IM BLINDFLUG

Philipp Hafner Leitender Redakteur, Foto: Verlag Helmut Richardi GmbH

"Wetten, dass ... ein 40 Jahre altes Unterhaltungskonzept noch immer ein Millionenpublikum vor die Mattscheibe locken kann?" Mit einer Fabelquote von 45,7 Prozent beziehungsweise 14 Millionen Zuschauern hat das ZDF Anfang November eindeutig bewiesen, dass man mit der Rückbesinnung auf Altbewährtes reüssieren kann. Ein ganz ähnliches Muster begegnet einem derzeit interessanterweise beim Zappen durch das "Unterhaltungsprogramm" der deutschen Immobilienwirtschaft. Da treibt man doch tatsächlich wieder die Uraltsau namens "Immobilienpreisblase" durchs Dorf.

Anlass war eine ganze Reihe neuer Erhebungen, die diese Vermutung zumindest nähren. So schaffte es jüngst mit Frankfurt erstmals eine deutsche Stadt auf den Thron des viel beachteten "UBS Real Estate Bubble Index", der die Gefahr einer Preisimplosion auf weltweiten Wohnungsmärkten beleuchtet. Es folgte der vdp-Immobilienpreisindex zum dritten Quartal 2021: Mit 11,4 Prozent verbuchten Wohnimmobilien die höchste Preissteigerung zum Vorjahr seit Beginn der Datenerhebung im Jahr 2003. Und last, but not least, indiziert der Empirica-Blasenindex mittlerweile für 336 von 401 Kreisen in Deutschland eine mäßige bis hohe Blasengefahr (Vorquartal 325, vor drei Jahren 247). Das Potenzial für Preiseinbrüche beziffern die Experten bundesweit auf nunmehr 31 Prozent (vor drei Jahren 16 Prozent), in den sieben größten Städten Deutschlands liegt es gar bei 48 (33) Prozent.

Wen kann es da also wundern, dass ausgewiesene Experten ebenso wie weniger Berufene derzeit in bester "Wetten-dass-Manier" zum gefühlt 1 000. Mal leidenschaftlich darüber debattieren, ob es sich bei dieser ausgesprochen "dynamischen" Preisentwicklung um eine handfeste Blase handelt oder eben nicht? Und natürlich wird man dabei zum 1 000. Mal eine nur sehr bedingt zufriedenstellende Antwort erhalten. Schließlich liegt die Krux einer solchen Blase erfahrungsgemäß ja genau darin, dass sie erst dann identifiziert wird, wenn es bereits zu spät ist. Und dass ausgerechnet Deutschland diesbezüglich eine Ausnahme bilden sollte, muss stark bezweifelt werden. Denn die Bundesrepublik befindet sich in Sachen Transparenz bei der (Wohn-)Immobilienkreditvergabe auf dem Stand eines Entwicklungslandes.

Dazu ein kurzer Abriss: Der Ausschuss für Finanzstabilität (AFS), dem jeweils drei Vertreter aus Bundesbank, BMF und BaFin angehören, hatte bereits im Juni 2015 dringend empfohlen, die Datenverfügbarkeit bei Immobilienkrediten signifikant zu verbessern. Getan hat sich lange nichts, trotz der munter weiter haussierenden Immobilienpreise. Stattdessen mussten die Marktwächter bei der Risikobeurteilung auf unregelmäßige Sonderabfragen beziehungsweise Daten privater Unternehmen wie Europace vertrauen, die den Markt letztlich aber nur unzureichend abbilden - ein gefährlicher Blindflug.

Zwar gelang es der GroKo nach langem Anlauf im Februar 2021 doch noch, die "Finanzstabilitätsdatenerhebungsverordnung" (FinStabDEV) zu verabschieden, die die Bundesbank ermächtigt, sich bestimmte Daten (LTV, Schuldendienstfähigkeit et cetera) von den Instituten regelmäßig melden zu lassen. Dies bezieht sich aber nur auf neu vergebene Wohnimmobilienkredite. Bei allem, was davor geschah - und der Immobilienzyklus befindet sich ja wahrlich in einer sehr reifen Phase - tappt man unverändert im Dunkeln. Hinzukommt: Das makroprudenzielle Instrumentarium zur Eindämmung potenzieller Übertreibungen auf den Wohnungsmärkten wurde spät (2017) etabliert und ist in seinem Umfang begrenzt. Der AFS hatte Mitte 2015 nämlich nicht nur eine bessere Datengrundlage, sondern auch das Recht, bei Bedarf Mindestanforderungen für Beleihungsausläufe (LTV), Schuldendienst-zu-Einkommen, Gesamtverschuldung-zu-Einkommen sowie Mindesttilgungssätze festzulegen, eingefordert. Der Gesetzgeber lehnte dies ab, 2017 gewährte er dann aber zumindest die Maßnahmen hinsichtlich LTV und Tilgung.

Zum Einsatz kamen sie gleichwohl noch nicht. Ein Umstand, der jetzt die EZB öffentlichkeitswirksam auf den Plan gerufen hat: Ziemlich unverblümt forderte sie den AFS in ihrem jüngsten Finanzstabilitätsbericht dazu auf, den Überhitzungstendenzen am hiesigen Wohnimmobilienmarkt gegenzusteuern. In allen übrigen Euroländern seien entsprechende Maßnahmen bereits ergriffen worden. Die Verantwortlichen in Deutschland wird der Rüffel sicher pikiert haben. Gut möglich, dass sie in den kommenden Monaten aber dennoch einlenken. Nicht, dass unmittelbarer Anlass zur Panik besteht: Der hiesige Hypothekenmarkt verfügt dank seiner spezifischen Merkmale - insbesondere dem Festzinssystem - über eine hohe Widerstandsfähigkeit. Das belegt nicht zuletzt der historische und internationale Vergleich. Richtig ist andererseits aber auch, dass gerade die Aufsicht diese Entwicklung nicht einfach extrapolieren kann. Das wäre schon allein deshalb fahrlässig, weil der aktuelle Boom hinsichtlich Umfang und Dauer präzedenzlos ist. Und überhaupt gilt: Wenn nun auch noch ausgerechnet die EZB selbst, die mit ihrer nicht enden wollenden Nullzinspolitik ja der wesentliche Treiber des ganzen Spektakels ist, so eindringlich warnt, sollte man definitiv aktiver werden.

Philipp Hafner , Leitender Redakteur, Immobilien & Finanzierung , Helmut Richardi Verlag
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