Im Gespräch

"Speziell in Deutschland ist die Angst vor dem Scheitern groß"

Enrico Kürtös, CEO, Inreal Technologies GmbH, Karlsruhe

Der digitale Wandel ist in der Immobilienbranche immer noch nicht richtig im Gange. Das bemängelt der Interviewpartner deutlich und wünscht sich mehr Flexibilität der "konventionellen" Unternehmen. Die allgemein vorherrschende Wartehaltung müsse überwunden werden. Darüber hinaus laufe die Zusammenarbeit zwischen Etablierten und Proptechs noch nicht rund. Auch wenn die Kritik am derzeitigen Status quo natürlich ein Stück weit berechtigt ist, so ist sie auch ein gutes Stück eigeninteressengesteuert. Denn sein Karlsruher Unternehmen Inreal entwirft Virtual-Reality-Simulationen für Neubauprojekte und Refurbishments. Kunden sind insbesondere Asset Manager und Projektentwickler. In unserem Redaktionsgespräch geht er auch explizit auf intelligente Datensammlungen, eben Virtual Reality und die Folgen dieser digitalen Trends für die Immobilienwirtschaft ein. Ein Plädoyer für mehr Offenheit dem sogenannten "Big Data" gegenüber. Red.

I&F Herr Kürtös, der Begriff der Digitalisierung ist in aller Munde. Wie weit ist die Immobilienbranche aus Sicht eines Proptech-Start-ups in dieser Hinsicht wirklich?

So richtig ist der digitale Wandel noch nicht im Gange. Mein Eindruck ist: Das Thema Digitalisierung stößt zwar auf viel echtes Interesse. Gleichzeitig ist die Mehrheit aber auch ganz zufrieden mit dem Status quo. Fast alle etablierten Unternehmen betonen, dass sie das Thema angehen wollen, aber nur wenige lassen sich wirklich schon vollends auf technische Neuerungen und beispielsweise die Zusammenarbeit mit Start-ups ein.

I&F Warum ist die Zurückhaltung derzeit Ihrer Meinung nach noch so deutlich spürbar?

Speziell in Deutschland ist die Angst vor dem Scheitern groß. Keiner will derjenige sein, der sich verzettelt hat. Auf ein Proptech setzen, das es in zwei Jahren so vielleicht nicht mehr gibt? Lieber nicht. Deshalb sind viele Unternehmen derzeit noch in Wartehaltung. Ein bisschen mehr Mut würde unserer Branche allerdings guttun.

I&F Wie groß ist denn der digitale Nachholbedarf der Immobilienbranche?

Enorm, wenn man den Stand beispielsweise mit der Automobilbranche vergleicht. Die ist ein richtiger Innovationstreiber und setzt beispielsweise schon jahrelang auf Virtual-Reality. In der Immobilienbranche dagegen verläuft die Entwicklung deutlich langsamer. Schauen wir uns als Beispiel die Vermarktung von Immobilien an. Asset Manager und Projektentwickler arbeiten größtenteils immer noch mit zeitaufwendigen Broschüren, objektbezogenen Internetseiten und teuren Musterbauten, um ihre Gebäude zu bewerben. Dabei könnten sie dank Virtual Reality schon längst im Live-Modus mit Mietinteressenten am Computer oder auf der Leinwand durch die entstehenden Gebäude laufen.

I&F Ist Virtual Reality der nächste große Trend für die kommenden Jahre?

Virtual Reality ist kein reines Zukunftsthema mehr. Wir arbeiten schon jetzt aktiv damit und bieten unsere Software als unterstützendes Marketingtool für die Bewerbung von Büroimmobilien an. In den nächsten drei bis fünf Jahren wird Virtual Reality die Art, wie Gebäude geplant und vermarktet werden, komplett verändern.

I&F Inwiefern?

Noch kommt die Technologie bei Refurbishments oder Neubauten vor allem im Office-Bereich zum Einsatz. Sehr bald wird sie aber auch für Wohnimmobilien eine bedeutende Rolle spielen. Bedeutend deshalb, weil der gesamte Planungs- und Bauprozess vereinfacht wird - und Objekte viel früher vermarktet werden können. Projektentwickler beispielsweise können dank Virtual-Reality-Simulationen schon vor Baubeginn Eigentümern jedes Detail ihrer künftigen Immobilie zeigen. Und vor allem: das neue Büro oder eben das neue Zuhause erlebbar machen. Das ermöglicht es Ihnen, frühzeitig auf veränderte Kundenwünsche einzugehen und im Zweifel auch entsprechende Anpassungen vorzunehmen. Stellen Sie sich vor: Sie gehen vor Beginn der Bauarbeiten mit dem Eigentümer am Bildschirm durch das Haus, das er sich vorher aus verschiedenen Bausteinen genauso zusammengestellt hat - mit einer Art Konfigurator, mit dem sich Kunden beispielsweise auch ihre Autos selbst zusammenstellen. Jetzt merkt er plötzlich, dass ihm manche Details nicht mehr gefallen. Als Projektentwickler können Sie schnell reagieren und im Live-Modus Alternativen aufzeigen. Die technischen Möglichkeiten gehen schon heute so weit, dass Sie dem Eigentümer sogar demonstrieren können, wie unterschiedlich verschiedene Materialien das Licht reflektieren.

I&F Das klingt aufwendig und ist bestimmt auch mit hohen Kosten verbunden?

Natürlich sind Virtual-Reality-Simulationen nicht ganz kostengünstig. Weil sie so aber die Vermarktung und auch die Vorabbemusterung vorziehen und im Zweifel teure Nachbesserungen am realen Objekt vermeiden können, sparen Nutzer dank Virtual Reality letztlich sogar Geld ein. Gerade im Wohnbereich ist es in der Tat sehr aufwendig, ein realitätsnahes Modell zu programmieren. Denn Wohnraum ist sehr viel kleinteiliger als ein Büro. Zumal wir jeden Stuhl und jedes noch so winzige Detail komplett modellieren. Der künftige Mieter oder Hausbesitzer soll schließlich in jede Ecke schauen können. Das macht den virtuellen Rundgang so realistisch und erzeugt ein emotionales Verkaufserlebnis.

I&F Werden Immobilien künftig stärker über Emotionen als über Fakten vermarktet?

Zu den entscheidenden Fakten zählen neben der wohlbekannten Lage auch der Grundriss, der Mietpreis und die Grundausstattung. In diesen Punkten sind viele Gebäude heute miteinander vergleichbar. Deshalb spielen die soft facts eine zunehmend wichtige Rolle. Es geht darum, ein Lebensgefühl und eine Identifikationsmöglichkeit zu vermitteln. Nicht ohne Grund haben Gebäude heute ausgefallene Namen. Virtual Reality wird nicht so weit gehen, dass sich ein Interessent beispielsweise für eine Eigentumswohnung in schlechterer Lage und mit teurerer Ausstattung entscheidet, nur weil er sich das Gebäude vorher virtuell anschauen konnte. Aber dadurch, dass Asset Manager und Projektentwickler so viel besser auf die Wünsche von Kunden eingehen können, können sie Emotionen auch viel besser bedienen.

I&F Virtual Reality schafft viel Transparenz. Ist es nicht auch ein gewisses Risiko, diese Technologie für die Vermarktung einzusetzen - wenn man dem Kunden die ganze Wahrheit zeigt, macht man sich doch auch angreifbar, oder?

Auf den ersten Blick vielleicht. Aber Intransparenz führt über kurz oder lang immer zu Ärger. Natürlich gibt es gerade bei Bestandsobjekten gewisse Flächen, die nicht optimal geschnitten sind und die man dem Kunden vielleicht nicht unbedingt zeigen will. Auf der anderen Seite aber kann kein Nutzer danach sagen: So habe ich mir das nicht vorgestellt. Und: im Rahmen eines Refurbishments kann man so beispielsweise gemeinsam mit dem künftigen Mieter überlegen, wie man die Flächen in seinem Sinne am besten umgestalten kann. Dank Virtual Reality lässt sich in jedem Fall nutzerorientierter planen. Das gibt dem Interessenten mehr Entscheidungssicherheit - und dem Projektentwickler mehr Planungssicherheit.

I&F Abgesehen von Virtual Reality - welche digitalen Trends zeichnen sich derzeit ab?

Das Internet der Dinge oder für den Heimanwender das Thema Smart Home. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage: Wie kann ich die analoge und die digitale Welt möglichst sinnvoll und effizient miteinander verbinden? Die Gebäude der Zukunft werden sehr viel intelligenter sein - sie denken quasi mit. Praktisch kann das dann so aussehen, dass ich ins Zimmer komme und sich Temperatur und Licht automatisch einstellen. Alles, was digitalisiert werden kann, wird digitalisiert. Einfach, weil es praktischer und damit logisch ist.

I&F Macht dies den Menschen nicht langfristig überflüssig?

Die Digitalisierung verändert viel, aber der Wandel wird nicht dazu führen, dass Menschen überflüssig werden. Natürlich geht mit der Entwicklung ein gewisser Druck einher. Wenn in zehn Jahren Häuser komplett aus dem 3D-Drucker kommen, werden einige Jobs verloren gehen. Und wenn in Zukunft sogenannte Chatbots, also chatbasierte Dialogprogramme, noch stärker als heute dazu eingesetzt werden, hoch repetitive Mieteranfragen zu beantworten, wird das den Property Manager zumindest in Bedrängnis bringen. Ich würde trotzdem eher behaupten, dass sich durch die zunehmende Digitalisierung Berufsfelder vor allem wandeln und neue Aufgabenbereiche hinzukommen. Wenn ich ein Haus kaufen oder ein ganzes Bürogebäude anmieten will, dann will ich auch in Zukunft persönlich beraten werden. Das kann ein Computer nicht leisten.

I&F Was ist mit Big Data - also der intelligenten Datensammlung, -verknüpfung und -auswertung im großen Stil?

Als das Thema vor ein paar Jahren erstmals aufkam, waren viele skeptisch. Keiner wusste, was mit den gesammelten Daten langfristig passiert und ob sie beispielsweise in einer Cloud sicher sind. Mittlerweile sind virtuelle Datenräume in der Immobilienverwaltung oder beim Transaktionsmanagement Standard. Aber dabei wird es nicht bleiben. Daten sind die neue Währung. Das Problem ist: Schon heute liegen viele Informationen vor, werden aber nicht in den richtigen Zusammenhang gebracht. Sie richtig auszulesen und auch die Bedeutung für den Lebenskontext zu erfassen - auch das kann zumindest nach heutigem Stand nur ein Mensch leisten.

I&F Können Sie konkrete Beispiele dafür nennen, in welcher Weise Big Data die Immobilienwirtschaft verändern wird?

Big Data wird vor allem hilfreich sein, um das Angebot auf dem Markt zu schärfen. Virtual Reality bringt spürbare Veränderungen für den einzelnen Menschen, seinen Job und sein Leben mit sich. Big Data aber wird im Hintergrund die Gesellschaft verändern. Anhand von Geburtenraten, Zuzugsraten und vieler weiterer Daten kann ich genau analysieren, in welchem Zyklus ich welche neuen Wohnungen brauche. Mit Blick auf die Abiturjahrgänge kann ich beispielsweise die Anzahl an benötigten Studentenwohnheimen abschätzen. Gerade auf dem Wohnungsmarkt werden in Zukunft tausende weiterer Faktoren in Prognosen zur künftigen Nachfragesituation einfließen. Mit dem Ergebnis, dass letztlich viel besser geplant werden kann.

I&F Um noch einmal auf die Eingangsfrage einzugehen: Was passiert, wenn die Immobilienbranche den Aufbruch verschläft?

Dann werden die, die zu lange gewartet haben, von neuen Playern abgehängt. Dabei brauchen wir gar keine Revolution - wir brauchen in den meisten Fällen einfach digitale Anpassungen. Die Immobilienwirtschaft kann sich viel von den jungen, dynamischen Start-ups abgucken. Dort sind die Entscheidungswege und die Reaktionszeiten meist kurz und unkompliziert. Und der Fokus liegt auf den Problemen und neuen Bedürfnissen der Nutzer. Wenn sich die Unternehmen heute vor technischen Neuerungen verschließen, geht das vielleicht noch fünf Jahre gut. In zehn Jahren ist es für die, die die Anpassungen aufgeschoben und ihr Geschäftsmodell nicht digital abgebildet haben, zu spät.

Zur Person Enrico Kürtös CEO, Inreal Technologies GmbH, Karlsruhe
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