DIGITALE SPALTUNG

Philipp Hafner, Quelle: Verlag Helmut Richardi

70 Jahre Grundgesetz - die Feierlichkeiten Ende Mai zum runden Jubiläum der deutschen Verfassung waren groß. Und das zu Recht, hat sie sich in all den Jahrzehnten doch als verlässlicher Stabilitätsanker erwiesen. Gleichwohl muss konstatiert werden, dass es bei der Umsetzung einiger wichtiger Vorgaben im Grundgesetz nach wie vor gewaltig hapert. Besonders schwer gestaltet sich beispielsweise das in Artikel 72 postulierte Ziel der "Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse". Den Finger in diese Wunde legte vor Kurzem die Friedrich-Ebert-Stiftung im Rahmen ihrer Studie "Ungleiches Deutschland - sozioökonomischer Disparitätenbericht 2019". Demnach unterscheiden sich die sozialen und wirtschaftlichen Lebenslagen der Menschen in Deutschland immer deutlicher voneinander: Mehr als 13,5 Millionen Menschen leben hierzulande mittlerweile in Regionen mit schweren Strukturproblemen. In den dynamischen Boomregionen hingegen setzen steigende Lebenshaltungskosten und überlastete Infrastrukturen selbst Menschen aus der Mittelschicht zunehmend unter Druck.

Das starke Stadt-Land-Gefälle hat natürlich viele Ursachen, ein immer deutlicher zutage tretender Erklärungsfaktor sind aber mit Sicherheit die massiven Versäumnisse in der deutschen Digitalpolitik. Vor allem das Trauerspiel "Breitbandausbau" lässt tief blicken, denn hier haben die inzwischen vier verschiedenen Regierungen unter Angela Merkel einen Rekord nach dem anderen beim Brechen des seit 2009 kolportierten Versprechens "flächendeckendes Breitband für alle" aufgestellt. Und so ist die Realität anno 2019 einigermaßen ernüchternd: In den schnellen Breitbandklassen ab 50 Mbit pro Sekunde sind die ländlichen Regionen mit rund 50 Prozent der Haushalte noch immer deutlich unterversorgt. Ähnlich prekär ist die Situation für viele Unternehmen. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes hatten 2018 bundesweit nur 51 Prozent einen festen Breitbandanschluss mit einer vertraglich vereinbarten Datenübertragungsrate von mindestens 30 Megabit pro Sekunde. Meldungen über Firmen, die für wichtige Konferenzen ein Büro in der Stadt mieten oder gleich ganz dorthin ziehen, sind längst keine Seltenheit mehr.

Die Flächen abseits der Ballungsräume drohen indes auch bei der Glasfaserversorgung abgehängt zu werden, da sich der Ausbau dort für Telekommunikationsunternehmen trotz staatlicher Förderprogramme kaum rechnet und regionale Anbieter regelmäßig auf regulatorische Hindernisse stoßen. Doch genau diese Glasfaserkabel (sowie zigtausende neue Sendemasten) werden dringend benötigt, um den neuen Mobilfunkstandard 5G - die Voraussetzung für vernetzte Produktionsstätten, autonomes Fahren, Augmented Reality und viele weitere, datenintensive Zukunftstechnologien - flächendeckend etablieren zu können.

So kann es kaum überraschen, dass Experten dieser Tage bereits vor einer weiteren Verschlechterung der digitalen Teilhabe in ländlichen Gebieten warnen. In dieses Bild passen die fragwürdigen Äußerungen von Bildungsministerin Anja Karliczek vor einigen Monaten, wonach der neue Mobilfunkstandard "nicht an jeder Milchkanne" benötigt werde und man sich "ein bisschen Zeit" damit lassen könne, in die Fläche zu gehen. Es ist ein fatales Signal an die ländlichen Regionen und die dort (noch) zahlreich vertretenen mittelständischen "Hidden Champions".

Die digitale Spaltung in Deutschland birgt indes auch für die Entwicklung des Immobilienmarktes weitreichende Implikationen, denn leistungsfähigen Netzen kommt längst eine Schlüsselrolle für die Attraktivität einer Liegenschaft zu. Laut einer Umfrage von Wiredscore unter Marktteilnehmern der Immobilienbranche aus dem vergangenen Jahr ist eine schnelle und ausfallsichere Internetverbindung inzwischen gar die mit Abstand wichtigste Eigenschaft eines modernen Büroarbeitsplatzes. Im Umkehrschluss dürfte eine mangelhafte Anbindung perspektivisch negativ auf den Wert eines Gebäudes durchschlagen.

Es bedarf somit keiner allzu großen hellseherischen Fähigkeiten, um zu prophezeien, in welche Regionen das Kapital von Investoren und Entwicklern künftig noch verstärkt fließen wird. Der Druck auf die Metropolregionen wird sich folglich weiter intensivieren und mit ihm der Streit um immer weiter steigende Immobilienpreise und -mieten, die am sozialen Gefüge zerren. Die Verantwortung dafür trägt aber nicht die Immobilienwirtschaft, sondern alleine die Politik, für die die digitale Welt offenbar noch immer "Neuland" ist.

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