FALSCHE PRIORITÄTEN

Philipp Hafner, Quelle: Verlag Helmut Richardi

German Infrastructure - damit assoziierte man weltweit lange Zeit ein Vorbild für gute Straßen, Brücken, Schienen sowie Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen. Doch in den vergangenen Jahren verfestigt sich der Eindruck, dass diese Wettbewerbsvorteile leichtfertig verspielt werden. Die hiesige Infrastruktur fährt auf Verschleiß, das belegen zunehmend auch internationale Untersuchungen. Laut dem "Global Competitiveness Report" des World Economic Forum (WEF) verfügte die Bundesrepublik Anfang des Jahrtausends noch über die zweitbeste Verkehrsinfrastruktur der Welt. 19 Jahre später reicht es diesbezüglich gerade einmal noch für Rang 22. Im Vergleich mit allen anderen G20-Staaten steckte die Bundesrepublik zwischen 2010 und 2015 prozentual am wenigsten in die Infrastruktur, wie das McKinsey Global Institute (MGI) errechnete. Zur ermittelten Bedarfsdeckung müssten es jährlich 0,5 Prozent des BIP mehr sein, das entspricht sage und schreibe rund 170 Milliarden Euro.

Die Marschroute ist somit klar: Es muss dringend mehr investiert werden, um nicht den Anschluss zu verlieren. Dabei drängt sich zunächst die Frage auf, wie man überhaupt in diese missliche Lage geraten konnte, schließlich bieten sich der maßgeblich für die Güte der infrastrukturellen Lebensadern verantwortlichen öffentlichen Hand seit geraumer Zeit doch eigentlich traumhafte Rahmenbedingungen: Die Steuerquellen sprudeln, zugleich sinken die Zinsausgaben signifikant. Könnten falsche politische Prioritäten eine (Teil-)Antwort liefern?

Der jüngst vorgelegte Bundeshaushalt für 2020 legt diese Vermutung jedenfalls (wieder einmal) nahe. Wie kann es zum Beispiel sein, dass die Sozialausgaben trotz der seit zehn Jahren ununterbrochen wachsenden Wirtschaft in Verbindung mit einer seit der Wiedervereinigung rekordtiefen Arbeitslosigkeit immer munter weiter steigen und über alle Ministerien hinweg abermals mehr als die Hälfte des Gesamthaushalts ausmachen? Tendenz natürlich unverändert steigend, denn neben kostspieligen Wählergeschenken wie Mütter- und Grundrente, die die ohnehin marode gesetzliche Rentenversicherung zusätzlich belasten, steht die deutsche Industrie am Beginn einer Rezession und baute im zurückliegenden Oktober erstmals seit 2010 wieder Stellen (9 000) ab.

Die Zeiten rekordhoher Haushaltsüberschüsse neigen sich damit dem Ende. Das IfW Kiel rechnet in einer aktuellen Analyse damit, dass der 2018 erzielte Rekordüberschuss der öffentlichen Haushalte in Höhe von knapp 62 Milliarden Euro relativ schnell abschmelzen und bereits 2021 negativ (minus 1,7 Milliarden Euro) sein wird. Den zuletzt immer stärker zu vernehmenden Forderungen nach einem staatlichen Konjunkturprogramm sowie einer Aufweichung der Schuldenbremse erteilen die Kieler Volkswirte gleichwohl eine Absage.

Tatsächlich würde Ersteres aufgrund der maßgeblich im außenwirtschaftlichen Umfeld zu verortenden Ursachen für die stotternde Wirtschaft wohl keine nennenswerten Effekte haben. Ein Rütteln an der Schuldenbremse, die ab 2020 wohlgemerkt auch für die Bundesländer gilt, käme derweil einem Bärendienst für die Glaubwürdigkeit der deutschen Fiskalpolitik gleich und ist letztlich auch gar nicht notwendig. Das Instrument zwingt den Staat lediglich dazu, sich über seine Prioritäten klar zu werden.

Noch stärker in den politischen Fokus sollte daher die Erkenntnis rücken, dass die Zukunft unseres (überbordenden) Sozialstaats eben auch ganz wesentlich von einer reibungslos funktionierenden Infrastruktur abhängt. Dass sich diesbezüglich durchaus einiges zum Positiven wendet, soll an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben. Der Bund etwa hat vor dem Hintergrund des auf über 138 Milliarden Euro geschätzten Investitionsrückstands in den Kommunen zuletzt diverse Hilfsmaßnahmen auf den Weg gebracht, das honorierte unlängst auch der Deutsche Städte- und Gemeindebund (DStGB).

Dazu gehören unter anderem ein 3,5 Milliarden Euro schweres Investitionsprogramm für finanzschwache Kommunen sowie seit 2015 die Bereitstellung von Fördermitteln in Höhe von 4,5 Milliarden Euro für den Breitbandausbau. Von Letzteren wurden bislang jedoch gerade einmal 150 Millionen Euro ausgezahlt, bei vielen weiteren Fördertöpfen verhält es sich ähnlich.

Dafür gibt es im Wesentlichen zwei Gründe: Zum einen sind insbesondere kleine Kommunen mit den komplizierten Förderanträgen regelmäßig überfordert, zum anderen fehlt es vielerorts an Kapazitäten im Bau und Handwerk, um die Vorhaben umsetzen können. Mehr Geld ist aktuell also nicht des Rätsels Lösung. Eine schlankere Regulierung sowie eine bessere Einbindung privater Unternehmen und Investoren könnten dagegen so einiges bewegen.

Noch keine Bewertungen vorhanden


X