IMMOBILIENINVESTMENTS

"ES WÄRE NAIV, DEN BREXIT ALS EINE WIN-WIN-SITUATION FÜR DEUTSCHLAND ZU BETRACHTEN"

Paul Stewart, Foto: Barings

Zinswende, Brexit, Handelskrieg und Konjunkturabkühlung: Das Jahr 2019 verspricht in vielerlei Hinsicht ein äußerst anspruchsvolles zu werden. Im Gespräch mit der I & F-Redaktion diskutiert Paul Stewart von Barings die Bedeutung dieser vielschichtigen Herausforderungen und erörtert, worauf es für Investoren ankommt, um sicher auf den europäischen Immobilienmärkten navigieren zu können. So empfiehlt er mit Blick auf die in den kommenden Jahren voraussichtlich wieder leicht steigenden Zinsen Engagements auf Märkten, in denen das langfristige Mietpreiswachstum unterstützt durch strukturell günstige Faktoren wie Demografie, technologischer Wandel und Entwicklungsbeschränkungen am stärksten ist. Heruntergebrochen auf Assetklassen böten sich Opportunitäten insbesondere im Bereich Büro- und Logistiksektor. Red.

Herr Stewart, wie lange können sich Anleger bei der Zukunftssicherung ihrer Immobilienanlagen noch auf niedrige Zinsen und die Inflation verlassen?

Das heutige Klima auf den Finanzmärkten lässt sich nicht zwangsläufig auf außerordentliche finanzpolitische Maßnahmen und den damit verbundenen Schuldenüberhang nach der Finanzkrise zurückführen - der Rückgang bei den weltweiten Zinssätzen ist vielmehr eine Entwicklung, die in den achtziger Jahren begann. Die Industrieländer weisen nun eine niedrige Abhängigkeitsquote (hoher Anteil von Erwerbstätigen im Vergleich zu Kindern und Rentnern) auf, was dazu führt, dass die Nachfrage nach Vorsorgeprodukten das Angebot von geeigneten Anlagemöglichkeiten übersteigt.

Darüber hinaus wird die Inflation durch die hohe Anzahl an Erwerbstätigen, die um ein begrenztes Angebot von Arbeitsplätzen konkurrieren, gedämpft, was zu einem Rückgang der Löhne geführt hat. Diese Zinssätze ziehen niedrigere risikofreie Renditen nach sich, wodurch die Immobilienrenditen auf Rekordtiefststände gefallen sind.

Die Abhängigkeitsquote müsste mit dem nahenden Renteneintritt der Babyboomer aber doch wieder steigen?

Die Generation der Babyboomer nähert sich derzeit in der Tat dem Rentenalter, wodurch Befürchtungen aufkommen, dass sich der eben beschriebene Prozess umkehren könnte. Die Alterung der Bevölkerung ist zwar unvermeidbar, der genaue Zeitpunkt des Renteneintrittsalters (und damit der Rückgang der Sparquote und der Anstieg der Abhängigkeitsquote) muss es jedoch nicht sein. Wesentlich hierfür ist der technologische Wandel, insbesondere im Gesundheitswesen, der nicht nur zu einer insgesamt höheren Lebenserwartung, sondern auch zu einer größeren Produktivität im Alter führt.

Die steuerliche Belastung auf das nationale Gesundheitswesen ist angesichts der großen Anzahl von Babyboomern so hoch, dass - obwohl politisch umstritten - das Renteneintrittsalter wahrscheinlich ansteigen wird. Paradoxerweise dürfte der verspätete Renteneintritt wahrscheinlich am oberen Ende des Einkommensspektrums stattfinden, bei den Personen, die einen Großteil der Vorsorge tätigen.

Die Zinssätze beginnen nun zwar, sich wieder zu normalisieren. Die letzte Forward Guidance der Europäischen Zentralbank (EZB) legt jedoch nahe, dass die Erwartungen hinsichtlich eines plötzlichen Anstiegs der Inflation, der Zinssätze und Immobilienrenditen auf Vorfinanzkrisenniveau in den nächsten drei bis fünf Jahren wahrscheinlich enttäuscht werden. Der Schutz gegen leicht ansteigende Zinsen in den kommenden Jahren kann am besten durch die Auswahl von Märkten erreicht werden, in denen das langfristige Mietpreiswachstum unterstützt durch strukturell günstige Faktoren wie Demografie, technologischer Wandel und, besonders wichtig, Entwicklungsbeschränkungen am stärksten ist.

Was bedeutet das Ende der quantitativen Lockerung für Immobilienanleger?

Das hängt zum Großteil davon ab, was mit den risikofreien Zinssätzen, also den Renditen langlaufender Staatsanleihen, geschieht. Sie sind der Maßstab, an dem alle Kapitalanlagen gemessen werden. Ende 2013, als die US-Notenbank (Fed) das Ende ihres Programms zum Anleihekauf bekannt gab, reagierten globale Bondanleger mit einem sogenannten "Taper Tantrum", einer heftigen Reaktion, infolgedessen die Anleiherenditen stiegen. Fünf Jahre später reagierten sie auf die Ankündigung der EZB bisher ruhig und bedächtig. Ein Beispiel: Die Rendite von zehnjährigen Bundesanleihen liegt derzeit bei rund 0,3 Prozent. Grund hierfür ist wahrscheinlich, dass die Anleiheinvestoren heute wissen, dass das Ende der EZB-Käufe kein Vorzeichen für einen sofortigen Verkauf durch die Zentralbank ist.

Stellen Trumps Handelskriege eine ernsthafte Bedrohung für die Wirtschaft und den Immobiliensektor in Europa dar?

Die Erhebung hoher Handelszölle würde die Konjunktur in der Eurozone deutlich belasten. Ein geringeres Wirtschaftswachstum würde zu einer Verschlechterung der Bedingungen auf dem Mietmarkt führen und die Mietwachstumserwartungen senken. Die Finanzmärkte haben jedoch mittlerweile erkannt, dass ein Tweet des Präsidenten nicht unbedingt Maßnahmen nach sich zieht.

Könnte die politische Situation in der Türkei oder andere Faktoren die europäische Wirtschaft aus der Bahn werfen und sich auf den Immobiliensektor auswirken?

Das Wirtschaftswachstum in Europa wird noch immer von politischen Risiken, einschließlich des Protektionismus in den USA, des Brexit, der Flüchtlingsfrage, der Staatsverschuldung in Italien oder den Spannungen in Katalonien, überschattet. Diese scheinen zuletzt zurückgegangen zu sein, sind jedoch nicht ganz verschwunden. Die jüngste Krise der türkischen Lira hat die Handelsbilanz des Landes verschlechtert und verursacht Probleme für lokale Unternehmen, die in der Vergangenheit in erheblichem Ausmaß Devisendarlehen aufgenommen haben. Ein Übergreifen auf die europäische Wirtschaft und damit die Immobilienmärkte dürfte daher indirekt erfolgen, mittels Auswirkungen auf den Handel mit sinkenden Importausgaben - die drei größten Importquellen der Türkei sind China, Deutschland und Russland.

Die andere Möglichkeit eines Übergreifens besteht durch Banken der Eurozone, die laut der Zeitschrift "The Economist" Kredite in Höhe von über 150 Milliarden US-Dollar an die Türkei vergeben haben (rund 10 Prozent ihres kombinierten Eigenkapitals). Zunehmende Zahlungsausfälle könnten offensichtlich Einbußen für die Banken der Eurozone bedeuten. Hier ist wiederum nicht Italien, sondern Spanien am stärksten betroffen; es wird jedoch nicht davon ausgegangen, dass sich diese Situation auf die Zahlungsfähigkeit der Banken in der Eurozone auswirken wird.

Welche Auswirkungen wird der Brexit auf den deutschen Immobilienmarkt haben?

Mit Blick auf Deutschland wird Frankfurt, wo bekanntlich die EZB ansässig ist, als Hauptnutznießer des Ausscheidens des Vereinigten Königreichs aus der EU betrachtet, falls die City of London ihre "Passporting Rights" (die mit einem Pass für die Dienstleistungsanbieter verbundenen Rechte) verliert. Dabei wird jedoch von der Annahme ausgegangen, dass in Bezug auf die Finanzmarktregulierung keine "Äquivalenz" erreicht werden kann. Bei optimistischer Betrachtung für London liegt es offensichtlich in niemandes wirtschaftlichen Interesse, dass es auf den europäischen Kapitalmärkten zu einer Art von - wenn auch nur temporärer - Unterbrechung kommt. Die Kapazität ist jedoch ein wichtiger Faktor und in dieser Hinsicht ist nur Paris ein echter möglicher Rivale von London. Die konsumorientierte britische Wirtschaft ist zudem ein großer Markt für deutsche Exporte, weshalb es naiv wäre, den Brexit als eine Win-Win-Situation für Deutschland zu betrachten.

Es ist auch kein Zufall, dass der Dealflow bei Core-Immobilienanlagen in Deutschland im vergangenen Jahr zeitweise den im Vereinigten Königreich überholt hat. Während im zweiten Quartal zwar immer noch Kapital in Rekordhöhe aus den ostasiatischen Ländern nach London strömte, waren andere, stärker renditeorientierte globale Kapitalquellen wesentlich vorsichtiger. Kapital, das vormals stark auf die zwei Haupttore zum europäischen Markt, das heißt die Märkte in London und Paris, ausgerichtet war, wendet sich nun verstärkt in Richtung Berlin und München. Ein zweistelliges Mietpreiswachstum auf einigen deutschen Märkten ist offensichtlich ebenfalls hilfreich.

Und welche Entwicklung erwarten Sie für den britischen Immobilienmarkt?

Das dortige Wirtschaftswachstum hat sich seit dem Referendum halbiert und das Pfund Sterling ist gegenüber dem US-Dollar gefallen. Mit Ausnahme des Logistiksektors, auf dem Dank des Wachstums im E-Commerce-Sektor eine strukturelle Transformation erfolgt, findet sich auf dem britischen Markt kaum Mietwachstum.

In den vergangenen zwei Jahrzehnten sind ausländische An leger ein zunehmend wichtiger Akteur auf dem britischen Immobilienmarkt geworden. Sie tätigen normalerweise knapp die Hälfte der Transaktionen. Dies stellt zu den Vorfinanzkrisenniveaus einen Anstieg von rund 20 bis 30 Prozent dar. Die Abwertung des Pfund Sterling wird zwar nicht mit einer weiteren Zunahme der ausländischen Investitionen in Verbindung gebracht, das globale Kapital macht jedoch immer noch 40 bis 50 Prozent aus. Somit hat die Währung die - infolge der vom Brexit aus gelösten wirtschaftlichen Unsicherheit - gesunkenen Aussichten für ein Mietwachstum wohl etwas ausgeglichen.

Wie sind die britischen und europäischen Immobilienmärkte auf einen Zinsanstieg vorbereitet?

Beide Märkte sollten in der Lage sein, einer allmählichen Zinserhöhung standzuhalten. Der Verschuldungsgrad im britischen Immobilienmarkt ist, insbesondere im Vergleich mit früheren Krisen wie jener zu Beginn der neunziger Jahre und während der Finanzkrise, heutzutage überwiegend reduziert. Daher ist der Kreditfaktor, der zum finanziellen Stress der Kreditnehmer führt und in der Regel Rückgänge auf dem Immobilienmarkt zu Markteinbrüchen verstärkt, im aktuellen britischen Immobilienzyklus nicht vorhanden.

Die Immobilienmärkte auf dem europäischen Festland haben die Fremdfinanzierung wahrscheinlich nicht im selben Ausmaß wie der britische Markt verringert. Es gibt jedoch Hinweise dafür, dass sich die Qualität der Darlehensportfolios im Vergleich zur Zeit der globalen Finanzkrise beträchtlich verbessert hat. Die Qualität der Erträge, mit denen diese Immobiliendarlehen bedient werden, ist somit viel höher, wodurch der Markt widerstandsfähiger als vor acht bis zehn Jahren sein sollte. Es hängt letztlich viel davon ab, wie schnell und hoch die Zinsen steigen. Derzeit erwarten wir nur einen geringen Zinsanstieg mit einem vertretbaren Tempo, während sich der Mietzyklus in seiner Wachstumsphase befindet.

Sind Renditen und Cashflow-Erträge die wesentlichen Anziehungspunkte der deutschen und britischen Immobilienmärkte?

Da die Zinssätze im Vereinigten Königreich höher als in den meisten Teilen des europäischen Festlands sind, ist es relativ nachvollziehbar, dass die Renditen auf dem britischen Immobilienmarkt höher sind als auf den deutschen Märkten. Hierbei wird jedoch außer Acht gelassen, wo wir uns im Wirtschafts- und Mietwachstumszyklus befinden. Während es auf dem britischen Markt in den zurückliegenden fünf bis sechs Jahren einen starken Anstieg der Mieten gab, sieht es nun so aus, als ob der Höhepunkt des Zyklus erreicht sei. Wenn man zudem den Verlauf des Mietwachstums und die Leerstandsquoten untersucht, scheint es, als ob sich die deutschen Eigennutzermärkte näher an der Mitte des Zyklus befinden und für einige weitere Jahre über Potenzial für weiteres Wachstum verfügen.

Gibt es weitere Immobilienmärkte in Europa, die besonders vielversprechend sind?

Core-Investoren mit langfristigen Anlagehorizonten müssen einen zyklischen Einstiegspunkt finden. Am meisten sollten sie sich jedoch darauf konzentrieren, wann die langfristigen strukturellen Faktoren günstig für sie sein dürften. Dabei handelt es sich insbesondere um demografische Entwicklungen wie Bevölkerung, Urbanisierung und Alterung. Im weitesten Sinne bedeutet dies eine Bevorzugung von Städten in Nordeuropa, einschließlich Städten in Skandinavien, den Niederlanden, dem Vereinigten Königreich und großen deutschen Städten. Risikofreudigere Anleger mit kürzeren Anlagehorizonten sollten sich auf die Fundamentaldaten zu Angebot und Nachfrage auf dem zyklischen Immobilienmarkt konzentrieren - Flächenumsatz, Leerstand und Entwicklungspipelines. Die aktivsten Immobilienmanager müssen jedoch ganz klar die Exit-Liquidität berücksichtigen. Das heißt, sie müssen beachten, dass ihre Kunden, sprich die Core-Investoren, verstärkt nach Objekten mit einem langfristigen Mietsteigerungspotenzial suchen, sodass sie die strukturellen Entwicklungen ebenso wenig ignorieren können.

Und welche Entwicklungen erwarten Sie mit Blick auf die wichtigsten Assetklassen?

Mit Blick auf den Einzelhandelsimmobiliensektor investieren wir selektiv dort, wo die Objekte in ihren Einzugsgebieten wirklich marktbeherrschend sind und auf eine Widerstandsfähigkeit gegenüber der Onlinekonkurrenz hindeutende Merkmale aufweisen, wie beträchtliche Freizeitangebote oder andere Kundenfrequenz generierende Aspekte wie Lebensmitteleinzelhandel. Die Ausbreitung des E-Commerce befindet sich in verschiedenen Teilen Europas in unterschiedlichen Stadien. Die Menge der Einzelhandelsmietflächen beträgt jedoch häufig nur einen Bruchteil von denen in den stark konsumorientierten angelsächsischen Volkswirtschaften, von denen die meisten Schwierigkeiten haben.

Unserer Ansicht nach gibt es größere Opportunitäten für Anleger im Büro- und Logistiksektor. In zahlreichen europäischen Städten herrscht chronischer Mangel an "Grade-A"-Büroflächen. Zudem wurden Büroflächen, die sich für ein Entwicklungsprojekt geeignet hätten, in den vergangenen Jahren verstärkt in hochwertige Wohnimmobilien umgewandelt. Das Wachstum des E-Commerce führt dazu, dass Logistik nun ein für viele Anleger interessanter Bereich ist. Wir bevorzugen jedoch Objekte, bei denen wir überzeugt sind, dass die Grundstückspreise einen angemessenen Anteil des Kapitalwerts ausmachen. Grund hierfür ist, dass hohe Grundstückspreise auf eine wahrscheinlich fehlende Angebotselastizität hinweisen und daher ein besseres langfristiges Mietsteigerungspotenzial aufweisen. Darüber hinaus bedeutet ein höherer Restwert in der Regel reduzierte Abschreibungen auf die Immobilienanlage, wodurch ein Dauerproblem in diesem Sektor eliminiert wird.

ZUR PERSON

PAUL STEWART Head of European Real Estate Research & Strategy, Barings Real Estate Advisers Europe Finance LLP, London

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