie den Berufsstand durch die rasante Zunahme neuer technischer Möglichkeiten (KI et cetera) perspektivisch in Gefahr? Oder ist es - beispielsweise für Hochschulabsolventen - noch immer lohnenswert, eine Laufbahn als Sachverständiger einzuschlagen?

Nein, ich sehe keine Gefahr. Wohl aber Veränderungserfordernisse im Berufsfeld. Ob das klassische Verkehrswertgutachten in der bekannten Form dauerhaft gefragt ist, mag ich nicht abschließend beantworten. Aber es wird immer und immer mehr die Expertenmeinung gefragt sein. Auf vielfältige, umfangreiche, vertiefte und professionelle Weise. Ich erkenne keine weitere berufliche Laufbahn, in der man mit so vielen Bereichen der Immobilienwirtschaft vertraut wird, so viel Wissensdurst stillen und Entdeckungslust leben kann, große persönliche wie berufliche Entwicklungsmöglichkeiten hat, wie in der Immobilienbewertung. Denn, solange der Mensch Entscheidungen trifft, wird der Mensch sie bewerten.

ZUR PERSON BRIGITTE ADAM Mitglied des Vorstands, gif Gesellschaft für Immobilienwirtschaftliche Forschung e.V., Wiesbaden, und geschäftsführende Gesellschafterin, ENA EXPERTS GmbH & Co. KG Real Estate Valuation, Mainz

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