STADTENTWICKLUNG

"WOHNEN WIRD KÜNFTIG IN DEN INNENSTÄDTEN SICHER EINE GRÖSSERE ROLLE SPIELEN"

Eckhard Horwedel, Foto: DSK

Knapper Wohnraum, kriselnde Zentren, steigende Umweltbelastungen, drohende Verkehrsinfarkte und jetzt auch noch Corona. Die Herausforderungen für die Stadtentwicklung sind so mannigfaltig wie vermutlich nie zuvor. Dass es bei ihrer Bewältigung letztlich aber keine einheitliche Blaupause für alle Kommunen geben kann, davon ist Eckhard Horwedel, Sprecher des Vorstands des Branchenverbands "Die Stadtentwickler", überzeugt. Im Redaktionsgespräch mit "Immobilien & Finanzierung" diskutiert er unter anderem die Kernanliegen der 2017 gegründeten Initiative, potenzielle Strategien im Kampf gegen verödende Innenstädte und die Bedeutung der Städtebauförderung. Für Letztere fordern die Stadtentwickler eine Aufstockung der Bundesmittel von derzeit 790 Millionen Euro auf 1,5 Milliarden Euro, um die Zukunftsfähigkeit der Städte nach der Corona-Krise sicherstellen zu können. Red.

Herr Horwedel, Ihr Verband "Die Stadtentwickler" wurde Ende 2017 gegründet. Was war der Anlass dafür?

Die Stadtentwicklerbranche ist ohnehin eine sehr kleine Branche, sodass wir diese zu einer schlagkräftigeren Stimme der Stadtentwickler entwickeln wollten. Bis dahin hatte sich die Branche in zwei kleinen Verbänden mit praktisch identischen Interessen organisiert. 2017 war die Zeit dann einfach reif, sich zusammenzuschließen.

Wer sind die Mitglieder in Ihrem Verband?

In unserem Verband sind 30 Unternehmen organisiert, die in der Stadtentwicklung tätig sind. Dies sind Landes- und Stadtentwicklungsunternehmen sowie Sanierungs- und Entwicklungsträger, die überwiegend als Dienstleister für Kommunen tätig sind.

Darüber hinaus sind Projektentwickler von Quartieren und Wohnungsunternehmen mit kommunalen Dienstleistungen dabei.

Erschwert die Tatsache, dass Sie private, landeseigene und kommunale Akteure vereinen, an manchen Stellen die gemeinsame Meinungsfindung? Immerhin stehen diese ja in der täglichen Praxis im Wettbewerb.

Nein, wie in anderen Branchenverbänden auch, haben auch Mitbewerber einen Kern an gemeinsamen Interessen. Das breite Spektrum der Unternehmensformen respektive Gesellschafter bedeutet nur, dass die Verbindung im Verband auf einem gleichen Verständnis von Stadtentwicklung beruht und eben nicht in der Unternehmensform.

Und wie empfinden Sie im Rahmen der Verbandsarbeit grundsätzlich den Austausch mit Politik und Verwaltung?

Sehr gut und sehr wichtig. Einer der zentralen Gründe für die Gründung eines starken Branchenverbandes ist, den Austausch mit der Politik und der Verwaltung, hier insbesondere dem Bundesbauministerium, zu intensivieren. Nach etwas mehr als drei Jahren Verbandstätigkeit der Stadtentwickler muss ich sagen, das ist uns gelungen.

Die Stadtentwicklung ist ein facettenreicher Themenkomplex. Welche Kernmerkmale zeichnen eine lebenswerte Stadt denn grundsätzlich aus?

Für uns die integrierte Sicht auf die Stadt das A und O einer Stadtentwicklung für alle Bevölkerungsschichten. Wir brauchen eine nutzungsgemischte Stadt und vor allem Wohnangebote für alle Einkommensklassen.

Wir brauchen ausreichende Angebote für das Wohnen, Arbeiten, Bildung und Freizeit, aber auch Fortschritte bei der Digitalisierung und eine hohe Qualität der öffentlichen Räume, der Grün- und Freiflächen. Und wir müssen die Bevölkerung von Beginn an bei der Baulandentwicklung, der Planung neuer Quartiere und im Bestand in den Dialog über die Entwicklung der Städte einbeziehen.

Und wo besteht mit Blick auf deutsche Städte diesbezüglich am meisten Handlungsbedarf?

Aktuell gibt es einen starken Fokus auf die Innenstädte, ohne dass unsere "alten" Themen obsolet geworden wären, sprich die Versorgung der Bevölkerung mit preisgünstigem Wohnraum und die Entwicklung lebendiger, resilienter Quartiere. Die Entwicklung der Wohnquartiere wird weiter von großer Bedeutung sein. Wir müssen nicht nur den Strukturwandel, sondern auch den Klimawandel und die Energiewende in den Quartieren bewältigen.

Viel wird derzeit über die Implikationen von Corona für Städte und Gemeinden spekuliert. Welche konkreten Auswirkungen können Sie bislang beobachten und was erwarten Sie noch?

Am augenfälligsten sind die Funktionsverluste in den Innenstädte, sprich die Leerstände im Einzelhandel. Hier brauchen wir neue Nutzungen und neue Innenstadtstrategien, um diese wieder zu einem für alle attraktiven Identifikationsort zu gestalten. Inwieweit und in welchem Umfang wir Veränderungen im Bürosektor, an Messestandorten und bei den Hotels sehen werden, lässt sich noch nicht abschließend beurteilen. Wir sehen aber auch die Notwendigkeit, für die Wohnquartiere neue Konzepte einer erweiterten Nahversorgung, sogenannte dritte Orte des Arbeitens (Co-Working-Angebote) und eine bessere wohnortnahe Grünflächen zu entwickeln.

Könnte die verschärfte Finanzlage vieler Städte zu einem nachhaltigen Bedeutungsverlust der stadtentwicklungspolitischen Aufgaben führen?

Nein, im Gegenteil, die stadtentwicklungspolitischen Aufgaben nehmen zu und werden zunehmend komplex. Das rückt natürlich den Fokus auf die Finanzierung dieser Aufgaben, für die wir schon seit einiger Zeit eine verbesserte Finanzausstattung der Kommunen und eine Erhöhung der Städtebaufördermittel auf 1,5 Milliarden Euro fordern.

Wie realistisch ist dieses Ansinnen? Und kommt an dieser Stelle nicht hinzu, dass ein beträchtlicher Teil der Fördergelder ohnehin nicht abgerufen wird?

Hier muss klar zwischen Bedarfen vor Ort und der Abwicklung der Förderung unterschieden werden. Durch Corona sind die Bedarfe nochmals größer geworden, daher fordern wir ja auch die Erhöhung der Mittel auf 1,5 Milliarden Euro.

Bei der Abwicklung der Förderung haben wir allerdings Luft nach oben. Wir plädieren daher schon lang dafür, hier radikal zu vereinfachen, Prozesse zu digitalisieren und nebenbei auch verstärkt mit professionellen Dienstleistern wie unseren Stadtentwicklungsunternehmen zu arbeiten, um die Mittel auf die Straße zu bringen.

In den Programmen der Städtebauförderung werden unter anderem Anreize für interkommunale Kooperationen gesetzt. Was hat es damit auf sich und welchen konkreten Nutzen bringen sie in der Praxis?

Dahinter steht die Erkenntnis, dass kommunale Herausforderungen und Aufgaben interkommunal, das heißt gemeinsam und mit Dritten, besser gelöst werden können. In manchen Fällen gäbe es ohne die Zusammenarbeit mehrerer Kommunen gar keine Lösung. Für gemeinsame integrierte Konzepte ist zentral, einen Interessenausgleich zu schaffen und eine Win-win-Situation für die Beteiligten zu schaffen.

Noch einmal zurück zu den hiesigen Innenstädten. Was erwarten Sie, wie drastisch wird der Wandel im Erscheinungsbild in den kommenden Jahren sein?

Noch scheinen alle Städte mehr oder weniger gleich stark von den Folgen der Corona-Pandemie respektive des Shutdowns betroffen zu sein. Wir werden aber ein sehr differenziertes Bild erleben, je nach Stadtgröße und Marktlage. Aber alle werden mit Funktionsverlusten, weniger stationärem Handel und der Notwendigkeit, neue Nachnutzungen zu finden, zu tun haben.

War die vielerorts starke Ausrichtung auf den stationären Einzelhandel rückblickend ein Fehler?

Ich glaube, dass ein Rückblick hier nur begrenzt weiterhilft. Natürlich ist dies aus heutiger Perspektive eher kritisch zu beurteilen. Wichtig ist, wie wir die Innenstädte künftig zu resilienten attraktiven Orten weiterentwickeln. Dazu brauchen es jeweils eine eigene Strategie und Idee, wie die Städte sich weiter entwickeln wollen. Manche können unter anderem ihre Hochschulen in die Innenstadt zurückholen, in anderen Städten werden dies andere Nutzungen sein. Hier wird es keine Blaupause für alle geben.

Erachten Sie Konzepte wie den kommunalen Zwischenerwerb beziehungsweise eine aktive Bodenvorratspolitik als eine sinnvolle (Teil-)Lösung zur Behebung der Probleme in den Innenstädten?

Auf jeden Fall. Grundsätzlich sollten Kommunen ohnehin eine langfristig angelegte Boden- und Baulandpolitik als strategisches und operatives Instrument der Stadtentwicklung betreiben. Dazu gehört auch der strategische Zwischenerwerb, um überhaupt Gestaltungsspielräume und Flächennutzungen steuern zu können. Darin sehen wir auch eine Voraussetzung für den vergünstigen Einsatz, zum Beispiel für bezahlbaren Wohnungsbau.

Einige sehen die derzeitige Situation auch als Chance, um möglicherweise obsolete innerstädtische Gewerbeflächen in dringend benötigten Wohnraum umzuwandeln. Ist das, gerade mit Blick auf das öffentliche Baurecht, überhaupt im großen Stile möglich?

Wohnen wird künftig in den Innenstädten sicher eine größere Rolle spielen. In welchem Umfang wird aber von Stadt zu Stadt sehr unterschiedlich ausfallen und lässt sich nicht pauschal festlegen. Dies hängt von der Ausgangssituation und der Marktlage ab. Wohnen lässt sich in der Regel bis zu einen gewissen Umfang auch mit dem bestehenden Baurecht umsetzen. Selbstverständlich können wir uns aber auch mehr Flexibilität durch Anpassungen in der Baunutzungsverordnung (BauNVO) oder beim Lärmschutz vorstellen.

ZUR PERSON ECKHARD HORWEDEL Sprecher des Vorstands, DIE STADTENTWICKLER. BUNDESVERBAND e.V., Berlin
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