DIE AUSBLEIBENDE REVOLUTION

Philipp Hafner, Quelle: Verlag Helmut Richardi

"Banking is necessary, banks are not." Nicht wenige Experten glaubten infolge des starken Aufkommens von Fintechs in den Jahren nach der Finanzkrise 2008 an die zeitnahe Erfüllung dieser Prophezeiung von Bill Gates, die er bereits im Jahr 1994 kundtat. Befeuert wurde dies durch das oftmals forsche Auftreten der "jungen Wilden" sowie Medienberichten, die beinahe täglich neue "disruptive" Geschäftsmodelle identifizierten, die die behäbigen Banken in Kürze obsolet machen würden. Nun hat sich der Microsoft-Gründer in vielen Bereichen als großer Visionär erwiesen. Diesbezüglich lag er jedoch klar daneben. Denn Stand heute muss konstatiert werden: Die Revolution ist ausgeblieben. Gleichzeitig gilt es hinzuzufügen, dass Fintechs die Finanzbranche durchaus verändert und bereichert haben. Durch ihre konsequente Ausrichtung auf die Bedürfnisse der Kunden haben sie den Etablierten die hohe Relevanz des Faktors "Kundenzufriedenheit" eindringlich vor Augen geführt.

Typischerweise fokussieren sich Fintechs dabei auf Nischen in den Prozessen der Wertschöpfungskette und optimieren diese mithilfe digitaler Technologien. Allerdings fehlt ihnen meist die nötige Reichweite, um den Etablierten wirklich das Fürchten zu lehren. Um diesen entscheidenden Vorteil wohl wissend, nähern sich die führenden Finanzinstitute den einstigen "Angstgegnern" mittlerweile unbefangen an. Fast kein Tag vergeht ohne eine weitere Verkündung eingegangener Kooperationen. Auch Direktinvestitionen bis hin zum kompletten Aufkauf von Startups sind längst Routine.

Wie sieht es in der Immobilienwirtschaft aus? Auch hier tut frischer, digitaler Wind not und gut, wenn man beispielsweise bedenkt, dass Kreditanträge in aller Regel noch immer in Papierform eingereicht werden müssen oder das potenziell bahnbrechende BIM - zumindest hierzulande - bislang kaum Anwendung findet. Im Vergleich zum Finanzbereich setzte das Aufkommen von Startups in der Immobilienwelt spät ein. Doch seit gut zwei Jahren drängen auch hier tausende talentierte Jungunternehmer, die "Property" und "Technology" zu "Proptech" vereinen, vehement in die Märkte. Weltweit existieren inzwischen etwa 2 000 Proptechs, laut Nikolai Roth von Maklaro kommen Stand April 2018 davon rund 246 aus Deutschland (für einen Ausschnitt dieser Unternehmen siehe "Daten und Fakten" in dieser Ausgabe). Tendenz klar steigend: Im September 2016 waren es noch 112. Gewiss, ähnlich wie in der Finanzindustrie werden auch nicht wenige der neu gegründeten Property-Startups nach kurzer Zeit wieder von der Bildfläche verschwinden. Thomas Beyerle von Catella geht davon aus, dass letztlich gerade einmal zehn Prozent (eigenständig) am Markt überleben werden. Bedingt durch die Einführung des Bestellerprinzips im Jahr 2015 tummeln sich derzeit alleine im Bereich virtueller Maklerdienstleistungen 128 Gründer und Visionäre - mit oftmals ähnlichen Geschäftsmodellen. Hier ist eine Konsolidierungswelle wohl nur eine Frage der Zeit.

Trotzdem sind die Ambitionen der Newcomer - ähnlich wie zu Beginn bei den Fintechs - oftmals groß. In der vom ZIA und EY im Oktober 2016 veröffentlichten Digitalisierungsstudie waren 63 Prozent der befragten Proptechs der Auffassung, dass sie eine Gefahr für die Geschäftsmodelle etablierter Marktteilnehmer darstellen. Ob dieser Wert heute nach den ersten, mühsamen Gehversuchen noch erreicht werden würde? Zweifel sind angebracht, denn so spannend die eine oder andere Idee auch sein mag, der große Wurf ist nicht auszumachen. Zumindest wenn es der Anspruch ist, an den Thronen der Etablierten zu rütteln. Stattdessen beschränkt sich vieles auf die Übertragung einzelner analoger Prozesse in die digitale Welt. Dieser Nischenansatz legt wie bei den Fintechs die Vermutung nahe, dass es ohne Kooperationen nicht geht. Das ZIA-Ergebnis dürfte somit vor allem der anfänglichen Euphorie oftmals branchenfremder Quereinsteiger geschuldet gewesen sein.

Fairerweise gilt es hinzuzufügen, dass die Immobilienwirtschaft vergleichsweise ungünstige Voraussetzungen für große Innovationsschübe bietet. Die kleinteiligen Marktstrukturen, die starken regulatorischen Vorgaben sowie die hohe Intransparenz machen die Skalierbarkeit digitaler Geschäftsmodelle mühevoll. Die unterdurchschnittliche Datenqualität sowie die Tatsache, dass es hierzulande an einer einheitlichen und verbindlichen Dateninfrastruktur fehlt, erschwert es den Proptechs darüber hinaus, mit ihren Tools an Systeme "andocken" zu können. Auch die hohe Erwartungshaltung hinsichtlich Big Data dürfte durch die Umsetzung der EU-Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) sowie dem Facebook-Skandal einen Dämpfer erhalten. Abzuwarten bleibt zudem, wie sich die wachsende Aufmerksamkeit der Aufsichtsbehörden auf die Startups auswirken wird. Entmutigen lassen sollten sich die Proptechs von alldem aber nicht. Gerade wenn der Immobilienmarkt dreht, könnte der Leidensdruck in der erfolgsverwöhnten Branche steigen. Angesichts der weiter blendenden Rahmenbedingungen benötigen sie dafür aber einen langen Atem und vermutlich auch die eine oder andere Finanzspritze kapitalkräftiger Investoren.

Philipp Hafner , Leitender Redakteur, Immobilien & Finanzierung , Helmut Richardi Verlag
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